Entscheidungsdatum
03.04.2024Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W606 2278351-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas ZINIEL, LL.M., BSc über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas ZINIEL, LL.M., BSc über die Beschwerde des römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom römisch XXXX , Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am römisch XXXX zu Recht:
A)
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. wird stattgegeben und römisch XXXX gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , (im Folgenden: Beschwerdeführer) ist syrischer Staatsangehöriger, Kurde, sunnitischer Moslem und spricht Kurdisch (Kurmanji) als Muttersprache. Er stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde. Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.1. römisch XXXX , geboren am römisch XXXX , (im Folgenden: Beschwerdeführer) ist syrischer Staatsangehöriger, Kurde, sunnitischer Moslem und spricht Kurdisch (Kurmanji) als Muttersprache. Er stellte am römisch XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde. Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
2. Bei der auf Arabisch durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer an, Syrien im XXXX illegal verlassen zu haben. Er sei ein Deserteur von der Armee, deshalb sei ihm das Leben in Syrien schwergemacht worden. Die türkische Armee habe ihre Stadt übernommen, sie hätten ihn zwei Tage in Haft genommen. Danach sei er in die Türkei geflohen. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst um sein Leben und vor der Armee.2. Bei der auf Arabisch durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am römisch XXXX gab der Beschwerdeführer an, Syrien im römisch XXXX illegal verlassen zu haben. Er sei ein Deserteur von der Armee, deshalb sei ihm das Leben in Syrien schwergemacht worden. Die türkische Armee habe ihre Stadt übernommen, sie hätten ihn zwei Tage in Haft genommen. Danach sei er in die Türkei geflohen. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst um sein Leben und vor der Armee.
3. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am XXXX gab der Beschwerdeführer an, in Syrien immer in XXXX gelebt zu haben.3. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am römisch XXXX gab der Beschwerdeführer an, in Syrien immer in römisch XXXX gelebt zu haben.
Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er Syrien wegen der Angst vor den Behörden und auch Angst vor den bewaffneten Gruppen in XXXX verlassen habe. Er habe seinen Militärdienst von XXXX bis XXXX geleistet. Dann sei er desertiert. Er sei nach XXXX gekommen. Das sei unter Kontrolle der Kurden gewesen und ihnen sei es ganz gut gegangen. Aber 2018 hätten die bewaffneten Gruppen XXXX übernommen und sein Vater habe immer gesagt, der Beschwerdeführer solle noch in Syrien bleiben. Im XXXX sei er geschlagen worden und dann habe er im XXXX Syrien verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst, dass die Regierungsbehörde ihn einsperren würde. Er habe vor den Behörden mehr Angst als vor den bewaffneten Gruppen.Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er Syrien wegen der Angst vor den Behörden und auch Angst vor den bewaffneten Gruppen in römisch XXXX verlassen habe. Er habe seinen Militärdienst von römisch XXXX bis römisch XXXX geleistet. Dann sei er desertiert. Er sei nach römisch XXXX gekommen. Das sei unter Kontrolle der Kurden gewesen und ihnen sei es ganz gut gegangen. Aber 2018 hätten die bewaffneten Gruppen römisch XXXX übernommen und sein Vater habe immer gesagt, der Beschwerdeführer solle noch in Syrien bleiben. Im römisch XXXX sei er geschlagen worden und dann habe er im römisch XXXX Syrien verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst, dass die Regierungsbehörde ihn einsperren würde. Er habe vor den Behörden mehr Angst als vor den bewaffneten Gruppen.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom römisch XXXX wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 ab (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei.
5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde darin zusammengefasst ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im XXXX desertiert sei. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm wegen seiner (allenfalls unterstellten) politischen Gesinnung eine langjährige Haftstrafe oder die Todesstrafe. 5. Gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde darin zusammengefasst ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im römisch XXXX desertiert sei. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm wegen seiner (allenfalls unterstellten) politischen Gesinnung eine langjährige Haftstrafe oder die Todesstrafe.
6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt des BFA langten am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt des BFA langten am römisch XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die kurdische Sprache statt, bei der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung einvernommen wurde. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.7. Am römisch XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die kurdische Sprache statt, bei der der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung einvernommen wurde. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Kurde und sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Kurdisch (Kurmanji). Er ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist am XXXX in XXXX im Gouvernement XXXX in Syrien geboren; er hat sein ganzes Leben in XXXX verbracht. Er hat die stärksten familiären, sozialen und emotionalen Bindungen an XXXX . XXXX ist seine Heimatregion.1.1.2. Der Beschwerdeführer ist am römisch XXXX in römisch XXXX im Gouvernement römisch XXXX in Syrien geboren; er hat sein ganzes Leben in römisch XXXX verbracht. Er hat die stärksten familiären, sozialen und emotionalen Bindungen an römisch XXXX . römisch XXXX ist seine Heimatregion.
XXXX befindet sich derzeit unter Kontrolle der Freien Syrischen Armee. römisch XXXX befindet sich derzeit unter Kontrolle der Freien Syrischen Armee.
1.1.3. 2021 reiste der Beschwerdeführer illegal aus Syrien aus. In weiterer Folge reiste er nach Österreich, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er suchte auf seiner Reise in Griechenland um Asyl an.1.1.3. 2021 reiste der Beschwerdeführer illegal aus Syrien aus. In weiterer Folge reiste er nach Österreich, wo er am römisch XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er suchte auf seiner Reise in Griechenland um Asyl an.
1.2. Zu den Fluchtgründen und zur Gefährdung bei einer Rückkehr nach Syrien:
1.2.1. Der Beschwerdeführer ist im XXXX vom Wehrdienst bei den syrischen Streitkräften desertiert. Im Zusammenhang damit wird ihm von der syrischen Regierung aktuell eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.1.2.1. Der Beschwerdeführer ist im römisch XXXX vom Wehrdienst bei den syrischen Streitkräften desertiert. Im Zusammenhang damit wird ihm von der syrischen Regierung aktuell eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt.
1.2.2. Zudem lehnt es der Beschwerdeführer aus Gewissensgründen und aufgrund seiner politischen Gesinnung ab, im derzeitigen Konflikt in Syrien auf der Seite der syrischen Regierung zu kämpfen. Auch dies wertet die syrische Regierung als politisch oppositionell.
1.2.3. Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in seine Heimatregion zum Entscheidungszeitpunkt faktisch nur durch von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet möglich. Eine Einreise nach Syrien über die von der syrischen Heilsregierung oder der syrischen Interimsregierung bzw. der Türkei kontrollierten Grenzübergänge zwischen der Türkei und Nordwestsyrien ist ihm nicht möglich.
1.2.4. Bei einer Rückkehr in seine Heimatregion besteht für den Beschwerdeführer daher aktuell die Gefahr, bereits am Flughafen oder an einem Grenzkontrollposten bzw. Checkpoint aufgegriffen und als Deserteur mit einer Gefängnisstrafe, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anwendung von Folter verbunden wäre, und/oder mit dem Tod bestraft zu werden.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Gesamtaktualisierung vom 17.07.2023 (Version 9):
„[…] Politische Lage
Syrische Arabische Republik
Letzte Änderung: 10.07.2023
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 2.5.2023). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, Repression, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Das überwiegend von Alawiten geführte Regime präsentiert sich als Beschützer der Alawiten und anderer religiöser Minderheiten (FH 9.3.2023) und die alawitische Minderheit hat weiterhin einen im Verhältnis zu ihrer Zahl überproportional großen politischen Status, insbesondere in den Führungspositionen des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Nachrichtendienste, obwohl das hochrangige Offizierskorps des Militärs weiterhin auch Angehörige anderer religiöser Minderheitengruppen in seine Reihen aufnimmt (USDOS 15.5.2023). In der Praxis hängt der politische Zugang jedoch nicht von der Religionszugehörigkeit ab, sondern von der Nähe und Loyalität zu Assad und seinen Verbündeten. Alawiten, Christen, Drusen und Angehörige anderer kleinerer Religionsgemeinschaften, die nicht zu Assads innerem Kreis gehören, sind politisch entrechtet. Zur politischen Elite gehören auch Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft, doch die sunnitische Mehrheit des Landes stellt den größten Teil der Rebellenbewegung und hat daher die Hauptlast der staatlichen Repressionen zu tragen (FH 9.3.2023).
