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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; Verabsäumung eines ausländischen Staatsangehörigen, sich einen unverständlichen Bescheid übersetzen zu lassen, kein minderer Grad des VersehensSpruch
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.
4. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit dem am 29. Jänner 1993 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Einschreiter die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwecks Erhebung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen den am 13. November 1992 zugestellten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 29. Oktober 1992, mit welchem dem Einschreiter - einem türkischen Staatsangehörigen - die Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß §25 Abs1 iVm Abs3 litd des Paßgesetzes 1969, BGBl. 422, versagt wurde.
Mit demselben Schriftsatz wurden die entsprechende Beschwerde sowie die im Spruch unter Pkt. 3. und 4. genannten Anträge eingebracht.
2. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages bringt der Einschreiter im wesentlichen folgendes vor:
Er sei mit Schreiben der belangten Behörde vom 10. September 1992 davon verständigt worden, daß mit der Abweisung des von ihm gestellten Antrages auf Sichtvermerkserteilung vorgegangen werde, "soweit eine Stellungnahme nichts anderes erfordere". Er habe daraufhin einen Bekannten gebeten, "diese Rechtsangelegenheit" als Mittelsmann an einen bestimmten Rechtsanwalt "heranzutragen". Etwa einen Monat später sei er vom Mittelsmann darüber verständigt worden, daß der Rechtsanwalt ihm (also dem Einschreiter) mitteile, "daß in dem Verfahren bei der belangten Behörde gegen die Abweisung des Antrags auf Erteilung des Sichtvermerks nichts zu unternehmen sei".
Als er dann den angefochtenen Bescheid erhalten habe - nach den Antragsausführungen geschah dies am 16. November 1992 durch Behebung vom Postamt Leobersdorf, wo der Bescheid am 13. November 1992 hinterlegt worden war -, habe er die Angelegenheit daher "für bereits erledigt erachtet" und sich den Bescheid deshalb nicht mehr übersetzen lassen.
Der den Einschreiter im gegenständlichen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vertretende Rechtsanwalt habe erst im Zuge eines Telefonates mit der belangten Behörde am 15. Jänner 1993 erfahren, daß der angefochtene Bescheid ergangen war.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Wiedereinsetzungsantrag erwogen:
1. Gemäß §33 VerfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VerfGG in §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden.
Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg. 10489/1985, 10880/1986).
Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muß gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden.
2. Beim Verschulden des Einschreiters im vorliegenden Fall handelt es sich nicht bloß um einen minderen Grad des Versehens im oben dargestellten Sinn: Es mag sein, daß durch allenfalls mißverständliche oder sogar unrichtige Äußerungen dritter Personen für den Einschreiter der Eindruck entstanden ist, daß "die Angelegenheit ... bereits erledigt" wäre. Es ist jedoch für jeden sorgfältigen Menschen selbstverständlich, daß er sich einen an ihn ergehenden Bescheid - jedenfalls einen solchen, der ihn (wie im vorliegenden Fall) in ganz bedeutender Weise berührt - übersetzen läßt, wenn er seinen Inhalt nicht verstehen sollte (so schon VfSlg. 10473/1985 in Zusammenhang mit einem ein Asylverfahren betreffenden Bescheid).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit abzuweisen.
III. Die unter einem eingebrachte Beschwerde nach Art144 B-VG war wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) zurückzuweisen, ohne daß auf den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, einzugehen war.
Der Antrag, die Beschwerde in eventu an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer Abweisung oder einer Ablehnung der Beschwerdebehandlung in Betracht kommt.
IV. Bei diesem Ergebnis war auch der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen, weil die vom Einschreiter beabsichtigte Rechtsverfolgung als offenbar aussichtslos erscheint (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG).
V. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 VerfGG sowie gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B126.1993Dokumentnummer
JFT_10069678_93B00126_00