Entscheidungsdatum
07.05.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W146 2277667-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2023, 1327590502/223131905, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2023, 1327590502/223131905, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang römisch eins. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer stellte am 05.10.2022 den dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich der Erstbefragung des Beschwerdeführers am 05.10.2022 gab er an, wegen des Krieges, der mangelnden Sicherheit und des Umstandes, dass er seine Familie in ein sicheres Land nachholen wolle, Syrien verlassen zu haben.
Am 27.07.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei gab er an, dass ein Bruder von ihm, welcher 2003 geboren sei, mit Asylstatus in Wien lebe. Der Beschwerdeführer sei im Dorf XXXX bei XXXX geboren. Der Beschwerdeführer habe 9 Jahre lang die Schule besucht, aber die 9. Klasse nicht abgeschlossen. Er habe zusammen mit seinem Vater als Landwirt gearbeitet. Die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers würden weiterhin in XXXX im eigenen Haus leben. Der Beschwerdeführer habe seinen Heimatort im August 2022 verlassen. Am 27.07.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei gab er an, dass ein Bruder von ihm, welcher 2003 geboren sei, mit Asylstatus in Wien lebe. Der Beschwerdeführer sei im Dorf römisch XXXX bei römisch XXXX geboren. Der Beschwerdeführer habe 9 Jahre lang die Schule besucht, aber die 9. Klasse nicht abgeschlossen. Er habe zusammen mit seinem Vater als Landwirt gearbeitet. Die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers würden weiterhin in römisch XXXX im eigenen Haus leben. Der Beschwerdeführer habe seinen Heimatort im August 2022 verlassen.
Der Beschwerdeführer habe Syrien wegen des Krieges und des Militärdienstes verlassen. Es habe nur noch ein Jahr gefehlt bis der Beschwerdeführer 18 Jahre alt geworden und zum Militärdienst einberufen worden wäre. Er habe keinen persönlichen Kontakt zur Armee gehabt. Derjenige, der zum Militärdienst einrücke, kehre nie wieder zurück. Der Beschwerdeführer sei keiner persönlichen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt gewesen. Die Familie des Beschwerdeführers sei sehr dafür gewesen, dass er das Land verlassen. Kinder würden entführt und würde Lösegeld von den Familien verlangt werden. Bei einer Rückkehr erwarte er, dass ihn die Armee gleich rekrutiere. Der Beschwerdeführer sei weder bei der Stellung gewesen noch habe er ein Wehrdienstbuch erhalten. Der Beschwerdeführer hoffe, dass er seine Familie mittels Familienzusammenführung nach Österreich holen könne.
In der anlässlich der Einvernahme abgegebenen Stellungnahme durch die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers wurde vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Zwangsrekrutierung drohe. Personen, die aus dem Ausland zurückkehren würden, hätten aufgrund ihrer vermeintlichen oppositionellen Haltung eine Verfolgung zu befürchten. Ebenso wäre der Beschwerdeführer wegen der Verwandtschaftsbeziehung zu seinem Bruder, der in Österreich aufhältig sei und sich dem syrischen Militärdienst entzogen habe, einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (III.).Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (römisch III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimisch.
Er sei gesund und leide an keiner schweren psychischen oder physischen Krankheit.
Die Angaben des Beschwerdeführers hätten sich rein auf kriegerische Zustände im Herkunftsstaat bezogen, was auch als glaubhaft erachtet werde. Der Beschwerdeführer sei auf Geheiß seiner Familie nach Österreich geschickt worden, um diese mittels Familienzusammenführung nachkommen zu lassen. Der Beschwerdeführer sei nicht politisch aktiv gewesen und habe nie einer politischen Partei angehört. Es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen einer ihm unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung eine Gefahr seitens des syrischen Regimes drohe, insbesondere auch nicht wegen seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung in Österreich. Es werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer kein Wehrdienstverweigerer sei. Dem Beschwerdeführer als 16-Jährigem drohe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aktuell nicht die konkrete Einberufung in den Militärdienst der Regierung.
