Entscheidungsdatum
02.05.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W151 2281074-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 13.10.2023, Zl. 1320262608-222575589 wegen § 3 AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. am römisch XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 13.10.2023, Zl. 1320262608-222575589 wegen Paragraph 3, AsylG 2005 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.römisch eins. Der Beschwerde wird stattgegeben und römisch XXXX , geb. römisch XXXX , gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geb. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch XXXX , geb. römisch XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 20.08.2022 fand eine Erstbefragung durch Organwalter der Polizeiinspektion Zell am Ziller statt.
2. Am 11.10.2023 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Die belangte Behörde beurteilte das Vorbringen des BF, dass ihm die Einziehung zum Wehrdienst der syrischen Armee drohe, als zu vage um Asylrelevanz zu begründen. Die belangte Behörde führte dazu aus, der BF habe niemals ein Militärbuch erhalten und das Regime habe keine Kontrolle über die Heimatregion des BF und damit keine Zugriffsmöglichkeiten auf diesen. Auch lebe seine Familie weiterhin unbehelligt in Syrien. Dem BF drohe keine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsland Syrien.
4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde, die im Wesentlichen darauf gestützt wurde, dass der BF im Falle einer Rückkehr der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime und der HTS ausgesetzt sei. Auch werde ihm aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung, seiner Herkunft aus einem oppositionellem Gebiet, seiner illegalen Ausreise und der Asylantragstellung in Österreich eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt und er daher vom syrischen Regime verfolgt. 4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides erhob der BF fristgerecht Beschwerde, die im Wesentlichen darauf gestützt wurde, dass der BF im Falle einer Rückkehr der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime und der HTS ausgesetzt sei. Auch werde ihm aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung, seiner Herkunft aus einem oppositionellem Gebiet, seiner illegalen Ausreise und der Asylantragstellung in Österreich eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt und er daher vom syrischen Regime verfolgt.
5. Am 13.11.2023 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
6. Der BF brachte am 15.04.2024 eine Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.04.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und im Beisein der Rechtsvertretung des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch XXXX und das Geburtsdatum römisch XXXX . Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.
Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX (Anmerkung: Schreibweise in der mündlichen Verhandlung XXXX ) im Gouvernement Idlib, welches seinen Herkunftsort darstellt. XXXX liegt im Einfluss-und Kontrollbereich der Hay’at Tahrir ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra, HTS). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib werden von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf römisch XXXX (Anmerkung: Schreibweise in der mündlichen Verhandlung römisch XXXX ) im Gouvernement Idlib, welches seinen Herkunftsort darstellt. römisch XXXX liegt im Einfluss-und Kontrollbereich der Hay’at Tahrir ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra, HTS). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib werden von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert.
Im Sommer 2012 verließ der BF Syrien und reiste in die Türkei, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa im Jahr 2022 verblieb. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder, welche nach wie vor in der Türkei leben. Seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester leben in der Türkei. Ein Bruder und drei Schwestern sind in Syrien aufhältig.
Der BF hat sieben bis acht Jahre lang in Syrien die Schule besucht.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen:
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren.
Der BF unterliegt mit seinen im Entscheidungszeitpunkt XXXX Jahren der gesetzlichen Wehrpflicht. Er hat den Wehrdienst bisher nicht abgeleistet. Weil er schon mit ca. XXXX Jahren ausgereist ist, wurde der BF bisher noch nicht persönlich vom syrischen Regime kontaktiert und hat er auch noch kein Wehrdienstbuch erhalten. Grundsätzlich ist die Möglichkeit für Syrer mit Wohnsitz im Ausland vorgesehen, sich durch Zahlung einer Befreiungsgebühr vom Ableisten des Militärdienstes freizukaufen. Diese Möglichkeit besteht für den BF nicht, da er aktuell vermögenslos ist und den Betrag zur Leistung der Befreiungsgebühr nicht aufbringen kann. Der BF unterliegt mit seinen im Entscheidungszeitpunkt römisch XXXX Jahren der gesetzlichen Wehrpflicht. Er hat den Wehrdienst bisher nicht abgeleistet. Weil er schon mit ca. römisch XXXX Jahren ausgereist ist, wurde der BF bisher noch nicht persönlich vom syrischen Regime kontaktiert und hat er auch noch kein Wehrdienstbuch erhalten. Grundsätzlich ist die Möglichkeit für Syrer mit Wohnsitz im Ausland vorgesehen, sich durch Zahlung einer Befreiungsgebühr vom Ableisten des Militärdienstes freizukaufen. Diese Möglichkeit besteht für den BF nicht, da er aktuell vermögenslos ist und den Betrag zur Leistung der Befreiungsgebühr nicht aufbringen kann.
