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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §861;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde der O Gesellschaft m.b.H. & Co KG in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. April 1992, Zl. GA 11-1727/90, betreffend Rechtsgebühr, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 13. Februar 1990 setzte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien (im folgenden: Finanzamt) für den bei der Behörde erfaßten Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft vom 14. Juni 1988 die Rechtsgebühr gemäß § 33 TP 16 Abs. 1 Z. 2 GebG 1957 fest. Diese Urkunde hat u. a. folgenden Inhalt:
"Vertrag über die Errichtung
einer atypisch stillen Gesellschaft
1.
X-AG mit Sitz in B beteiligt sich am Handelsgewerbe der (Beschwerdeführerin), im weiteren 'Unternehmen' genannt, als atypisch stiller Gesellschafter.
2.
X-AG leistet eine Einlage von Schilling 130 (hundertdreißig) Millionen, die in das Vermögen des Unternehmens übergeht und bar nach Fälligkeit gemäß der in Anlage ./A beigefügten, vierteljährlich einvernehmlich anzupassenden, Aufstellung zu erbringen ist.
...
7.
Die Gesellschaft beginnt heute und wird auf unbestimmte Zeit errichtet. ...
...
13.
X-AG und das Unternehmen erklären, daß allenfals erforderliche Genehmigungen, insbesonders gesellschaftsrechtliche, eingeholt wurden und vorliegen."
Dieser Vertrag wurde von der X-AG am 14. Juni 1988 und von der Beschwerdeführerin am 15. Juni 1988 jeweils in Wien unterzeichnet.
Gegen den Bescheid vom 13. Februar 1990 erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte vor, daß der Vertrag im Ausland errichtet wurde und die X-AG Ausländer sei.
Nach abweisender Berufungsvorentscheidung stellte die Beschwerdeführerin den Sachverhalt durch Wiedergabe eines Schreibens des früheren Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag wie folgt dar:
"Auf Ihre Anfrage bestätige ich Ihnen gern, daß die in meinem Schreiben an das Finanzamt in Wien vom 13.7.1988 gemachten Angaben bezüglich der Unterfertigung und Zugang der bezogenen Schriftstücke bzw. Vertragsurkunden meiner Erinnerung nach und meinem Dokumentenstand nach zutrafen und zutreffen.
Ergänzend informiere ich Sie auf Ihre Bitte hin, und zwar wunschgemäß ohne einzugehen auf rechtliche Überlegungen: Aus mir im Moment nicht voll geläufigen Gründen wurde am 14.6.1988 ganz überraschend ein Meeting für diesen Tag anberaumt, in dem in meiner Kanzlei O Vorstandsmitglieder von X traf. Die vorbereiteten Urkunden wurden zum Teil im Groben überflogen, zum Teil en detail durchgesehen und mehrfach auch revidiert, zum Teil auch nicht einmal überflogen. Der Zeitdruck war enorm. Dies schon deshalb, da die Mitglieder des Meetings mit ganz unterschiedlichen Flugzeugen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten im Lauf des Abends, sämtliche glaube ich erst nach 20 Uhr, in der Kanzlei ein- und zusammentrafen. Der wirtschaftlich weniger bedeutende Notariatsakt GZ nnn/88 erhielt - Dr. Z für Notar Dr. M war freundlicherweise bereitgewesen zur Nachtsitzung - einen gewissen zeitlichen Vorrang und wurde jedenfalls allseits unterschrieben. Meiner Erinnerung nach unterfertigte hiernach X sämtliche vorgelegten Dokumente. Das Nachtmeeting endete dann sehr rasch. Welche Urkunden O am 14.6. - abgesehen vom Notariatsakt - unterschrieb, weiß ich nicht mehr im einzelnen, sehr wohl aber weiß ich, daß O am Nachmittag des 15.6. in meiner Kanzlei den Vertrag (Vertragsurkunde) über die stille Gesellschaft und den KG-Vertrag unterschrieb. Ob das zwischen O und mir (oder mit X) abgesprochen war oder ich O für den Nachmittag des 15.6. zu mir bat, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls erschien er allein und vermute ich heute, daß X längst abgereist war. Mit regulärer eingeschriebener Post (mit Rückschein) vom 29.6.1988 übersandte ich die Urkunden nach Hamburg, wo sie am 1.7.1988 eintrafen. Alles weitere bezügliche ist Ihnen vermutlich bekannt."
