RS Vfgh 2024/6/25 G29/2024 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 25.06.2024
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
StGG Art2
ABGB §1159 Abs1, §1159 Abs2, §1159 Abs3, §1159 Abs4
ArbVG §53
VfGG §7 Abs2
  1. B-VG Art. 7 heute
  2. B-VG Art. 7 gültig ab 01.08.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.2004 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 7 gültig von 16.05.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/1998
  5. B-VG Art. 7 gültig von 14.08.1997 bis 15.05.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  6. B-VG Art. 7 gültig von 01.07.1988 bis 13.08.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  7. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.1975 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  8. B-VG Art. 7 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 7 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 18 heute
  2. B-VG Art. 18 gültig ab 01.07.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  5. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  6. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  7. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  8. B-VG Art. 18 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 18 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. ABGB § 1159 heute
  2. ABGB § 1159 gültig ab 01.10.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 153/2017
  3. ABGB § 1159 gültig von 01.01.1917 bis 30.09.2021 zuletzt geändert durch RGBl. Nr. 69/1916
  1. ArbVG § 53 heute
  2. ArbVG § 53 gültig ab 01.01.2011 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2010
  3. ArbVG § 53 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2010 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009
  4. ArbVG § 53 gültig von 14.01.2006 bis 31.12.2009 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2006
  5. ArbVG § 53 gültig von 01.01.1994 bis 13.01.2006 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 460/1993
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot von Bestimmungen des ABGB betreffend abweichende Kündigungsfristen in kollektivvertraglichen Regelungen für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen; Heranziehung der Branche anstelle einzelner Betriebe liegt auf Grund einer Durchschnittsbetrachtung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die Anknüpfung an "Mehrheitsverhältnisse" bzw das "Überwiegen" von Saisonbetrieben innerhalb einer Branche zur Schaffung einheitlicher Kündigungs- und Entlassungsregelungen

Rechtssatz

Abweisung der Gerichtsanträge auf Aufhebung des §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB idF BGBl I 153/2017.Abweisung der Gerichtsanträge auf Aufhebung des §1159 Abs1 bis Abs4 ABGB in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 153 aus 2017,.

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot:

Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB in einer dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Kollektivvertragsparteien von §1159 Abs2 Satz 1 und 2 sowie Abs4 Satz 1 und Satz 2 ABGB abweichende Kündigungsregelungen festlegen dürfen. Dies kann für "Branchen" erfolgen, "in denen Saisonbetriebe iSd §53 Abs6 ArbVG, BGBl 22/1974 überwiegen".Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB in einer dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Kollektivvertragsparteien von §1159 Abs2 Satz 1 und 2 sowie Abs4 Satz 1 und Satz 2 ABGB abweichende Kündigungsregelungen festlegen dürfen. Dies kann für "Branchen" erfolgen, "in denen Saisonbetriebe iSd §53 Abs6 ArbVG, Bundesgesetzblatt 22 aus 1974, überwiegen".

Der OGH hatte bereits in zwei Entscheidungen die hier angefochtenen Bestimmungen anzuwenden und dabei insbesondere die Regelungen im Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 des §1159 ABGB auszulegen. Die in diesen Bestimmungen verwendeten Begriffe sind allgemein verständlich und - unter Heranziehung der Interpretationsmethoden - einer Auslegung zugänglich.

Soweit der OGH und das OLG Linz meinen, dass bei der Ermittlung der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrages) nicht genüge, weil das "Überwiegen von Saisonbetrieben" eine längere zeitliche Dimension erfordere und sich diese Voraussetzungen jederzeit - und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise - ändern könnten, erweist dies nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmungen. Dass sich faktische Umstände rechtserheblicher Akte ändern können und es damit im Zeitverlauf zu einer Rechtswidrigkeit oder einer Rechtmäßigkeit derselben kommen kann, widerspricht für sich genommen nicht verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere auch nicht dem Art18 B-VG. Es ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, anhand des §1159 ABGB die Kriterien zu entwickeln, unter welchen (zeitlichen) Voraussetzungen §1159 Abs2 Satz 3 und §1159 Abs4 Satz 3 ABGB anwendbar sind. Auch in dieser Hinsicht hat der OGH in seiner Entscheidung vom 24.03.2022, 9 Ob 116/21f, bereits wesentliche Ausführungen gemacht, nämlich dass es nicht auf ein punktuelles Überwiegen von Saisonbetrieben ankommen kann, "weil das Überwiegen von Saisonbetrieben auch eine gewisse längere zeitliche Dimension erfasst, um branchenkennzeichnend zu sein".

Zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell bedarf es der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials. Dass in dieser Hinsicht faktische Schwierigkeiten bestehen mögen, die Erfüllung der Voraussetzungen der Anwendbarkeit des §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB nachzuweisen, begründet nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Regelungen.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:

Dem Gesetzgeber steht bei der Regelung des Kündigungs- und Entlassungsschutzes von Verfassungs wegen ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, je nach Schutzgesichtspunkten unterschiedliche Regelungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorzusehen.

Der Gesetzgeber stellt in §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB auf eine Durchschnittsbetrachtung ("Überwiegen" von Saisonbetrieben) ab, indem er nicht den einzelnen Betrieb, sondern eine Branche in ihrer Gesamtheit heranzieht, der überwiegend Saisonbetriebe zugehören. Mit diesen Regelungen geht einerseits einher, dass die abweichenden Kündigungsregelungen auch für Betriebe gelten können, die keine Saisonbetriebe sind, aber zu einer Branche gehören, in der Saisonbetriebe überwiegen. Andererseits fallen Saisonbetriebe, die nicht zu einer Branche mit überwiegenden Saisonbetrieben gehören, nicht unter die (Ermächtigungs-)Regelungen gemäß §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB.

Diese gesetzlichen (Ermächtigungs-)Regelungen begegnen keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Es ist dem kollektiven Arbeitsrecht immanent (und vielfach gerade die Zielsetzung von Kollektivverträgen), innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch gleiche Bedingungen für alle Betriebe dieser Branche zu schaffen, mögen diese auch in Bezug auf ihre Struktur und sonstige Gesichtspunkte unterschiedlich sein. Diese Zielsetzung wird im kollektiven Arbeitsrecht durch die Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages verwirklicht.

Der Gesetzgeber knüpft gemäß §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB in einer gleichheitsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise an "Mehrheitsverhältnisse" für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungsermächtigungen ("Überwiegen" von Saisonbetrieben innerhalb einer Branche), weil durch das gesetzlich grundgelegte und durch Kollektivvertrag zu konkretisierende Regelungskonstrukt auf Grund der Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages einheitliche Kündigungsregelungen für im Wesentlichen gleichartige Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Das Anknüpfen an "Mehrheitsverhältnisse" im kollektiven Arbeitsrecht bringt mit sich, dass sämtliche vom Geltungsbereich eines Kollektivvertrages erfasste Betriebe die Vorteile oder Nachteile einer auf eine Durchschnittsbetrachtung abstellenden Regelung des kollektiven Arbeitsrechts für bzw gegen sich gelten lassen können bzw müssen. Da nach Auffassung des VfGH die Zielsetzungen des Gesetzgebers im kollektiven Arbeitsrecht, nämlich für die zu einer Branche gehörenden Betriebe (dh innerhalb des Geltungsbereiches eines Kollektivvertrages) einheitliche Mindestbedingungen zu erreichen, grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, sind auch die damit regelmäßig verbundenen unterschiedlichen Betroffenheiten für die Betriebe dieser Branche gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der VfGH kann dementsprechend angesichts der allgemeinen Zielsetzungen des kollektiven Arbeitsrechts nicht finden, dass §1159 Abs2 Satz 3 und Abs4 Satz 3 ABGB dem Gleichheitsgrundsatz widerspräche. Ziel dieser (Ausnahme- bzw Zulassungs-)Bestimmungen ist, den besonderen wirtschaftlichen Gegebenheiten, die überwiegend branchenkennzeichnend sind, in den bezeichneten Branchen durch die Ermöglichung abweichender Kündigungsregelungen Rechnung zu tragen.

Entscheidungstexte

  • G29/2024 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 25.06.2024 G29/2024 ua

Schlagworte

Arbeitsrecht, Kündigungs- und Entlassungsschutz, Determinierungsgebot, Rechtsbegriffe unbestimmte, Auslegung verfassungskonforme, Rechtsstaatsprinzip, Legalitätsprinzip, Arbeitnehmerschutz, Rechtspolitik, VfGH / Gerichtsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2024:G29.2024

Zuletzt aktualisiert am

08.07.2024
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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