Entscheidungsdatum
24.04.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W132 2268988-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2024, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. Syrien, vertreten durch römisch XXXX , gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom römisch XXXX , Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2024, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 12.08.2022 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: „Wegen des Militärdienstes und weil die Kurden die Nachbarorte kontrollieren. Die Kurden wollen das Gebiet an das Regime abgeben, weil die Türken dort eine Offensive starten möchten. Das sind alle meine Fluchtgründe“. Befragt zur Rückkehr gab er an: „Das Regime könnte mich einziehen, die Kurden könnten mich zwangsrekrutieren“.
2. Am 18.08.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA genannt). Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, Er befürchte zum Militärdienst einberufen zu werden, weil er davon ausgehe, dass die Kurden seine Herkunftsregion an das Regime abgeben würden, weil die Türken dort eine Offensive würden starten wollen.
Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens wurden Personenstandsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer und seine Familie sowie ein medizinischer Befund zur Augenverletzung des Beschwerdeführers vorgelegt.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde. Zu den Fluchtgründen wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer befürchte die Einberufung zum Wehrdienst. Er verfüge nicht über die finanziellen Mittel sich freizukaufen und es bestehe nicht die Möglichkeit ohne Kontakt mit dem syrischen Regime legal in seine Heimatregion einzureisen. Auch befürchte er die Rekrutierung durch kurdische Einheiten.4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde. Zu den Fluchtgründen wurde im Wesentlichen vorgebracht, der Beschwerdeführer befürchte die Einberufung zum Wehrdienst. Er verfüge nicht über die finanziellen Mittel sich freizukaufen und es bestehe nicht die Möglichkeit ohne Kontakt mit dem syrischen Regime legal in seine Heimatregion einzureisen. Auch befürchte er die Rekrutierung durch kurdische Einheiten.
5. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.02.2024 wurden die Verfahrensparteien zur Beschwerdeverhandlung am 24.04.2024 geladen und die nachstehend angeführten Unterlagen in das Verfahren eingebracht:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 09 (17.07.2023)
- Country of Origin Information (COI), Brief Report, Syria, Treatment upon Return, May 2022
- EASO (nunmehr EUAA) Leitfaden Syrien, November 2021
- EUAA Country Guidance Syria Februar 2023
- EASO (nunmehr EUAA) Syria Military service Country of Origin Information Report April 2021
- EUAA Syria: Targeting of individuals, September 2022
- EUAA Country of Origin Information Syria Security Situation von Oktober 2023
- EUAA Country of Origin Information Syria Country Focus von Oktober 2023
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021
- InterimsIeitfaden zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Aufrechterhaltung der UNHCR-Position aus dem Jahr 2017, Februar 2020
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien vom 14.10.2022
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Rückkehrer aus der EU vom 01.09.2022
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbidsch; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können [a-12201-2] vom 07.09.2023
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 06.09.2023 (Nachtrag)
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 18. August 2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien: Wehrdienst vom 27.01.2022
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion (a-11951) vom 08.09.2022
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der Syrischen Regierung (ergänzende AFB) vom 14.10.2022.
- Information der Staatendokumentation Syrien: Wehrdienstverweigerer an syrischen Grenzübergängen, inklusive Hinweise auf bereits erstellte Informationen vom 17.08.2023
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197] vom 24. August 2023
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo) [a-12201-1] vom 07.09.2023
- ecoi.net, Syrien, Arabische Republik -Themendossier: Wehrdienst vom 16.01.2024
- DIS, Syria Military Service, January 2024
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SYRIEN Webseite des syrischen Verteidigungsministeriums – Einberufung vom 18.05.2021
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Einberufung von Reservisten der syrischen Armee: Bedarf, Bedingungen, Alter, Dauer, Einsatzbereich, Möglichkeit des Freikaufens [a-12132-1] vom 14. Juni 2023
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt [a-12132-2] vom 14. Juni 2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SYRIEN vom 16.06.2021, Untauglichkeit aus medizinischen Gründen
- Anfragebeantwortung zu Syrien vom 05.05.2022: Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Einsatz von Wehrpflichtigen mit starker Sehschwäche [a-11869]
- Themenbericht der Staatendokumentation Syrien – Grenzübergänge vom 25.10.2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation TÜRKEI / SYRIEN Einreise türkisch-syrische Grenze, Weiterreise in AANES-Gebiete, besonders Tal Rifaat, vom 05.04.2023
6. Mit dem Schriftsatz vom 19.04.2024 legte die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers ein als „Einberufungsbefehl der kurdischen Streitkräfte“ bezeichnetes Schriftstück in arabischer Sprache vor.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 24.04.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eingehend zu seiner Person, den Lebensumständen in Syrien und den Fluchtgründen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich befragt.
Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
Die Richterin brachte ergänzend zu den im Zuge der Ladung zur Beschwerdeverhandlung eingebrachten Unterlagen folgende Berichte in das Verfahren ein:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 11 (27.03.2024)
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1] vom 06.05.2022
- ecoi.net, Syrien, Arabische Republik -Themendossier: Wehrdienst vom 16.01.2024
- DIS, Syria Military Service, January 2024
- EUAA Country Guidance Syria April 24
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und individuellen Umständen im Hinblick auf den Herkunftsstaat
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimischen Glauben.
Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt XXXX Jahre alt, als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen.Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt römisch XXXX Jahre alt, als Geburtsdatum wird der römisch XXXX angenommen.
Er verfügt über kein Reisedokument.
Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX , wo er die überwiegende Zeit im Familienverband gelebt hat, so zuletzt von Anfang 2020 bis Mitte 2022. Von 2015 bis 2020 hat sich er Beschwerdeführer, bis auf einen Monat Unterbrechung, in der Türkei aufgehalten.Der Beschwerdeführer stammt aus römisch XXXX , wo er die überwiegende Zeit im Familienverband gelebt hat, so zuletzt von Anfang 2020 bis Mitte 2022. Von 2015 bis 2020 hat sich er Beschwerdeführer, bis auf einen Monat Unterbrechung, in der Türkei aufgehalten.
Der Beschwerdeführer hat neun Jahre Grundschule besucht, zwar keine Berufsausbildung aber in der Türkei als Schweißer gearbeitet. Seine Muttersprache Arabisch beherrscht er in Wort und Schrift
In Syrien, in XXXX , leben noch die Frau und die Tochter, sowie die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers. Seine Brüder haben Syrien bereits verlassen.In Syrien, in römisch XXXX , leben noch die Frau und die Tochter, sowie die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers. Seine Brüder haben Syrien bereits verlassen.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen, hat jedoch durch eine Verletzung die Sehkraft am rechten Auge verloren.
Der Beschwerdeführer gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 11.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Er ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Das BFA ist davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer aktuell unter Berücksichtigung der individuellen Situation sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Syrien, weder in seine Heimatprovinz zurückkehren, noch auf die Übersiedlung in andere Landesteile Syriens verwiesen werden kann.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Im Falle der Rückkehr nach Syrien droht dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung wegen eines Konventionsgrundes in asylrelevantem Ausmaß.
1.2.1. Als Herkunftsregion des Beschwerdeführers wird XXXX , angenommen.1.2.1. Als Herkunftsregion des Beschwerdeführers wird römisch XXXX , angenommen.
Diese Region liegt in Nordost-Syrien und befindet sich im Gebiet der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) und steht aktuell nicht im Einfluss- oder Kontrollgebiet des syrischen Regimes, sondern unter Kontrolle kurdischer Kräfte (Syrian Democratic Forces, sohin Demokratische Kräfte Syriens, kurz: SDF; bzw. Volksverteidigungskräfte, kurz: YPG).
Die staatlichen Behörden Syriens haben in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung keinen Zugriff auf dort lebende Personen und können dort keine staatliche Macht (z. B. Vollstreckung von Einberufungs- oder Haftbefehlen) ausüben.
Dem Beschwerdeführer ist die Einreise in dieses Gebiet ohne Kontakt zum syrischen Regime über den nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang XXXX möglich.Dem Beschwerdeführer ist die Einreise in dieses Gebiet ohne Kontakt zum syrischen Regime über den nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang römisch XXXX möglich.
Er kann auch innerhalb des unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebietes seine Herkunftsregion ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichen.
1.2.2. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien an seinen Herkunftsort nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit seine Einberufung zum Wehrdienst oder eine Bestrafung durch den syrischen Staat wegen bislang unterbliebener Wehrdienstleistung.
Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst zwar noch nicht geleistet und befindet sich aktuell mit XXXX Jahren auch im wehrpflichtigen Alter.Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst zwar noch nicht geleistet und befindet sich aktuell mit römisch XXXX Jahren auch im wehrpflichtigen Alter.
Zudem ist damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer trotz seiner Sehbehinderung als wehrtauglich betrachtet würde.
Jedoch stammt der Beschwerdeführer aus einem Gebiet, wo das syrische Regime aktuell keine Kontrolle ausübt und ist dieses Gebiet auch ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar.
Es ist dem Beschwerdeführer gelungen sich bis zur Ausreise im Jahr 2022 dem Wehrdienst zu entziehen, weil er sich in einem von den Kurden kontrollierten Gebiet bzw. in der Türkei aufgehalten hat.
1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner Ausreise bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Nicht jedem Rückkehrer, der aus einem oppositionellen Gebiet stammt, unrechtmäßig ausgereist ist und im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.
1.2.4. Der Beschwerdeführer stammt aus einem von den Kurden kontrollierten Gebiet.
Ihm droht bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund durch kurdische Einheiten.
Er ist bislang nicht der in den Gebieten der AANES bestehenden „Selbstverteidigungspflicht“ nachgekommen.
Als Jahrgang XXXX ist er im „wehrpflichtigen“ Alter.Als Jahrgang römisch XXXX ist er im „wehrpflichtigen“ Alter.
Er würde sich im Falle der Rückkehr weigern den „Wehrdienst“ zu leisten.
Die Autonomiebehörden sehen eine Verweigerung des Militärdienstes in der „Demokratischen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien“ jedoch nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung an.
Im Falle einer Weigerung droht auch keine unverhältnismäßige Strafe. Wenn Wehrpflichtige versuchen, diesem Dienst zu entgehen, werden sie mit der Verlängerung der „Wehrpflicht“ um einen Monat und allenfalls einer vorhergehenden Haft im Ausmaß von ein bis zwei Wochen bestraft. Personen, die der „Selbstverteidigungspflicht“ nicht nachkommen, werden sodann zur Ableistung des Wehrdienstes in ein Trainingslager überstellt.
Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz. Der Beschwerdeführer ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Beteiligung an Kampfhandlungen verpflichtet. Er ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verlegung an die Front ausgesetzt und muss sich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen.
Er hatte in seinem Herkunftsort keine Probleme mit den Kurden oder kurdischen Einheiten.
1.2.5. Dem Beschwerdeführer droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Araber in seiner Herkunftsregion konkret und individuell keine physische und/oder psychische Gewalt in Syrien.
1.2.6. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund durch die FSA. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers liegt nicht im Einfluss- oder Kontrollgebiet der FSA, sondern unter Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung bzw. deren Streitkräfte.
Auch aus der allgemeinen Lage in Syrien resultiert für den Beschwerdeführer keine Verfolgung aus Gründen, welche in der GFK aufgelistet sind.
Es haben sich im Verfahren keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte für eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers, dass ihm in Syrien individuell und aktuell Verfolgung in asylrelevanter Intensität droht, ergeben.
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 09 (17.07.2023)
- Country of Origin Information (COI), Brief Report, Syria, Treatment upon Return, May 2022
- EASO (nunmehr EUAA) Leitfaden Syrien, November 2021
- EUAA Country Guidance Syria Februar 2023 und April 2024
- EASO (nunmehr EUAA) Syria Military service Country of Origin Information Report April 2021
- EUAA Syria: Targeting of individuals, September 2022
- EUAA Country of Origin Information Syria Security Situation von Oktober 2023
- EUAA Country of Origin Information Syria Country Focus von Oktober 2023
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021
- InterimsIeitfaden zum internationalen Schutzbedarf von Asylsuchenden aus Syrien: Aufrechterhaltung der UNHCR-Position aus dem Jahr 2017, Februar 2020
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien vom 14.10.2022
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Rückkehrer aus der EU vom 01.09.2022
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbidsch; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können [a-12201-2] vom 07.09.2023
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 06.09.2023 (Nachtrag)
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188] vom 18. August 2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien: Wehrdienst vom 27.01.2022
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertion (a-11951) vom 08.09.2022
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der Syrischen Regierung (ergänzende AFB) vom 14.10.2022.
- Information der Staatendokumentation Syrien: Wehrdienstverweigerer an syrischen Grenzübergängen, inklusive Hinweise auf bereits erstellte Informationen vom 17.08.2023
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197] vom 24. August 2023
- Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbidsch (Provinz Aleppo) [a-12201-1] vom 07.09.2023
- ecoi.net, Syrien, Arabische Republik -Themendossier: Wehrdienst vom 16.01.2024
- DIS, Syria Military Service, January 2024
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SYRIEN Webseite des syrischen Verteidigungsministeriums – Einberufung vom 18.05.2021
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Einberufung von Reservisten der syrischen Armee: Bedarf, Bedingungen, Alter, Dauer, Einsatzbereich, Möglichkeit des Freikaufens [a-12132-1] vom 14. Juni 2023
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Detailfragen zum Vorgehen der syrischen Grenzbehörden bei der Einreise eines registrierten Reservisten nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt [a-12132-2] vom 14. Juni 2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation SYRIEN vom 16.06.2021, Untauglichkeit aus medizinischen Gründen
- Anfragebeantwortung zu Syrien vom 05.05.2022: Tauglichkeitskriterien der syrischen Armee; Einsatz von Wehrpflichtigen mit starker Sehschwäche [a-11869]
- Themenbericht der Staatendokumentation Syrien – Grenzübergänge vom 25.10.2023
- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation TÜRKEI / SYRIEN Einreise türkisch-syrische Grenze, Weiterreise in AANES-Gebiete, besonders Tal Rifaat, vom 05.04.2023
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 11 (27.03.2024)
- ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1] vom 06.05.2022
- ecoi.net, Syrien, Arabische Republik -Themendossier: Wehrdienst vom 16.01.2024
- DIS, Syria Military Service, January 2024
1.3.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 11 – auszugsweise:
4 Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-03-08 11:17
4.1 „Versöhnungsabkommen“ (auch „Beilegungsabkommen“)
Letzte Änderung 2024-03-08 11:22
Die syrischen Behörden nutzen sogenannte „reconciliation agreements“ [in anderen Quellen auch als „settlement agreements“ - Beilegungsabkommen - bezeichnet] seit Beginn des Konfliktes (NMFA 5.2022). Die Evakuierung der von Rebellen gehaltenen Gemeinde Daraya im August 2016 markierte dabei einen Wendepunkt in der Nutzung von Versöhnungsabkommen durch die syrische Regierung als Strategie zur Rückeroberung der von Rebellen gehaltenen Gebiete. Bis zur Vereinbarung in Daraya waren in verschiedenen Gemeinden in ganz Syrien örtlich begrenzte Waffenstillstände eingesetzt worden. Sowohl die lokalen Waffenstillstände als auch die Versöhnungsvereinbarungen sind eine militärische Strategie, mit der Rebellengebiete entweder sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt zum Einlenken gezwungen werden sollen, um Menschen und Gebiete in den Staat wiedereinzugliedern (MEE 28.3.2018). Das Verfahren ist grundsätzlich für Personen gedacht, die im Sicherheitsapparat aktenkundig sind oder die von den Behörden im Zusammenhang mit einer offenen Angelegenheit gesucht werden. Sowohl Kombattanten als auch Zivilisten können Versöhnungsvereinbarungen unterzeichnen. Es gibt lokale und individuelle Versöhnungsabkommen (NMFA 5.2022).
Lokale Versöhnungsabkommen in ehemaligen Oppositionsgebieten
Die „Versöhnungsprozesse“ scheinen ad hoc durchgeführt zu werden, was bedeutet, dass sie variieren und keine eindeutige Beschreibung des Prozesses gegeben werden kann. Für die praktische Umsetzung der Vereinbarungen ist ein „Versöhnungsausschuss“ zuständig. Dieses Gremium ist kein Gericht. Es gibt kein materiell-rechtliches Verfahren und das Justizministerium ist nicht beteiligt. Das Ergebnis ist kein Urteil, sondern eine Sicherheitserklärung. Der Inhalt des Abkommens kann nicht angefochten werden. Die betreffende Person gibt ihre leichten Waffen ab und erklärt schriftlich, dass sie von Widerstandstätigkeiten absehen wird. Im Gegenzug verspricht die syrische Regierung, die Vorwürfe aus dem Strafregister zu streichen und den Namen der Person von den Fahndungslisten zu entfernen. Männer, die noch ihren Militärdienst ableisten müssen, haben sechs Monate Zeit, sich beim Rekrutierungsbüro zu melden. Es gibt Quellen, die berichten, dass diejenigen, die freigelassen werden, ein Dokument erhalten (NMFA 5.2022).
Der Abschluss der „Versöhnungsabkommen“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen (ÖB Damaskus 12.2022). Laut der Syrian Association for Citizen’s Dignity (SACD), eine 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Basisbewegung aus Syrien, gehörten zu den Taktiken bisher auch Belagerungen, bei denen das Regime die Menschen in diesen Gebieten nicht nur der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten beraubte, sondern sie auch mit Luftangriffen und Granaten beschoss, die Infrastruktur zerstörte und Zivilisten tötete, um das Gebiet schließlich zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zu zwingen (SACD 8.11.2021). Im Allgemeinen bieten die Versöhnungsverfahren zwei Möglichkeiten: eine Versöhnungsvereinbarung zu unterzeichnen und weiterhin im Regierungsgebiet zu leben oder in das Oppositionsgebiet im Nordwesten Syriens zu ziehen (NMFA 5.2022). Die Vereinbarungen beinhalten oft die Evakuierung der Gebiete von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden (ÖB Damaskus 12.2022). Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. OFPRA 13.12.2022) und sind de facto Kapitulationsvereinbarungen (NMFA5.2022; vgl. SACD 8.11.2021, TIMEP 15.10.2021). Weiters dienen die Versöhnungsabkommen der Syrischen Regierung zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die dann entweder in der regulären Armee oder regierungsnahen Milizen dienen müssen (EUAA 10.2023).Der Abschluss der „Versöhnungsabkommen“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Vereinbarungen mit Rebellentruppen werden meist am Ende einer Belagerung durch Regierungstruppen abgeschlossen (ÖB Damaskus 12.2022). Laut der Syrian Association for Citizen’s Dignity (SACD), eine 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Basisbewegung aus Syrien, gehörten zu den Taktiken bisher auch Belagerungen, bei denen das Regime die Menschen in diesen Gebieten nicht nur der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten beraubte, sondern sie auch mit Luftangriffen und Granaten beschoss, die Infrastruktur zerstörte und Zivilisten tötete, um das Gebiet schließlich zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines Versöhnungsabkommens zu zwingen (SACD 8.11.2021). Im Allgemeinen bieten die Versöhnungsverfahren zwei Möglichkeiten: eine Versöhnungsvereinbarung zu unterzeichnen und weiterhin im Regierungsgebiet zu leben oder in das Oppositionsgebiet im Nordwesten Syriens zu ziehen (NMFA 5.2022). Die Vereinbarungen beinhalten oft die Evakuierung der Gebiete von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden (ÖB Damaskus 12.2022). Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB Damaskus 12.2022; vergleiche OFPRA 13.12.2022) und sind de facto Kapitulationsvereinbarungen (NMFA5.2022; vergleiche SACD 8.11.2021, TIMEP 15.10.2021). Weiters dienen die Versöhnungsabkommen der Syrischen Regierung zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die dann entweder in der regulären Armee oder regierungsnahen Milizen dienen müssen (EUAA 10.2023).
Die von der Regierung angebotenen Versöhnungsabkommen sind an verschiedene Bedingungen geknüpft (STDOK 8.2017). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017), oder den Männern im wehrpflichtigen Alter wird eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 2.2.2024; vgl. EB 14.6.2023; vgl. SD 9.6.2023). Einem von EUAA interviewten Experten zufolge können Deserteure oder Wehrdienstverweigerer durch ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung Strafen entgehen. Teilweise treten sie im Rahmen dieser Abkommen Milizen bei oder formen neue, welche mit der syrischen Armee oder dem Geheimdienst zusammenarbeiten (EUAA 10.2023). Im Rahmen von Versöhnungsabkommen gemachte Garantien der Regierung werden jedoch nicht eingehalten. Die syrischen Behörden haben Einzelpersonen verhaftet, nachdem ihnen die Freilassung zugesichert wurde, und Vereinbarungen über die Freistellung von der Wehrpflicht, über den Dienstort neuer Wehrpflichtiger (BS 23.2.2022) oder zur Schonfrist vor dem Einzug zum Militärdienst wurden gebrochen (AA 2.2.2024). Es wird von willkürlichen Verhaftungen von Personen berichtet, die sich zuvor mit der syrischen Regierung „versöhnt“ hatten (UNHRC 7.2.2023; vgl. HRW 12.1.2023; vgl. UNHRC 24.8.2023) und es kommt trotz Abkommen zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Es gibt Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben (ÖB Damaskus 12.2022). Auch werden manche Personen, die einen Versöhnungsprozess durchlaufen haben, von ihren Nachbarn früherer Vergehen beschuldigt und bekommen dadurch Probleme mit dem Geheimdienst (EUAA 10.2023). Der Abschluss von „Versöhnungsabkommen“ in bestimmten Gebieten schützt die dortige Bevölkerung nicht vor dem willkürlichen, rücksichtslosen Verhalten der dort präsenten regierungsfreundlichen Milizen (OFPRA 13.12.2022). Diese Menschenrechtsverletzungen decouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet (ÖB Damaskus 12.2022).Die von der Regierung angebotenen Versöhnungsabkommen sind an verschiedene Bedingungen geknüpft (STDOK 8.2017). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017), oder den Männern im wehrpflichtigen Alter wird eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 2.2.2024; vergleiche EB 14.6.2023; vergleiche SD 9.6.2023). Einem von EUAA interviewten Experten zufolge können Deserteure oder Wehrdienstverweigerer durch ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung Strafen entgehen. Teilweise treten sie im Rahmen dieser Abkommen Milizen bei oder formen neue, welche mit der syrischen Armee oder dem Geheimdienst zusammenarbeiten (EUAA 10.2023). Im Rahmen von Versöhnungsabkommen gemachte Garantien der Regierung werden jedoch nicht eingehalten. Die syrischen Behörden haben Einzelpersonen verhaftet, nachdem ihnen die Freilassung zugesichert wurde, und Vereinbarungen über die Freistellung von der Wehrpflicht, über den Dienstort neuer Wehrpflichtiger (BS 23.2.2022) oder zur Schonfrist vor dem Einzug zum Militärdienst wurden gebrochen (AA 2.2.2024). Es wird von willkürlichen Verhaftungen von Personen berichtet, die sich zuvor mit der syrischen Regierung „versöhnt“ hatten (UNHRC 7.2.2023; vergleiche HRW 12.1.2023; vergleiche UNHRC 24.8.2023) und es kommt trotz Abkommen zu Verhaftungen und dem Verschwinden von früheren Kämpfern in deren Häusern oder an Checkpoints. Es gibt Berichte über die gezielte Tötung von ehemaligen Kämpfern, die sich nunmehr den syrischen Streitkräften angeschlossen haben (ÖB Damaskus 12.2022). Auch werden manche Personen, die einen Versöhnungsprozess durchlaufen haben, von ihren Nachbarn früherer Vergehen beschuldigt und bekommen dadurch Probleme mit dem Geheimdienst (EUAA 10.2023). Der Abschluss von „Versöhnungsabkommen“ in bestimmten Gebieten schützt die dortige Bevölkerung nicht vor dem willkürlichen, rücksichtslosen Verhalten der dort präsenten regierungsfreundlichen Milizen (OFPRA 13.12.2022). Diese Menschenrechtsverletzungen decouragieren auch die Rückkehr von geflüchteten Personen. Durch mehrere Gesetzeserlässe wurde die Regierung 2019 zur Konfiskation des Eigentums von „Terroristen“ ermächtigt. Als Terroristen werden vor allem auch viele Oppositionelle gelistet (ÖB Damaskus 12.2022).
Generell lässt sich seitens der Regierung das Bestreben feststellen, möglichst schnell wieder staatliche Strukturen in den eroberten Gebieten zu etablieren. Allerdings gibt es offenbar große Herausforderungen für die syrische Regierung, dieses Bestreben flächendeckend umzusetzen (ÖB Damaskus 12.2022).
Individuelle Versöhnungsabkommen
Soweit bekannt, gibt es auch individuelle Versöhnungsabkommen für Syrer, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren wollen, bzw. für Vertriebene, die in ein Gebiet unter der Kontrolle der Behörden zurückkehren. Der Abschluss eines individuellen Versöhnungsabkommens ist auch hier kein genau definiertes Verfahren und kann von Person zu Person und von Botschaft zu Botschaft variieren; in der Regel beinhaltet es jedoch die Unterzeichnung eines Dokuments in einer Botschaft, in dem die Person ihre „Straftat“ zugibt. Versöhnungsabkommen bieten allerdings keinen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen (NMFA 5.2022). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gibt an, dass der individuelle Versöhnungsprozess entweder aus dem Ausland oder aus einem Gebiet, das nicht unter Regierungskontrolle steht, begonnen werden kann, aber der Abschluss in einem Gebiet unter Regierungskontrolle erfolgen muss. Das Dokument zur Bestätigung dieses individuellen Versöhnungsprozesses kann nur in einem Gebiet unter der Kontrolle der syrischen Regierung ausgestellt werden. Dieselbe Quelle merkt an, dass Personen, die einen solchen individuellen Versöhnungsprozess beginnen, erst recht die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden auf sich ziehen (NMFA 8.2023).
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4.4 Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and EastSyria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)
Letzte Änderung 2024-03-08 15:02
Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amt die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vergleiche AA 2.2.2024).
Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).
Der Rückzug der USA aus den Gebiete