Mit der Verrichtung des Militärdienstes ist eine zwangsweise Beteiligung an Kriegshandlungen und völkerrechtswidrigen Angriffen verbunden, welche der Beschwerdeführer ablehnt. Rekruten können auch in gefährlichen Gebieten eingesetzt werden und Wehrpflichtige können bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet werden.
Das Haus der Familie des BF wurde im Jahr 2012 durch einen Luftangriff der syrischen Armee zerstört, wodurch der BF am Rücken verletzt und dessen Bruder getötet wurde. Daraufhin fasste der BF den Entschluss, seine Heimatregion und damit sein Heimatland zu verlassen
Der BF verweigert den Militärdienst unter dem syrischen Regime, da er nicht gegen seine Landsleute und nicht für das syrische Regime kämpfen will. Er gilt daher als Wehrdienstverweigerer. Die syrische Regierung betrachtet nach den Länderberichten Wehrdienstverweigerung als Nähe zur Opposition und als Ausdruck illoyalem Verhaltens. Auch die Ausreise des Beschwerdeführers und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes wird vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen. Zudem weist der BF auch eine oppositionelle politische Gesinnung auf, er lehnt das syrische Regime strikt ab und will aus Gewissensgründen nicht für dieses kämpfen. Er nahm in Österreich am 27.08.2023 und am 10.03.2024 an Demonstrationen gegen das syrische Regime teil.
Die Herkunftsregion des BF liegt zum Entscheidungszeitpunkt rund 20 Kilometer zur Frontlinie des Gebiets, welches von der syrischen Zentralregierung kontrolliert wird, und liegt damit in der stetig wechselnden Kampfzone. Zum Zeitpunkt der Ausreise des BF lag XXXX lediglich rund einen Kilometer von der Frontlinie entfernt. Es besteht einerseits die Gefahr, dass die Herkunftsregion wegen der sich stetig ändernden Frontlinie ins Einflussgebiet der syrischen Armee fällt; andererseits, dass der BF im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Rahmen einer Kontrolle, an einem Check-Point, im Rahmen eines Behördenkontakts oder bei einem Aufgriff der syrischen Armee im Kampfgebiet vom syrischen Regime zwangsrekrutiert wird. Im Falle einer Weigerung würde er zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre. Diese maßgeblich wahrscheinliche Verfolgung durch das syrische Regime ist asylrelevant.Die Herkunftsregion des BF liegt zum Entscheidungszeitpunkt rund 20 Kilometer zur Frontlinie des Gebiets, welches von der syrischen Zentralregierung kontrolliert wird, und liegt damit in der stetig wechselnden Kampfzone. Zum Zeitpunkt der Ausreise des BF lag römisch XXXX lediglich rund einen Kilometer von der Frontlinie entfernt. Es besteht einerseits die Gefahr, dass die Herkunftsregion wegen der sich stetig ändernden Frontlinie ins Einflussgebiet der syrischen Armee fällt; andererseits, dass der BF im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Rahmen einer Kontrolle, an einem Check-Point, im Rahmen eines Behördenkontakts oder bei einem Aufgriff der syrischen Armee im Kampfgebiet vom syrischen Regime zwangsrekrutiert wird. Im Falle einer Weigerung würde er zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre. Diese maßgeblich wahrscheinliche Verfolgung durch das syrische Regime ist asylrelevant.
Feststellungen zum weiteren Fluchtvorbringen des BF (illegale Ausreise aus Syrien, Asylantragstellung in Österreich, Verfolgung durch oppositionelle Gruppierungen) waren nicht zu treffen, da die soeben dargelegte Gefährdung für sich alleine ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft des BF zu begründen.
1.3. Zur Lage im Herkunftsland:
Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, Version 11 vom 24.03.2024 zugrunde gelegt:
„Politische Lage
Letzte Änderung 2024-03-08 10:59
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 Prozent des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).
Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023). In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).
Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen(AA 2.2.2024).
Regional positionierte sich das Regime seit Ausbruch der kriegerischen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas in und um Gaza seit dem 7.10.2023 öffentlich an der Seite der Palästinenser und kritisierte Israel, mit dem sich Syrien formell weiterhin im Kriegszustand befindet, scharf (AA 2.2.2024).
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Letzte Änderung 2023-07-11 09:24
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, s