Entscheidungsdatum
24.04.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W299 2274830-1/9E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 12.03.2024 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth Neuhold über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX 1986, Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.06.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth Neuhold über die Beschwerde des römisch XXXX , geboren am römisch XXXX 1986, Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.06.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 15.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 16.07.2022 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
2. Am 10.02.2023 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA. Im Zuge der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer vor, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Sein Haus und das Dorf seien täglich bombardiert worden. Auch hätten sie damals angefangen viele Männer als Reservisten zum Militär zu nehmen. Er wolle jedoch nicht kämpfen und auch keine anderen Syrer töten. Von 2005 bis 2007 habe er den Militärdienst in Aleppo und Damaskus abgeleistet. Er sei Überwacher gewesen, eine spezielle militärische Ausbildung habe er nicht absolviert. Sein Militärbuch habe er in Syrien zurückgelassen. Nachgefragt, ob er seine Militärbuchnummer kenne, gab der Beschwerdeführer an, er könne sich nicht mehr erinnern. Die Frage, ob er nach dem Dienst in den Reservedienst übernommen wurde, verneinte der Beschwerdeführer. Er habe lediglich zwei Monate länger Dienst leisten müssen, wegen dem Krieg im Libanon. Einen persönlichen Einberufungsbefehl als Reservesoldat habe er nicht erhalten. Es sei jedoch im Fernsehen verlautbart worden, dass alle Männer bis zu ihrem 40. Lebensjahr einrücken müssten. 2015 habe er Syrien verlassen. An Kampfhandlungen habe er nie teilgenommen. Die syrische Regierung habe seit etwa zwei oder drei Jahren wieder die Kontrolle über die Region. Es bestehe zwar die Möglichkeit des Freikaufes vom Militärdienst, aber dann würde er das Regime dabei unterstützen Menschen umzubringen. Er war keinen persönlichen Übergriffen in Syrien ausgesetzt, jedoch sei sein Onkel 2018 einführt worden. Seine Familie habe dann 20.000 USD für die Freilassung gezahlt. Gegen Ende der Einvernahme brachte er noch vor, dass er 2013 in Maaraat al-Nu’man an einer Demonstration gegen das Regime teilgenommen habe.
Im Zuge der Einvernahme wurde vom Beschwerdeführer im Original ein syrischer Personalausweis vorgelegt, den das BFA auf Echtheit überprüfen ließ. Weiters wurden in Kopie Kimliks der Familie, ein Familienbuch und türkische Geburtsurkunden seiner zwei jüngeren Kinder sowie eine Bestätigung der BBU über ehrenamtliche Arbeit vorgelegt.
3. Am 28.02.2023 langte beim BFA der Untersuchungsbericht einer Landespolizeidirektion ein. Gemäß der Untersuchung handelt es sich bei dem vorgelegten syrischen Personalausweis um ein authentisches Dokument.
4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 05.06.2023 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 05.06.2023 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt römisch II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch III.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde seitens des BFA im Wesentlichen damit begründet, dass man keine individuelle und konkrete Bedrohung des Beschwerdeführers in Syrien aus einem in der GFK genannten Grund feststellen konnte. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie seien konkreten Übergriffen durch die FSA oder anderen Parteien ausgesetzt gewesen. Auch habe er nie Probleme mit den Behörden in Syrien gehabt, sei nie inhaftiert oder angehalten wurden und würde auch derzeit kein Haftbefehl gegen ihn vorliegen. Bis zu seiner Flucht 2015 sei nie jemand an ihn herangetreten, damit er sich am Krieg in Syrien beteiligt. Der Beschwerdeführer habe angegeben nicht als Reservist registriert worden zu sein. Auch habe er nie eine Einberufung erhalten. Aufgrund seiner ausgeübten Tätigkeiten und seinem Rang beim Militär sei nicht davon auszugehen, dass gerade der Beschwerdeführer mit bereits 37 Jahren sofort zum aktiven Dienst einberufen werden würden, da er weder über militärische Spezialkenntnisse noch über eine spezielle militärische Ausbildung verfügen würde. Zudem würde es ihm freistehen, sich aufgrund seines langjährigen Auslandaufenthaltes vom Wehrdienst frei zu kaufen. Er sei nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer aufgrund einer einmaligen Teilnahme an einer Demonstration gegen das syrische Regime im Jahr 2013 aktuell eine Verfolgung oder Bedrohung in Syrien drohen würde. Die Demonstration würde bereits 10 Jahre zurückliegen und könne somit grundsätzlich nicht mehr von einer aktuellen Gefährdungslage ausgegangen werden, zum anderen habe er selbst angegeben, dass die Teilnahme keine Konsequenzen für ihn gehabt hätte.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen aus, dass er aus einem ehemals oppositionellen Gebiet komme und somit sei er einem besonderen Risiko asylrelevanter Verfolgung durch das syrische Regime ausgesetzt. Die Länderberichte würden zeigen, dass eine besondere Qualifikation nicht notwendig ist, um zum Militärdienst als Reservist eingezogen zu werden. Im Rahmen einer Prognoseentscheidung hätte die belangte Behörde prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer in Zukunft mit Verfolgung rechnen müsste, weil er sich dem Reservedienst entzieht. Die Länderberichte würden eindeutig bestätigen, dass der Rekrutierungsprozess in ganz Syrien willkürlich und gesetzlos erfolgt. Der Beschwerdeführer erfülle als 37-jähriger gesunder Mann aus einem ehemals oppositionellen Gebiet kommend genau das Rekrutierungsprofil für den Reservedienst bei der syrischen Armee. Er könne sich einer Rekrutierung oder Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung nicht dauerhaft entziehen. Der Möglichkeit des Freikaufes vom Wehrdienst wurde damit entgegnet, dass der Beschwerdeführer die Verbrechen des syrischen Regimes zutiefst ablehnen würde und dieses daher mit keinem Cent unterstützten wolle. Zudem würde dem Beschwerdeführer wegen seiner Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Auch würde dem Beschwerdeführer aufgrund der Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden.
6. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 12.03.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung statt. Das BFA blieb der Verhandlung unentschuldigt fern. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien und seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt.
Zum Schluss der Verhandlung wurde von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine abschließende Stellungnahme abgegeben.
7. Mit Schreiben vom 15.03.2024 langte beim BVwG ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 12.03.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er wurde am XXXX 1986 im Dorf XXXX , im Gouvernement Idlib geboren.1.1.1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Arabisch. Der Beschwerdeführer führt den Namen römisch XXXX . Er wurde am römisch XXXX 1986 im Dorf römisch XXXX , im Gouvernement Idlib geboren.
1.1.2. Der Beschwerdeführer lebte zunächst von der Geburt bis 2008 in seinem Heimatort XXXX , wo er auch bis zur 6. Schulstufe die Schule besuchte. In den Jahren 2005-2007 absolvierte er seinen Militärdienst, wobei er in der Luftwaffe eingesetzt wurde. Ab 2008 lebte und arbeitete er in Damaskus als Kleidungsverkäufer, bevor er auf Grund der sich in Damaskus zuspitzenden Situation Ende 2013 wieder zurück in seinen Heimatort XXXX zog, das damals unter Kontrolle der Opposition stand. In der Folge hielt er sich in Gebieten auf, die nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes, sondern unter Kontrolle der Opposition standen. 1.1.2. Der Beschwerdeführer lebte zunächst von der Geburt bis 2008 in seinem Heimatort römisch XXXX , wo er auch bis zur 6. Schulstufe die Schule besuchte. In den Jahren 2005-2007 absolvierte er seinen Militärdienst, wobei er in der Luftwaffe eingesetzt wurde. Ab 2008 lebte und arbeitete er in Damaskus als Kleidungsverkäufer, bevor er auf Grund der sich in Damaskus zuspitzenden Situation Ende 2013 wieder zurück in seinen Heimatort römisch XXXX zog, das damals unter Kontrolle der Opposition stand. In der Folge hielt er sich in Gebieten auf, die nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes, sondern unter Kontrolle der Opposition standen.
1.1.3. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, das Dorf XXXX , stand bis 2020 unter Kontrolle der Opposition, liegt nunmehr aber im Regierungsgebiet und steht sohin gegenwärtig unter der Kontrolle des syrischen Regimes.1.1.3. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, das Dorf römisch XXXX , stand bis 2020 unter Kontrolle der Opposition, liegt nunmehr aber im Regierungsgebiet und steht sohin gegenwärtig unter der Kontrolle des syrischen Regimes.
