Entscheidungsdatum
21.05.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W114 2270479-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.04.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.04.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 24.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.1. römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 24.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In der Erstbefragung am 25.11.2021 gab er an, syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Muslim zu sein. Als Geburtsort nannte der BF das syrische Gouvernement Hasaka. Er habe zwölf Jahre lang eine Grundschule besucht und verfüge über keine Berufsausbildung. Seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern würden in Syrien leben, eine weitere Schwester befinde sich in der Türkei.
Sein syrischer Wohnsitz befinde sich bei Qamishli in „Alshabania“ (auf https://syria.liveuamap.com/de als Shibaniyah bezeichnet). Er habe im Juli 2020 den Entschuss gefasst, Syrien zu verlassen. Er habe sich im Juli „2022“ zu Fuß in die Türkei begeben, wo er ungefähr ein Jahr gelebt habe.
Zu seinen Gründen, warum er Syrien verlassen habe, gab er an, dass er zum Militärdienst in Syrien einberufen worden sei. Aus Sorge um ihn habe sein Vater entschieden, dass er Syrien verlassen müsse. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er wegen des Bürgerkriegs Angst um sein Leben.
3. Am 26.01.2023 erhob der damals rechtsanwaltlich vertretene Beschwerdeführer per Telefax eine Säumnisbeschwerde und führte begründend aus, dass die gesetzliche Entscheidungsfrist bereits verstrichen sei. Er beantrage daher, dass das zuständige Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in der Sache selbst entscheiden und seinem Antrag auf internationalen Schutz stattgeben möge.
4. Mit Schreiben vom 18.04.2023 wurde die Säumnisbeschwerde samt Unterlagen des erstinstanzlichen Asylverfahrens am 24.04.2023 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vorgelegt.
5. Mit Schriftsatz vom 25.04.2023 zog der damals durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH vertretene Beschwerdeführer die Säumnisbeschwerde zurück.
6. Mit Beschluss des BVwG vom 28.04.2023, Zahl W255 2270679-1/5E, wurde das Beschwerdevefahren wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.
7. Am 19.10.2023 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA statt. Dabei wies sich der BF durch seinen syrischen Personalausweis aus, aus dem sich ergibt, dass er am XXXX in „Shepaniya Daham“ (auf https://syria.liveuamap.com/de als Shibaniyah bezeichnet) geboren wurde. Zusätzlich legte er ein am 12.03.2018 ausgefolgtes syrisches Wehrdienstbuch und ein am 25.04.2018 ausgestelltes kurdisches Wehrdienstbuch vor. 7. Am 19.10.2023 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA statt. Dabei wies sich der BF durch seinen syrischen Personalausweis aus, aus dem sich ergibt, dass er am römisch XXXX in „Shepaniya Daham“ (auf https://syria.liveuamap.com/de als Shibaniyah bezeichnet) geboren wurde. Zusätzlich legte er ein am 12.03.2018 ausgefolgtes syrisches Wehrdienstbuch und ein am 25.04.2018 ausgestelltes kurdisches Wehrdienstbuch vor.
Er habe von Geburt an bis zum Jahr 2014 in seinem Heimatdorf Shibaniyah im elterlichen Haus gelebt. Seine Familie und er seien nach Qamishli umgezogen, weil das syrische Regime ihr Dorf bombardiert habe. Ende 2017 oder Anfang 2018 sei er mit seiner Familie wieder in das Heimatdorf zurückgekehrt. Von 2007 bis 2020 habe er zuerst die Grundschule in seinem Heimatdorf, dann die Mittelschule im Nachbardorf und zuletzt eine Höhere Schule in Hamu besucht. Er habe für das Absolvieren der insgesamt zwölf Klassen 13 Jahre gebraucht, die Matura habe er aber nicht bestanden.
Einen Einberufungsbefehl habe er nie erhalten, weil das syrische Regime in seinem Herkunftsgebiet keine Kontrolle gehabt habe. Er habe sich aber am 06.03.2018 in Qamischli der Musterung durch das syrische Militär unterzogen und dann Aufschübe beantragt. Aus dem vorgelegten syrischen Wehrdiensbuch ergibt sich, dass der letzte Aufschub bis zum 15.03.2021 zwecks Ablegung der Matura gewährt worden ist. Nachdem ihm das syrische Wehrdienstbuch ausgefolgt worden sei, habe er sich auch an die kurdische Administration gewandt und dort sein syrisches Wehrdienstbuch vorgelegt. Die Kurden hätten dann die vom syrischen Militär gewährten Aufschübe übernommen und in das kurdische Wehrdienstbuch eingetragen. All das habe er unternommen, damit ihm im Fall einer möglichen Kontrolle auch in Qamischli nichts passiere. Er habe zum Markt in die Stadt Qamishli fahren müssen, wo sich eine Sicherheitszone des Regimes befunden habe bzw. auch immernoch befinde. Dort, wie auch im Nachbardorf Hamu, als dieses Dorf unter der Kontrolle des Regimes gestanden sei, hätte man ihn anhalten und gleich einziehen können. Er sei auch regelmäßig kontrolliert worden und habe immer seine Wehrdienstbücher vorgezeigt.
Syrien habe er im August oder September 2020 verlassen, als in seinem Herkunftsdorf die Kurden die Kontrolle ausgeübt hätten. Er sei in die Türkei gereist.
Er bzw. sein Vater hätten befürchtet, dass er von den Kurden zwangsrekrutiert und getötet werden könnte. Drei seiner Cousins seien vom kurdischen Militär eingezogen worden. Zwei seiner Cousins seien bei militärischen Auseinandersetzungen getötet worden. Ein Cousin habe bei einem Kampfeinsatz ein Auge verloren. Sein Vater habe daher entschieden, dass es für den BF besser sei, Syrien zu verlassen, bevor der Aufschub ablaufe. Neun oder zehn Monate, nachdem er Syrien verlassen und in der Türkei gelebt habe, hätten Angehörige des kurdischen Militärs im Juni oder Juli 2021 nach Wehrpflichtigen in seinem Heimatdorf gefahndet. Die Kurden seien zwei Mal in sein Elternhaus gekommen und hätten nach ihm gesucht. Sein Vater habe ihnen zwar mitgeteilt, dass er sich in der Türkei befinde. Bei einer Rückkehr könnte ihm aber vorgeworfen werden, dass er vor dem kurdischen Militärdienst geflohen sei.
8. Mit Bescheid des BFA vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Arabische Republik Syrien zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).8. Mit Bescheid des BFA vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Arabische Republik Syrien zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend wurde im Wesentlichsten zusammenfassend in dieser Entscheidung ausgeführt, dass sein syrisches Herkunftsgebiet unter kurdischer Kontrolle stehe. Es bestünde keine maßgebliche Gefahr, in seiner Heimatregion durch die syrische Regierung oder durch kurdische Kräfte verfolgt zu werden. Eine Verfolgung, insbesondere eine Verfolgung aufgrund eines sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Konventionsgrundes habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 26.01.2024 durch Hinterlegung zugestellt.
9. Gegen die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Gewährung des Status eines Asylberechtigten erhob der BF, nunmehr vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 2, 1020 Wien, mit Schriftsatz vom 21.02.2024 fristgerecht Beschwerde an das BVwG.
In dieser Beschwerde wird vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aus dem Dorf Shibaniyah stamme, das sich in der Nähe des Flughafens in Qamishli im Gouvernement Al Hasaka befinde. Er habe Syrien aufgrund seines drohenden verpflichtenden Wehrdienstes verlassen; er habe nach drei Aufschüben zwecks Absolvierung seines Studiums keinen weiteren Aufschub sowohl von Seiten des syrischen Regimes als auch von kurdischer Seite erhalten. Im Jahr 2020 sei er illegal in die Türkei geflüchtet, wo er ein Jahr lang gelebt und in der Landwirtschaft gearbeitet habe. Aus Angst vor einer Abschiebung in seinen Heimatstaat Syrien sei er weiter nach Europa geflüchtet. Er habe bislang noch keinerlei Wehrdienst in Syrien abgeleistet. Da er im wehrpflichtigen Alter sei, drohe ihm die Einberufung zum Wehrdienst beim syrischen Assad Militär, als auch bei den Kurden. Bei einer Weigerung drohe ihm eine Verfolgung und eine unerhältnismäßige Strafen, bis hin zu seiner Hinrichtung. Auch wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Asylantragstellung im Ausland drohe ihm eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen einer ihm vom syrischen Regime zumindet unterstellten oppositionellen Gesinnung.
In dieser Beschwerde wurde auch ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung gestellt.
10. Die gegenständliche Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem BVwG am 01.03.2024, mit Schreiben des BFA vom 22.02.2024, zur Entscheidung vorgelegt.
11. Mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am 04.04.2024 zur GZ W114 2270679-2/3Z, wurde eine umfangreiche Liste von aktuellen Dokumenten, die damit in das verfahrensgegenständliche Beschwerdeverfahren eingebracht wurden, zum Parteiengehör übermittelt. In der Ladung wurde auch darauf hingewiesen, dass erforderlichenfalls diese Dokumente auch beim BVwG bezogen werden könnten. Das BFA und der vertretene BF verzichteten auf eine Zurverfügungstellung von einzelnen Dokumenten.
12. Am 14.03.2024 veröffentlichte die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – noch vor Durchführung der mündlichen Beschwerdeverhandlung bzw. vor Entscheidung durch das erkennende Gericht – mit seiner Version 10 ein neues Länderinformationsblatt zu Syrien.
Da nach der Rechtsprechung der Höchstgerichte das BVwG bereits ab dem Tag der Veröffentlichung eines neuen Länderberichtes der Staatendokumentation bei einer Entscheidung durch das BVwG darauf Bezug zu nehmen habe, wurde diese Version 10 des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation am 15.03.2024 zu GZ. W114 2270679-2/5Z an die Parteien des Beschwerdeverfahrens übermittelt und darauf hingewiesen, dass die Version 10 die alte Version 9 vom 17.07.2023 ersetze.
13. Am 27.03.2024 erschien zudem eine Version 11 des Länderinformationsblattes der BFA-Staatendokumentation zur Arabischen Republik Syrien, die sich von der Version 10 nur in einem einzigen Kapitel unterscheidet, wobei die Unterschiede nur zwei Sätze betreffen. Darauf wurde vom erkennenden Gericht in der mündlichen Beschwerdeverhandlung auch hingewiesen.
14. Weder das BFA noch der BF oder seine Rechtsvertretung haben vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 04.04.2024 zum vom BVwG ins Beschwerdeverfahren eingebrachten Länderinformationsmaterial eine Stellungnahme abgegeben.
15. Am 04.04.2024 fand in Abwesenheit eines Vertreters des BFA im BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer hinsichtlich der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit seiner von ihm behaupteten Fluchtgründe und einer allenfalls daraus sich ergebenden Verfolgungsgefahr befragt wurde.
In dieser Verhandlung gestand der Beschwerdeführer letztlich zu, in seinem Heimatort Shibaniyah aktuell nicht vom syrischen Regime verfolgt zu werden, zumal sich in seinem syrischen Herkunftsgebiet das syrische Regime nicht befinde und dort auch keine Kontrolle ausübe. Er werde auch nicht wegen seines gestellten Antrags auf internationalen Schutz verfolgt, weil in Syrien davon niemand wissen würde. Der BF verwies diesbezüglich auf die nur mehr bis zum Ende des laufenden Jahres bestehende Möglichkeit, die kurdische Selbstverteidigungspflicht absolvieren zu müssen, was er aber ablehne. In Friedenszeiten wäre er jedoch bereit, einen Wehrdienst beim syrischen Assad-Regime abzuleisten.
Von einer mündlichen Verkündung des Erkenntnisses wurde Abstand genommen, jedoch die mündliche Verhandlung als auch das Ermittlungsverfahren für geschlossen erklärt.
II. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht:römisch II. Daraus ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 24.11.2021, der diesbezüglichen Erstbefragung am 25.11.2021 und der Einvernahme des BF vor dem BFA am 19.10.2023, den vom BF vor dem BFA vorgelegten syrischen Dokumenten, des angefochtenen Bescheides des BFA vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde vom 21.02.2024, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verfahrensunterlagen des BFA, einer Berücksichtigung folgender Dokumente, Berichte und Anfragenbeantwortungen:
? UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021;
? Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak vom 23.05.2022;
? Bericht des Danish Immigration Service – Country of origin information – Syria – Military recruitment in Hasakah Governorate vom Juni 2022;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung“ vom 14.10.2022;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien „Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien“ vom 14.10.2022;
? Accord-Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritikerinnen ermöglichen vom 24.08.2023;
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hinsichtlich Fragen des BVwG zu Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien vom 24.10.2023;
? Themenbericht der BFA-Staatendokumentation - Syrien - Situation bei Grenzübertritten nach Syrien vom 25.10.2023;
? derzeit aktuellstes Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (aus dem COI-CMS – Version 11) (LIB);
einer Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers und das Grundversorgungsregister und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der am 04.04.2024 im BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung bzw. des persönlichen Eindruckes, den sich das erkennende Gericht in dieser mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer verschaffen konnte, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Shibaniyah im Gouvernement Al Hasaka in Syrien geboren. Er ist syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist aktuell mit XXXX Jahren bereits volljährig und wird am XXXX XXXX Jahre alt. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine ältere Schwester sowie zwei Onkel befinden sich ebenfalls in Österreich und verfügen in Österreich über den Status von Asylberechtigten in Bezug auf ihren Heimatstaat Arabische Republik Syrien. Seine Eltern und weitere Geschwister befinden sich aktuell im Heimatdorf Shibaniyah in Syrien. Der Beschwerdeführer wurde am römisch XXXX in Shibaniyah im Gouvernement Al Hasaka in Syrien geboren. Er ist syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist aktuell mit römisch XXXX Jahren bereits volljährig und wird am römisch XXXX römisch XXXX Jahre alt. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine ältere Schwester sowie zwei Onkel befinden sich ebenfalls in Österreich und verfügen in Österreich über den Status von Asylberechtigten in Bezug auf ihren Heimatstaat Arabische Republik Syrien. Seine Eltern und weitere Geschwister befinden sich aktuell im Heimatdorf Shibaniyah in Syrien.
Der Beschwerdeführer hat seinen Heimatort im September 2020 verlassen und hielt sich ca. ein Jahr lang in der Türkei auf, ehe er im Jahr 2021 schlepperunterstützt bis nach Österreich weiterreiste, wo er am 24.11.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des BFA vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, in Bezug auf seinen Heimatstaat Arabische Republik Syrien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten und eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Der BF verfügt damit aktuell jedenfalls bis zum 26.01.2025 (Die Übernahme des angefochtenen Bescheides durch den BF erfolgte durch Hinterlegung am 26.01.2024.) eine Berechtigung, sich im Staatsgebiet der Republik Österreich aufhalten zu dürfen.
Das Haus seiner Familie, in welchem er bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien wohnte, befindet sich im syrische Dorf Shibaniyah. Ca. 17 km nordwestlich seines Heimatdorfes befinden sich drei Gebiete (sogenannte Enklaven oder Sicherheitsgebiete) in der Stadt Qamishli, die dem BF bekannt sind, die vom syrischen Assad-Regime kontrolliert werden. Der BF selbst hat dazu ausgeführt, dass er bei einer allfälligen Rückkehr in sein Heimathaus diese Gebiete meiden würde und auch keine Veranlassung habe, diese Gebiete zu betreten. Das Heimathaus befindet sich im von Kurden kontrolliertem Teil Nord- bzw. Nordostsyriens, den die Kurden selbst Rojava nennen. Ausgehend von einer Vereinbarung zwischen dem syrischen Assad-Regime und den Kurden können sich auch Soldaten des syrischen Assad-Regimes auf kurdisch kontrolliertem Gebiet aufhalten, ohne jedoch dort Verhaftungen von Personen, Rekrutierungen oder Zwangsrekrutierungen vorzunehmen.
Die vom syrischen Assad-Regime kontrollierten Enklaven bzw. Sicherheitsquadrate in bzw. bei Al Hasaka befinden sich in südwestlicher Richtung in einer Entfernung von ca. 80 km.
Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer hat Syrien zu einem Zeitpunkt verlassen, als er bereits volljährig und wehrpflichtig war.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat in Syrien weder beim syrischen Assad-Militär noch bei kurdischen Milizen einen Wehrdienst abgeleistet. Er hat auch keinen Einberufungsbefehl erhalten. Ihm wurden aber vom syrischen Assad-Militär als auch von der kurdischen Administration insgesamt drei Aufschübe gewährt, wovon der letzte Aufschub am 15.03.2021 endete.
1.2.3. In Syrien gilt für alle Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren eine allgemeine Wehrpflicht beim syrischen Assad-Regime.
1.2.4. Das syrische Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers mit seinem syrischen Herkunftsort Shibaniyah befindet im Wesentlichen – abgesehen von Sicherheitsquadraten, die vom syrischen Assad-Regime kontrolliert werden, und die dem Beschwerdeführer bekannt sind, unter kurdischer Kontrolle. Das syrische Assad-Regime bzw. das syrische Assad-Militär sind in der Regel im von kurdischen Milizen kontrolliertem Gebiet nicht in der Lage, wehrpflichtige Syrer zwangsweise zu rekrutieren. Das syrische Assad-Regime bzw. das syrische Assad-Militär würden daher aktuell, bzw. auch im Rahmen einer anzustellenden Prognoseentscheidung, den Beschwerdeführer dort auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgen, um ihn in seinem syrischen Herkunftsgebiet zwangsweise zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer selbst hat dargelegt, dass ihm die vom syrischen Regime kontrollierten Enklaven bei Qamishli bekannt sind, er keine Veranlassung hat, diese Gebiete betreten zu müssen und auch darauf achten würde, diese Gebiete nicht zu betreten.
1.2.5. Im von kurdischen Milizen kontrollierten Gebiet Nord- bzw. Nordostsyriens, in dem sich auch das Herkunftsgebiet mit dem Herkunftsort Shibaniyah des Beschwerdeführers befindet, unterliegen aktuell alle Männer im Alter von 18 bis 24 einer kurdischen Wehrpflicht, die von den Kurden selbst als Selbstverteidigungspflicht bezeichnet wird. Angesichts seines Alters unterliegt der XXXX jährige Beschwerdeführer damit aktuell (noch) der im kurdisch kontrollierten Teil Syriens geltenden kurdischen Selbstverteidigungspflicht. 1.2.5. Im von kurdischen Milizen kontrollierten Gebiet Nord- bzw. Nordostsyriens, in dem sich auch das Herkunftsgebiet mit dem Herkunftsort Shibaniyah des Beschwerdeführers befindet, unterliegen aktuell alle Männer im Alter von 18 bis 24 einer kurdischen Wehrpflicht, die von den Kurden selbst als Selbstverteidigungspflicht bezeichnet wird. Angesichts seines Alters unterliegt der römisch XXXX jährige Beschwerdeführer damit aktuell (noch) der im kurdisch kontrollierten Teil Syriens geltenden kurdischen Selbstverteidigungspflicht.
1.2.6. Bei einer Rückkehr nach Syrien vor Erreichung seines XXXX Lebensjahres am XXXX ist der Beschwerdeführer in seinem syrischen Herkunftsgebiet daher verpflichtet, die kurdische Selbstverteidigungspflicht absolvieren zu müssen 1.2.6. Bei einer Rückkehr nach Syrien vor Erreichung seines römisch XXXX Lebensjahres am römisch XXXX ist der Beschwerdeführer in seinem syrischen Herkunftsgebiet daher verpflichtet, die kurdische Selbstverteidigungspflicht absolvieren zu müssen
Angesichts der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA vom 22.01.2024, Zl. 1290087606/211812755, für ein Jahr der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Arabische Republik Syrien zuerkannt wurde und dieser Bescheid dem BF am 26.01.2024 durch Hinterlegung zugestellt wurde und dieser Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte betreffend der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der Dauer der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung in Österreich zwischenzeitig auch rechtskräftig geworden ist, verfügt der BF jedenfalls bis zum Ablauf des 26.01.2025 über ein Aufenthaltsrecht in der Republik Österreich und ist somit nicht gezwungen, in sein syrisches Herkunftsgebiet zurückkehren und die kurdische Selbstverteidigungspflicht absolvieren zu müssen.
Zudem hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, durch Zahlung einer Gebühr von USD 400,- für ein Jahr einen Aufschub von der kurdischen Selbstverteidigungspflicht zu erwirken. Nach Ablauf dieses Jahres hat der Beschwerdeführer jedoch sein 25. Lebensjahr erreicht und wird bei einer Rückkehr in sein Heimatgebiet auch nicht (mehr) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur kurdischen Selbstverteidigungspflicht eingezogen werden.
Damit kann vom erkennenden Gericht auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet mit dem Ort Shibaniyah mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre, die kurdische Selbstverteidigungspflicht erfüllen zu müssen und bei einer allfälligen Weigerung die kurdische Selbstverteidigungspflicht zu absolvieren, wegen eines in der Genfer Flüchlingskonvention enthaltenen Konventionsgrundes auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von der kurdischen Administration oder kurdischen Milizen in seinem syrischen Herkunftsgebiet verfolgt werden würde.
1.2.7. Dem BF drohen wegen seiner Herkunft aus einem oppositionell kontrollierten Gebiet, seiner Ausreise aus Syrien und seiner Asylantragstellung in Österreich keine psychischen oder physischen Eingriffe in seine körperliche Integrität in Syrien. Der Beschwerdeführer hat eine diesbezüglich aufgestellte Behauptung nicht glaubhaft gemacht.
1.2.8. Dem BF droht in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner ethnischen der religiösen Zugehörigkeit, wegen seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung.
1.2.9. Der Beschwerdeführer kann seinen syrischen Herkunftsort erreichen, ohne ein Gebiet durchqueren zu müssen, welches unter Kontrolle des syrischen Regimes steht. Er könnte entweder gänzlich über den Landweg von Österreich aus oder auch auf dem Luftweg und dann weiter auf dem Landweg seinen syrischen Herkunftsort Shibaniyah erreichen, ohne dabei der Gefahr ausgesetzt zu sein, vom syrischen Assad-Regime oder dem syrischen Assad-Militär zwangsweise rekrutiert zu werden. Eine Einreise nach Syrien ist für den Beschwerdeführer sowohl über immer wieder auch für Personenübertritte geöffnete Grenzübergänge zwischen der Türkei und Syrien als auch über den geöffneten Grenzübergang Semalka/Fayes Khabour zwischen Kurdisch-Irak und Syrien, die nicht vom syrischen Assad-Regime kontrolliert werden, möglich. Eine Weiterreise in sein syrisches Herkunftsgebiet würde auf dem Straßennetz auf syrischem Gebiet erfolgen, das nicht vom syrischen Assad-Regime kontrolliert wird, und wo nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass das syrische Regime bzw. das syrische Militär dort befindliche Personen verfolgt oder festnimmt.
1.2.10. Nicht festgestellt werden kann, ob das syrische Assad-Regime überhaupt Kenntnis davon hat, dass der Beschwerdeführer sich nicht mehr in Syrien befindet. Es kann vom erkennenden Gericht auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer, weil er Syrien verlassen hat und weil er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, bei einer allfälligen Rückkehr nach Shibaniyah, das – wie bereits ausgeführt - auch aktuell unter kurdischer Kontrolle steht, vom Assad-Regimes oder von Kurden oder sonstigen Personen in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen, oder aus einem sonstigen in der GFK genannten Konventionsgrund verfolgt werden würde. Eine Verfolgung des BF in Shibaniyah durch syrische Assad-Kräfte infolge einer ihm allenfalls unterstellten politischen Gesinnung ist auch deswegen auszuschließen, weil – wie bereits dargelegt – das syrische Assad-Regime im Herkunftsgebiet des BF keinen Zugriff auf die dortige Administration bzw. keinen Zugriff auf dort befindliche Personen hat.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024:
„[…]
Politische Lage:
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018).
Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.08.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.05.2022).
Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.03.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 02.02.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.08.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 02.02.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 09.03.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 02.02.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.03.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.01.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 02.02.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.03.2023; vgl. AA 29.03.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 02.02.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.03.2023; vergleiche AA 29.03.2023).
Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 02.02.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.05.2023; vgl. IPS 20.05.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.01.2024).Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 02.02.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.05.2023; vergleiche IPS 20.05.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.01.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 02.02.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.03.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 06.06.2023; vgl. SOHR 07.05.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.05.2023; vgl. Wilson 06.06.2023, SOHR 07.05.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.05.2023). Am 03.07.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 02.02.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 02.02.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 02.02.2024). Das propagierte „Normalisierungsnarrativ“ verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.03.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 06.06.2023; vergleiche SOHR 07.05.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.05.2023; vergleiche Wilson 06.06.2023, SOHR 07.05.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.05.2023). Am 03.07.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 02.02.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 02.02.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 07.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 02.02.2024).
Syrische Arabische Republik:
Letzte Änderung 2024-03-08 11:06
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.01.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 02.05.2023).
Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba’athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 04.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 09.03.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.05.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten.
Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 09.03.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba’ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba’ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.03.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 09.03.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.03.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.01.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren „zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel“. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.06.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 02.02.2024).
Institutionen und Wahlen:
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regiere