Entscheidungsdatum
22.05.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W601 2278530-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Nadine FRANK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gesetzlich vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger XXXX gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Nadine FRANK als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX alias römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. Syrien, gesetzlich vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger römisch XXXX gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 31.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 01.06.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Syrien die Todessstrafe drohe, weil er verletzt sei und ihm deshalb nachgesagt werde, dass er im Krieg mitgekämpft habe.
3. Mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichtes vom 24.10.2022 wurde das Amt für Jugend und Familie Soziale Arbeit mit Familien, als Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge des Beschwerdeführers betraut.
4. Am 13.04.2023 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) statt. Der Beschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er mit seiner Mutter in Deir Ezzor zu Besuch bei seiner Schwester gewesen sei. Er habe dort in einer Gasse mit anderen Kindern gespielt als plötzlich eine Bombe explodiert sei. Er sei ohnmächtig geworden und habe keine Hand mehr gehabt. Er sei in ein Spital bzw. einen Keller gebracht und dort behandelt und mehrfach operiert worden Er habe Deir Ezzor verlassen müssen, weil hätte das Regime von seiner Verletzung erfahren, hätte er aufgrund deren Angst, dass er ein Land erreiche und erzähle wie er verletzt worden sei, nicht ausreisen dürfen. Er sei dann von Deir Ezzor nach XXXX mit einem Schlepper gefahren. Seine Eltern hätten ihn begleitet und seien mit ihm fünf bis sechs Monate in XXXX geblieben. Danach seien seine Eltern wegen fehlender Arbeit nach Deir Ezzor gezogen und dortgeblieben. Der Beschwerdeführer habe dann bei seinen Großeltern gewohnt. Als seine Großmutter verstorben sei, habe er entschlossen das Land zu verlassen. Er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Er habe auch Angst vor dem syrischen Regime, weil ihm dieses aufgrund seiner Verletzung unterstelle gegen das Regime gekämpft zu haben. Er werde deswegen verhaftet und erschossen. 4. Am 13.04.2023 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) statt. Der Beschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er mit seiner Mutter in Deir Ezzor zu Besuch bei seiner Schwester gewesen sei. Er habe dort in einer Gasse mit anderen Kindern gespielt als plötzlich eine Bombe explodiert sei. Er sei ohnmächtig geworden und habe keine Hand mehr gehabt. Er sei in ein Spital bzw. einen Keller gebracht und dort behandelt und mehrfach operiert worden Er habe Deir Ezzor verlassen müssen, weil hätte das Regime von seiner Verletzung erfahren, hätte er aufgrund deren Angst, dass er ein Land erreiche und erzähle wie er verletzt worden sei, nicht ausreisen dürfen. Er sei dann von Deir Ezzor nach römisch XXXX mit einem Schlepper gefahren. Seine Eltern hätten ihn begleitet und seien mit ihm fünf bis sechs Monate in römisch XXXX geblieben. Danach seien seine Eltern wegen fehlender Arbeit nach Deir Ezzor gezogen und dortgeblieben. Der Beschwerdeführer habe dann bei seinen Großeltern gewohnt. Als seine Großmutter verstorben sei, habe er entschlossen das Land zu verlassen. Er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Er habe auch Angst vor dem syrischen Regime, weil ihm dieses aufgrund seiner Verletzung unterstelle gegen das Regime gekämpft zu haben. Er werde deswegen verhaftet und erschossen.
5. Mit Schreiben vom 03.05.2023 brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner Vertretung eine Stellungnahme zu den Länderinformationen des Bundesamtes ein.
6. Mit gegenständlichem Bescheid vom 02.08.2023 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). 6. Mit gegenständlichem Bescheid vom 02.08.2023 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer keine gegen seine Person gerichtete Verfolgung oder wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aufgrund eines oder mehrerer Konventionsgründe glaubhaft gemacht hat. Beim Beschwerdeführer handele es sich um einen XXXX -jährigen Jugendlichen, der nie einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt gewesen sei bzw. dem aktuell nicht die Einberufung zum Wehrdienst der syrischen Armee oder bei den kurdischen Einheiten drohe. Es würden auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er allein aufgrund der Tatsache, dass er illegal ausgereist sei bzw. einen Asylantrag in Österreich gestellt habe, einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Auch darüber hinaus lägen keine Anhaltspunkte für eine Asylgewährung vor.Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer keine gegen seine Person gerichtete Verfolgung oder wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aufgrund eines oder mehrerer Konventionsgründe glaubhaft gemacht hat. Beim Beschwerdeführer handele es sich um einen römisch XXXX -jährigen Jugendlichen, der nie einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt gewesen sei bzw. dem aktuell nicht die Einberufung zum Wehrdienst der syrischen Armee oder bei den kurdischen Einheiten drohe. Es würden auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er allein aufgrund der Tatsache, dass er illegal ausgereist sei bzw. einen Asylantrag in Österreich gestellt habe, einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Auch darüber hinaus lägen keine Anhaltspunkte für eine Asylgewährung vor.
7. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass es das Bundesamt verabsäumt habe aufgrund der besonderen altersbedingten Vulnerabilität und Abhängigkeit von Amts wegen ein weites Spektrum potentieller Bedrohungsszenarien zu erheben und zu würdigen. Darüber hinaus sei entgegen der Ansicht des Bundesamtes eine zukunftsorientierte Prognose-entscheidung zu treffen, die sich mit der jeweiligen Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu befassen habe. Außerdem habe das Bundesamt das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Verfolgungsgefahr aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familie“ vollständig ignoriert bzw. sich mit dem Umstand, dass der Bruder des Beschwerdeführers vor seiner Einziehung zum Militärdienst in die Türkei geflüchtet sei, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Der XXXX -jährige Beschwerdeführer habe bei einer Rückkehr in seine Heimat zu befürchten, dass er vom syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen werde, wobei er jedoch nicht kämpfen und in völkerrechtswidrigen Militäraktionen töten wolle. Ebenso fürchte er unverhältnismäßige Konsequenzen seitens des syrischen Regimes aufgrund seiner illegalen Ausreise bzw. seinem Fernbleiben von den vorbereitenden Maßnahmen für den Wehrdienst. Die syrische Regierung sehe Wehrdienstverweigerung als politischen Dissens an und dem Beschwerdeführer würden unverhältnismäßige Sanktionen, wie Folter oder unverhältnismäßige Gefängnisstrafen, drohen. In Zusammenschau seiner Herkunft aus der von den Kurden regierten Region sowie seiner zahlreichen Verletzungen aufgrund eines Bombeneinschlags, sei zu berücksichtigen, dass er dem Vorwurf seitens des syrischen Regimes ausgesetzt sein werde, dass er gegen diese gekämpft habe und ihm auch dahingehend eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. 7. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass es das Bundesamt verabsäumt habe aufgrund der besonderen altersbedingten Vulnerabilität und Abhängigkeit von Amts wegen ein weites Spektrum potentieller Bedrohungsszenarien zu erheben und zu würdigen. Darüber hinaus sei entgegen der Ansicht des Bundesamtes eine zukunftsorientierte Prognose-entscheidung zu treffen, die sich mit der jeweiligen Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu befassen habe. Außerdem habe das Bundesamt das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Verfolgungsgefahr aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familie“ vollständig ignoriert bzw. sich mit dem Umstand, dass der Bruder des Beschwerdeführers vor seiner Einziehung zum Militärdienst in die Türkei geflüchtet sei, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Der römisch XXXX -jährige Beschwerdeführer habe bei einer Rückkehr in seine Heimat zu befürchten, dass er vom syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen werde, wobei er jedoch nicht kämpfen und in völkerrechtswidrigen Militäraktionen töten wolle. Ebenso fürchte er unverhältnismäßige Konsequenzen seitens des syrischen Regimes aufgrund seiner illegalen Ausreise bzw. seinem Fernbleiben von den vorbereitenden Maßnahmen für den Wehrdienst. Die syrische Regierung sehe Wehrdienstverweigerung als politischen Dissens an und dem Beschwerdeführer würden unverhältnismäßige Sanktionen, wie Folter oder unverhältnismäßige Gefängnisstrafen, drohen. In Zusammenschau seiner Herkunft aus der von den Kurden regierten Region sowie seiner zahlreichen Verletzungen aufgrund eines Bombeneinschlags, sei zu berücksichtigen, dass er dem Vorwurf seitens des syrischen Regimes ausgesetzt sein werde, dass er gegen diese gekämpft habe und ihm auch dahingehend eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde.
8. Am 07.03.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seiner Lebenssituation in Syrien und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 39 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG für geschlossen erklärt.8. Am 07.03.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seiner Lebenssituation in Syrien und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß Paragraph 39, Absatz 3, AVG in Verbindung mit Paragraph 17, VwGVG für geschlossen erklärt.
9. Mit Beschluss vom 19.03.2024 wurde das Ermittlungsverfahren von Amts wegen fortgesetzt und gleichzeitig dem Beschwerdeführer das aktualisierte Länderinformationsblatt zu Syrien, Version 10 vom 14.03.2024, übermittelt und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
10. Mit Parteiengehör vom 03.04.2024 wurde dem Beschwerdeführer das erneut aktualisierte Länderinformationsblatt zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, zur Stellungnahme übermittelt.
11. Mit Schreiben vom 12.04.2024 wurde auf die Abgabe einer Stellungnahme und Erörterung der Länderberichte im Rahmen einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch.
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX (alternative Schreibweise: XXXX ), im Gouvernement Deir Ezzor, geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat keine Schule besucht und verfügt über keine Berufsausbildung. Die Eltern des Beschwerdeführers sind als er zirka neun Jahre alt war aus wirtschaftlichen Gründen in die Stadt Deir Ezzor gezogen. Der Beschwerdeführer hat sodann bei seiner Großmutter in XXXX gelebt. Er hat dort gearbeitet und reiste im Alter von zirka XXXX Jahren aus Syrien illegal in die Türkei.1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf römisch XXXX (alternative Schreibweise: römisch XXXX ), im Gouvernement Deir Ezzor, geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat keine Schule besucht und verfügt über keine Berufsausbildung. Die Eltern des Beschwerdeführers sind als er zirka neun Jahre alt war aus wirtschaftlichen Gründen in die Stadt Deir Ezzor gezogen. Der Beschwerdeführer hat sodann bei seiner Großmutter in römisch XXXX gelebt. Er hat dort gearbeitet und reiste im Alter von zirka römisch XXXX Jahren aus Syrien illegal in die Türkei.
1.1.3. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Die Eltern sowie zwei Brüder und drei Schwestern des Beschwerdeführers leben in der Stadt Deir Ezzor, welche unter Kontrolle des syrischen Regimes steht. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in Österreich, ein Bruder ist in Serbien aufhältig und eine Schwester des Beschwerdeführers befindet sich in Deutschland. Seine Großeltern väterlicherseits sind verstorben, die Großeltern mütterlicherseits des Beschwerdeführers leben ebenso in der Stadt Deir Ezzor. Der Beschwerdeführer hat Tanten und Onkel in der Stadt Deir Ezzor. Eine Tante mütterlicherseits lebt in Damaskus. Zu seinen Eltern hat der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt.
1.1.4. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers ( XXXX ) wird von den kurdisch dominierten syrischen demokratischen Kräften (SDF) und ihren Verbündeten (Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien – Autonomous Administration of North and East Syria; in Folge: AANES oder kurdische Kräfte) kontrolliert.1.1.4. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers ( römisch XXXX ) wird von den kurdisch dominierten syrischen demokratischen Kräften (SDF) und ihren Verbündeten (Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien – Autonomous Administration of North and East Syria; in Folge: AANES oder kurdische Kräfte) kontrolliert.
Dem Beschwerdeführer ist es möglich, seinen Herkunftsort ohne Kontakt zum syrischen Regime oder anderen Milizen wie der SNA/FSA oder HTS über den von kurdischen Kräften kontrollierten Grenzübergang Semalka-Fishkhabour zu erreichen.
1.1.5. Dem Beschwerdeführer wurde im Alter von acht oder neun Jahren in Syrien bei einer Explosion XXXX . In Österreich befindet er sich in Abklärung einer Prothesenversorgung. Er weist auch eine XXXX sowie eine XXXX auf. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.1.1.5. Dem Beschwerdeführer wurde im Alter von acht oder neun Jahren in Syrien bei einer Explosion römisch XXXX . In Österreich befindet er sich in Abklärung einer Prothesenversorgung. Er weist auch eine römisch XXXX sowie eine römisch XXXX auf. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.
1.1.6. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Ihm kommt in Österreich eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer geriet aufgrund seiner Verletzung ( XXXX ) nicht in das Blickfeld des syrischen Regimes und wird von diesem auch nicht gesucht. Ihm wird vom syrischen Regime nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Verletzung eine Kampfbeteiligung für die kurdischen Kräfte und/oder eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsort droht dem Beschwerdeführer deshalb individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch das syrische Regime.1.2.1. Der Beschwerdeführer geriet aufgrund seiner Verletzung ( römisch XXXX ) nicht in das Blickfeld des syrischen Regimes und wird von diesem auch nicht gesucht. Ihm wird vom syrischen Regime nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Verletzung eine Kampfbeteiligung für die kurdischen Kräfte und/oder eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsort droht dem Beschwerdeführer deshalb individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch das syrische Regime.
1.2.2. Der im Entscheidungszeitpunkt XXXX -jährige Beschwerdeführer hat den Wehrdienst beim syrischen Militär noch nicht abgeleistet. Er verfügt über kein Militärbuch und hat keinen Einberufungsbefehl des syrischen Regimes erhalten. Beim Beschwerdeführer liegt aufgrund seiner Verletzung ein Ausnahmegrund für die Ableistung des Militärdienstes vor. Eine Einziehung zum Militärdienst durch das syrische Regime droht ihm nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. 1.2.2. Der im Entscheidungszeitpunkt römisch XXXX -jährige Beschwerdeführer hat den Wehrdienst beim syrischen Militär noch nicht abgeleistet. Er verfügt über kein Militärbuch und hat keinen Einberufungsbefehl des syrischen Regimes erhalten. Beim Beschwerdeführer liegt aufgrund seiner Verletzung ein Ausnahmegrund für die Ableistung des Militärdienstes vor. Eine Einziehung zum Militärdienst durch das syrische Regime droht ihm nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.
Der Beschwerdeführer weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf. Das syrische Regime sieht Wehrdienstverweigerung nicht automatisch als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung und unterstellt nicht sämtlichen Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, eine oppositionelle politische Gesinnung. Auch dem Beschwerdeführer wird seitens des syrischen Regimes nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Zudem befindet sich sein Herkunftsort unter der Kontrolle der SDF. Das syrische Regime hat keinen Zugriff auf die von der SDF kontrollierte Heimatregion des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer läuft bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr zum Wehrdienst in der syrischen Armee einberufen oder aufgrund einer etwaigen Verweigerung der Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee relevanten Repressalien ausgesetzt zu sein.
1.2.3. Der Beschwerdeführer hat den Militärdienst für die Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (in Folge: Selbstverteidigungspflicht bzw. -dienst) nicht abgeleistet. Beim Beschwerdeführer liegt aufgrund seiner Verletzung ein Ausnahmegrund für die Ableistung der Selbstverteidigungspflicht vor. Der Beschwerdeführer läuft bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr zum Selbstverteidigungsdienst einberufen zu werden.
Der Beschwerdeführer weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die kurdischen Kräfte oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf. Die SDF sieht Wehrdienstverweigerung nicht automatisch als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung und unterstellt nicht sämtlichen Personen, die sich dem Selbstverteidigungsdienst entziehen, eine oppositionelle politische Gesinnung. Auch dem Beschwerdeführer wird seitens der SDF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Im Falle der Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer keine Lebensgefahr und kein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die kurdischen Kräfte.
1.2.4. Dem Beschwerdeführer droht auch weder Zwangsrekrutierung noch Lebensgefahr oder ein Eingriff in die körperliche Integrität durch andere Milizen (FSA/SNA oder HTS).
1.2.5. Dem in Österreich lebenden Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 01.02.2022, Zl. XXXX , wegen der Entziehung vor der Einberufung zum syrischen Militärdienst, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Der Bruder des Beschwerdeführers XXXX hat den syrischen Wehrdienst ebenso nicht abgeleistet und Syrien verlassen. 1.2.5. Dem in Österreich lebenden Bruder des Beschwerdeführers, römisch XXXX , wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 01.02.2022, Zl. römisch XXXX , wegen der Entziehung vor der Einberufung zum syrischen Militärdienst, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Der Bruder des Beschwerdeführers römisch XXXX hat den syrischen Wehrdienst ebenso nicht abgeleistet und Syrien verlassen.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seinem Herkunftsort in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität aufgrund der Wehrdienstverweigerung und/oder Asylgewährung betreffend seine Brüder.
Dem Beschwerdeführer droht in Syrien auch keine Reflexverfolgung aufgrund seiner Familienzugehörigkeit zu seinen verstorbenen Onkel.
1.2.6. Der Beschwerdeführer hatte in Syrien keine Probleme mit staatlichen Stellen, war und ist nicht politisch tätig und hat an keinen Demonstrationen teilgenommen. Er ist nicht ins Blickfeld des syrischen Regimes geraten.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht wegen seiner illegalen Ausreise, Abstammung aus einem oppositionellen Gebiet und/oder der Asylantragstellung in Österreich Verfolgung durch das syrische Regime.
1.2.7. Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr nach Syrien aufgrund seiner Minderjährigkeit weder Zwangsrekrutierung noch Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die aktuellen UNHCR Richtlinien sowie die aktuellen EUAA Country Guidance und EUAA Reports werden der Entscheidung zu Grunde gelegt. Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren weiters auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsbericht der Staatendokumentation zu Syrien, Version 9 vom 17.07.2023 (LIB Version 9; Beilage ./2)
- UNHCR: Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021 (UNHCR; Beilage ./3)
- EUAA: Country Guidance Syria, Februar 2023 (EUAA; Beilage ./4)
- DIS: COI Brief Report Syria – Treatment upon return May 2022 (DIS; Beilage ./5)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.10.2022 zu SYRIEN: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung (AB Wehrpflicht außerhalb Regierungskontrolle; Beilage ./6)
- ACCORD Anfragebeantwortung vom 06.09.2023 zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188-v2] (AB Konsequenzen Selbstverteidigungspflicht; Beilage ./7)
- Bericht des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), “HUMANITARIAN UPDATE” Issue 13 / June 2023 (Beilage ./8) - Bericht des UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), “HUMANITARIAN UPDATE” Issue 13 / June 2023 (Beilage ./8)
- ACCORD Anfragebeantwortung vom 05.05.2022 zu Syrien: Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Einsatz von Wehrpflichtigen mit starker Sehschwäche (AB Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Beilage ./9)
- ACCORD Anfragebeantwortung vom 09.07.2021 zu Syrien: Provinz Ar-Raqqa: Wehrdienst Möglichkeit der Freistellung, Aufschub, Freikauf (AB Selbstverteidigungspflicht; Beilage ./10)
- ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2023 zu Syrien: Zwangsrekrutierung von Kindern und der Einsatz von KindersoldatInnen in der Autonomieverwaltung von Nordostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) (AB Zwangsrekrutierung von Kindern; Beilage ./11)
- Themenbericht der Staatendokumentation zu Syrien – Grenzübergänge, Version 1 vom 25.10.2023 (TB; Beilage ./12)
- ACCORD Anfragebeantwortung vom 27.01.2023 zu SYRIEN: Reisepässe der syrischen Regierung für Männer im wehrdienstfähigen Alter; mögliches Sicherheitsrisiko für diese Personengruppen, im Ausland (insbesondere in der Türkei) einen Reisepass zu beantragen [a 12067 1] (AB Reisepässe; Beilage ./13)
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.12.2022 zu SYRIEN: Reisedokumente für syrische Staatsangehörige (AB Reisedokumente; Beilage ./14)
- Länderinformationsbericht der Staatendokumentation zu Syrien, Version 10 vom 14.03.2024 (LIB Version 10)
- Länderinformationsbericht der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024 (LIB)
1.3.1. Politische Lage
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (LIB, S. 3).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen. Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (LIB, S. 3 f).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen. In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen. Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (LIB, S. 4).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert. Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht. Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen. Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (LIB, S. 4 f).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten. Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war. Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon, Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft. Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren. Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (LIB, S. 5).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (LIB, S. 5).
Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen (LIB, S. 40)
Syrische Arabische Republik
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten. Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt. In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (LIB, S. 6 f).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige. Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten. Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v. a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (LIB, S. 7).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt. Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (LIB, S. 7).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (LIB, S. 7).
Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (LIB, S. 12).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF). Die von den USA unterstützten SDF sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen, in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist. Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben. Im März 2018 übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe. Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (LIB, S. 12 f).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben. Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an. Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen. Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren. Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung. Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen. Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet. Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (LIB, S. 13).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden. Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht. Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten, und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen. Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen. Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (LIB, S. 13 f).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (LIB, S. 14).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an. Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Arme