Entscheidungsdatum
02.05.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W114 2280580-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.01.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.01.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 08.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.1. römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 08.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 08.08.2022 gab er an, syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei in „Aleppo“ in Syrien geboren. Er habe drei Jahre lang eine Grundschule besucht und zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er sei mit XXXX verheiratet und habe einen Sohn, der im Jahr 2022 geboren sei. Er habe im April 2022 den Entschluss gefasst Syrien zu verlassen und habe auch im April 2022 zu Fuß Syrien verlassen. Er sei in die Türkei ausgereist, wo er sich drei Monate aufgehalten habe.2. In seiner Erstbefragung am 08.08.2022 gab er an, syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei in „Aleppo“ in Syrien geboren. Er habe drei Jahre lang eine Grundschule besucht und zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er sei mit römisch XXXX verheiratet und habe einen Sohn, der im Jahr 2022 geboren sei. Er habe im April 2022 den Entschluss gefasst Syrien zu verlassen und habe auch im April 2022 zu Fuß Syrien verlassen. Er sei in die Türkei ausgereist, wo er sich drei Monate aufgehalten habe.
Zu seinen Gründen, warum er Syrien verlassen habe, führte er aus, dass er zum syrischen Militär einberufen worden sei. Er wolle niemanden töten. Er habe bei einer Rückkehr nach Syrien mit keinen Sanktionen zu rechnen, fürchte sich jedoch vor dem Tod.
3. Am 09.03.2023 fand seine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt. Dabei wies sich der BF durch Kopien syrischer Dokumente aus.
Er gab nunmehr an, dass er im syrischen Dorf Kherbet Khaled (auch als Khirbat Khalid bezeichnet), in welchem er auch geboren sei, sechs Jahre lang eine Grundschule besucht habe. Er habe dort bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Juni 2022 ein kleines Geschäft betrieben, womit er seinen Lebensunterhalt verdient habe. Seit dem Jahr 2016 werde sein Herkunftsort Khirbat Khalid von Kurden kontrolliert.
4. Mit Bescheid des BFA vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Arabische Republik Syrien zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).4. Mit Bescheid des BFA vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Arabische Republik Syrien zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde im Wesentlichsten zusammenfassend in dieser Entscheidung ausgeführt, dass sein syrisches Herkunftsgebiet unter kurdischer Kontrolle stehe. Es bestünde keine maßgebliche Gefahr, in seiner Heimatregion durch die syrische Regierung verfolgt zu werden. Hinsichtlich der kurdischen Selbstverteidigungspflicht wäre der BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verpflichtet, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. Er wäre nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer „Verlegung an die Front ausgesetzt“ und müsste sich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen. Er habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Viel mehr habe er aufgrund der Bürgerkriegssituation und wegen der in Syrien herrschenden schlechten wirtschaftlichen Situation seinen Herkunftsstaat verlassen.
Diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 09.10.2023 persönlich übernommen.
5. Gegen die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Gewährung des Status eines Asylberechtigten erhob der BF, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, mit Schriftsatz vom 27.10.2023 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
In dieser Beschwerde wird vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aus dem unter kurdischer Kontrolle befindlichen Dorf Khirbat Khalid stamme, und dass er von Geburt an bis zu seiner Flucht dort gelebt habe. Er wolle keinerlei Militärdienst ableisten, würde jedoch bei einer Rückkehr nach Syrien sowohl vom syrischen Militär, als auch von kurdischen Milizen gezwungen werden, einen Militärdienst abzuleisten. Bei einer Verweigerung des jeweiligen Wehrdienstes würde er verfolgt werden. Er sei im Zuge des Wehrdienstes insbesondere verpflichtet, sich an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen, was er ablehne. Er würde auch vom syrischen Regime verfolgt werden, weil er Syrien illegal verlassen, und im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Syrien könne er legal und sicher nicht erreichen, ohne mit dem syrischen Regime in Kontakt zu treten und dort würde er jedenfalls sofort zwangsrekrutiert werden.
In dieser Beschwerde wurde auch ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung gestellt.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem BVwG am 02.11.2023, mit Schreiben des BFA vom 30.10.2023, zur Entscheidung vorgelegt.
7. Mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am 17.11.2023 zur GZ W114 2280580-1/3Z, wurde eine umfangreiche Liste von aktuellen Dokumenten, die damit in das verfahrensgegenständliche Beschwerdeverfahren eingebracht wurden, zum Parteiengehör übermittelt. In der Ladung wurde auch darauf hingewiesen, dass erforderlichenfalls diese Dokumente auch beim BVwG bezogen werden könnten. Das BFA und der vertretene BF verzichteten auf eine Zurverfügungstellung von einzelnen Dokumenten.
8. Am 11.01.2024 fand in Abwesenheit eines Vertreters des BFA im BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer hinsichtlich der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit seiner von ihm behaupteten Fluchtgründe und einer allenfalls daraus sich ergebenden Verfolgungsgefahr befragt wurde.
In dieser Verhandlung gestand der Beschwerdeführer selbst zu, in seinem Heimatort Khirbat Khalid aktuell nicht vom syrischen Regime verfolgt zu werden, zumal sich in seinem syrischen Herkunftsgebiet aktuell das syrische Regime nicht befinde und dort auch keine Kontrolle ausübe. Der BF verwies diesbezüglich auf die theoretische Möglichkeit, dass sich die Situation in seinem Herkunftsgebiet zukünftig ändern könnte.
Von einer mündlichen Verkündung des Erkenntnisses wurde Abstand genommen, jedoch die mündliche Verhandlung für geschlossen erklärt.
9. In einer ausbedungenen schriftlichen Stellungnahme vom 30.01.2024 führte die Rechtsvertretung des BF aus, dass das syrische Regime im kurdisch kontrollierten Teil Syriens in sogenannten Sicherheitsenklaven bei den syrischen Städten al Hasaka und Qamischli rekrutieren könne. Daher sei auch der BF gefährdet im kurdisch kontrollierten Teil Syriens Opfer einer asylrelevanten Verfolgung durch das syrische Assad-Regime infolge einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung in diesen Gebieten, und damit auch in seiner „Herkunftsprovinz xxxxx“ zu werden.
Syrien sei aus der Türkei und dem Irak kommend prinzipiell nicht sicher und legal zu erreichen. Dies gelte für alle Grenzübergänge zum Irak und zur Türkei. Eine legale Einreise nach Syrien sei nur über jene Grenzübergänge, wie den Flughafen Damaskus möglich, die vom syrischen Assad-Regime kontrolliert werden würden.
Der BF sei jedenfalls als jemand, der jeden Wehrdienst ablehnt, zu betrachten. Eine zwangsweise Rekrutierung durch die vökerrechtlich nicht anerkannte kurdische Administration sei jedenfalls als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Status-RL zu betrachten. Der BF stehe der kurdischen Administration politisch oppositionell gegenüber, was er durch seine Äußerungen auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe. Auch UNHCR würde die Auffassung vertreten, dass SDF bzw. YPG Personen, die die kurdische Selbstverteidigungspflicht verweigern würde, als Gegner bzw. als Unterstützer des syrischen Regimes bzw. des Islamischen Staates ansehen würden.Der BF sei jedenfalls als jemand, der jeden Wehrdienst ablehnt, zu betrachten. Eine zwangsweise Rekrutierung durch die vökerrechtlich nicht anerkannte kurdische Administration sei jedenfalls als Verfolgungshandlung im Sinne des Artikel 9, der Status-RL zu betrachten. Der BF stehe der kurdischen Administration politisch oppositionell gegenüber, was er durch seine Äußerungen auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe. Auch UNHCR würde die Auffassung vertreten, dass SDF bzw. YPG Personen, die die kurdische Selbstverteidigungspflicht verweigern würde, als Gegner bzw. als Unterstützer des syrischen Regimes bzw. des Islamischen Staates ansehen würden.
10. Diese Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wurde am 01.02.2024 zum Parteiengehör an das BFA übermittelt.
11. Innerhalb der offenen Frist langte im BVwG am 07.02.2023 eine Stellungnahme des BFA vom 07.02.2024 ein.
Darin verweist das BFA, dass das BVwG in ähnlich gelagerten Fällen davon ausgegangen sei, dass eine Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht von der kurdischen Administration nicht als Ausdruck einer politisch oppositionellen Gesinnung betrachtet werde. Auch das Argument der Rechtsvertretung des BF, dass das syrische Regime im kurdisch kontrollierten Rojava mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dort befindliche wehrpflichtige Personen rekrutiere, sei sachverhaltswidrig und ergebe sich keinenfalls aus der Länderberichterstattung zu Syrien.
12. Am 14.03.2024 veröffentlichte die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – noch vor Entscheidung durch das erkennende Gericht – mit seiner Version 10 ein neues Länderinformationsblatt zu Syrien.
Da nach der Rechtsprechung der Höchstgerichte das BVwG bereits ab dem Tag der Veröffentlichung eines neuen Länderberichtes der Staatendokumentation bei einer Entscheidung durch das BVwG darauf Bezug zu nehmen sei, wurde diese Version 10 des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation am 15.03.2024 zu GZ. W114 2280580-1/8Z an die Parteien des Beschwerdeverfahrens gemäß § 45 Abs. 3 AVG zum Parteiengehör übermittelt und ersucht, allenfalls binnen einer Frist von 14 Tagen auch zu diesem Länderbericht ein allfälliges ergänzendes Vorbringen zu erstatten.Da nach der Rechtsprechung der Höchstgerichte das BVwG bereits ab dem Tag der Veröffentlichung eines neuen Länderberichtes der Staatendokumentation bei einer Entscheidung durch das BVwG darauf Bezug zu nehmen sei, wurde diese Version 10 des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation am 15.03.2024 zu GZ. W114 2280580-1/8Z an die Parteien des Beschwerdeverfahrens gemäß Paragraph 45, Absatz 3, AVG zum Parteiengehör übermittelt und ersucht, allenfalls binnen einer Frist von 14 Tagen auch zu diesem Länderbericht ein allfälliges ergänzendes Vorbringen zu erstatten.
13. Am 27.03.2024 erschien die Version 11 des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation zur Arabischen Republik Syrien, die sich von der Version 10 nur in einem einzigen Kapitel unterscheidet, wobei die Unterschiede nur zwei Sätze betreffen.
14. Weder das BFA noch der BF oder seine Rechtsvertretung haben im Beschwerdeverfahren zu diesem Länderinformationsmaterial eine Stellungnahme abgegeben.
II. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht:römisch II. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 08.08.2022, der diesbezüglichen Erstbefragung am 08.08.2022 und der Einvernahme des BF vor dem BFA am 09.03.2023, der vom BF vor dem BFA vorgelegten
- syrischen Geburtsurkunde im Original samt darauf angebrachtem Lichtbild des BF im Erwachsenenalter,
- einer Ablichtung seines Einzelauszuges aus dem syrischen Familienbuch,
- einer Ablichtung seines Familienregisterauszuges aus dem syrischen Familienregister,
- einer Ablichtung seiner syrischen Heiratsurkunde,
- einer Ablichtung eines Urteils eines syrischen Gerichtes hinsichtlich der Abstammung des Sohnes des Beschwerdeführers vom Beschwerdeführer als dessen Vater,
wobei diesen Dokumenten jeweils auch Übersetzungen in die deutsche Sprache angefügt waren, der zusätzlich von ihm vorgelegten
- syrischen Geburtsurkunde seiner Ehefrau im Original samt darauf angebrachtem Lichtbild der Ehefrau im Erwachsenenalter,
- syrischen Geburtsurkunde seines Sohnes im Original samt darauf angebrachtem Lichtbild seines Sohnes,
- von Ablichtungen von Einzelauszügen aus dem syrischen Familienbuch seiner Ehefrau und seines Sohnes,
- einer Ablichtung eines Reisepasses seiner Ehefrau,
wobei auch diesen Geburtsurkunden bzw. Einzelregisterauszügen jeweils Übersetzungen in die deutsche Sprache angefügt wurden, des angefochtenen Bescheides des BFA vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom 27.10.2023, der Stellungnahme der BBU GmbH vom 30.01.2024, der Stellungnahme des BFA vom 07.02.2024, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verfahrensunterlagen des BFA, einer Berücksichtigung folgender Dokumente, Berichte und Anfragenbeantwortungen:
? UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021;
? Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak vom 23.05.2022;
? Bericht des Danish Immigration Service – Country of origin information – Syria – Military recruitment in Hasakah Governorate vom Juni 2022;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung“ vom 14.10.2022;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien“ vom 14.10.2022;
? Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikerinnen ermöglichen vom 24.08.2023;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hinsichtlich Fragen des BVwG zu Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien vom 24.10.2023;
? Themenbericht der BFA-Staatendokumentation - Syrien - Situation bei Grenzübertritten nach Syrien vom 25.10.2023;
? derzeit aktuellstes Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (aus dem COI-CMS – Version 11) (LIB);
? EUAA Country Guidance Syria vom April 2024;
einer Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers und das Grundversorgungsregister und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der am 11.01.2024 im BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung bzw. des persönlichen Eindruckes, den sich das erkennende Gericht in dieser mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer verschaffen konnte, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Khirbat Khalid im Distrikt Manbidj im Gouvernement Aleppo in Syrien geboren und ist damit aktuell 22 Jahre alt. Er ist syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Seine Eltern, seine Ehefrau, sein Sohn und vier Brüder sowie vier Schwestern befinden sich in der Türkei. Der Beschwerdeführer wurde am römisch XXXX in Khirbat Khalid im Distrikt Manbidj im Gouvernement Aleppo in Syrien geboren und ist damit aktuell 22 Jahre alt. Er ist syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Seine Eltern, seine Ehefrau, sein Sohn und vier Brüder sowie vier Schwestern befinden sich in der Türkei.
Es kann nicht genau festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer Syrien bereits im Jahr 2021 oder erst im Jahr 2022 gemeinsam mit seiner Frau verlassen hat. Jedenfalls war der Beschwerdeführer seit 01.01.2020 und damit jedenfalls auch zum Zeitpunkt, als er Syrien verlassen hat, sowohl bei der syrischen Assad-Armee wehrpflichtig bzw. auch verpflichtet die kurdische Selbstverteidigungspflicht abzuleisten. Er hat im Asylverfahren nur von in seiner syrischen Heimat stattgefundenen Personenkontrollen berichtet, jedoch nicht von Rekrutierungsbemühungen oder von gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen im Rahmen einer allfälligen Zwangsrekrutierung. Der BF vermochte damit jedenfalls – obwohl er wehrpflichtig und auch wehrtauglich war – mehr als ein Jahr lang, vermutlich sogar mehr als zwei Jahre lang, in seinem syrischen Herkunftsgebiet frei und unbedrängt von allfälligen Verfolgungshandlungen wegen einer von ihm behaupteten drohenden Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime bzw. durch die kurdische Administration zubringen.
Nach der Geburt seines Sohnes am XXXX reiste er aus der Türkei schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 08.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.Nach der Geburt seines Sohnes am römisch XXXX reiste er aus der Türkei schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 08.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des BFA vom 29.09.2023, Zl. 1318752803/222459422, in Bezug auf seinen Heimatstaat Arabische Republik Syrien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Das syrische Dorf Khirbat Khalid befindet sich ca. 35 km südöstlich der syrischen Distriktshauptstadt Manbij, westlich des Euphrat im kurdisch kontrollierten Teil Nordsyriens. Ausgehend von einer Vereinbarung zwischen dem syrischen Assad-Regime und den Kurden können sich auch Soldaten des syrischen Assad-Regimes auf kurdisch kontrolliertem Gebiet aufhalten, ohne jedoch dort Verhaftungen von Personen, Rekrutierungen oder Zwangsrekrutierungen vorzunehmen.
Der vom syrischen Regime kontrollierte Flughafen Qamishli sowie die ebenfalls in Qamishli vom syrischen Assad-Regime kontrollierten Regime-Enklaven („Sicherheitsquadrate“) befinden sich in östlicher Richtung in einer Entfernung von mehr als 300 km von Khirbat Khalid entfernt. Die vom syrischen Assad-Regime kontrollierten Enklaven in bzw. bei Al Hasaka befinden sich in einer Entfernung von ca. 250 km. Es besteht für den BF kein Erfordernis bei einer allfälligen Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet diese Sicherheitsquadrate betreten zu müssen.
Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer hat Syrien zu einem Zeitpunkt verlassen, als er bereits seit mehr als einem Jahr wehrpflichtig war.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat in Syrien weder beim syrischen Assad-Militär noch bei kurdischen Milizen einen Wehrdienst abgeleistet. Er hat auch keinen Einberufungsbefehl erhalten.
1.2.3. In Syrien gilt für alle Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren eine allgemeine Wehrpflicht beim syrischen Assad-Militär.
1.2.4. Das syrische Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers mit seinem syrischen Herkunftsort Khirbat Khalid befindet sich unter kurdischer Kontrolle. Das syrische Assad-Regime bzw. das syrische Assad-Militär sind in der Regel im von kurdischen Milizen kontrolliertem Gebiet nicht in der Lage, dort befindliche wehrpflichtige Syrer zwangsweise zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer würde daher bei einer allfälligen Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet mit seinem Herkunftsort Khirbat Khalid nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vom syrischen Assad-Regime oder vom syrischen Assad-Militär zwangsweise rekrutiert werden. Das syrische Assad-Regime bzw. das syrische Assad-Militär würden daher aktuell, bzw. auch im Rahmen einer anzustellenden Prognoseentscheidung, den Beschwerdeführer dort auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgen.
1.2.5. Im von kurdischen Milizen kontrollierten Gebiet Nord- bzw. Nordostsyriens, in dem sich auch das Herkunftsgebiet mit dem Herkunftsort Khirbat Khalid des Beschwerdeführers befindet, unterliegen aktuell alle Männer im Alter von 18 bis 24 einer kurdischen Wehrpflicht, die von den Kurden selbst als Selbstverteidigungspflicht bezeichnet wird. Angesichts seines Alters unterliegt der 22jährige Beschwerdeführer damit aktuell der im kurdisch kontrollierten Teil Syriens geltenden kurdischen Selbstverteidigungspflicht.
Daher ist auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der in Österreich aktuell eine bis zum Ablauf des 09.10.2024 befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter verfügt, bei einer Rückkehr nach dem 09.10.2024 in sein syrisches Herkunftsgebiet gefährdet wäre, die kurdische Selbstverteidigungspflicht absolvieren zu müssen.
Solange der BF über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten verfügt, ist er nicht gefährdet im kurdisch kontrollierten Gebiet Syriens seiner kurdischen Selbstverteidigungspflicht nachkommen zu müssen oder bei einer allfälligen Weigerung deswegen verfolgt zu werden.
Gemäß dem kurdischen Dekret Nr. 3 vom 04.09.2021 kann der in Österreich lebende Beschwerdeführer im wehrpflichtigen Alter jedoch auch aktuell gegen eine Gebühr von 400 US-Dollar seine kurdische Selbstverteidigungspflicht für ein Jahr aufschieben lassen, um die kurdisch kontrollierten Gebiete Nord- bzw. Nordostsyriens zu besuchen und wieder zu verlassen, ohne gezwungen zu werden die kurdische Selbstverteidigungspflicht erfüllen zu müssen. Im Falle der Bezahlung dieser Gebühr wird die Verpflichtung zur Absolvierung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht für ein Jahr aufgeschoben. Nach Vollendung des 25. Lebensjahres sind die Personen, die diese Gebühr bezahlt haben, bei einer Rückkehr in ihr kurdisch kontrolliertes Herkunftsgebiet auch nicht mehr verpflichtet, ihre kurdische Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Damit sind solche Personen bei Bezahlung dieser Gebühr auch nicht gefährdet, wegen einer allfälligen Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht deswegen verfolgt zu werden, zumal eine derartige Verfolgung dann auch nicht stattfinden würde.
Der Beschwerdeführer konnte sich von Freunden 5.000.-- bis 6.000.-- Euro für eine schlepperunterstützte Flucht ausborgen. Er verfügt darüber hinaus auch über den Status eines subsidiär Schutzberichtigten und ist in diesem Zusammenhang auch in der Lage in Österreich einer Beschäftigung nachzugehen, um derart einen Betrag in Höhe von 400 US-Dollar ansparen zu können. Daher gelangt das erkennende Gericht zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer bei einem allfälligen Bedarf auch einen Betrag in Höhe von 400 US-Dollar zur Bezahlung einer Gebühr, um einen Aufschub zur Erfüllung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht zu erhalten, aufzubringen vermag.
Solange der Beschwerdeführer in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten verfügt, bzw. ab dem Zeitpunkt, wenn der BF sein 25. Lebensjahr vollendet hat, ist der BF bei Bezahlung einer Gebühr in Höhe von 400 US-Dollar nicht gefährdet, der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nachkommen zu müssen oder wegen einer allfälligen Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht (was der BF im Beschwerdeverfahren bislang nicht glaubhaft gemacht hat) verfolgt zu werden. Dem BF steht mit der Bezahlung dieser Gebühr eine Möglichkeit zur Verfügung, um eine erst in der Zukunft allenfalls drohende Verfolgungsgefahr durch die kurdische Administration abzuwenden.
Die Frage, ob sich die Voraussetzungen, die dazu geführt haben, dass dem Beschwerdeführer in der angefochtenen Entscheidung der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt wurde, auch nach dem 09.10.2024 fortbestehen, kann im Rahmen einer anzustellenden Prognoseentscheidung nur vermutet werden und wird hinsichtlich eines vom Beschwerdeführer zu stellenden Verlängerungsantrages seines subsidiären Schutzes unter Berücksichtigung der neuesten EUAA-Country Guidance vom April 2024 und der Tatsache, dass sein Herkunftsgebiet sich im Gouvernement Aleppo befindet, bejaht. Das erkennende Gericht geht damit davon aus, dass der BF über den 09.10.2024 hinaus auch über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten verfügen wird.
In der Regel wird nach einem ersten Verlängerungsantrag vom BFA der subsidiäre Schutz für zwei Jahre verlängert. Damit geht das erkennende Gericht davon aus, dass der subsidiäre Schutz des BF jedenfalls bis zum Ablauf des 09.10.2026 verlängert wird. Am 09.10.2026 steht der Beschwerdeführer dann kurz vor Vollendung seines 25. Lebensjahres. Er hätte dann ab dem 09.10.2026, sofern er unbedingt nach Syrien zurückkehren müsste oder aus eigenen freien Stücken in sein Herkunftsgebiet in Syrien zurückkehren möchte, durch die Zahlung von 400 US-Dollar die Möglichkeit einen einjährigen Aufschub von der kurdischen Selbstverteidigungspflicht in Anspruch zu nehmen. In der Zwischenzeit vollendet er dann sein 25. Lebensjahr und ist danach auch nicht mehr verpflichtet, der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. Damit würde er auch nicht wegen einer allfälligen Weigerung die kurdische Selbstverteidigungspflicht erfüllen zu müssen, von der kurdischen Administration in seinem Herkunftsgebiet verfolgt werden.
Damit vermag das erkennende Gericht auch eine dem BF drohende Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen einer allfälligen Verweigerung der kurdischen Selbstverteidigungspflicht nicht zu erkennen.
1.2.6. Dem BF droht in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner ethnischen der religiösen Zugehörigkeit, wegen seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung.
1.2.7. Der Beschwerdeführer kann seinen syrischen Herkunftsort erreichen, ohne ein Gebiet durchqueren zu müssen, welches unter Kontrolle des syrischen Regimes steht. Er könnte entweder gänzlich über den Landweg von Österreich aus oder auch auf dem Luftweg und dann weiter auf dem Landweg seinen syrischen Herkunftsort Khirbat Khalid erreichen, ohne dabei der Gefahr ausgesetzt zu sein, vom syrischen Assad-Regime oder dem syrischen Assad-Militär zwangsweise rekrutiert zu werden. Eine Einreise nach Syrien ist für den Beschwerdeführer sowohl über immer wieder auch für Personenübertritte geöffnete Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien als auch über den geöffneten Grenzübergang Semalka/Fayes Khabour zwischen Kurdisch-Irak und Syrien, die nicht vom syrischen Assad-Regime kontrolliert werden, möglich. Eine Weiterreise in sein syrisches Herkunftsgebiet würde auf dem Straßennetz auf syrischem Gebiet erfolgen, das nicht vom syrischen Assad-Regime kontrolliert wird, und wo nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass das syrische Regime bzw. das syrische Militär dort befindliche Personen verfolgt oder festnimmt.
1.2.8. Nicht festgestellt werden kann, ob das syrische Assad-Regime überhaupt Kenntnis davon hat, dass der Beschwerdeführer sich nicht mehr in Syrien befindet. Es kann vom erkennenden Gericht auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer, weil er Syrien verlassen hat und weil er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, bei einer allfälligen Rückkehr nach Khirbat Khalid, das – wie bereits ausgeführt - auch aktuell unter kurdischer Kontrolle steht, vom Assad-Regimes oder von Kurden oder sonstigen Personen in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen, oder aus einem sonstigen in der GFK genannten Konventionsgrund verfolgt werden würde.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024:
„[…]
Politische Lage:
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018).
Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.08.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.05.2022).
Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.03.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 02.02.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.08.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 02.02.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 09.03.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 02.02.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.03.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.01.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 02.02.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.03.2023; vgl. AA 29.03.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 02.02.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.03.2023; vergleiche AA 29.03.2023).
Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 02.02.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.05.2023; vgl. IPS 20.05.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.01.2024).Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 02.02.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.05.2023; vergleiche IPS 20.05.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.01.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 02.02.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.03.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 06.06.2023; vgl. SOHR 07.05.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.05.2023; vgl. Wilson 06.06.2023, SOHR 07.05.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.05.2023). Am 03.07.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 02.02.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 02.02.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 02.02.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.03.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 06.06.2023; vergleiche SOHR 07.05.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.05.2023; vergleiche Wilson 06.06.2023, SOHR 07.05.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.05.2023). Am 03.07.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 02.02.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 02.02.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 07.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 02.02.2024).
Syrische Arabische Republik:
Letzte Änderung 2024-03-08 11:06
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.01.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 02.05.2023).
Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba’athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 04.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 09.03.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.05.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten.
Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 09.03.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba’ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der