Entscheidungsdatum
02.05.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L532 2281704-1/14E
Schriftliche Ausfertigung des in der Verhandlung am 07.03.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg WILD-NAHODIL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2023, Zl. XXXX , in einer Angelegenheit nach dem AsylG und dem FPG nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 07.03.2024 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg WILD-NAHODIL als Einzelrichter über die Beschwerde des römisch XXXX , geb. römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2023, Zl. römisch XXXX , in einer Angelegenheit nach dem AsylG und dem FPG nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 07.03.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (i.d.F. „BF“), ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 02.12.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte der BF im Zuge seiner polizeilichen Erstbefragung am selben Tag im Wesentlichen vor, Kurden und Aleviten würden diskriminiert werden, ihnen gehe es dort schlecht, weshalb der BF das Land verlassen habe. Im Rückkehrfall befürchte der BF Diskriminierung und den Tod.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 03.10.2023 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (i.d.F. „bB“ oder „Bundesamt“) einvernommen. Im Wesentlichen gab er befragt zu seinem Fluchtgrund an, von der Gesellschaft ausgeschlossen worden zu sein, da er Alevite und Kurde sei. Manchmal seien die Haustüren von Aleviten gekennzeichnet worden. Es sei weiterhin ein aktuelles Thema und in den Medien. Der BF sei in Lebensgefahr gewesen und daher ausgereist. Befragt dazu, in wie weit der BF im Herkunftsstaat Diskriminierungen und Ausgrenzungen ausgesetzt gewesen wäre, gab der BF zur Antwort, beim Aufenthalt in einer Gesellschaft oder am Arbeitsplatz zu seiner ethnischen Herkunft und Religion befragt und sodann aufgrund seiner kurdischen Identität und der alevitischen Glaubensrichtung als Terrorist und Ungläubiger angesehen worden zu sein. Konkrete Vorfälle, die ihn betreffen würden, könne er nicht nennen. Im Falle der Rückkehr habe der BF „alles“ zu befürchten, konkret sei er in Lebensgefahr.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 12.10.2023, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde schließlich eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Mit Informationsblatt vom selben Tag wurde dem BF ein Rechtsberater gem. § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 12.10.2023, Zl. römisch XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) sowie gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Türkei gemäß Paragraph 46, FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG 2005 wurde schließlich eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt römisch VI.). Mit Informationsblatt vom selben Tag wurde dem BF ein Rechtsberater gem. Paragraph 52, BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
Beweiswürdigend legte die bB (im Hinblick auf die negative Asylentscheidung) im Wesentlichen dar, der BF habe kein Vorbringen erstattet, aus dem der Asylstatus herzuleiten sei. Er habe sich aufgrund seiner kurdische Volksgruppen- und alevitischen Religionszugehörigkeit ausgegrenzt gefühlt und daher den Herkunftsstaat verlassen, jedoch keine tatsächlichen Übergriffe gegen seine Person erwähnt. Der BF habe nicht dargelegt, dass die Eingangstür seines Elternhauses mit „X“ markiert worden sei. Aus dem Vorbringen des BF sei auch nicht hervorgegangen, dass er Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes gehabt habe. Vielmehr habe der BF geschildert, in verschiedenen Bereichen (Arbeiter in einer Fabrik, Barmann, Landwirt) gearbeitet zu haben. Zudem könne die Familie des BF weiterhin im Herkunftsstaat verweilen. Der BF habe somit keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können.
4. Gegen den dem BF am 18.10.2023 zugestellten Bescheid des Bundesamtes richtet sich die am 09.11.2023 von der BBU GmbH eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (i.d.F. „BVwG“). Im Wesentlichen wird im Beschwerdeschriftsatz dargelegt, das Bundesamt habe sich nur unzureichend mit den zitierten Länderberichten auseinandergesetzt, insbesondere habe es die bB verabsäumt, sich mit der Situation von Aleviten zu beschäftigen. Aleviten und Kurden würden dem Länderinformationsblatt zufolge nicht nur diskriminiert, sondern auch Opfer von Gewaltverbrechen werden. Im Falle der Rückkehr gerate der BF in eine völlig aussichtslose Lage aufgrund von Arbeitslosigkeit sowie seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit. Außerdem sei die Beweiswürdigung mangelhaft erfolgt, da die Länderberichte nicht berücksichtigt worden seien.
5. Am 07.03.2024 wurde vor dem BVwG die beantragte mündliche Verhandlung im Beisein des BF, eines Vertreters der BBU GmbH sowie einer Dolmetscherin für die türkische Sprache durchgeführt. Die mündliche Verhandlung gestaltete sich wie folgt:
„[…]
RI: Wollen Sie ergänzende Beweismittel vorlegen?