1.1.4. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier Kinder. Seine Ehefrau und die vier Kinder leben derzeit in der Türkei.
1.1.5. 2015 reiste er mit seiner Frau und seinen Kindern illegal und schlepperunterstützt in die Türkei, wo er als Bauarbeiter tätig war, bevor er 2022 die Türkei verlies.
1.1.6. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen, schlepperunterstützt über verschiedene Länder nach Österreich, wo er am 15.07.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 05.06.2023 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.1.7. Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung 38 Jahre alt und gesund.
Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst vom 2005 bis 2007 in Rief Aleppo. Er war Rekrut, erhielt eine Ausbildung an der Kalaschnikov und war in der Folge für die Luftwaffe tätig. Er hat nicht an Kampfhandlungen teilgenommen, zumal er den Dienst vor Beginn des Bürgerkrieges leistete. Der Beschwerdeführer ist aktuell zum Reservedienst beim syrischen Regime einberufen.
Der Beschwerdeführer befindet sich nach wie vor im wehrfähigen Alter.
Er lehnt die Ableistung des Reservedienstes ab, weil er niemanden töten und nicht Teil dieses Krieges sein will (siehe Verhandlungsprotokoll S. 18: „Ich könnte bei so einem Regime, was in meinen Augen Mörder sind, nicht mitmachen, weil sie schon so viele unschuldige Menschen getötet haben und auch immer noch töten. Ich war noch nie ein Mensch, der eine Waffe getragen hat und sich jemals überlegt hat, zu zielen und sogar noch abzudrücken.“).
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien (Herkunftsregion XXXX ) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige Bestrafung durch den syrischen Staat (in Form von Haft und Folter) wegen Verweigerung des Reservedienstes. Er kann sich nicht dauerhaft dem staatlichen Reservedienst bzw. einer Strafe wegen Verweigerung des Reservedienstes entziehen, weil sein Herkunftsort von der Regierung kontrolliert wird.Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien (Herkunftsregion römisch XXXX ) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige Bestrafung durch den syrischen Staat (in Form von Haft und Folter) wegen Verweigerung des Reservedienstes. Er kann sich nicht dauerhaft dem staatlichen Reservedienst bzw. einer Strafe wegen Verweigerung des Reservedienstes entziehen, weil sein Herkunftsort von der Regierung kontrolliert wird.
Er würde zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
Die Tatsache, dass die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung als Ausdruck politischen Dissens betrachtet (auch in Kombination mit den, den Betroffenen drohenden, völlig unverhältnismäßigen Sanktionen), kann nicht anders als dahingehend beurteilt werden, als dass sie dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt.
Der Beschwerdeführer wie auch seine Familienangehörigen haben in Syrien an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen, Verwandte des Beschwerdeführers wurden deshalb auch vom syrischen Regime festgenommen. Der Beschwerdeführer ist regimekritisch.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Betreffend die Lage in Syrien werden der Entscheidung insbesondere die in den folgenden Berichten enthaltenen Informationen zugrunde gelegt:
- Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien vom 17.07.2023, Version 9;
- EUAA, Country Guidance Syria, February 2023;
- EUAA, Syria: Security situation, Country of Origin Information Report, September 2022;
- EUAA, Syria: Targeting of Individuals, Country of Origin Information Report, September 2022;
- EASO (nunmehr EUAA) Country of Origin Information, Report, Syria Military Service, April 2021;
- EUAA; Syria Country Focus, Oktober 2023;
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021;
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation – Reservedienst in der Syrisch Arabischen Armee (SAA) bzw. den Syrian Democratic Forces (SDF) vom 04.11.2021;
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien, Reservisten – Bedarf, Bedingungen, Alter, Dauer, Einsatzbereich, Möglichkeit des Freikaufens vom 14.06.2023 (a-12132-1)
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt vom 14.06.2023 (a-12132-2);
- ACCORD: ecoi.net-Themendossier zu Syrien: Wehrdienst, 16. Jänner 2024 werden zu Feststellungen erhoben.
1.3.1. Anhand der – zum Zeitpunkt der Entscheidungsverkündung maßgeblichen – Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien vom 17.07.2023, Version 9, ergibt sich (auszugsweise) folgendes Bild:
„[…]
1.3.1.1. Politische Lage
[…]
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung 2023-07-10 12:56
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).