Entscheidungsdatum
21.03.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W606 2278634-1/8E
W606 2278636-1/8E
W606 2278637-1/8E
W606 2278639-1/8E
W606 2278640-1/8E
W606 2278641-1/8E
Schriftliche Ausfertigung des am XXXX mündlich verkündeten ErkenntnissesSchriftliche Ausfertigung des am römisch XXXX mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Thomas ZINIEL, LL.M., BSc über die Beschwerde 1. des XXXX , geb. XXXX , 2. der XXXX , geb. XXXX , 3. der mj. XXXX , geb. XXXX , 4. der mj. XXXX , geb. XXXX , 5. des mj. XXXX , geb. XXXX , und 6. des mj. XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Syrien, die Minderjährigen vertreten durch XXXX , diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX , 5. XXXX und 6. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Thomas ZINIEL, LL.M., BSc über die Beschwerde 1. des römisch XXXX , geb. römisch XXXX , 2. der römisch XXXX , geb. römisch XXXX , 3. der mj. römisch XXXX , geb. römisch XXXX , 4. der mj. römisch XXXX , geb. römisch XXXX , 5. des mj. römisch XXXX , geb. römisch XXXX , und 6. des mj. römisch XXXX , geb. römisch XXXX , alle Staatsangehörigkeit Syrien, die Minderjährigen vertreten durch römisch XXXX , diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch XXXX , Zlen. 1. römisch XXXX , 2. römisch XXXX , 3. römisch XXXX , 4. römisch XXXX , 5. römisch XXXX und 6. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch XXXX zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Der Beschwerde wird stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang: römisch eins. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: BF1) XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: BF2) die minderjährige XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: BF3) die minderjährige XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: BF4), der minderjährige XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: BF5) und der minderjährige XXXX , geboren am XXXX (im Folgenden: BF6; alle: BF) sind syrische Staatsangehörige, Araber und sunnitische Moslems; sie sprechen Arabisch als Muttersprache. Sie stellten am XXXX (BF1 bis BF5) bzw. am XXXX (BF6) Anträge auf internationalen Schutz, die mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurden. Ihnen wurde jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.1. römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: BF1) römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: BF2) die minderjährige römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: BF3) die minderjährige römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: BF4), der minderjährige römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: BF5) und der minderjährige römisch XXXX , geboren am römisch XXXX (im Folgenden: BF6; alle: BF) sind syrische Staatsangehörige, Araber und sunnitische Moslems; sie sprechen Arabisch als Muttersprache. Sie stellten am römisch XXXX (BF1 bis BF5) bzw. am römisch XXXX (BF6) Anträge auf internationalen Schutz, die mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurden. Ihnen wurde jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gaben der BF1 und die BF2 jeweils an, Syrien im August 2022 illegal verlassen zu haben. Der BF1 gab an, zum syrischen Militär einberufen worden zu sein. Er wolle sich nicht am Krieg beteiligen. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Krieg. Die BF2 brachte vor, dass ihr Ehemann – der BF1 – zum syrischen Militär einberufen worden sei. Da er dies verweigere, werde er verfolgt. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe sie Angst um sich und ihre Familie. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am römisch XXXX gaben der BF1 und die BF2 jeweils an, Syrien im August 2022 illegal verlassen zu haben. Der BF1 gab an, zum syrischen Militär einberufen worden zu sein. Er wolle sich nicht am Krieg beteiligen. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte er den Krieg. Die BF2 brachte vor, dass ihr Ehemann – der BF1 – zum syrischen Militär einberufen worden sei. Da er dies verweigere, werde er verfolgt. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe sie Angst um sich und ihre Familie. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
3. Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahmen durch das BFA jeweils am XXXX legten der BF1 und die BF2 verschiedene Dokumente, darunter ihre – in weiterer Folge überprüften – syrischen Personalausweise, vor.3. Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahmen durch das BFA jeweils am römisch XXXX legten der BF1 und die BF2 verschiedene Dokumente, darunter ihre – in weiterer Folge überprüften – syrischen Personalausweise, vor.
Zu seinem Fluchtgrund führte der BF1 zusammengefasst aus, dass der Hauptgrund, warum er Syrien verlassen habe, sei, weil er vom syrischen Militär gesucht werde. Damals habe er seinen Heimatort XXXX verlassen, weil es vom Regime kontrolliert worden sei, und sei ins Kurdengebiet gegangen. Nach kurzer Zeit hätten die Kurden auch begonnen zwangszurekrutieren. Deswegen seien sie in ein FSA-Gebiet gegangen, wo es jedoch keine Sicherheit und keine Arbeit und keine Zukunft gebe. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde er festgenommen werden aufgrund des Festnahmeauftrages und er müsse zum Militär. Die BF2 gab an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben; auch ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.Zu seinem Fluchtgrund führte der BF1 zusammengefasst aus, dass der Hauptgrund, warum er Syrien verlassen habe, sei, weil er vom syrischen Militär gesucht werde. Damals habe er seinen Heimatort römisch XXXX verlassen, weil es vom Regime kontrolliert worden sei, und sei ins Kurdengebiet gegangen. Nach kurzer Zeit hätten die Kurden auch begonnen zwangszurekrutieren. Deswegen seien sie in ein FSA-Gebiet gegangen, wo es jedoch keine Sicherheit und keine Arbeit und keine Zukunft gebe. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde er festgenommen werden aufgrund des Festnahmeauftrages und er müsse zum Militär. Die BF2 gab an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben; auch ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
4. Mit den angefochtenen Bescheiden vom XXXX wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).4. Mit den angefochtenen Bescheiden vom römisch XXXX wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde den BF jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihnen gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen jeweils aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einer individuellen konkret gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung staatlicherseits oder durch Private ausgesetzt wären.