Die belangte Behörde gab der gegen den Gebührenbescheid erstatteten Berufung mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge, weil der Vertrag von beiden Vertragsteilen im Inland unterfertigt und somit im Inland abgeschlossen wurde und im Inland die Urkunde errichtet wurde.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung mit Beschluß vom 23. Jänner 1993 ablehnte und antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abtrat.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten
und die Gegenschrift der belangten Behörde vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 16 Abs. 1 GebG entsteht die Gebührenschuld, wenn die Urkunde über das Rechtsgeschäft im Inland errichtet wird, bei zweiseitig verbindlichen Rechtsgeschäften,
a) wenn die Urkunde von den Vertragsteilen unterzeichnet wird, im Zeitpunkte der Unterzeichnung;
b) wenn die Urkunde von einem Vertragsteil unterzeichnet wird, im Zeitpunkt der Aushändigung (Übersendung) der Urkunde an den anderen Vertragsteil oder an dessen Vertreter oder an einen Dritten.
Errichtet ist eine rechtserzeugende Urkunde im Zeitpunkt der Leistung der letzten Unterschrift, eine rechtsbezeugende Urkunde im Zeitpunkt der Leistung der ersten Unterschrift. Einer rechtsbezeugenden Urkunde ist eine (regelmäßig mündliche) Willenseinigung der Parteien bereits vorangegangen, wobei eine Fixierung des bereits abgeschlossenen Rechtsgeschäftes in der Urkunde erfolgt; bei rechtserzeugenden Urkunden kommt das Rechtsgeschäft erst durch Willensübereinstimmung anläßlich der Urkundenerrichtung zustande (Arnold, Rechtsgebühren4, 245 f).
Die Beschwerdeausführungen gehen offenbar von einer rechtserzeugenden Urkunde aus; sie beruhen auf der Annahme, es liege ein Vertragsabschluß unter Abwesenden (§ 862 zweiter Satz 3. Fall ABGB) vor. Den daran in der Beschwerde geknüpften Folgerungen, der Vertrag wäre erst durch - allerdings rechtzeitigen - Zugang an den Offerenten zustande gekommen, ist nichts hinzuzufügen; auch der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 23. November 1967, Slg. 3684/F, ausgesprochen, daß dann, wenn die Annahmeerklärung dem Anbotsteller im Ausland zugekommen ist, das Rechtsgeschäft im Ausland abgeschlossen wurde.
Die belangte Behörde zeigt in der Gegenschrift aber richtig auf, daß der vorliegende Sachverhalt, wie er sich insbesondere aus der Darstellung des früheren Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der vorgelegten Vertragsurkunde ergibt, die Annahme eines Vertragsabschlusses unter Abwesenden bzw. die Qualifizierung der Urkunde als rechtserzeugend nicht erlaubt:
Nach der im Vorlageantrag wiedergegebenen Beschreibung des Ablaufes der Vertragsverhandlungen am 14. Juni 1988 in Wien, bei welchen beide Vertragsteile anwesend waren, wurden die vorbereiteten Urkunden zum Teil im Groben überflogen, zum Teil im Detail durchgesehen und mehrfach auch revidiert. Sodann wurden sämtliche Dokumente vom Vertragspartner der Beschwerdeführerin unterfertigt. Warum die den schon abgeschlossenen Vertrag bezeugende Unterschrift von seiten der Beschwerdeführerin (ebenfalls in Wien) erst am nächsten Tag erfolgte, wird nicht erklärt; allerdings findet sich trotz der sonst detaillierten Darstellung kein Hinweis darauf, daß die Beschwerdeführerin noch irgendwelche Vorbehalte gehabt hätte und eine Überlegungsfrist für ihren endgültigen Willensentschluß in Anspruch nehmen wollte. Weder die Berufung noch der Vorlageantrag enthalten entsprechende Sachverhaltsbehauptungen.
Gegen die Qualifizierung der vorliegenden Vertragsurkunde als "rechtserzeugend" spricht auch, wie die belangte Behörde richtig aufzeigt, daß die Übersendung erst am 29. Juni 1988 und damit im Sinne des § 862 zweiter Satz letzter Halbsatz ABGB ("widrigenfalls ist der Antrag erloschen") jedenfalls verspätet erfolgte. Von einer Vereinbarung gemäß § 862 erster Satz ABGB ist nirgends die Rede, vielmehr wurde im Vertrag vereinbart - mit der Wirkung des § 17 Abs. 1 GebG - daß die Gesellschaft "heute" beginnt. Die Wirkung der Übersendung der Vertragsurkunde als neues Offert (Rummel in Rummel, Rz 4 zu § 862 ABGB; eine Verzögerung der Beförderung im Sinne des § 862a zweiter Satz ABGB lag ja nicht vor) konnte nicht eintreten, weil der Abschluß längst erfolgt war.
Daraus folgt, daß schon das Finanzamt völlig zu Recht von einem wirksamen Zustandekommen des gebührenpflichtigen Rechtsgeschäftes am 14. Juni 1988 in Wien ausgegangen ist. Die Beschwerde erwies sich daher als unbegründet, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993160022.X00Im RIS seit
11.07.2001