Gegen Spruchpunkt I. dieses am 04.08.2023 rechtswirksam zugestellten Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche am 31.08.2023 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien vom syrischen Militär zwangsrekrutiert und zum Kämpfen gezwungen werde. Der Beschwerdeführer lehne es ab für jegliche Streitkraft in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Zudem befürchte er eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Antragstellung auf internationalen Schutz im Ausland. Er fürchte aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger von Personen, die als regierungsfeindlich wahrgenommen würden, vom syrischen Regime verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer befinde sich mit 16 Jahren in einem Alter in dem eine mögliche Zwangsrekrutierung ab Erreichen des 18. Lebensjahres - auch angesichts der bereits ein Jahr davor einsetzenden staatlichen Vorbereitungsmaßnahmen - nicht allein mit dem Hinweis darauf, dass er derzeit das wehrfähige Alter von 18 noch nicht erreicht habe, als Verfolgungsgefahr ausgeschlossen werden könne. Das Fluchtvorbringen des minderjährigen Beschwerdeführers weise eine ausreichende Dichte und Widerspruchsfreiheit auf, um zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu führen.Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses am 04.08.2023 rechtswirksam zugestellten Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche am 31.08.2023 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien vom syrischen Militär zwangsrekrutiert und zum Kämpfen gezwungen werde. Der Beschwerdeführer lehne es ab für jegliche Streitkraft in Syrien zu kämpfen und am Krieg teilzunehmen. Zudem befürchte er eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien und der Antragstellung auf internationalen Schutz im Ausland. Er fürchte aufgrund seiner Eigenschaft als Angehöriger von Personen, die als regierungsfeindlich wahrgenommen würden, vom syrischen Regime verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer befinde sich mit 16 Jahren in einem Alter in dem eine mögliche Zwangsrekrutierung ab Erreichen des 18. Lebensjahres - auch angesichts der bereits ein Jahr davor einsetzenden staatlichen Vorbereitungsmaßnahmen - nicht allein mit dem Hinweis darauf, dass er derzeit das wehrfähige Alter von 18 noch nicht erreicht habe, als Verfolgungsgefahr ausgeschlossen werden könne. Das Fluchtvorbringen des minderjährigen Beschwerdeführers weise eine ausreichende Dichte und Widerspruchsfreiheit auf, um zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu führen.
Am 16.04.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in der gegenständlichen Rechtssache im Beisein des Beschwerdeführers und des Jugendwohlfahrtsträgers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Anlässlich der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass das Original des Familienbuches sich in Syrien bei seiner Familie befinde. Die vorgelegte Kopie stamme von seinem Smartphone. Der Beschwerdeführer sei aus seinem Heimatort im Süden Syriens durch ganz Syrien gereist und sei direkt in die Türkei eingereist; er sei nicht über den Libanon in die Türkei gereist. Der Beschwerdeführer habe nie einen Reisepass oder ein Wehrdienstbuch besessen und war auch bei keiner Musterung. Es gebe keinen Einberufungsbefehl. Sein Bruder und sein Schwager seien wegen des drohenden Militärdienstes ausgereist. Das syrische Assad Regime habe die Kontrolle über seinen Heimatort. Auf Vorhalt, aus Sicht des Richters stelle sich der Fall so dar, dass sein Bruder bei der Gewährung des Asylstatus bereits volljährig war, weshalb die Familienzusammenführung nicht funktioniert habe und deswegen sei der minderjährige Beschwerdeführer nach Österreich geschickt worden, um die Familienzusammenführung zu bewerkstelligen, gab der Beschwerdeführer an, er sei wegen des Militärs und auch wegen der Familienzusammenführung ausgereist. Damit er einen Antrag auf Familienzusammenführung machen und seine Familie zu ihm nach Österreich nachholen könne. Die Frage, ob ihn die Familie nach Österreich zur Familienzusammenführung geschickt habe, bejahte der Beschwerdeführer und gab an, er wolle seine Familie in Österreich, weil in Syrien Krieg herrsche und es keine Sicherheit gebe. Auf Vorhalt, die Eltern und Geschwister würden aber unbehelligt in XXXX leben, gab er an, ja, aber die Lage dort sei sehr schlecht. Der Beschwerdeführer wolle sich nicht vom Militärdienst freikaufen, denn das heiße, dass er auch eigene Mitbürger töten würde.Am 16.04.