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L78 Berg- und EnergierechtNorm
B-VG Art12 Abs1 Z2Leitsatz
Verstoß einer Bestimmung des NÖ ElektrizitätswesenG 2005 gegen die grundsatzgesetzlichen Vorgaben des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsG 2010; Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Kündigungsmöglichkeit des Stromversorgers betreffend Kunden mit dem Tarif der Grundversorgung, sofern ein Stromliefervertragsabschluss außerhalb des Grundversorgungstarifs mit einem anderen Stromversorger möglich ist; Kündigungsmöglichkeit steht im Widerspruch zur Verpflichtung zur Grundversorgung mit einem Tarif, der nicht höher sein darf als jener, zu dem die größte Anzahl der Haushaltkunden beliefert wirdRechtssatz
Aufhebung des §45 Abs6 Satz 2 des NÖ ElektrizitätswesenG 2005 (NÖ ElWG 2005), LGBl 7800-5. Abweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung des §45 Abs6 Satz 1 und 3 leg cit.Aufhebung des §45 Abs6 Satz 2 des NÖ ElektrizitätswesenG 2005 (NÖ ElWG 2005), Landesgesetzblatt 7800-5. Abweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung des §45 Abs6 Satz 1 und 3 leg cit.
Ablehnung der Individualanträge zu G122/2023 und G129/2023 mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg: Die (Eventual-)Anträge machen geltend, dass §66 Abs2 Satz 1 TEG 2012 auf der verfassungswidrigen grundsatzgesetzlichen Bestimmung des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 beruhe sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Erwerbs- und die Eigentumsfreiheit verstoße. Unter anderem diese Bedenken veranlassten den VfGH zur amtswegigen Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit unter anderem des §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010. In diesem Gesetzesprüfungsverfahren konnten diese Bedenken zerstreut werden, sodass der VfGH mit E v 12.03.2024, G1102/2023 ua, ausgesprochen hat, dass §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.
Ablehnung der Beschwerde zu E2193/2023 im Hinblick auf die Rsp des VfGH zu §124 GWG 2011 (E v 12.03.2024, G1102/2023 ua).
Zu den - zulässigen - Gerichtsanträgen zu G138/2023, G156/2023 und G253/2023:
Ein Ausführungsgesetz darf dem Grundsatzgesetz nicht widersprechen, es also auch nicht in seiner rechtlichen Wirkung verändern oder einschränken. Denn die durch das Bundesgrundsatzgesetz aufgestellten Grundsätze sind für die Landesgesetzgebung unbedingt und in vollem Ausmaß verbindlich.
§77 Abs1 Satz 2 ElWOG 2010 verpflichtet Stromversorgungsunternehmen, zu deren Tätigkeitsbereich (auch) die Versorgung von Haushaltskunden zählt, Verbraucher, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu dem von ihnen festgelegten und veröffentlichten Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden zu beliefern. §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ergänzt diese Pflicht zur Grundversorgung um die Anordnung, dass dieser Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem das jeweilige Stromversorgungsunternehmen die größte Anzahl von Haushaltskunden versorgt. Diese Regelung stellt - in Umsetzung von Art27 der Richtlinie (EU) 2019/944 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. 2019 L 158, 125 - die Versorgung aller Haushaltskunden mit Elektrizität insbesondere zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen sicher. Die Grundversorgung iSd §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ist damit allen Haushaltskunden zu einem diskriminierungsfreien Preis gewährleistet, worauf insbesondere die Tarifobergrenze des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 abzielt.
§45 Abs6 Satz 1 NÖ ElWG 2005 sieht eine Kündigungsmöglichkeit der Grundversorgung aus wichtigem Grund vor. Satz 2 leg cit nennt (demonstrativ) als einen solchen wichtigen Grund die Möglichkeit des Abschlusses eines Stromliefervertrages mit einem anderen Stromversorgungsunternehmen außerhalb der Grundversorgung. Satz 3 leg cit stellt weiters klar, dass das Recht des Stromhändlers oder sonstigen Lieferanten, seine Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis für den Fall einer nicht bloß geringfügigen und anhaltenden Zuwiderhandlung, wie die Missachtung mehrmaliger Mahnungen, so lange auszusetzen, als die Zuwiderhandlung andauert, davon unberührt bleibt.
Wesentliche Vorgabe für die Grundversorgung mit Strom ist gemäß der grundsatzgesetzlichen Bestimmung des §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 auch, dass die Grundversorgung zu einem Tarif erfolgt, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem das vom Haushaltskunden für die Grundversorgung in Anspruch genommene Stromversorgungsunternehmen die größte Anzahl an Haushaltskunden versorgt. Dem widerspricht eine Kündigungsmöglichkeit für das zur Grundversorgung verpflichtete Stromversorgungsunternehmen (einzig) aus dem Grund, dass ein dritter Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, außerhalb der Grundversorgung einen Stromliefervertrag mit dem die Grundversorgung begehrenden Verbraucherkunden abzuschließen, ohne dass für diesen die Tarifobergrenze der Grundversorgung, wie sie in §77 Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 grundsatzgesetzlich vorgegeben ist, bindend wäre. Eine solche Kündigungsmöglichkeit verstößt damit gegen die grundsatzgesetzlich in §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 geregelte Pflicht zur Grundversorgung für alle Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen.
Daran ändert auch die in §77 Abs1 Satz 3 ElWOG 2010 geregelte Vorgabe, dass die Ausführungsgesetze nähere Bestimmungen über die Verbraucher iSd §1 Abs1 Z2 KSchG für die Grundversorgung vorzusehen haben, nichts, weil diese Bestimmung jedenfalls nicht zu einer Abänderung der verpflichtenden Vorgaben für die Grundversorgung gemäß §77 Abs1 Satz 2 und Abs2 Satz 1 ElWOG 2010 ermächtigt. Inhalt und Reichweite des §77 Abs1 Satz 3 ElWOG 2010 im Übrigen sind hier nicht zu erörtern.
Zur Beseitigung des Verstoßes ist es ausreichend, §45 Abs6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 aufzuheben, weil die übrigen Bestimmungen des §45 Abs6 NÖ ElWG 2005 mit ihrem selbstständigen Regelungsgehalt verbleiben können. Der zu G138/2023 protokollierte Antrag ist daher, soweit er sich auch gegen §45 Abs6 Satz 1 und 3 NÖ ElWG 2005 richtet, abzuweisen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Energierecht, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Kündigung, Konsumentenschutz, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Individualantrag, VfGH / Ablehnung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Anlassfall, VfGH / Anlassverfahren, Eventualantrag, Preisbindung, Preisregelung, PreistransparenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2024:G122.2023Zuletzt aktualisiert am
24.06.2024