RV: Ja.
RV legt vor:
? Beschäftigungsbewilligung des AMS 28.02.2024
? Teilnahmebestätigung A1 Integrationskurs vom 04.03.2024
Die Unterlagen werden als Kopie zum Akt genommen.
RI: Mit der Ladung wurde Ihnen das aktuelle Länderinformationsblatt übermittelt. Haben Sie eine diesbezügliche schriftliche Stellungnahme vorbereitet oder möchten Sie am Ende der Verhandlung mündlich zum Länderinformationsblatt Stellung beziehen?
RV: Nein, es wird auf die Beschwerde verwiesen.
RI: Haben sich seit der letzten Einvernahme beim Bundesamt neue Umstände in Bezug auf Ihre Integration in Österreich (z. B. Deutschkenntnisse, Fortbildung, Erwerbstätigkeit) ergeben?
BF: Ja, ich habe einen Deutschkurs besucht und habe unlängst eine Arbeit begonnen. Kommendes Monat habe ich eine A1 Prüfung, dann werde ich mit dem A2 Kurs beginnen.
RI: Können Sie mir Ihre berufliche Tätigkeit beschreiben?
BF: Ich bin Koch.
RI: Wieviel verdienen Sie monatlich netto?
BF: Ich verdiene € 902,00 vom AMS. Ich habe erst jetzt begonnen.
RI: Ist Ihr Arbeitsvertrag befristet oder unbefristet?
BF: Der Vertrag ist befristet bis 2025.
RI: Seit wann arbeiten Sie?
BF: Den Antrag habe ich schon länger eingereicht gehabt, aber erst jetzt wurde er bewilligt.
RI wiederholt die Frage.
BF: Ich habe noch nicht begonnen.
RI: Haben Sie in Österreich Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI: Haben Sie Angehörige in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union?
BF: Ja, in Kanada, in Deutschland habe ich weitschichtige Verwandten. Aber ich habe zu keinem Kontakt.
RI: Wie verbringen Sie Ihr Leben und Ihre Freizeit in Österreich?
BF: Ich besuche einen Kurs, ich wohne im Haus meines Freundes und in meiner Freizeit bin ich draußen.
RI: Verfügen Sie in Österreich über einen Freundeskreis?
BF: Ja.
RI: Was können Sie mir über Ihre Freunde in Österreich erzählen?
BF: Sie sind Asylwerber, wie ich und wir haben uns im Verein kennengelernt. Wir spielen gemeinsam Bowling und Billard.
RI: In welchem Verein haben Sie diese Freunde kennengelernt?
BF: Im kurdischen Verein.
RI: Wann fangen Sie an zu arbeiten?
BF: Morgen.
RI: Führen Sie in Österreich eine Beziehung?
BF: Ich hatte eine 5 bis 6-monatige Beziehung. Sie wusste, dass ich Asylwerber bin. Als ich den negativen Bescheid vom BFA bekam, leitete ich diesen weiter an meine Freundin. Daraufhin beendet sie unsere Beziehung.
RI: Sind Sie in Österreich in Vereinen oder ehrenamtlich aktiv?
BF: Ich besuche den Verein nur um meine Freunde zu sehen und um mich mit ihnen zu unterhalten. Wir frühstücken gemeinsam, ansonsten nicht.
RI: Was würden Sie in Österreich machen, wenn Sie hier bleiben könnten?
BF: Da ich Alevite bin, fühle ich mich hier in Österreich viel freier. In der Türkei wurde ich ausgegrenzt und ich war psychisch beeinträchtigt. Ich würde mir hier ein neues Leben aufbauen wollen.
RI: Sind Sie gesund und arbeitsfähig?
BF: Ja.
RI: Sind Sie derzeit wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in Österreich in medizinischer Behandlung oder nehmen Medikamente?
BF: Nein.
RI: Sind Sie in Österreich bisher straffällig geworden (Verwaltungsübertretung, gerichtliche Verurteilung oder derzeitig anhängiges Verfahren)?
BF: Nein, ich bekam nur wegen des Autos eine Strafe.
RI: Was war da?
BF: Ich hatte mir ein neues Auto gekauft und wusste nicht, dass mein türkischer Führerschein nur 6 Monate gültig ist. Ich musste den Führerschein umschreiben lassen und warte auf den Termin. Ich besitze ein Auto aber darf es nicht fahren.