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in der gegenständlichen Rechtssache im Beisein des Beschwerdeführers und des Jugendwohlfahrtsträgers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Anlässlich der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass das Original des Familienbuches sich in Syrien bei seiner Familie befinde. Die vorgelegte Kopie stamme von seinem Smartphone. Der Beschwerdeführer sei aus seinem Heimatort im Süden Syriens durch ganz Syrien gereist und sei direkt in die Türkei eingereist; er sei nicht über den Libanon in die Türkei gereist. Der Beschwerdeführer habe nie einen Reisepass oder ein Wehrdienstbuch besessen und war auch bei keiner Musterung. Es gebe keinen Einberufungsbefehl. Sein Bruder und sein Schwager seien wegen des drohenden Militärdienstes ausgereist. Das syrische Assad Regime habe die Kontrolle über seinen Heimatort. Auf Vorhalt, aus Sicht des Richters stelle sich der Fall so dar, dass sein Bruder bei der Gewährung des Asylstatus bereits volljährig war, weshalb die Familienzusammenführung nicht funktioniert habe und deswegen sei der minderjährige Beschwerdeführer nach Österreich geschickt worden, um die Familienzusammenführung zu bewerkstelligen, gab der Beschwerdeführer an, er sei wegen des Militärs und auch wegen der Familienzusammenführung ausgereist. Damit er einen Antrag auf Familienzusammenführung machen und seine Familie zu ihm nach Österreich nachholen könne. Die Frage, ob ihn die Familie nach Österreich zur Familienzusammenführung geschickt habe, bejahte der Beschwerdeführer und gab an, er wolle seine Familie in Österreich, weil in Syrien Krieg herrsche und es keine Sicherheit gebe. Auf Vorhalt, die Eltern und Geschwister würden aber unbehelligt in römisch XXXX leben, gab er an, ja, aber die Lage dort sei sehr schlecht. Der Beschwerdeführer wolle sich nicht vom Militärdienst freikaufen, denn das heiße, dass er auch eigene Mitbürger töten würde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien sowie Angehöriger der arabischen Volksgruppe mit moslemischem Religionsbekenntnis (Sunnit) und führt den im Spruch genannten Namen. Er ist ledig und kinderlos. Die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers leben im eigenen Haus unbehelligt in XXXX in Syrien. Seinem im Jahr 2003 geborenen Bruder wurde mit Bescheid des BFA vom 05.11.2021 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Zwei Onkel und eine Tante väterlicherseits leben in XXXX . Einer dieser Onkel lebt zeitweise auch in Kuwait. Mütterlicherseits leben sechs Onkel und eine Tante in Syrien. Ein Onkel ist im Gefängnis, einer lebt in Kuwait und die anderen in XXXX .Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien sowie Angehöriger der arabischen Volksgruppe mit moslemischem Religionsbekenntnis (Sunnit) und führt den im Spruch genannten Namen. Er ist ledig und kinderlos. Die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers leben im eigenen Haus unbehelligt in römisch XXXX in Syrien. Seinem im Jahr 2003 geborenen Bruder wurde mit Bescheid des BFA vom 05.11.2021 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Zwei Onkel und eine Tante väterlicherseits leben in römisch XXXX . Einer dieser Onkel lebt zeitweise auch in Kuwait. Mütterlicherseits leben sechs Onkel und eine Tante in Syrien. Ein Onkel ist im Gefängnis, einer lebt in Kuwait und die anderen in römisch XXXX .
Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX in der Nähe von XXXX , wo er die Schule besuchte und er in der väterlichen Landwirtschaft arbeitete. Das Gebiet befand sich sowohl zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers als auch aktuell unter Kontrolle des syrischen Regimes.Der Beschwerdeführer stammt aus römisch XXXX in der Nähe von römisch XXXX , wo er die Schule besuchte und er in der väterlichen Landwirtschaft arbeitete. Das Gebiet befand sich sowohl zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers als auch aktuell unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Der Beschwerdeführer verließ Syrien im August 2022 im Alter von 15 Jahren illegal mit seinem Schwager wegen des Bürgerkriegs und weil er seine Familie nach Österreich nachholen will. Seither hielt er sich nicht mehr in Syrien auf. Er war in Syrien in der Vergangenheit keiner individuellen Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer wurde am 04.02.2021 ein syrischer Personalausweis in XXXX ausgestellt. Ansonsten hatte der Beschwerdeführer im Vorfeld seiner Ausreise keine persönlichen Kontakte zum syrischen Regime.Dem Beschwerdeführer wurde am 04.02.2021 ein syrischer Personalausweis in römisch XXXX ausgestellt. Ansonsten hatte der Beschwerdeführer im Vorfeld seiner Ausreise keine persönlichen Kontakte zum syrischen Regime.
Der Familie des Beschwerdeführers war es möglich einen Familienbuchauszug von den syrischen Behörden zu bekommen.
Der Beschwerdeführer hat den Grundwehrdienst in der syrischen Armee nicht abgeleistet. Es liegt keine aktuelle Einberufung des Beschwerdeführers zu den syrischen Streitkräften vor. Der Beschwerdeführer war bei keiner Stellung und hat kein Wehrbuch. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, dass er den syrischen Militärdienst verweigern würde. Der Beschwerdeführer weist keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen die syrische Regierung oder gegen den Dienst an der Waffe an sich auf.