5. Gegen Spruchpunkt I. der Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde darin zusammengefasst ausgeführt, dass der BF1 es ablehne, für jegliche Streitkraft in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Bei einer Weigerung, den Militärdienst zu leisten, müsse der BF1 mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen.5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. der Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde darin zusammengefasst ausgeführt, dass der BF1 es ablehne, für jegliche Streitkraft in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Bei einer Weigerung, den Militärdienst zu leisten, müsse der BF1 mit einer Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung und folglich mit unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen.
6. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten des BFA langten am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.6. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten des BFA langten am römisch XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine gemeinsame öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache statt, bei der der BF1 und die BF2 im Beisein ihrer Rechtsvertretung einvernommen wurden. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Es wurde ein Erkenntnis mündlich verkündet.7. Am römisch XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine gemeinsame öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache statt, bei der der BF1 und die BF2 im Beisein ihrer Rechtsvertretung einvernommen wurden. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Es wurde ein Erkenntnis mündlich verkündet.
8. Am XXXX beantragte das BFA gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.8. Am römisch XXXX beantragte das BFA gemäß Paragraph 29, Absatz 4, VwGVG die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den BF:
1.1.1. Der BF1 ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und sunnitischer Moslem. Seine Identität steht fest. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist gesund.
Der BF1 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Gegen ihn ist kein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten anhängig.
1.1.2. Der BF1 ist in XXXX aufgewachsen und hat bis Ende 2017 dort gelebt. Bis 2019 lebte er in XXXX . Von 2019 bis zu seiner Ausreise aus Syrien lebte er in XXXX . Er hat die stärksten familiären, sozialen und emotionalen Bindungen an XXXX . Die Umgebung von XXXX ist seine Heimatregion.1.1.2. Der BF1 ist in römisch XXXX aufgewachsen und hat bis Ende 2017 dort gelebt. Bis 2019 lebte er in römisch XXXX . Von 2019 bis zu seiner Ausreise aus Syrien lebte er in römisch XXXX . Er hat die stärksten familiären, sozialen und emotionalen Bindungen an römisch XXXX . Die Umgebung von römisch XXXX ist seine Heimatregion.
Die Umgebung von XXXX befindet sich derzeit unter Kontrolle der syrischen Regierung.Die Umgebung von römisch XXXX befindet sich derzeit unter Kontrolle der syrischen Regierung.
1.1.3. 2022 reisten die BF1 bis BF5 – illegal – aus Syrien aus. In weiterer Folge reisten sie nach Österreich, wo sie am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Sie suchten in keinem anderen Land um Asyl an.1.1.3. 2022 reisten die BF1 bis BF5 – illegal – aus Syrien aus. In weiterer Folge reisten sie nach Österreich, wo sie am römisch XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Sie suchten in keinem anderen Land um Asyl an.
Der BF6 ist während des laufenden Asylverfahrens in Österreich geboren; er stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.Der BF6 ist während des laufenden Asylverfahrens in Österreich geboren; er stellte am römisch XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.
1.1.4. Die BF2 ist die Ehefrau des BF1. Die Ehe des BF1 und der BF2 hat bereits vor deren Einreise in Österreich bestanden.
Die BF2 ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.1.5. Der BF3 bis BF6 sind – und waren dies zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz – die minderjährigen ledigen Kinder des BF1 und der BF2.
Der BF3 bis BF6 sind in Österreich nicht strafmündig.
1.2. Zu den Fluchtgründen und zur Gefährdung bei einer Rückkehr nach Syrien:
1.2.1. Der BF1 hat seinen Wehrdienst in Syrien nicht abgeleistet. Er ist zum Entscheidungszeitpunkt in Syrien wehrdienstpflichtig. Er kann sich gegen die Entrichtung einer Gebühr nicht wirksam vom Militärdienst freikaufen.
1.2.2. Der BF1 lehnt es aus Gewissensgründen und aufgrund seiner politischen Gesinnung ab, im derzeitigen Konflikt in Syrien an Kampfhandlungen teilzunehmen. Im Zusammenhang damit wird ihm von der syrischen Regierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.
1.2.3. Bei einer Rückkehr in seine Heimatregion besteht für den BF1 aktuell die Gefahr, bereits am Flughafen oder an einem Grenzkontrollposten bzw. Checkpoint aufgegriffen und als wehrdienstpflichtiger Mann zum Wehrdienst zwangsrekrutiert bzw. wegen Wehrdienstverweigerung mit einer Gefängnisstrafe bestraft zu werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
1.2.4. Bei – zwangsweiser – Ableistung des Wehrdienstes wäre der BF1 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen, wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung, gezwungen. Der BF1 lehnt es ab, sich an Kriegsverbrechen zu beteiligen.
1.2.5. Die BF2 und die BF3 bis BF6 haben keine eigenen Fluchtgründe.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Gesamtaktualisierung vom 17.07.2023 (Version 9):
„[…] Politische Lage
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung: 10.07.2023
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das "Volksrat" genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba'ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).
Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fung