Entscheidungsdatum
29.05.2024Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L507 2278635-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.12.2023 zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.12.2023 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 22.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesbezüglich wurde der Beschwerdeführer am 22.10.2022 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Im Rahmen dieser Befragung führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Türkei verlassen habe, weil er als Kurde unterdrück worden sei. Er habe trotz Ausbildung keinen Job bekommen.
Am 25.04.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass er als Kurde in der Türkei unter Druck gesetzt werde. Er habe an der Universität sehr viel Druck erlebt. Nach seinem Abschluss habe er den Master machen wollen, was er wegen dem Druck nicht gekonnt habe. Er habe akzeptieren müssen, dass er keinen Master machen könne. Dann habe seine Klasse Bewerbungen für mehrere Altersheime in Istanbul abgeschickt und der Beschwerdeführer eineinhalb Monate lang in einem Altersheim gearbeitet. Die Familien der Bewohner hätten nicht gewollt, dass er diese pflege, weil er Kurde sei. Deswegen sei er entlassen worden. Er habe sich dann bei einer anderen Stelle beworben und den Job auch erhalten. Zwei Monate habe er dort gearbeitet und sei dann aus dem gleichen Grund gezwungen worden zu kündigen. An der Universität sei zu den Kurden gesagt worden: „Warum seid ihr Kurden? Ihr müsst Türken sein. Wenn ihr Kurden seid, müsst ihr in die kurdische Region!“ Im Jänner 2022 seien der Beschwerdeführer und Freunde von ihm an der Universität von mehreren Studenten geschlagen worden. Danach sei der Beschwerdeführer im Krankenhaus gewesen und habe eine Creme und Schmerztabletten erhalten.
2. Mit Bescheid des BFA vom 10.08.2023, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).2. Mit Bescheid des BFA vom 10.08.2023, Zl. römisch XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß
§ 55 Absatz eins bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt römisch VI.).
Beweiswürdigend wurde vom BFA zusammenfassend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft vorgebracht habe und die Gründe für seine Ausreise im privaten Bereich – der Verbesserung seiner Lebenssituation – gelegen seien. Weiters wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahren drohen, die eine Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen.Beweiswürdigend wurde vom BFA zusammenfassend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft vorgebracht habe und die Gründe für seine Ausreise im privaten Bereich – der Verbesserung seiner Lebenssituation – gelegen seien. Weiters wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahren drohen, die eine Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG nicht vorliegen.
3. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer ordnungsgemäß am 22.08.2023 zugestellt, wogegen mit Schreiben vom 14.09.2023 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde. Darin wurde eingangs im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und weiter ausgeführt, dass sich das BFA damit nicht ausreichend auseinandergesetzt habe und insbesondere Ermittlungen dazu unterlassen habe. Die Länderfeststellungen seien unzureichend bzw. nicht korrekt ausgewertet worden. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 habe sich die Situation in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers gravierend verändert. Die Menschenrechtssituation sei prekär und die Sicherheitslage volatil. Im Weiteren folgen auszugsweise Berichte zur Sicherheitslage sowie zur Situation von ethnischen Minderheiten und wurde darauf hingewiesen, dass die Angaben des Beschwerdeführers – insbesondere jene zur Verwendung der kurdischen Sprache – durch das aktuelle Länderinformationsblatt bestätigt werden würden. Hätte das BFA diese Berichte berücksichtigt und die persönliche Situation des Beschwerdeführers ausreichend erhoben, hätte es zum Schluss kommen müssen, dass ihm in der Türkei asylrelevante Verfolgung drohe. Anschließen wurde darauf verweisen, dass die Beweiswürdigung – wie näher dargestellt – mangelhaft sei. In der rechtlichen Beurteilung sei fälschlicherweise auf die kurdische Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers verwiesen worden, obwohl Kurden eine ethnische Minderheit seien und der Beschwerdeführer der Religion des Islam angehöre. Zudem könne auch einer Verfolgung durch „private Akteure“ asylrelevant sein und liege eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht vor.
4. Am 19.12.2023 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen Zudem wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zur Türkei ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingeräumt.
Mit Schreiben vom 02.01.2024 wurde eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Länderberichten erstattet. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Länderberichte im Wesentlichen die Diskriminierung von Kurden in der Türkei bestätigen würden. Auch das Europäische Parlament äußere seine Besorgnis über die Situation von Kurden in der Türkei und sei laut UNHCR auch eine Häufung von diskriminierenden Maßnahmen einer Verfolgung gleichzusetzen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, sunnitisch-schafiitischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er stammt aus XXXX in der Provinz XXXX , wo er mit seiner Familie bis zum Beginn seines Studiums im Jahr 2020 lebte.Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, sunnitisch-schafiitischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er stammt aus römisch XXXX in der Provinz römisch XXXX , wo er mit seiner Familie bis zum Beginn seines Studiums im Jahr 2020 lebte.
Der Beschwerdeführer hat in XXXX die Volksschule, die Hauptschule sowie vier Jahre ein Lyzeum besucht. Anschließend studierte er in XXXX zwei Jahre die Fachrichtung Gesundheitswesen (Altenpfleger). Das Studium hat der Beschwerdeführer im Juli 2022 beendet und war danach bis kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2022 in zwei Altenheimen in XXXX als Altenpfleger tätig.Der Beschwerdeführer hat in römisch XXXX die Volksschule, die Hauptschule sowie vier Jahre ein Lyzeum besucht. Anschließend studierte er in römisch XXXX zwei Jahre die Fachrichtung Gesundheitswesen (Altenpfleger). Das Studium hat der Beschwerdeführer im Juli 2022 beendet und war danach bis kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2022 in zwei Altenheimen in römisch XXXX als Altenpfleger tätig.
Während des Studiums hat der Beschwerdeführer in den Ferien in XXXX in der Tourismusbranche als Kellner, Barmann oder in der Wäscherei von Hotels gearbeitet.Während des Studiums hat der Beschwerdeführer in den Ferien in römisch XXXX in der Tourismusbranche als Kellner, Barmann oder in der Wäscherei von Hotels gearbeitet.
Den Militärdienst hat der Beschwerdeführer noch nicht abgeleistet. Er erhielt aufgrund seines Studiums einen Aufschub bis zum Jahr 2028 (VS 4).
Von 18.12.2021 bis 12.03.2022 absolvierte der Beschwerdeführer in der Türkei einen Englischkurs auf dem Niveau A1. Von 19.03.2022 bis 17.07.2022 absolvierte der Beschwerdeführer in der Türkei einen Englischkurs auf dem Niveau A2.
Der Beschwerdeführer beherrscht die kurdische und türkische Sprache (AS 5).
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In der Türkei leben nach wie vor seine Eltern und vier Brüder in XXXX . Der Vater des Beschwerdeführers ist in der Baubranche berufstätig. Die Mutter ist Hausfrau. Zwei Brüder gehen noch zur Schule und leben bei den Eltern. Ein Bruder studiert in XXXX Architektur und ein Bruder studiert in XXXX Pharmazie. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Familienangehörigen in der Türkei in Kontakt (VS 4).Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In der Türkei leben nach wie vor seine Eltern und vier Brüder in römisch XXXX . Der Vater des Beschwerdeführers ist in der Baubranche berufstätig. Die Mutter ist Hausfrau. Zwei Brüder gehen noch zur Schule und leben bei den Eltern. Ein Bruder studiert in römisch XXXX Architektur und ein Bruder studiert in römisch XXXX Pharmazie. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Familienangehörigen in der Türkei in Kontakt (VS 4).
Im Oktober 2022 hat der Beschwerdeführe die Türkei legal mittels Flug nach Bosnien verlassen und ist noch im Oktober 2022 illegal im Bundesgebiet eingereist. Seither hält sich der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer bezog bis Dezember 2023 Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.
Von 10.11.2023 bis 09.11.2024 und vom 18.03.2024 bis 17.03.2025 verfügte bzw. verfügt der Beschwerdeführer über eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Küchengehilfe bzw. Hilfskoch.
Er war von 22.11.2023 bis 31.12.2023 bei der XXXX und von 02.01.2024 bis 03.01.2024 bei der XXXX beschäftigt. Seit 22.02.2024 ist der Beschwerdeführer bei der XXXX und seit 31.03.2024 bei der XXXX laufend als Arbeiter gemeldet. Er war von 22.11.2023 bis 31.12.2023 bei der römisch XXXX und von 02.01.2024 bis 03.01.2024 bei der römisch XXXX beschäftigt. Seit 22.02.2024 ist der Beschwerdeführer bei der römisch XXXX und seit 31.03.2024 bei der römisch XXXX laufend als Arbeiter gemeldet.
Der Beschwerdeführer bewohnt eine Mitwohnung. Er pflegt übliche soziale und freundschaftliche Kontakte, ist kein Mitglied in einem Verein und hat in Österreich keine Ausbildung absolviert. Den Verein „ XXXX “ hat der Beschwerdeführer bei anfallenden Arbeiten (zB bei Möbellieferungen) unterstützt. Der Beschwerdeführer bewohnt eine Mitwohnung. Er pflegt übliche soziale und freundschaftliche Kontakte, ist kein Mitglied in einem Verein und hat in Österreich keine Ausbildung absolviert. Den Verein „ römisch XXXX “ hat der Beschwerdeführer bei anfallenden Arbeiten (zB bei Möbellieferungen) unterstützt.
In Österreich leben eine Tante sowie ein Cousin des Beschwerdeführers. Mit diesen besteht kein gemeinsamer Wohnsitz. Mit seiner Tante steht der Beschwerdeführer telefonisch in Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist gesund, in Österreich strafrechtlich unbescholten und spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache (VS 5).
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer solchen ausgesetzt wäre.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
1.2. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:
Sicherheitslage
Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020, S. 18).
Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG (Yekîneyên Parastina Gel - Volksverteidigungseinheiten vornehmlich der Kurden in Nordost-Syrien) in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) (AA 28.7.2022, S. 4) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, S. 16) sowie durch Instabilität in den Nachbarstaaten Syrien und Irak. Staatliches repressives Handeln wird häufig mit der „Terrorbekämpfung“ begründet, verbunden mit erheblichen Einschränkungen von Grundfreiheiten, auch bei zivilgesellschaftlichem oder politischem Engagement ohne erkennbaren Terrorbezug (AA 28.7.2022, S. 4). Eine Gesetzesänderung vom Juli 2018 verleiht den Gouverneuren die Befugnis, bestimmte Rechte und Freiheiten für einen Zeitraum von bis zu 15 Tagen zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit einzuschränken, eine Befugnis, die zuvor nur im Falle eines ausgerufenen Notstands bestand (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 5).
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren mutmaßlichen Ableger, den TAK (Freiheitsfalken Kurdistans - Teyrêbazên Azadîya Kurdistan), den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - Devrimci Halk Kurtulu? Partisi- Cephesi – DHKP-C) (SDZ 29.6.2016; vgl. AJ 12.12.2016). Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, vor allem für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 12.2022, S. 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte.Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren mutmaßlichen Ableger, den TAK (Freiheitsfalken Kurdistans - Teyrêbazên Azadîya Kurdistan), den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - Devrimci Halk Kurtulu? Partisi- Cephesi – DHKP-C) (SDZ 29.6.2016; vergleiche AJ 12.12.2016). Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, vor allem für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 12.2022, S. 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte.
- Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, S. 28). Im Frühjahr zuvor (2016) zeigte sich das Europäische Parlament „in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Diyarbak?r und verurteilt[e] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen […] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind“ (EP 14.4.2016, S. 11, Pt. 27). Das türkische Verfassungsgericht hat allerdings eine Klage im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen zurückgewiesen, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz ??rnak getötet wurden. Das oberste Gericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das „Recht auf Leben“ nicht verletzt worden sei (Duvar 8.7.2022). Vielmehr sei laut Verfassungsgericht die von der Polizei angewandte tödliche Gewalt notwendig gewesen, um die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten (TM 4.11.2022). Zum Menschenrecht „Recht auf Leben“ siehe auch das Kapitel: Allgemeine Menschenrechtslage.
Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau wieder (NL-MFA 18.3.2021, S. 12). Obschon die Zusammenstöße zwischen dem Militär und der PKK in den ländlichen Gebieten im Osten und Südosten der Türkei ebenfalls stark zurückgegangen sind (HRW 12.1.2023), kommt es dennoch mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 2.3.2022, S. 13), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 12.10.2022, S. 5, 17). Allerdings wurde die Fähigkeit der PKK (und der TAK), in der Türkei zu operieren, durch laufende groß angelegte Anti-Terror-Operationen im kurdischen Südosten sowie durch die allgemein verstärkte Präsenz von Militäreinheiten der Regierung erheblich beeinträchtigt (Crisis24, 24.11.2022).
Gelegentliche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften einerseits und der PKK und mit ihr verbündeten Organisationen andererseits führen zu Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften, PKK-Kämpfern, aber auch unter der Zivilbevölkerung. Diesbezüglich gibt es glaubwürdige Hinweise, dass die Regierung im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen die PKK zum Tod von Zivilisten beigetragen hat, auch wenn deren Zahl in den letzten Jahren stetig abnahm (USDOS 20.3.2023, S. 3, 29). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 12.10.2022, S. 17). Die häufigenAnschläge der PKK richten sich hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte, können aber auch Zivilpersonen treffen. Die Sicherheitskräfte unterhalten zahlreiche Straßencheckpoints und sperren ihre Operationsgebiete vor militärischen Operationen weiträumig ab. Die bewaffneten Konflikte in Syrien und Irak können sich auf die angrenzenden türkischen Gebiete auswirken, zum Beispiel durch vereinzelte Granaten- und Raketenbeschüsse aus dem Kriegsgebiet (EDA 16.5.2023), denn die Türkei konzentriert ihre militärische Kampagne gegen die PKK unter anderem mit Drohnenangriffen in der irakischen Region Kurdistan, wo sich PKK-Stützpunkte befinden, und zunehmend im Nordosten Syriens gegen die kurdisch geführten, von den USA und Großbritannien unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) (HRW 12.1.2023). Die türkischen Luftangriffe, die angeblich auf die Bekämpfung der PKK in Syrien und im Irak abzielen, haben auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert (USDOS 20.3.2023, S.29). Umgekehrt sind wiederholt Anschläge gegen zivile Ziele verübt worden. Das Risiko von Entführungen durch terroristische Gruppierungen aus Syrien kann im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden (EDA 16.5.2023).
Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) zufolge kamen 2021 346 Personen, innerhalb und außerhalb [Anmerkung: Grenzgebiete zu Irak und Syrien] der Türkei bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben, davon mindestens 69 Angehörige der Sicherheitskräfte 275 bewaffnete Militante und acht Zivilisten (?HD6.11.2022, S. 40). Die International CrisisGroup (ICG) zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe 2015 6.561 Tote (4.310 PKK-Kämpfer, 1.414 Sicherheitskräfte - in der Mehrzahl Soldaten [983], aber auch 304 Polizisten und 127 sog. Dorfschützer - 611 Zivilisten und 226 nicht-zuordenbare Personen) im Zeitraum 20.7.2015 bis 3.3.2023. Betroffen waren insbesondere die Provinzen, ??rnak(1.185 Tote), Hakkâri(929 Tote), Diyarbak?r (667 Tote), Mardin (444), die zentralanatolische Provinz Tunceli/Dersim(293) [Anm.: kurdisch-alevitisches Kernland] und Van (248 Tote), wobei 1.479 Opfer in diesem Zeitrahmen auf irakischem Territorium vermerkt wurden. Im Jahr 2022 wurden 434 Todesopfer (2021: 392, 2020: 396) registriert, was einem Zuwachs von mehr als 10 % im Vergleich zu den beiden Vorjahren ausmacht (ICG 3.3.2023). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 12.10.2022, S. 18). Hie