Ihm droht bei einer Rückkehr insbesondere keine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund einer Desertion bzw. Wehrdienstverweigerung oder einer (ihm seitens des syrischen Regimes unterstellten) oppositionellen Gesinnung. Im Fall seiner Rückkehr nach Syrien ist der Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt, aus den genannten Gründen von der syrischen Regierung mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Der Beschwerdeführer war in Syrien nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung geraten. Er hat in Syrien keine Straftaten begangen und wurde nie verhaftet.
Auch aufgrund seiner Herkunft aus der Umgebung von XXXX , seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Inhaftierung und Folter aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung. Auch aufgrund seiner Herkunft aus der Umgebung von römisch XXXX , seiner illegalen Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Inhaftierung und Folter aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung.
Auch sonst ist der Beschwerdeführer nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt 17 Jahre alt. Die Wehrdienstverweigerung stellt nicht das einzige Mittel dar, mit dem der Beschwerdeführer einer Ableistung des Wehrdienstes und der damit allenfalls verbundenen Beteiligung an Kriegsverbrechen entgehen kann.
Das syrische Gesetz sieht für männliche syrische Staatsbürger, die – wie der Beschwerdeführer – im Ausland niedergelassen sind, die Möglichkeit vor, sich durch die Zahlung einer Gebühr dauerhaft von der Wehrpflicht zu befreien.
Den zahlreichen Verwandten des Beschwerdeführers, 2 davon in Kuwait, ist es möglich, die finanziellen Mittel aufzubringen, um die Wehrersatzgebühr zu leisten. Dem Beschwerdeführer steht mit Erreichen des Alters von 18 Jahren die Möglichkeit offen, das diesbezügliche Verfahren entweder selbst über eine syrische Botschaft in Europa abzuwickeln, oder im Wege seines Vaters in Syrien erledigen zu lassen. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines syrischen Personalausweises. Ihm ist darüber hinaus es möglich, über eine syrische Vertretungsbehörde einen syrischen Reisepass zu erlangen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die syrischen Behörden Personen, die sich vom Wehrdienst freigekauft haben (selbst wenn dies nicht zeitnah nach Erreichen des wehrpflichtigen Alters erfolgte), eine oppositionelle Gesinnung unterstellen oder diese trotz der entrichteten Wehrersatzgebühr systematisch bzw. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dennoch zum Wehrdienst einziehen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass dies im Fall des Beschwerdeführers erfolgen würde.
Der Beschwerdeführer lehnt die Leistung einer Wehrersatzgebühr ab, weil er keinen finanziellen Beitrag zur Unterstützung des syrischen Regimes leisten möchte.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus den Länderinformationen der Staatendokumentation zur Russischen Föderation aus dem COI-CMS, Version 9:
Politische Lage
Letzte Änderung: 10.07.2023
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).
Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.5.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70 % des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime - unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.3.2023).
Interne Akteure haben das Kernmerkmal eines Staates - sein Gewaltmonopol - infrage gestellt und ausgehöhlt. Externe Akteure, die Gebiete besetzen, wie die Türkei in den kurdischen Gebieten, oder sich in innere Angelegenheiten einmischen, wie Russland und Iran, sorgen für Unzufriedenheit bei den Bürgern vor Ort (BS 23.2.2022). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus. In anderen Gebieten ist die zivile Politik im Allgemeinen den lokal dominierenden bewaffneten Gruppen untergeordnet, darunter die militante islamistische Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) und mit dem türkischen Militär verbündete Kräfte (FH 9.3.2023). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg, der nun in sein zwölftes Jahr geht, hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt. Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander vernetzte und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind. Die Grenzgebiete in Syrien bilden heute ein einziges wirtschaftliches Ökosystem, das durch dichte Netzwerke von Händlern, Schmugglern, Regimevertretern, Maklern und bewaffneten Gruppen miteinander verbunden ist (Brookings 27.1.2023).
Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.3.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.3.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.1.2023; vgl. AA 29.3.2023). Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.3.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.1.2023).Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum November 2022-März 2023] nicht wesentlich verändert (AA 29.3.2023). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Der Machtanspruch des syrischen Regimes wurde in den Gebieten unter seiner Kontrolle nicht grundlegend angefochten, nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden substanziellen militärischen Unterstützung Russlands bzw. Irans und Iran-naher Kräfte. Allerdings gelang es dem Regime nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol in diesen Gebieten durchzusetzen. Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht (AA 29.3.2023). Der von den Vereinten Nationen geleitete Friedensprozess, einschließlich des Verfassungsausschusses, hat 2022 keine Fortschritte gemacht (HRW 12.1.2023; vergleiche AA 29.3.2023). Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert (AA 29.3.2023). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vergleiche IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell und sorgen dafür, dass diese nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden (HRW 12.1.2023).
Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.3.2023).Im Äußeren gewannen die Bemühungen des Regimes und seiner Verbündeten, insbesondere Russlands, zur Beendigung der internationalen Isolation [mit Stand März 2023] unabhängig von der im Raum stehenden Annäherung der Türkei trotz fehlender politischer und humanitärer Fortschritte weiter an Momentum. Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vergleiche SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon - (CMEC 16.5.2023; vergleiche Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen, wenngleich sich die Bewahrung der EU-Einheit in dieser Sache zunehmend herausfordernd gestaltet (AA 29.3.2023).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 11.07.2023
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach eine politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) veröffentlichte eine Karte mit Stand Dezember 2022, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind. Es gibt Gebiete, in denen mehr als Akteur präsent ist (UNCOI 1.2023)
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023).
Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der 'wichtigsten' Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022).
Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).
Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023).
Südsyrien
Letzte Änderung: 13.07.2023
Die Lage im Süden und Südwesten Syriens, in den Gouvernements Quneitra, Dara‘a und Suweida, die nominell unter Kontrolle des syrischen Regimes und seiner Verbündeten stehen, blieb volatil. Trotz des im September 2021 von Russland vermittelten Waffenstillstands zählt die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) für den Zeitraum Januar bis Juni 2022, mit einem Höhepunkt im April 2022, mehr als 100 durch Gewalt getötete Personen. Darunter befinden sich zahlreiche Zivilistinnen und Zivilisten. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Bereits in den Jahren 2020 und 2021 verschlechterte sich die Sicherheitslage. Es kam zu einer Reihe von Zwischenfällen bewaffneter Gewalt zwischen der Vielzahl miteinander konkurrierender bewaffneter Akteure (UNCOI 14.8.2020; vgl. ORSAM 16.8.2021). De facto sind die Regimetruppen vor Ort mit Ausnahme von Eliteeinheiten personell und technisch unzureichend aufgestellt, sodass die tatsächliche Hoheit häufig bei lokal verwurzelten bewaffneten Gruppierungen liegt. Eine stabile politische und wirtschaftliche Lage ist nicht vorhanden: Mangelhafte Grundversorgung, fehlende öffentliche Gelder für medizinische Versorgung und für Bildung, eine äußerst eingeschränkte Stromversorgung und Korruption sind verbreitete Probleme (AA 29.11.2021). Im Süden/Südwesten Syriens kam es in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund großer Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem syrischen Regime, vor allem aufgrund fehlender Grundversorgung, nicht eingehaltener Abmachungen im Rahmen von „Versöhnungsabkommen“ und einer Zunahme an anhaltenden Verhaftungswellen, Gewaltausübung und gezielten Tötungen vermehrt zu Demonstrationen, Unruhen sowie bewaffneten Auseinandersetzungen, Anschlägen und gezielten Tötungen (AA 4.12.2020; vgl. UNCOI 14.8.2020, ORSAM 3.2021).Bereits in den Jahren 2020 und 2021 verschlechterte sich die Sicherheitslage. Es kam zu einer Reihe von Zwischenfällen bewaffneter Gewalt zwischen der Vielzahl miteinander konkurrierender bewaffneter Akteure (UNCOI 14.8.2020; vergleiche ORSAM 16.8.2021). De facto sind die Regimetruppen vor Ort mit Ausnahme von Eliteeinheiten personell und technisch unzureichend aufgestellt, sodass die tatsächliche Hoheit häufig bei lokal verwurzelten bewaffneten Gruppierungen liegt. Eine stabile politische und wirtschaftliche Lage ist nicht vorhanden: Mangelhafte Grundversorgung, fehlende öffentliche Gelder für medizinische Versorgung und für Bildung, eine äußerst eingeschränkte Stromversorgung und Korruption sind verbreitete Probleme (AA 29.11.2021). Im Süden/Südwesten Syriens kam es in den Jahren 2020 und 2021 aufgrund großer Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem syrischen Regime, vor allem aufgrund fehlender Grundversorgung, nicht eingehaltener Abmachungen im Rahmen von „Versöhnungsabkommen“ und einer Zunahme an anhaltenden Verhaftungswellen, Gewaltausübung und gezielten Tötungen vermehrt zu Demonstrationen, Unruhen sowie bewaffneten Auseinandersetzungen, Anschlägen