Die Verfassung schreibt die Vormachtstellung der Vertreter der Ba'ath-Partei in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft vor, und Assad und die Anführer der Ba'ath-Partei beherrschen als autoritäres Regime alle drei Regierungszweige (USDOS 20.3.2023). Mit dem Dekret von 2011 und den Verfassungsreformen von 2012 wurden die Regeln für die Beteiligung anderer Parteien formell gelockert. In der Praxis unterhält die Regierung einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, um Oppositionsbewegungen zu überwachen und zu bestrafen, die Assads Herrschaft ernsthaft infrage stellen könnten (FH 9.3.2023). Der Präsident stützt seine Herrschaft insbesondere auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Nachrichtendienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. So hat sich in Syrien ein politisches System etabliert, in dem viele Institutionen und Personen miteinander um Macht konkurrieren und dabei kaum durch die Verfassung und den bestehenden Rechtsrahmen kontrolliert werden, sondern v.a. durch den Präsidenten und seinen engsten Kreis. Trotz gelegentlicher interner Machtkämpfe stehen Assad dabei keine ernst zu nehmenden Kontrahenten gegenüber. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle seither verteidigt oder sogar weiter ausgebaut und profitieren durch Schmuggel und Korruption wirtschaftlich erheblich (AA 29.3.2023).
Dem ehemaligen Berater des US-Außenministeriums Hazem al-Ghabra zufolge unterstützt Syrien beinahe vollständig die Herstellung und Logistik von Drogen, weil es eine Einnahmemöglichkeit für den Staat und für Vertreter des Regimes und dessen Profiteure darstellt (Enab 23.1.2023). Baschar al-Assad mag der unumschränkte Herrscher sein, aber die Loyalität mächtiger Warlords, Geschäftsleute oder auch seiner Verwandten hat ihren Preis. Beispielhaft wird von einer vormals kleinkriminellen Bande berichtet, die Präsident Assad in der Stadt Sednaya gewähren ließ, um die dort ansässigen Christen zu kooptieren, und die inzwischen auf eigene Rechnung in den Drogenhandel involviert ist. Der Machtapparat hat nur bedingt die Kontrolle über die eigenen Drogennetzwerke. Assads Cousins, die Hisbollah und Anführer der lokalen Organisierten Kriminalität haben kleine Imperien errichtet und geraten gelegentlich aneinander, wobei Maher al-Assad, der jüngere Bruder des Präsidenten und Befehlshaber der Vierten Division, eine zentrale Rolle bei der Logistik innehat. Die Vierte Division mutierte in den vergangenen Jahren 'zu einer Art Mafia-Konglomerat mit militärischem Flügel'. Sie bewacht die Transporte und Fabriken, kontrolliert die Häfen und nimmt Geld ein. Maher al-Assads Vertreter, General Ghassan Bilal, gilt als der operative Kopf und Verbindungsmann zur Hisbollah (Spiegel 17.6.2022).
Es gibt keine Rechtssicherheit oder Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibt für Einzelne unvorhersehbar (AA 29.3.2023).
Institutionen und Wahlen
Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Art. 113 der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).Syrien ist nach der geltenden Verfassung von 2012 eine semipräsidentielle Volksrepublik. Das politische System Syriens wird de facto jedoch vom autoritär regierenden Präsidenten dominiert. Der Präsident verfügt als oberstes Exekutivorgan, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Generalsekretär der Ba'ath-Partei über umfassende Vollmachten. Darüber hinaus darf der Präsident nach Artikel 113, der Verfassung auch legislativ tätig werden, wenn das Parlament nicht tagt, aufgelöst ist oder wenn "absolute Notwendigkeit" dies erfordert. De facto ist die Legislativbefugnis des Parlaments derzeit außer Kraft gesetzt. Gesetze werden weitgehend als Präsidialdekrete verabschiedet (AA 29.3.2023).
Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Art. 85 vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).Der Präsident wird nach der Verfassung direkt vom Volk gewählt. Seine Amtszeit beträgt sieben Jahre. Seit der letzten Verfassungsänderung 2012 ist maximal eine einmalige Wiederwahl möglich. Da diese Verfassungsbestimmung jedoch erstmals bei den Präsidentschaftswahlen 2014 zur Anwendung kam, war es dem aktuellen Präsidenten Baschar al-Assad erlaubt, bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2021 erneut zu kandidieren. Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt werden nach Artikel 85, vom Obersten Verfassungsgericht überprüft und müssen Voraussetzungen erfüllen, die Angehörige der Opposition faktisch weitgehend ausschließen. So muss ein Kandidat u. a. im Besitz seiner bürgerlichen und politischen Rechte sein (diese werden bei Verurteilungen für politische Delikte in der Regel entzogen), darf nicht für ein "ehrenrühriges" Vergehen vorbestraft sein und muss bis zum Zeitpunkt der Kandidatur ununterbrochen zehn Jahre in Syrien gelebt haben. Damit sind im Exil lebende Politikerinnen und Politiker von einer Kandidatur de facto ausgeschlossen (AA 29.3.2023). Bei den Präsidentschaftswahlen, die im Mai 2021 in den von der Regierung kontrollierten Gebieten sowie einigen syrischen Botschaften abgehalten wurden, erhielt Bashar al-Assad 95,1 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von rund 77 % und wurde damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt. Zwei kaum bekannte Personen waren als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5 % und 3,3 % der Stimmen (Standard 28.5.2021; vergleiche Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als 'weder frei noch fair' und als 'betrügerisch', und die Opposition nannte sie eine 'Farce' (Standard 28.5.2021).
Das Parlament hat nicht viel Macht. Dekrete werden meist von Ministern und Ministerinnen vorgelegt, um ohne Änderungen vom Parlament genehmigt zu werden. Sitze im Parlament oder im Kabinett dienen nicht dazu, einzelne Machtgruppen in die Entscheidungsfindung einzubinden, sondern dazu, sie durch die Vorteile, die ihnen ihre Positionen verschaffen, zu kooptieren (BS 23.2.2022). Im Juli 2020 fanden die Wahlen für das "Volksrat" genannte syrische Parlament mit 250 Sitzen statt, allerdings nur in Gebieten, in denen das Regime präsent ist. Auch diese Wahlen wurden durch die weitverbreitete Vertreibung der Bevölkerung beeinträchtigt. Bei den Wahlen gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, da die im Exil lebenden Oppositionsgruppen nicht teilnahmen und die Behörden keine unabhängigen politischen Aktivitäten in dem von ihnen kontrollierten Gebiet dulden. Die regierende Ba'ath-Partei und ihre Koalition der Nationalen Progressiven Front erhielten 183 Sitze. Die restlichen 67 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, die jedoch alle als regierungstreu galten (FH 9.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 33,7 % (BS 23.2.2022). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, welche das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (WP 22.7.2020).
Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in den Wahllokalen und somit keinen Mechanismus zur Überprüfung, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Aufgrund der Vorschriften bei Reihungen auf Wahllisten sind alternative Kandidaten standardmäßig nur ein Zusatz zu den Kandidaten der Ba'ath-Partei (MEI 24.7.2020). Die vom Regime und den Nachrichtendiensten vorgenommene Reihung auf der Liste ist damit wichtiger als die Unterstützung durch die Bevölkerung oder Stimmen. Wahlen in Syrien dienen nicht dem Finden von Entscheidungsträgern, sondern der Aufrechterhaltung der Fassade von demokratischen Prozessen durch den Staat nach Außen. Sie fungieren als Möglichkeit, relevante Personen in Syrien quasi zu managen und Loyalisten dazu zu zwingen, ihre Hingabe zum Regime zu demonstrieren (BS 23.2.2022). Zudem gilt der Verkauf öffentlicher Ämter an reiche Personen, im Verbund mit entsprechend gefälschten Wahlergebnissen, als zunehmend wichtige Devisenquelle für das syrische Regime (AA 29.3.2023). Entscheidungen werden von den Sicherheitsdiensten oder dem Präsidenten auf Basis ihrer Notwendigkeiten getroffen - nicht durch gewählte Personen (BS 23.2.2022).
Im September 2022 fanden in allen [unter Kontrolle des syrischen Regimes stehenden] Provinzen Wahlen für die Lokalräte statt. Nichtregierungsorganisationen bezeichneten sie ebenfalls als weder frei noch fair (USDOS 20.3.2023). […]
Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung
Letzte Änderung: 11.07.2023
Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).
Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).
Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönli