TE Bvwg Erkenntnis 2024/6/7 W127 2267827-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.06.2024
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Entscheidungsdatum

07.06.2024

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W127 2267827-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. FISCHER-SZILAGYI über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2023, Zl. 1291574000/211964975, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. FISCHER-SZILAGYI über die Beschwerde von römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-GmbH), gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2023, Zl. 1291574000/211964975, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:

1.       Die nunmehrige Beschwerdeführerin ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 17.12.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.12.2021 begründete die damals noch minderjährige Beschwerdeführerin ihre Flucht dahingehend, sie habe ihre Heimat aufgrund des Krieges verlassen. Es gebe dort sehr viele Probleme, vor allem zwischen den Kurden, den Syrern und den Türken. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht. Für den Fall einer Rückkehr fürchte die Beschwerdeführerin den Tod.

Der am 18.7.2022 übermittelte Personalausweis wurde von der Landespolizeidirektion S. überprüft und wurden keine Anhaltspunkte für eine Fälschung bzw. Verfälschung festgestellt.

Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.12.2022 begründete die Beschwerdeführerin ihre Antragstellung mit drohender Zwangsrekrutierung seitens der Kurden. Die Beschwerdeführerin sei persönlich nicht bedroht oder aufgefordert worden, allgemein sei es aber so, dass die Mädchen von den Kurden aufgefordert würden, für sie zu kämpfen.

2.       Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung der Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Der Beschwerdeführerin wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). 2.       Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung der Status einer Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) abgewiesen. Der Beschwerdeführerin wurde gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).

In der Begründung hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Fluchtgrund der Beschwerdeführerin insbesondere fest, sie habe Syrien aufgrund des Krieges, der allgemeinen schlechten Lage und Wirtschaftslage verlassen. Die Beschwerdeführerin habe ihr Vorbringen seit der Erstbefragung gesteigert und gebe es laut den Länderfeststellungen keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdische Miliz. Somit stelle sich ihr Vorbringen, dass ihr eine Zwangsrekrutierung drohen könnte, als rein spekulativ dar. Selbst wenn es zu vereinzelten Fällen von Zwangsrekrutierung von Frauen kommen sollte, sei es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführerin eine derartige Gefahr drohen könnte.

3.       Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben. In der Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei in XXXX , Qamishli, Syrien, geboren. Dieser Ort sei laut der syria.liveuamap-Karte zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung unter der Kontrolle kurdischer Einheiten, liege jedoch in der Nähe zu den sogenannten „Sicherheitsquadraten“ der syrischen Regierung.3.       Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides wurde fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben. In der Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei in römisch XXXX , Qamishli, Syrien, geboren. Dieser Ort sei laut der syria.liveuamap-Karte zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung unter der Kontrolle kurdischer Einheiten, liege jedoch in der Nähe zu den sogenannten „Sicherheitsquadraten“ der syrischen Regierung.

Die Beschwerdeführerin habe Syrien verlassen, da sie Angst gehabt habe, bei Erreichen des 18. Lebensjahres von kurdischen Milizen zwangsrekrutiert zu werden. Sie befürchte weiters geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne von (sexueller) Gewalt und Diskriminierung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der jungen Frauen. Außerdem habe die Beschwerdeführerin einen asylberechtigten Onkel in Österreich und befürchte Reflexverfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie, da sie Angehörige eines Asylberechtigten in Österreich sei. In diesem Zusammenhang befürchtet sie auch Verfolgung aufgrund ihrer eigenen illegalen Ausreise und Asylantragstellung in Europa aufgrund einer zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung.

4.       Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 01.03.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 24.04.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein der Vertreterin der Beschwerdeführerin und eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Die Beschwerdeführerin wurde insbesondere zu ihren Fluchtgründen, familiären Verhältnissen und Lebensumständen in Syrien sowie zu ihrem in Österreich aufhältigen Onkel befragt. Im Rahmen der Verhandlung wurden überdies aktuelle Länderberichte zu Syrien ins Verfahren eingebracht.