RI: Die folgende Frage wird (ohne Dolmetscher) auf Deutsch gestellt und die Antwort wortwörtlich protokolliert:
RI: „Sprechen Sie Deutsch?“
BF: Ja, ein bisschen.
RI: „Mit wem unterhalten Sie sich auf Deutsch?“
BF: Nochmal bitte?
RI wiederholt die Frage.
BF: Verstehe nicht.
RI: „Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?“
BF: Wie viel? Bitte nochmal?
RI wiederholt die Frage.
BF: Freizeit... jeden Tag, jetzt, von morgen.
Die weitere Befragung erfolgt wieder mit Dolmetscher.
RI: Gibt es zu diesem Fragenkomplex (Integration, Leben in Österreich) Fragen des RV?
RV: Nein.
RI: Welche Ausbildung haben Sie im Herkunftsstaat genossen?
BF: Ich habe das Lyzeum abgeschlossen. Ich habe ein Zertifikat über die Volksausbildung. Ich habe in einem Hotel gearbeitet.
RI: Haben Sie eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF: Ich habe keine Berufsausbildung, aber Erfahrung im Beruf als Koch und möchte hier eine Ausbildung machen und den Beruf ausüben. Nachgefragt gebe ich an, dass ich ca. 2 Jahre als Koch gearbeitet habe.
RI: Wie würden Sie Ihre eigene wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?
BF: Mittelschicht, gut.
RI: Wer von Ihrer Familie bzw. Ihrer Verwandtschaft lebt noch im Herkunftsstaat und wo?
BF: Meine Familie lebt in Adiyaman.
RI: Welche Familienangehörige haben Sie noch genau in der Türkei?
BF: Meine Eltern und Geschwister. Meine Schwester lebt in Van und geht zur Universität. Nachgefragt gebe ich an, dass ich einen Bruder und eine Schwester habe.
RI: Haben Sie seit der Ausreise Kontakt mit Familienangehörigen oder Verwandten in Ihrem Herkunftsstaat? Wann zuletzt und mit wem?
BF: Ja, natürlich, zuletzt mit meiner Mutter gestern Abend.
RI: Wie geht es Ihren Angehörigen im Herkunftsstaat?
BF: In Adiyaman ereignete sich ein Erdbeben und dadurch leiden sie an psychischen Problemen. Der Staat hat uns zum Zeitpunkt des Erdbebens nicht unterstützt und ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beim österreichischen Staat bedanken, der uns sofort und tatkräftig unterstützt hat.
RI: Wie alt sind Ihre Eltern und Geschwister?
BF: Meine Mutter ist 1970 geboren, mein Vater ist 1975 geboren, meine Schwester ist 2003 geboren und mein Bruder 2010.
RI: Wie finanzieren Ihre Eltern und Geschwister im Herkunftsstaat deren Leben?
BF: Mein Vater arbeitet am Bau, das ist alles.
RI: Wie würden Sie die wirtschaftliche Lage Ihrer Familie einschätzen?
BF: Mittelschicht. Etwas über der Mittelschicht.
RI: Verfügen Ihre Angehörigen im Herkunftsstaat über eigene Wohnungen oder Häuser? Wie kann ich mir die Wohnsituation Ihrer Angehörigen im Herkunftsstaat vorstellen?
BF: Meine Familie besaß ein Haus, das durch das Erdbeben zerstört wurde. Derzeit leben sie zur Miete.
RI: Wie groß ist diese Mietwohnung?
BF: Meine Familie zahlt 10.000 TL Miete. Wie groß sie ist weiß ich nicht, ich schätze 2+1.
RI: Haben Sie vor Ihrer Ausreise auch dort gewohnt?
BF: Ja.
RI: Können Sie mir Ihre Adresse im Heimatland bekanntgeben?
BF: Adiyaman, XXXX , XXXX , das ist die alte Adresse. Sie sind jetzt verzogen nach XXXX BF: Adiyaman, römisch XXXX , römisch XXXX , das ist die alte Adresse. Sie sind jetzt verzogen nach römisch XXXX
RI: Von welchem Ort im Heimatland haben Sie Ihre Ausreise begonnen?
BF: Von Adiyaman nach Gaziantep, von Gaziantep nach Istanbul, von Istanbul nach Serbien.
RI: Wann war die Ausreise?
BF: Es müsste im November 2022 oder 2023 gewesen sein.
RI: Erfolgte die Ausreise aus der Türkei legal oder illegal?
BF: Von der Türkei bin ich legal ausgereist, aber bis hierher bin ich illegal gekommen.
RI: Erfolgte die Ausreise behördlich kontrolliert?
BF: Ja.
RI: Hatten Sie im Zuge der Ausreise Probleme mit Grenzbeamten?
BF: Nein.
RI: Stellten Sie jemals in einem anderen Staat einen Asylantrag?
BF: Nein, ich bin direkt hierhergekommen. Mein Reiseziel war zur Zeitpunkt meiner Ausreise Österreich.
RI: Warum gerade Österreich?
BF: Ich habe recherchiert und gelesen, dass Aleviten hier viel freier sind und die Religion hier anerkannt wird.
RI: Gibt es zu diesem Fragenkomplex (persönlicher und familiärer Hintergrund, Reiseroute) Fragen des RV?
RV: Nein.
RI: Haben Sie gegenüber der Polizei und dem BFA wahrheitsgemäß und vollständig ausgesagt, wurde alles richtig protokolliert und rückübersetzt?
BF: Ja.
RI: Wie empfanden Sie die Einvernahmesituation beim BFA?
BF: Sind wir nicht beim BFA?
RI: Wir sind beim Bundesverwaltungsgericht.
BF: Meinen Sie das Camp, das Heim?
RI: Ich spreche von Ihrer Einvernahme in Traiskirchen am 03.10.2023.
BF: Ja, jetzt habe ich es verstanden. Ich stand etwas unter Stress und war nervös. Die Befragung hat mir nicht so gut gefallen, denn als ich gefragt wurde, wo ich arbeite und wo mein letzter Wohnsitz war, haben sie das vertauscht.
RI: Was war entscheidend dafür, dass Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben?
BF: Wenn ich mich in einem Cafehaus oder unter einer Gesellschaft befinde, werde ich gefragt, ob ich Türkei oder Kurde bin und welcher Religion ich angehöre. Wenn ich dann antworte, dass ich Kurde und Alevite bin, werde ich als Terrorist und ungläubiger bezeichnet. In der Stadt Adiyaman, in der ich groß geworden bin, gibt es eine Sekte, die sich Menzi nennt. Deren Gemeinschaft nennt sich Nahsibendi (phonetisch). Sie bezeichneten uns als Ungläubige. Es heißt, dass man mit Aleviten nicht heirate und deren Essen nicht esse. Aus ihrer Ansicht ist das alles verpönt. Die Haustüren bei Aleviten werden mit „X“ gekennzeichnet. Unlängst hat man das bei einer alevitischen Frau gemacht, die drei Tage nicht in ihr Haus konnte. Als sie das bei der Polizei zur Anzeige brachte, meinten sie, dass es Kinder gewesen seien und wimmelten sie ab. Darüber möchte ich mich auch nicht mehr viel äußern, denn wenn mir das einfällt, geht es mir psychisch nicht gut.
RI: Welche konkreten Verfolgungshandlungen gegen Sie wurden wann von wem verwirklicht?
BF: Zuletzt gab es eine Verfolgungshandlung in Antalya, als ich arbeitete. Obwohl es sich dabei um einen Freund handelt, hat er mich plötzlich beschimpft, weil ich Alevite bin. So hat sich mein Freundeskreis verkleinert.
RI: Kam es jemals zu körperlichen Übergriffen oder Drohungen gegen Sie?
BF: Nein.
RI: Sind Sie der Meinung, dass Aleviten in der Türkei verfolgt werden?
BF: Ja, auf jeden Fall.
RI: Die Aleviten stellen laut LIB die größte religiöse Minderheit in der Türkei dar (20 bis 25 Millionen Personen). Das Alevitentum wird offiziell nur als heterodoxe muslimische "Sekte", nicht jedoch als religiöses Bekenntnis anerkannt, womit gewisse Schlechterstellungen verbunden sind, beispielweise werden Cem-Häuser in vielen Gemeinden nicht als Gotteshäuser anerkannt und stehen nicht unter dem Schutz türkischer Strafgesetze. Auch gibt es laut alevitischen Führungspersönlichkeiten zu wenige Gebetshäuser (ca. 2.500 bis 3.000), um die Bedürfnisse der Gläubigen zu befriedigen. Auch wurde der Aktionsplan, der 2016 dem Ministerkomitee des Europarates vorgelegt wurde und sich auf Entscheidungen des EGMR über Cemevi und obligatorischen Religionsunterricht bezieht, nicht umgesetzt. Die Position, dass Moscheen auch geeignete Orte für die Religionsausübung von Aleviten seien, wird auch weiterhin von der Regierung eingenommen. Abweichend von der Regierungslinie, wurden den Aleviten vereinzelt auf lokaler Ebene Rechte und Unterstützung eingeräumt. In Izmir erhielten sieben Cemevis den Status einer Kultstätte. In Istanbul wurden kostenlose kommunale Dienstleistungen wie den anderen Religionsgemeinschaften auch den Gebetshäusern der Aleviten zugestanden. Auch dürften laut aktuellen Berichten inzwischen erste Schritte zur Umsetzung des EGMR-Urteils aus 2016 hinsichtlich der Verletzung der Religionsfreiheit und des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot umgesetzt worden sein. Dass es vereinzelt zu Übergriffen gegen Aleviten bzw. deren Vertreter oder Einrichtungen kommt, ist unbestritten.
