Entscheidungsdatum
05.03.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W602 2275503-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2023, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.02.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2023, Zahl römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.02.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 24.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 25.07.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung zu seinem Asylantrag statt.
Nach Verfahrensanordnung vom 21.03.2023 legte der Beschwerdeführer sein Militärbuch und seinen syrischen Personalausweis im Original vor, welche in Kopie zum Akt genommen wurden. Eine durchgeführte Dokumentenüberprüfung ergab, dass es sich dabei nach derzeitigem Wissenstand um Originaldokumente handelt.
Am 31.05.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) niederschriftlich einvernommen.
Von der zuständigen Stelle des Arbeitsmarktservice wurde am 23.05.2023 eine Bescheidausfertigung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz zur Kenntnisnahme übermittelt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.06.2023 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde am 22.06.2023 rechtswirksam zugestellt.Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.06.2023 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Dieser Bescheid wurde am 22.06.2023 rechtswirksam zugestellt.
Am 14.07.2023 brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides ein. Die Beschwerde langte mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt am 21.07.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.Am 14.07.2023 brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides ein. Die Beschwerde langte mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt am 21.07.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.02.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam, sunnitische Glaubensrichtung, und ist Araber. Seine Identität steht fest. 1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, heißt römisch XXXX und ist am römisch XXXX geboren. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam, sunnitische Glaubensrichtung, und ist Araber. Seine Identität steht fest.
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist in XXXX im Gouvernement Raqqa geboren und ist dort aufgewachsen bis zumindest Ende 2011. Der Beschwerdeführer besucht zwölf Jahre die Schule. Nach der Matura war er an der Universität in Aleppo inskribiert und hielt sich dort auch zeitweise auf, betrieb das Studium aber nicht ernsthaft. Der Beschwerdeführer hielt sich etwa ab 2012 überwiegend in der Ortschaft XXXX nahe XXXX bei seiner Familie auf. Von Ende Dezember 2016 bis Mitte Februar 2022 war der Beschwerdeführer im Libanon aufhältig. Er erlernte keinen Beruf, arbeitete aber als Elektriker in der Firma seines Vaters.1.1.2. Der Beschwerdeführer ist in römisch XXXX im Gouvernement Raqqa geboren und ist dort aufgewachsen bis zumindest Ende 2011. Der Beschwerdeführer besucht zwölf Jahre die Schule. Nach der Matura war er an der Universität in Aleppo inskribiert und hielt sich dort auch zeitweise auf, betrieb das Studium aber nicht ernsthaft. Der Beschwerdeführer hielt sich etwa ab 2012 überwiegend in der Ortschaft römisch XXXX nahe römisch XXXX bei seiner Familie auf. Von Ende Dezember 2016 bis Mitte Februar 2022 war der Beschwerdeführer im Libanon aufhältig. Er erlernte keinen Beruf, arbeitete aber als Elektriker in der Firma seines Vaters.
Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2016 verheiratet, der Ehe entstammen zwei Kinder. Die Ehefrau lebt mit beiden Kindern bei ihren Eltern in der Ortschaft XXXX im Gouvernement Raqqa. Die Eltern des Beschwerdeführers leben wieder in XXXX , der Bruder zog im Jahr 2019 nach XXXX . Der Beschwerdeführer hat vier Schwestern im Alter von 16 bis 30 Jahren. Alle Familienmitglieder sind spätestens seit 2019 wieder im kurdischen kontrollierten Gebiet des Gouvernements Raqqa aufhältig, zuvor lebten sie in XXXX nahe XXXX . In Österreich leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2016 verheiratet, der Ehe entstammen zwei Kinder. Die Ehefrau lebt mit beiden Kindern bei ihren Eltern in der Ortschaft römisch XXXX im Gouvernement Raqqa. Die Eltern des Beschwerdeführers leben wieder in römisch XXXX , der Bruder zog im Jahr 2019 nach römisch XXXX . Der Beschwerdeführer hat vier Schwestern im Alter von 16 bis 30 Jahren. Alle Familienmitglieder sind spätestens seit 2019 wieder im kurdischen kontrollierten Gebiet des Gouvernements Raqqa aufhältig, zuvor lebten sie in römisch XXXX nahe römisch XXXX . In Österreich leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer spricht Arabisch und lernt Deutsch. In Österreich war der Beschwerdeführer von 11.07.2023 bis 04.08.2023 und von 01.09.2023 bis 21.01.2024 Vollzeit beschäftigt erwerbstätig.
1.1.3. Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist unbescholten. In Österreich verfügt er über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
1.2. Zur Flucht und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer reiste im März 2022 aus Syrien in die Türkei aus. Dort hielt er sich etwa vier Monate auf und reiste dann schlepperunterstützt über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Slowakei und die Tschechische Republik unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein, um am 24.07.2022 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
1.2.2. Der Beschwerdeführer ließ sich am XXXX 04.2014 in XXXX , Gouvernement Deir ez-Zor, das Militärbuch ausstellen und fand am selben Tag die medizinische Untersuchung statt. Darin vermerkt sind zwei Aufschübe, zuletzt bis XXXX 03.2017 sowie eine Ausreiseerlaubnis vom XXXX 12.2016. Der Beschwerdeführer wurde vom syrischen Regime nicht aufgefordert, seinen Pflichtwehrdienst anzutreten. 1.2.2. Der Beschwerdeführer ließ sich am römisch XXXX 04.2014 in römisch XXXX , Gouvernement Deir ez-Zor, das Militärbuch ausstellen und fand am selben Tag die medizinische Untersuchung statt. Darin vermerkt sind zwei Aufschübe, zuletzt bis römisch XXXX 03.2017 sowie eine Ausreiseerlaubnis vom römisch XXXX 12.2016. Der Beschwerdeführer wurde vom syrischen Regime nicht aufgefordert, seinen Pflichtwehrdienst anzutreten.
Der Beschwerdeführer ist als volljähriger syrischer Staatsbürger zur Ableistung des syrischen Pflichtwehrdienstes verpflichtet. Eine legale Möglichkeit, sich dem Wehrdienst zu entziehen, besteht nicht. Wehrdienstentzug wird mit Haft und im Zuge dessen auch Folter bestraft, bei einem hohen Bedarf an Soldaten kann man ohne Ausbildung auch direkt an die Front geschickt werden. Jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, trägt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu Kriegsverbrechen bei, somit wäre auch der Beschwerdeführer gezwungen, sich mittelbar oder unmittelbar an Kriegsverbrechen zu beteiligen.
Der Beschwerdeführer fällt aufgrund seines Alters von XXXX Jahren in die Gruppe jener Männer, die zur Ableistung des syrischen Wehrdienstes verpflichtet sind, dennoch besteht für ihn in seiner Herkunftsregion derzeit und in absehbarer Zukunft keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, für den syrischen Pflichtwehrdienst eingezogen zu werden, da das syrische Regime im Heimatgebiet des Beschwerdeführers keine Kontrolle hat und Wehrpflichtige nicht rekrutiert. Somit erfolgt auch keine Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Verweigerung des Pflichtwehrdienstes durch das syrische Regime aufgrund der mangelnden Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes auf die Wehrpflichtigen im Gebiet der AANES. Der Beschwerdeführer fällt aufgrund seines Alters von römisch XXXX Jahren in die Gruppe jener Männer, die zur Ableistung des syrischen Wehrdienstes verpflichtet sind, dennoch besteht für ihn in seiner Herkunftsregion derzeit und in absehbarer Zukunft keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, für den syrischen Pflichtwehrdienst eingezogen zu werden, da das syrische Regime im Heimatgebiet des Beschwerdeführers keine Kontrolle hat und Wehrpflichtige nicht rekrutiert. Somit erfolgt auch keine Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Verweigerung des Pflichtwehrdienstes durch das syrische Regime aufgrund der mangelnden Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes auf die Wehrpflichtigen im Gebiet der AANES.
1.2.3. Der Beschwerdeführer leistete bis dato noch keinen Wehrdienst („Selbstverteidigungsdienst“) bei den Syrian Democratic Forces (im Folgenden SDF). Während seines Aufenthaltes in Syrien wurde er auch nicht aufgefordert, diesen „Selbstverteidigungsdienst“ anzutreten. Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt XXXX Jahre alt und fällt somit nicht mehr in die Gruppe jener Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren, die für den „Selbstverteidigungsdienst“ im AANES-Gebiet wehrpflichtig sind. Es besteht daher im Fall einer Rückkehr nach Syrien, in die Region XXXX im Gouvernement Raqqa, keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer von der kurdischen SDF rekrutiert wird.1.2.3. Der Beschwerdeführer leistete bis dato noch keinen Wehrdienst („Selbstverteidigungsdienst“) bei den Syrian Democratic Forces (im Folgenden SDF). Während seines Aufenthaltes in Syrien wurde er auch nicht aufgefordert, diesen „Selbstverteidigungsdienst“ anzutreten. Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt römisch XXXX Jahre alt und fällt somit nicht mehr in die Gruppe jener Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren, die für den „Selbstverteidigungsdienst“ im AANES-Gebiet wehrpflichtig sind. Es besteht daher im Fall einer Rückkehr nach Syrien, in die Region römisch XXXX im Gouvernement Raqqa, keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer von der kurdischen SDF rekrutiert wird.
1.2.4. Der Beschwerdeführer möchte weder töten noch getötet werden oder an irgendwelchen Kampfhandlungen teilnehmen. Er hält das Regime für „ungerecht und kriminell“.
1.2.5. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer nicht politisch engagiert und gehört keiner politischen Partei an. Er vertritt keine oppositionelle politische Grundhaltung, weder gegenüber dem syrischen Regime noch gegenüber der kurdischen Selbstverwaltung. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie werden in Syrien als Oppositionelle des oder Regimes als Oppositionelle der kurdischen Selbstverwaltung wahrgenommen. Als solche werden sie auch nicht gesucht oder verfolgt.
1.2.6. Der Beschwerdeführer wird wegen seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung im Ausland in Syrien nicht gesucht oder verfolgt.
1.2.7. Der Beschwerdeführer wird im Falle einer Rückkehr nach Syrien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter nicht konkret bedroht.
1.2.8. Der Beschwerdeführer kann über den Grenzübergang Semalka / Fish Khabour nach Syrien ein- und in seine Herkunftsregion weiterreisen, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, vom syrischen Regime für die Ableistung des Pflichtwehrdienstes verhaftet oder zwangsrekrutiert zu werden. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der illegalen Einreise über diesen Grenzübergang findet nicht statt.
1.3. Sicherheitslage und Machtverhältnisse im Gouvernement Raqqa:
1.3.1. Zu Konfliktbeginn war Raqqa das erste Gouvernement, das der Kontrolle des syrischen Regimes entzogen wurde, die Stadt Raqqa wurde Ende Dezember 2013 vom IS erobert. Gegen Ende des Jahres 2016 begannen internationale Koalitionskräfte mit den Offensiven gegen den Islamischen Staat und gelangte Raqqa im Jahr 2017 unter die Kontrolle der kurdischen SDF (EUAA, Februar 2023, S 164). Seither sind im Gouvernement mehrere Akteure des Konfliktes vertreten (vgl. auch EUAA, Februar 2023, S 164 f): Der Großteil und auch die Hauptstadt Ar-Raqqa, der Herkunftsort XXXX und die anschließenden, südlich gelegenen Gebiete einschließlich der Hauptverkehrsstraßen M15 und 4 sowie die Gebiete südlich und östlich des Assadsees stehen unter der Kontrolle der kurdischen SDF. Das Regime ist an den genannten Hauptverkehrsrouten westlich und östlich davon präsent, sowie weiter südlich der Hauptstadt. An der syrisch-türkischen Grenze im Norden befindet sich das Gebiet der türkischen Operation „Peace Spring“ und vereinzelte geteilte Kontrollbereiche der Kurden und des Regimes. Seit der Ausreise des Beschwerdeführers im März 2022 und auch seit der mündlichen Verhandlung haben sich die Machtverhältnisse in seiner Herkunftsregion nicht verändert (vgl. interaktive Karte CarterCenter, abrufbar unter: https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html, zuletzt abgerufen am 15.02.2024). Veränderungen in den territorialen Machtverhältnissen sind nicht in Aussicht. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates regelmäßig Angriffe durchführen. In einem Vergleich von November 2022 bis März 2023 veränderte sich die politische Gesamtlage in Syrien nicht wesentlich, es herrscht eine Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (vgl. LIB, S 3 f).1.3.1. Zu Konfliktbeginn war Raqqa das erste Gouvernement, das der Kontrolle des syrischen Regimes entzogen wurde, die Stadt Raqqa wurde Ende Dezember 2013 vom IS erobert. Gegen Ende des Jahres 2016 begannen internationale Koalitionskräfte mit den Offensiven gegen den Islamischen Staat und gelangte Raqqa im Jahr 2017 unter die Kontrolle der kurdischen SDF (EUAA, Februar 2023, S 164). Seither sind im Gouvernement mehrere Akteure des Konfliktes vertreten vergleiche auch EUAA, Februar 2023, S 164 f): Der Großteil und auch die Hauptstadt Ar-Raqqa, der Herkunftsort römisch XXXX und die anschließenden, südlich gelegenen Gebiete einschließlich der Hauptverkehrsstraßen M15 und 4 sowie die Gebiete südlich und östlich des Assadsees stehen unter der Kontrolle der kurdischen SDF. Das Regime ist an den genannten Hauptverkehrsrouten westlich und östlich davon präsent, sowie weiter südlich der Hauptstadt. An der syrisch-türkischen Grenze im Norden befindet sich das Gebiet der türkischen Operation „Peace Spring“ und vereinzelte geteilte Kontrollbereiche der Kurden und des Regimes. Seit der Ausreise des Beschwerdeführers im März 2022 und auch seit der mündlichen Verhandlung haben sich die Machtverhältnisse in seiner Herkunftsregion nicht verändert vergleiche interaktive Karte CarterCenter, abrufbar unter: https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html, zuletzt abgerufen am 15.02.2024). Veränderungen in den territorialen Machtverhältnissen sind nicht in Aussicht. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates regelmäßig Angriffe durchführen. In einem Vergleich von November 2022 bis März 2023 veränderte sich die politische Gesamtlage in Syrien nicht wesentlich, es herrscht eine Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung vergleiche LIB, S 3 f).
1.3.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB), S 46 ff:
„Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der PKK zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Defence Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Ar-Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und al-Hassakah (CC 3.11.2022). […]
Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen „Selbstverwaltung“ (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Trigris im äußersten Nordosten verzeichnet:
Quelle: TWI 15.3.2022
Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vgl. AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 29.3.2023). Entgegen früheren Ankündigungen bleiben die USA weiterhin militärisch präsent (ÖB Damaskus 1.10.2021; vergleiche AA 29.11.2021; JsF 9.9.2022). Am 4.9.2022 errichteten die US-Truppen einen neuen Militärstützpunkt im Dorf Naqara im Nordosten Syriens, der zu den drei Standorten der US-geführten internationalen Koalition in der Region Qamishli gehört. Der neue Militärstützpunkt kann dazu beitragen, die verstärkten Aktivitäten Russlands und Irans in der Region zu überwachen; insbesondere überblickt er direkt den von den russischen Streitkräften betriebenen Luftwaffenstützpunkt am Flughafen Qamishli. Er ist nur wenige Kilometer von den iranischen Militärstandorten südlich der Stadt entfernt (JsF 9.9.2022). Hinzukamen wiederholte Luft- bzw. Drohnenangriffe zwischen den in Nordost-Syrien stationierten US-Truppen und Iran-nahen Milizen (AA 29.3.2023).
SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022).SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vergleiche EUAA 9.2022).
Die kurdischen, sogenannten 'Selbstverteidigungseinheiten' (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet wurden (AA 29.3.2023).
Der IS führt weiterhin militärische Operationen und Gegenangriffe durch, und IS-Zellen sind nach wie vor in der Lage, ein Sicherheitsvakuum zu nutzen und Attentate zu verüben. SOHR hat seit Anfang 2022 181 Operationen des IS, darunter bewaffnete Angriffe und Explosionen, in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung dokumentiert. Laut Statistiken des SOHR wurden bei diesen Operationen 135 Menschen getötet, darunter 52 Zivilisten und 82 Angehörige der SDF, der Inneren Sicherheitskräfte und anderer militärischer Formationen, die in Gebieten unter der Kontrolle der Autonomieverwaltung operierten. Bei diesen Angriffen wurde der Angriff auf das Sina'a-Gefängnis in al-Hassakah nicht berücksichtigt (SOHR 29.11.2022). […]“
LIB, S 52: „Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vgl. AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).“LIB, S 52: „Türkische Angriffe und eine Finanzkrise destabilisieren den Nordosten Syriens (Zenith 11.2.2022). Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich heute in einer zunehmend prekären politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage (TWI 15.3.2022). Wie in anderen Bereichen üben die dominanten Politiker der YPG, der mit ihr verbündeten Organisationen im Sicherheitsbereich sowie einflussreiche Geschäftsleute Einfluss auf die Wirtschaft aus, was verbreiteten Schmuggel zwischen den Kontrollgebieten in Syrien und in den Irak ermöglicht (Brookings 27.1.2023). Angesichts der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen im Nordosten Syriens haben die SDF zunehmend drakonische Maßnahmen ergriffen, um gegen abweichende Meinungen im Land vorzugehen und Proteste zum Schweigen zu bringen, da ihre Autorität von allen Seiten bedroht wird (Etana 30.6.2022). Nach den Präsidentschaftswahlen im Mai 2021 kam es in verschiedenen Teilen des Gebiets zu Protesten, unter anderem wurde gegen den niedrigen Lebensstandard und die Wehrpflicht der SDF (al-Sharq 27.8.2021) sowie gegen steigende Treibstoffpreise (AM 30.5.2021). In arabisch besiedelten Gebieten im Gouvernement al-Hassakah und Manbij (Gouvernement Aleppo) starben Menschen, nachdem Asayish [Anm: Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion] in die Proteste eingriffen (al-Sharq 27.8.2021; vergleiche AM 30.5.2021). Die Türkei verschärft die wirtschaftliche Lage in AANES absichtlich, indem sie den Wasserfluss nach Syrien einschränkt (KF 5.2022). Obwohl es keine weitverbreiteten Rufe nach einer Rückkehr des Assad-Regimes gibt, verlieren einige Einwohner das Vertrauen, dass die kurdisch geführte AANES für Sicherheit und Stabilität sorgen kann (TWI 15.3.2022).“
1.4. Zum Pflichtwehrdienst des syrischen Regimes:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB), S 112 ff:
„Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
1.4.1. Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden. Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können. Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert. Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen.
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind.
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt.
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse. […]
1.4.2. Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen, wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden.
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch.
1.4.3. Rekrutierungspraxis
Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden. In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien.
Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).
Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Das Gesetz verbietet allerdings die Publikation jeglicher Informationen über die Streitkräfte.
Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren. Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert.
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind. Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet.
Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte, berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt. Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als "Kanonenfutter" im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren.
Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben.
1.4.4. Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle
Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden. Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (Al-Morabat Al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten. Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor. Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren. Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt.
[…]
Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus. […]
1.4.5. Einsatz von Rekruten im Kampf
Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen, wie zuletzt beispielsweise in Dara'a, trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein. Alle Eingezogenen können dagegen laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt. [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]“
LIB, S 97 ff - Streitkräfte: „Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und ’rein militärischen Zielen’ (BMLV 12.10.2022). Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per definitionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird (Üngör 15.12.2021). Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (Khaddour, Kheder 24.12.2021)“
1.4.6. Wehrdienstverweigerung und Desertion
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