Entscheidungsdatum
25.04.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W232 2254989-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2022, Zl.1285116408/211353459, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2023, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX alias römisch XXXX , geb. römisch XXXX alias römisch XXXX , StA Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2022, Zl.1285116408/211353459, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2023, zu Recht:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 3, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, dass er in Deir ez-Zor geboren sei, in XXXX (Deir ez-Zor) gelebt habe, sich zum sunnitischen Islam bekenne, zur Volksgruppe der Araber gehöre und Arabisch spreche sowie ledig sei. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, dass er in Deir ez-Zor geboren sei, in römisch XXXX (Deir ez-Zor) gelebt habe, sich zum sunnitischen Islam bekenne, zur Volksgruppe der Araber gehöre und Arabisch spreche sowie ledig sei.
Zum Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass es in Syrien Krieg gebe und er vor den Kurden geflüchtet sei, da sie gewollt hätten, dass der Beschwerdeführer mit ihnen kämpfe.
2. Am 17.02.2022 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Der Beschwerdeführer sei in einem Dorf in Deir ez-Zor geboren und aufgewachsen – die nächstgelegene Stadt vom Dorf aus sei Al Mayadin. Er habe Syrien im August 2021 verlassen. Die Familie des Beschwerdeführers – seine Eltern, sechs Brüder sowie drei Schwestern – würden weiterhin im Heimatdorf leben.
Befragt nach den Gründen, warum der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat verlassen habe, brachte er vor, dass er wegen des Krieges in Syrien ausgereist sei. Sowohl die PKK bzw. die Kurden, als auch die Terrormiliz Daesh würden wollen, dass der Beschwerdeführer für sie kämpfe. Sie hätten ihn bedroht und gesagt, dass er entweder zu ihnen gehöre oder dass sie ihn töten würden. Befragt nach dem Vorfallszeitpunkt nannte der Beschwerdeführer das Jahr 2020. Er sei zwei Mal von Leuten der PKK beim Passieren eines Stützpunkts bedroht worden. Beide Male sei der Beschwerdeführer für fünf Tage inhaftiert sowie geschlagen und gefoltert worden. Sie hätten ihn mit Händen und Stecken geschlagen. Der Beschwerdeführer gab zudem auf Nachfrage an, den Wehrdienst in Syrien nicht ableisten zu wollen. Er wolle an diesem sinnlosen Krieg nicht teilnehmen und keine Menschen („Brüder“) töten.
3. Am 10.03.2022 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.
Darin wird insbesondere vorgebracht, dass der Beschwerdeführer glaubhaft angegeben habe, dass er in Syrien eine wohlbegründete Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch verschiedene dort tätige Gruppierungen habe. Neben seinen Schilderungen gehe aus der Länderinformation der Staatendokumentation hervor, dass eine Gefahr für Minderjährige, Opfer von Festnahmen und Zwangsrekrutierung durch verschiedene Organisationen zu werden, bestehe. Zudem drohe dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die Einberufung zum Wehrdienst der syrischen Streitkräfte. Weiters befinde er sich wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden außerhalb Syriens. Rückkehrer seien darüber hinaus systematischen Menschenrechtsverletzungen, wie willkürlichen Verhaftungen, Folter, Vergewaltigung oder sexueller Gewalt ausgesetzt.