BF: Ja, diese Informationen sind schon richtig, aber wie gesagt, wir sind eine Minderheit und in der letzten Zeit geht man vermehrt auf dieser Minderheit los. In der türkischen Gesellschaft befinden sich viele ungebildete Leute, die es besonders auf uns abgesehen haben. Es kam auch unlängst in einer Kirche zu einem Übergriff und sie wurden als Ungläubige bezeichnet. Ich habe im Westen in einem Hotel, in einem Restaurant gearbeitet und wurde oft mit solchen Situationen konfrontiert. Diese Menzi Sekte, von der ichgesprochen hatte, hat alle blind gemacht. All jene, die Aleviten oder Atheisten sind, werden verachtet. Nur, wenn du so handelst, wie die Sekte es gerne hätte, dann bist du einer von ihnen.
RI: Gibt es sonst noch Gründe, außer jenen, die schon vorgebracht haben, weshalb sie nicht in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren könnten?
BF: Nein.
RI: Gibt es zu diesem Fragenkomplex (Fluchtvorbringen) Fragen des RV?
RV: Nein.
RI: Möchten Sie Beweisanträge stellen?
RV: Nein.
Verständigung mit Dolmetscher:
RI: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
BF: Ja.
RI: Gab es in der Verhandlung sonst irgendwelche Probleme mit der Dolmetscherin?
BF: Nein.
[…]“
6. Mit in der Beschwerdeverhandlung vom 07.03.2024 mündlich verkündetem Erkenntnis wurde die Beschwerde des BF als unbegründet abgewiesen.
7. Mit Eingaben vom 13.03.2024 und vom 26.03.2024 beantragte der BF die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität des BF steht fest. Der BF führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in der Provinz Adiyaman geboren. Er ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und ist alevitischen Glaubens. Er beherrscht die türkische Sprache, ist ledig und kinderlos. Der BF bewohnte zunächst gemeinsam mit seiner Familie (Eltern und Geschwister) ein Haus in seiner Heimatprovinz, welches im Eigentum seiner Familie steht. Vor seiner Ausreise wohnte der BF mit seiner Familie in einer Mietwohnung in der Heimatprovinz. Er besuchte im Herkunftsstaat die Schule und schloss das Lyzeum ab. Danach war der BF in der Türkei in verschiedenen Bereichen (Tabakverkäufer, Barmann, Arbeiter in einer Fabrik, Landwirt, Koch) erwerbstätig. 1.1. Die Identität des BF steht fest. Der BF führt den Namen römisch XXXX und wurde am römisch XXXX in der Provinz Adiyaman geboren. Er ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und ist alevitischen Glaubens. Er beherrscht die türkische Sprache, ist ledig und kinderlos. Der BF bewohnte zunächst gemeinsam mit seiner Familie (Eltern und Geschwister) ein Haus in seiner Heimatprovinz, welches im Eigentum seiner Familie steht. Vor seiner Ausreise wohnte der BF mit seiner Familie in einer Mietwohnung in der Heimatprovinz. Er besuchte im Herkunftsstaat die Schule und schloss das Lyzeum ab. Danach war der BF in der Türkei in verschiedenen Bereichen (Tabakverkäufer, Barmann, Arbeiter in einer Fabrik, Landwirt, Koch) erwerbstätig.
1.2. Die Eltern des BF sowie ein Bruder und eine Schwester leben in der Türkei. Die genannten Personen verfügen über Vermögen und ein Einkommen.
1.3. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankungen. Er bedarf auch keiner medikamentösen Behandlung.
1.4. Der BF hatte vor seiner Ausreise keine Nachteile aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seines Religionsbekenntnisses, seines politischen Hintergrundes oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu gewärtigen.
1.5. Vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat war der BF auch keiner individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder Privatperson