Mit Schreiben vom 29.04.2024 reichte die Beschwerdeführerin Informationen zur Identität ihres Onkels nach, der in Österreich lebe und den Status des Asylberechtigten innehabe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die vorgelegten Dokumente sowie insbesondere in folgende Länderberichte: BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Syrien, Version 11, 27.03.2024; BFA, Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien – Grenzübergänge, Version 1, 25.10.2023; EUAA, Country Guidance: Syria, April 2024; Ministerie van Buitenlandse Zaken, Allgemeiner Herkunftsland-Informationsbericht zu Syrien, August 2023; Danish Immigration Service, Syria – Militäry Service, Jänner 2024; DIS, Syria – Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188], 06.09.2023; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Gebiete unter kurdischer Selbstverwaltung: Wehrdienst bei den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG): Verpflichtung, Konsequenzen bei Weigerung, 14.08.2019; UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021.

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie ist am XXXX im Dorf XXXX (auch: XXXX ) im Distrikt Qamishli, Gouvernement al-Hasaka, geboren. Sie ist im Alter von etwa vier Jahren mit ihrer Familie in ein Nachbardorf namens „ XXXX “ übersiedelt und hat dort bis zu ihrer Ausreise aus Syrien im Jahr 2021 gelebt.Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie ist am römisch XXXX im Dorf römisch XXXX (auch: römisch XXXX ) im Distrikt Qamishli, Gouvernement al-Hasaka, geboren. Sie ist im Alter von etwa vier Jahren mit ihrer Familie in ein Nachbardorf namens „ römisch XXXX “ übersiedelt und hat dort bis zu ihrer Ausreise aus Syrien im Jahr 2021 gelebt.

Die Beschwerdeführerin ist volljährig, ledig und hat keine Kinder. Die Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder der Beschwerdeführerin leben weiterhin in Syrien im Distrikt Qamishli. Ein Bruder der Beschwerdeführerin ist verstorben, eine Schwester lebt in der Türkei und ein Onkel der Beschwerdeführerin lebt als anerkannter Flüchtling in Österreich.

Die Beschwerdeführerin ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich eingereist und hat am 17.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2.    Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit einer Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten:

Die Beschwerdeführerin wurde in Syrien bisher weder aufgefordert, sich den kurdischen Truppen anzuschließen, noch wurde in sonstiger Weise versucht, sie zu einem Militärdienst zu rekrutieren.

Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Beschwerdeführerin in Syrien sexueller Gewalt oder Diskriminierung ausgesetzt war oder ihr bei einer Rückkehr in diesem Zusammenhang Verfolgung drohen würde.

Eine Bedrohung der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien im Zusammenhang mit der Flucht und Asylgewährung ihres in Österreich lebenden Onkels kann nicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin war weder in Syrien noch in Österreich politisch aktiv und hatte in ihrer Heimat persönlich keine konkreten Probleme mit der kurdischen Selbstverwaltung oder dem syrischen Regime.

Ihr droht bei einer Rückkehr in ihre Heimatregion auch weder eine Bestrafung durch das syrische Regime noch durch die SDF aufgrund einer unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung etwa im Zusammenhang mit ihrer Ausreise aus Syrien bzw. einer Asylantragstellung in Österreich.

Die Beschwerdeführerin hat bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine sonstige konkret gegen ihre Person gerichtete Bedrohung zu erwarten.

1.3.    Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

1.3.1.  Die Heimatregion der Beschwerdeführerin im Dorf XXXX bzw. in der Umgebung des Dorfes XXXX im Distrikt Qamishli steht nicht unter dem Einfluss oder der Kontrolle des syrischen Regimes (GoS), sondern ausschließlich unter der Kontrolle der kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces – Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES).1.3.1.  Die Heimatregion der Beschwerdeführerin im Dorf römisch XXXX bzw. in der Umgebung des Dorfes römisch XXXX im Distrikt Qamishli steht nicht unter dem Einfluss oder der Kontrolle des syrischen Regimes (GoS), sondern ausschließlich unter der Kontrolle der kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces – Syrische Demokratischen Kräfte der selbsternannten Selbstverwaltungsregion, auch Autonomous Administration of North and East Syria – AANES).

Über den nicht vom syrischen Regime kontrollierten Grenzübergang Faysh Khabur bzw. Fishkhabour (Autonome Region Kurdistan bzw. Kurdistan Region Iraq – KRI) / Semalka (Syrien, Gouvernement al-Hasakah) ist die Heimatregion der Beschwerdeführerin in Qamishli ohne Kontakt zu syrischen Behörden erreichbar, zumal sich alle Gebiete im Distrikt Qamishli, die unter Regierungskontrolle stehen, westlich der Heimatregion der Beschwerdeführerin in der Umgebung des Dorf XXXX bzw. des benachbarten Dorfes XXXX befinden.Über den nicht vom syrischen Regime kontrollierten Grenzübergang Faysh Khabur bzw. Fishkhabour (Autonome Region Kurdistan bzw. Kurdistan Region Iraq – KRI) / Semalka (Syrien, Gouvernement al-Hasakah) ist die Heimatregion der Beschwerdeführerin in Qamishli ohne Kontakt zu syrischen Behörden erreichbar, zumal sich alle Gebiete im Distrikt Qamishli, die unter Regierungskontrolle stehen, westlich der Heimatregion der Beschwerdeführerin in der Umgebung des Dorf römisch XXXX bzw. des benachbarten Dorfes römisch XXXX befinden.

1.3.2.  Politische und menschenrechtliche Lage im Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die „autonome Verwaltung“ basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht. Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten, und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen. Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen. Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor.

Die allgemeine Menschenrechtslage in Syrien bleibt äußerst besorgniserregend. Von allen Akteuren agiert das Regime am meisten mit gewaltsamer Repression und die PYD am wenigsten - autoritär agieren aber alle Machthaber.

Die SDF führten im Jahr 2023 willkürliche Verhaftungen von Zivilisten, darunter Journalisten durch. Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden. Es wird von Repressionen durch die kurdische sogenannte „Selbstverwaltung“ (AANES) gegen politische Gegner, wie z.B. Angehörige von Oppositionsparteien berichtet. Obwohl der Spielraum der Redefreiheit etwas größer ist, als in Gebieten unter Kontrolle der Regierung oder extremistischer Gruppierungen, schränkt die PYD und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit ein.

1.3.3.  Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind.

Frauen können als Berufssoldatinnen dem syrischen Militär beitreten. Dies kommt in der Praxis tatsächlich vor, doch stoßen die Familien oft auf kulturelle Hindernisse, wenn sie ihren weiblichen Verwandten erlauben, in einem so männlichen Umfeld zu arbeiten. In der Praxis ist es häufiger, dass Frauen in niedrigeren Büropositionen arbeiten als in bewaffneten oder leitenden Funktionen. Eine Quelle erklärt dies damit, dass Syrien eine männlich geprägte Gesellschaft ist, in der Männer nicht gerne Befehle von Frauen befolgen.

Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt. Frauen sind auch regierungsfreundlichen Milizen beigetreten. In den Reihen der National Defence Forces (NDF) dienen ca. 1.000 bis 1.500 Frauen, eine vergleichsweise geringe Anzahl. Die Frauen sind an bestimmten Kontrollpunkten der Regierung präsent, insbesondere in konservativen Gebieten, um Durchsuchungen von Frauen durchzuführen.

Rekrutierung von Minderjährigen:

Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten. Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vergleiche USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten.

Im August 2021 hat die syrische Regierung ein Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021 erlassen. Das Gesetz verbietet die Rekrutierung oder Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und allen anderen damit verbundenen Aktivitäten. Auch das Gesetz Nr. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen. Laut einem Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums vom Juli 2022 hat die Regierung jedoch keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen und Inhaftierungen durch und misshandelt Opfer von Menschenhandel schwer - inklusive Kindersoldaten - und bestraft diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändlern gezwungen werden. Sie inhaftiert regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen, vergewaltigt, foltert und exekutiert. Sie zeigt keine Bemühungen, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen. Die Regierung schützt Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen. Das syrische Regime rekrutiert Minderjährige nicht durch die offiziellen Streit- und Sicherheitskräfte, sondern auf inoffiziellen Wegen – beispielsweise über lokale oder ausländische Milizen, wie die regierungstreuen Milizen, die als National Defence Forces (NDF) oder „Shabiha“ bekannt sind und die Kinder direkt in ihren Hauptquartieren rekrutieren. Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF rekrutieren zwangsweise Kinder im Alter von sechs Jahren. Jabhat an-Nusra und der sogenannte Islamische Staat (IS) haben Kinder auch als menschliche Schutzschilder, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Bewaffnete Gruppierungen haben auch Kinder für Zwangsarbeit oder als Informanten eingesetzt, wodurch diese Vergeltungsschlägen und extremer Bestrafung ausgesetzt waren.

Laut den Vereinten Nationen und dem SNHR wurden in der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ zwischen Januar 2014 und September 2020 mindestens 911 Kinder durch die YPG zwangsrekrutiert. Im Juni 2019 wurde von den Syrian Democratic Forces (SDF) [Anm.: YPG und YPJ sind Kernbestandteile der SDF] und dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte ein Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern unter 18 Jahren unterzeichnet. 2020 beschloss der Exekutivrat der Selbstverwaltung die Einrichtung von Kinderschutzbüros und es gibt anhaltende Bemühungen der SDF, der Praxis der Rekrutierung von Kindern ein Ende zu setzen. Seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen den SDF und den Vereinten Nationen im Jahr 2019 wurden rund 700-750 Kinder aus den Diensten der SDF entlassen, laut einem Bericht der UN waren es im Zeitraum von 01.07.2020 bis 30.09.2022 278 Kinder, die aus dem Dienste der SDF entlassen wurden und in weiteren 1.025 Fällen sei die Rekrutierung durch die SDF verhindert worden. Besonders im Jahr 2021 verzeichnete die UN in ihrem Bericht eine positive Entwicklung, im Jahr 2022 wurde hingegen von Rückschlägen in der Einhaltung dieses Plans berichtet. So wurden beispielsweise die Büros zum Schutz Minderjähriger in bewaffneten Konflikten im Mai 2022 geschlossen und erst im April 2023 wieder geöffnet. SNHR verzeichnete einen Anstieg an Rekrutierungen Minderjähriger und berichtet, dass die Rekrutierung Minderjähriger zu einer systematischen Policy der SDF gehören und viele Unterorganisationen an Rekrutierungen von Kindern beteiligt sind und sogar viele Schulen der AANES. Insbesondere nach Angriffen auf die von der SDF kontrollierten Gebiete steigt laut SNHR die Zahl an rekrutierten Minderjährigen an, weil die SDF die verlorenen Kräfte kompensieren möchten.

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle:

Die Absolvierung des „Wehrdiensts“ gemäß der „Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. „Sicherheitsquadraten“ auseinander – auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten.

Laut mehreren von ACCORD für eine Anfragebeantwortung interviewten Experten gibt es de facto keine Möglichkeit des syrischen Regimes, in den von den SDF kontrollierten Gebieten zu rekrutieren, obwohl es teilweise Patrouillen des syrischen Regimes in der AANES gibt. Lediglich in jenen Gebieten, die von den Regierungstruppen kontrolliert werden, können die Personen auch rekrutiert werden.

„Selbstverteidigungspflicht“ der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“:

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union) dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG (Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten) dient. Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur „Selbstverteidigungspflicht“, das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen. Das Gesetz regelt auch Verfahren für den Aufschub oder die Befreiung vom Wehrdienst, z.B. für Studenten, einzige Söhne oder aus medizinischen Gründen. Am 04.09.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft.

Die Aufrufe für die „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Buben und Mädchen.

Militärdienst von Frauen:

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ – Frauenverteidigungseinheiten] (HXP) leisten. Es gibt Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen und minderjährigen Mädchen.

1.3.4.  Situation der Frauen in Syrien

Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen. Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt. Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen.

In Syrien lässt sich in den letzten Jahren ein sinkendes Heiratsalter von Mädchen beobachten, weil erst eine Heirat ihnen die verloren gegangene, aber notwendige rechtliche Legitimität und einen sozialen Status, d. h. den „Schutz“ eines Mannes, zurückgibt, denn die Angst vor sexueller Gewalt und ihr Stigma könnte die Mädchen zu Ausgestoßenen machen. Überdies müssen die Eltern durch eine möglichst frühe Verheiratung ihrer Töchter nicht mehr für deren Unterhalt aufkommen. Die Verheiratung von Minderjährigen gilt als die häufigste Form von Gewalt gegen heranwachsende Mädchen.

Bereits vor 2011 waren Frauen aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Es wird angenommen, dass konservative Bräuche, die Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zuweisen, für viele Syrer maßgeblicher waren als das formale Recht. Doch selbst die formellen Gesetze legen für Frauen nicht denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte fest wie für Männer, obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht. Frauen werden vor allem durch das Personenstandsgesetz bezüglich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft weiterhin diskriminiert.

Ausmaß und Berichtslage zu sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen:

Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen. Der UN Population Fund (UNFPA) und weitere UN-Organisationen, NGOs und Medien stufen das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt als „endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert“ ein. Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als „Ernährer der Familie“ auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist.

Im November 2021 schätzte das Syrian Network for Human Rights (SNHR), dass die Konfliktparteien seit März 2011 sexuelle Gewalt in mindestens 11.526 Fällen verübt haben. Die Regimekräfte und mit ihr verbündete Milizen waren für den Großteil dieser Straftaten verantwortlich – mehr als 8.000 Fälle, darunter mehr als 880 Straftaten in Gefängnissen und mehr als 440 Übergriffe auf Mädchen unter 18 Jahre. Fast 3.490 Fälle sexueller Gewalt wurden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) begangen und 13 Verbrechen durch die Syrian Democratic Forces (SDF). Die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Jahr 2019, Rückschläge für andere extremistische Gruppen und der Rückgang an Kampfhandlungen haben dazu geführt, dass die Bevölkerung nicht mehr derart den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheit ausgesetzt ist.

Sexuelle Gewalt durch Regimekräfte:

Seit 2011 wurden Vergewaltigungen von den Regierungstruppen im Rahmen von Verhaftungen, Kontrollpunkten und Hausdurchsuchungen in großem Umfang als Kriegswaffe eingesetzt, um den Willen der Bevölkerung zu brechen und die Gesellschaft zu destabilisieren sowie demografische Veränderungen, z. B. in Homs, durch Vertreibungen zu erreichen: U.a. die CoI, Amnesty International und Human Rights Watch berichten immer wieder über Vergewaltigungen, Folter und systematische Gewalt gegen Frauen und Mädchen, insbesondere von Seiten des syrischen Militärs und affiliierter Gruppen unter anderem an Grenzübergängen, bei Militärkontrollen und in Haftanstalten.

Sexuelle Gewalt durch bewaffnete Gruppen in Gebieten außerhalb der Regimekontrolle:

In den Gebieten unter Kontrolle von oppositionellen Kräften im Norden und Nordwesten Syriens, laufen insbesondere Aktivistinnen erhöhte Gefahr, Opfer von Repressionen zu werden. So gehe, laut Berichten der CoI und des SNHR, z.B. die Türkei-nahe SNA besonders rigoros gegen zivilgesellschaftliche Akteure vor, die sich zu Genderthemen äußern und auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam machen. Sexualisierte Gewalt wird daneben, laut früheren CoI-Berichten, aber auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und durch HTS.

Situation in Gebieten der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES):

Nachdem sich die Regierungstruppen 2012 aus dem Nordosten zurückgezogen und die Partei der Demokratischen Union (PYD) die Kontrolle übernommen hatte, wurde die Geschlechterfrage zu einem zentralen Thema der Politik der Partei der Demokratischen Union (PYD), und in jeder autonomen Gemeinde und auf jeder Ebene des Systems wurden Frauenverbände gegründet. Laut Gesetz werden alle Regierungseinrichtungen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet, und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind und von Frauen geleitet werden. Mit den YPJ-Einheiten (Women’s Protection Units) gibt es eigene Milizen aus Frauen, und bei der Rückeroberung Raqqas hatte ein Mitglied dieser Einheit das übergeordnete Kommando. Gesetze und Regulierungen sollen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abschaffen. Kinderheiraten und häusliche Gewalt stehen unter Strafe.

Kurdische Frauen erleben liberalere kulturelle Normen in den kurdischen Gemeinschaften, was durch die politischen Parteien gefördert wird. Allerdings ist die jeweilige Lage der Frauen großteils von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig, sodass in religiöseren oder traditionelleren kurdischen Gemeinschaften auch mehr traditionelle gesellschaftliche Normen gelten. Diese Aspekte gelten jedoch nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens. Beispiele für vulnerable Frauen wären z. B. kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, die gegen die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) eingestellt sind. In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die als konservativer gelten und wo Stammesstrukturen noch stark verwurzelt sind, ist es für die kurdischen Behörden schwerer, Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen.

1.3.5.  Bewegungsfreiheit und Einreise

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt. Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden.

Betreten und Verlassen des Regimegebiets:

Zum Betreten und Verlassen des Regimegebiets ist eine Sicherheitsfreigabe durch das Regime nötig, was ein Hindernis für Flüchtlinge und Binnenvertriebene darstellt, welche in ihre Heimatorte zurückkehren möchten. Personen, die vom Regime als kritisch wahrgenommen werden, erhalten diese Genehmigung oft nicht - ebenso ihre Verwandten, frühere Oppositionelle sowie ehemalige BewohnerInnen von als Hochburgen der Opposition wahrgenommen Gebieten.

Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung (Anm.: mit HTS als dominante Kraft) oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung (Anm.: mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind nicht bekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Leute, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir az-Zour stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren.Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung Anmerkung, mit HTS als dominante Kraft) oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung Anmerkung, mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind nicht bekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Leute, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir az-Zour stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren.

Grenzübergänge zu Syrien:

Die offiziellen Grenzübergänge zwischen Gebieten unter Regierungskontrolle und den Nachbarländern Libanon, Jordanien und Irak sind mit Stand September 2023 weitgehend wieder geöffnet, nachdem manche Grenzübergänge im Konfliktverlauf und während der COVID-19-Pandemie zeitweise geschlossen waren.

In Nordwest- und Nordostsyrien hat das syrische Regime keine Möglichkeit zum Aufgreifen von Wehrdienstverweigerern, mit Ausnahme bestimmter Gebiete in Qamishli und al-Hassakah in Nordostsyrien. Das syrische Regime betrachtet Übertritte über Grenzübergänge außerhalb seiner Kontrolle als illegal und diese können, so sie entdeckt werden, bei einer Weiterreise in Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung mit einer Haft- wie auch Geldstrafe geahndet werden.

Die Grenzübergänge zwischen der Türkei und Nordwestsyrien werden auf der syrischen Seite in Idlib von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) und der mit ihr verbundenen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) sowie in manchen Gebieten in Aleppo, Raqqa und al-Hassakah von der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) und der mit der Türkei verbundenen Syrian National Army (SNA) kontrolliert. In dem Gebiet entlang der türkisch-syrischen Grenze wird insbesondere von Übergriffen der Sicherheitskräfte auf Zivilist:innen beim (illegalen) Überqueren der Grenze in die Türkei berichtet. Auf syrischer Seite sind nach Angaben eines befragten Experten weniger Fälle von Übergriffen bekannt, die lediglich auf den Grenzübertritt zurückzuführen sind. Die meisten bekannten Verhaftungen hat die HTS beispielsweise durchgeführt, weil Aktivist:innen Kritik an der Verwaltung oder Politik der Gruppierung geäußert haben. Als sich im September 2022 rund 400 Personen in Bab al-Hawa einfanden, um im Rahmen einer zuvor organisierten Bewegung mit dem Namen „Karawane des Lichts“ Richtung Europa zu ziehen, wurden sie darüber hinaus von Sicherheitskräften der HTS angegriffen und verprügelt.

Die Grenzübergänge zwischen den AANES-kontrollierten Gebieten und der Türkei sind geschlossen und die Grenze ist auf türkischer Seite – wie auch in Nordwestsyrien – durch eine Grenzmauer befestigt. Der wichtigste Grenzübergang für die AANES ist Semalka/Fishkhabour mit der Kurdistan Region Irak (KRI). Über diesen Grenzübergang sind Personen- und Warenverkehr möglich, und es gibt laut einem befragten Experten nur wenige Rückweisungen an der Grenze. Aufgrund von verstärkten Spannungen zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK/KDP) in der KRI und der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gibt es jedoch Fälle, bei denen Syrer:innen eine Einreise in die KRI aufgrund einer wahrgenommenen Nähe zur PKK, den Volksverteidigungseinheiten (YPG) oder der Partei der Demokratischen Union (PYD) von den Behörden der KRI verweigert wurde. In die andere Richtung haben die Behörden der AANES im Irak lebenden Syrer:innen die Einreise nach Syrien aufgrund einer wahrgenommenen oder tatsächlichen Verbundenheit mit der PDK-S (dem syrischen Zweig der PDK/KDP der Barzani-Familie in der KRI) oder dem Kurdischen Nationalrat (KNC) verwehrt. Andere Einreiseverweigerungen betrafen Mitglieder der SNA sowie (vermutete oder tatsächliche) Angehörige von syrischen und türkischen Nachrichtendiensten. Es kommt nicht zu vielen Verhaftungen von Einreisenden direkt an der Grenze. Einige diesbezügliche Fälle ereigneten sich in den vergangenen Jahren jedoch aufgrund der politischen Ansichten der Reisenden, einer früheren Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe oder, weil die Reisenden den Wehrdienst bei den Selbstverteidigungskräften (Hêzên Xweparastinê, HXP) verweigert hatten. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu kompletten Sperrungen des Grenzübergangs für den Personenverkehr durch die Behörden der KRI, die aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Grenzübergangs auf beiden Seiten i.d.R. allerdings nicht lange andauern. Meist sind sie auf Spannungen zwischen der in der KRI dominanten KDP und der im AANES-Gebiet dominanten PYD zurückzuführen.

Der Fluss Tigris trennt die beiden Seiten des Grenzübergangs Fishkhabour/Semalka. Es gibt zwei Flussübergänge – einen für private bzw. zivile Reisebewegungen und einen für kommerzielle und humanitäre Güter. Auf der syrischen Seite kontrolliert die PYD (Partei der Demokratischen Union) den Semalka-Übergang, und laut Journalist Hisham Arafat sind zwei Organe der Selbstverwaltungsregion AANES vor Ort: 1.) die Asayish (Sicherheitspolizei) in Form von Wachen (Polizei oder interne Sicherheitskräfte der AANES) und 2.) die zivile Grenzverwaltung, deren Personal für die Dokumente der Reisenden bei Ein- und Ausreise zuständig ist. Am Grenzübergang Semalka sind keine Beamten des syrischen Staates präsent.

Behandlung bei der Ein- und Ausreise am Grenzübergang Semalka/Fishkhabour:

Es gibt nur wenige Rückweisungen am Grenzübergang. Dabei handelt es sich auf irakischer Seite insbesondere um Fälle mit politischem Hintergrund, auf der syrischen Seite wurde auch syrischen Bewohner:innen der KRI die Rückkehr nach Syrien von AANES-Kräften verweigert – und zwar wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur PDK-S (dem syrischen Zweig der irakischen KDP der Barzani-Familie), zum Kurdish National Council (KNC) oder zu türkischen Nachrichtendiensten, syrischen Oppositionsmilizen (SNA, FSA) oder etwa dem Islamischen Staat.

Syrische Bürger:innen, die in der KRI leben, dafür Aufenthaltsvisa haben und legal in die KRI kamen, benötigen folgende Papiere für die Einreise via Semalka nach Nordost-Syrien:

- Syrische Einwohner:innen der Provinz al-Hassakah und des Gebiets von Kobane:

?        die KRI-Visa-Aufenthaltskarte

?        den syrischen Reisepass

?        die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour

Somit benötigen Syrer:innen die Genehmigung der KRI-Behörde für den Grenzübergang Fishkhabour, egal ob sie in die KRI einreisen möchten oder als Syrer:innen, die in der KRI wohnen, nach Syrien reisen möchten.

- Syrer:innen, welche in anderen Provinzen Syriens wohnen:

?        die KRI-Visa-Aufenthaltskarte

?        den syrischen Reisepass

?        die Genehmigung der Grenzbehörde der KRI in Fishkhabour

?        die Genehmigung der AANES, wofür ein Sponsor in Syrien nötig ist [Anm.: zur Genehmigung – auch ’Expat-Karte’ genannt].

Diese Kategorie von Syrer:innen mit KRI-Visa-Aufenthaltskarte, die legal durch den Flughafen in die KRI einreiste, kann die KRI nicht via Fishkhabour verlassen. Im Fall einer gerade erfolgten legalen Einreise durch den Flughafen und bei Vorliegen eines KRI-Visums, und ohne noch eine KRI-Visa-Aufenthaltskarte erhalten zu haben, ist eine Rückkehr nach Syrien via Fishkhabour möglich, indem eine Kopie des KRI-Visums beim Grenzübergang eingereicht wird. Ein Experte bestätigte, dass Syrer:innen aus den Golfstaaten mit einem KRI-Visum so die Regimegebiete umgehen und in die AANES-Region zurückkehren konnten.

Personen, die in Zivilstandsregistern außerhalb der Gebiete unter AANES-Kontrolle eingetragen sind, können bei von der AANES ausgewiesenen Einrichtungen ’Expat-Karten’ beantragen [Anm.: ’Expat’ ist eine Bezeichnung für permanent im Ausland lebende Personen]. Diese gibt das Recht zu Einreise, Aufenthalt und Durchreise im AANES-Gebiet.

Um diese ’Expat-Karte’ zu erhalten, müssen mehrere Papiere vorgelegt werden:

1.       Hierfür wird zuerst ein/e Sponsor:in aus dem Gebiet benötigt, in welchem der Antrag für die Karte gestellt werden soll, was laut Einschätzung der syrischen NGO Justice for Life (JFL) nicht einfach ist.

2.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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