4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten wird zusammengefasst damit begründet, dass der Militärdienst bei den kurdischen Milizen wie folgt ausgestaltet sei: Die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens, die von der kurdischen PYD dominiert werde, habe 2014 das sogenannte „Selbstverteidigungspflicht“-Gesetz verabschiedet, das vorsehe, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ zwischen 18 und 30 Jahren stellen müsse, der sechs Monate lang in der YPG diene. Dieser Zeitraum sei später im Rahmen der im Januar 2016 verabschiedeten Änderungen auf neun Monate geändert worden. Die Autonomiebehörden dürfe laut der Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet dem Beschwerdeführer als drittältesten Sohn eine Zwangsrekrutierung gedroht haben sollte. Der Beschwerdeführer sei zum behaupteten Zeitpunkt erst 15 Jahre alt gewesen, seine beiden Brüder seien drei und zwei Jahre älter. Eine direkte Bedrohung bzw. Aufforderung durch die kurdische Miliz habe der Beschwerdeführer ebenso wenig glaubhaft darlegen können. Es sei nicht glaubhaft, dass sich das vom Beschwerdeführer Geschilderte wirklich so ereignet habe. Hätte man ihn tatsächlich inhaftiert und ihm körperliche Schmerzen zugefügt, hätte der Beschwerdeführer so etwas Gravierendes doch gleich zu Beginn der Schilderung der Flucht- und Asylgründe in der Einvernahme erwähnt und nicht erst nach der dritten Nachfrage durch die Leiterin der Amtshandlung. Auch bereits in der Erstbefragung hätte er dies – wäre es passiert - zumindest ansatzweise vorgebracht, wenngleich die Erstbefragung nicht auf die näheren Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates abziele. Die beiden älteren Brüder des Beschwerdeführers würden nach wie vor in Syrien in der Heimatregion leben – ihnen würde doch eher Zwangsrekrutierungen durch die kurdischen Milizen drohen. Das habe der Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet, sondern lediglich angegeben, dass die Brüder das Haus nie verlassen würden. Entspräche das der Realität, scheine es umso unverständlicher, dass der Beschwerdeführer nicht gemeinsam mit den älteren Brüdern ausgereist wäre. Mit der vorgebrachten Gefahr der Rekrutierung durch die kurdische Miliz habe der Beschwerdeführer versucht, seinem Fluchtgrund mehr Substanz zu verleihen.
Bezüglich der von der gesetzlichen Vertretung vorgebrachten Gefahr, zum Wehrdienst in die syrische Armee eingezogen zu werden, werde darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer seit seiner Geburt bis zur Ausreise mit 17 Jahren im Osten Syriens im Raum Deir ez-Zor gelebt habe. Aus den Länderinformationen gehe hervor, dass während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsehe, die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt habe.
Zur behaupteten Bedrohung durch den IS sei unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformationen auszuführen, dass die syrische Armee 2017 mit Unterstützung Russlands und des Iran größere Militäroperationen durchgeführt habe, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zor geführt hätten. Bis Ende 2017 habe der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat verloren. Auf der östlichen Seite des Flusses seien die SDF bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt gewesen. Der IS habe damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze kontrolliert. Im März 2019 sei das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF eingenommen worden. Dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers werde daher kein Glauben geschenkt.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, dass dem Beschwerdeführer in Syrien eine Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime sowie durch kurdische Kräfte drohe. Der Beschwerdeführer habe sein diesbezügliches Vorbringen klar, stringent und widerspruchslos schildern können und stehe es auch in Einklang mit den Länderberichten. Die belangte Behörde habe zudem die in der Länderinformation enthaltenen Ausführungen zur Rekrutierung von Minderjährigen nicht ausreichend gewürdigt. Aus der Länderinformation gehe zudem klar hervor, dass Deir ez-Zor als Kerngebiet von IS Aktivitäten gelte und Schläferzellen des IS weiterhin aktiv seien. Dem Beschwerdeführer würde auch aufgrund seiner Herkunft aus einem als oppositionell geltenden Gebiet eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Zudem würde er auch bereits aufgrund seines längeren Auslandsaufenthaltes, seiner illegalen Ausreise sowie aufgrund seines Asylantrags in Österreich bzw. aufgrund seiner Eigenschaft als „Rückkehrer“ ins Blickfeld syrischer Behörden geraten. Der Beschwerdeführer würde darüber hinaus aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt werden. 5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, dass dem Beschwerdeführer in Syrien eine Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime sowie durch kurdische Kräfte drohe. Der Beschwerdeführer habe sein diesbezügliches Vorbringen klar, stringent und widerspruchslos schildern können und stehe es auch in Einklang mit den Länderberichten. Die belangte Behörde habe zudem die in der Länderinformation enthaltenen Ausführungen zur Rekrutierung von Minderjährigen nicht ausreichend gewürdigt. Aus der Länderinformation gehe zudem klar hervor, dass Deir ez-Zor als Kerngebiet von IS Aktivitäten gelte und Schläferzellen des IS weiterhin aktiv seien. Dem Beschwerdeführer würde auch aufgrund seiner Herkunft aus einem als oppositionell geltenden Gebiet eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Zudem würde er auch bereits aufgrund seines längeren Auslandsaufenthaltes, seiner illegalen Ausreise sowie aufgrund seines Asylantrags in Österreich bzw. aufgrund seiner Eigenschaft als „Rückkehrer“ ins Blickfeld syrischer Behörden geraten. Der Beschwerdeführer würde darüber hinaus aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt werden.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.03.2023 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
7. Mit Schreiben vom 01.03.2024 wurde dem Beschwerdeführer ein Themenbericht der Staatendokumentation zu „Syrien – Grenzübergänge“ übermittelt und diesbezüglich eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Es wurde bis dato keine Stellungnahme eingebracht.
8. Am 04.04.2024 wurde dem Beschwerdeführer die aktualisierte Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien (Datum der Veröffentlichung: 27.03.2024) übermittelt und im Zuge dessen eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Es wurde bis dato keine Stellungnahme eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger sunnitisch-islamischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Seine Muttersprache ist Arabisch. Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch XXXX alias römisch XXXX und das Geburtsdatum römisch XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger sunnitisch-islamischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Seine Muttersprache ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer ist ledig. Er wurde im Dorf XXXX (Gouvernement Deir ez-Zor) geboren, wo er mit seiner Familie, bestehend aus seinen Eltern, sechs Brüdern sowie drei Schwestern, bis zur Ausreise aus Syrien im August 2021 lebte. Seine Familie hält sich weiterhin im Dorf XXXX auf.Der Beschwerdeführer ist ledig. Er wurde im Dorf römisch XXXX (Gouvernement Deir ez-Zor) geboren, wo er mit seiner Familie, bestehend aus seinen Eltern, sechs Brüdern sowie drei Schwestern, bis zur Ausreise aus Syrien im August 2021 lebte. Seine Familie hält sich weiterhin im Dorf römisch XXXX auf.
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 18.09.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2022 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Das Gouvernement Deir ez-Zor ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zor, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten SDF und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers steht nicht im Einfluss- oder Kontrollgebiet des syrischen Regimes. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist zudem ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar.
Der Beschwerdeführer wurde von kurdischen Einheiten bzw. Milizen weder inhaftiert noch geschlagen oder gefoltert – auch nicht im Zusammenhang mit einer versuchten Zwangsrekrutierung. Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Syrien in diesem Zusammenhang nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion auch sonst nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine reale Gefahr der Verfolgung bzw. Zwangsrekrutierung durch kurdische Einheiten bzw. Milizen im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine reale Gefahr der Verfolgung bzw. Zwangsrekrutierung durch den Islamischen Staat (IS) bzw. Daesh.
Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr der Verfolgung bzw. der Rekrutierung zum Wehrdienst durch das syrische Regime ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität aufgrund seiner Herkunft aus einem kurdisch kontrollierten Dorf im Gouvernement Deir ez-Zor. Ebenso droht dem Beschwerdeführer auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seines Auslandsaufenthalt, seiner Ausreise oder Asylantragstellung im Ausland sowie in seiner Eigenschaft als „Rückkehrer“ bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Die Feststellungen zur Lage in Syrien stützen sich (auszugsweise) auf die Länderinformation der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung: 27.03.2024)
„[…]
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024). […]
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 2024-03-08 11:06
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 2.2.2024).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 Prozent und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 Prozent und 3,3 Prozent der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das "Volksrat" genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba'ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 Prozent (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).
Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.2.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.3.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022).
Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.3.2023). […]
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Letzte Änderung 2023-07-11 09:24
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).
In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 18.3.2023). Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten (SD 18.3.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens