TE Vfgh Beschluss 2007/3/15 G170/06

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2007
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FremdenpolizeiG 2005 §76
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §57

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags eines Unabhängigen Verwaltungssenatesauf Aufhebung einer Bestimmung des Niederlassungs- undAufenthaltsgesetzes betreffend das Niederlassungsrecht vonAngehörigen mangels Präjudizialität; keine Anwendung dieserBestimmung bei Prüfung einer Schubhaftbeschwerde;Niederlassungsverfahren noch anhängig

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland (im Folgenden: UVS) stellte aus Anlass eines bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens wegen der - von 29. Mai bis 28. Juni 2006 erfolgten - Anhaltung eines Fremden in Schubhaft gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG die Anträge, die Wortfolge ",sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben," in §57 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, in eventu die Wortfolgen ", die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben," sowie ", sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben," in §57 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Den Anträgen des UVS liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Der Bezirkshauptmann von Neusiedl am See ordnete mit Bescheid vom 29. Mai 2006 zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots sowie einer anschließenden Abschiebung die Schubhaft gemäß §76 Abs1 und 3 sowie §113 Abs1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm. §57 Abs1 AVG über einen mazedonischen Staatsangehörigen an, der am 28. Mai 2006 ohne Aufenthaltstitel und Identitätsnachweis in der Nähe des Grenzüberganges Nickelsdorf aufgegriffen wurde.

Nach der Aktenlage steht fest, dass sich der Fremde seit seiner illegalen Einreise im Jahr 2001 im Bundesgebiet aufhält. Sein (erster) Asylantrag vom 28. Mai 2002 wurde rechtskräftig abgewiesen, ein weiterer Asylantrag vom 17. Oktober 2003 zurückgewiesen und schließlich der (dritte) Asylantrag vom 28. September 2004 mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. April 2005 (rechtskräftig mit 19. Mai 2005) abgewiesen, die Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung für zulässig erklärt und die Ausweisung gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 ausgesprochen.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Fremde seit 7. Mai 2005 mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist. Am 13. Mai 2005 beantragte er die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher". Der Antrag wurde mit Bescheid vom 3. August 2005 wegen des Verdachts des Bestehens einer Scheinehe (nunmehr: Aufenthaltsehe) abgewiesen. Der dagegen eingebrachten Berufung wurde aufgrund der seit In-Kraft-Treten des Fremdenrechtspaketes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, geltenden Zuständigkeitsregelung Folge gegeben, der Bescheid aufgehoben und dem gemäß §3 NAG zuständigen Landeshauptmann zur neuerlichen Entscheidung übertragen. Das Verfahren ist noch anhängig.

2.2. Gegen die Anhaltung in Schubhaft brachte der Fremde eine Schubhaftbeschwerde ein und beantragte unter lita die Feststellung, dass die Schubhaft rechtswidrig verhängt worden sei sowie unter litb ihre sofortige Aufhebung.

Mit rechtskräftigem Bescheid vom 28. Juni 2006, Zl. E166/10/2006.041/008, stellte der UVS (zu litb der Schubhaftbeschwerde) fest, dass die Fortsetzung der Schubhaft unzulässig sei.

2.3. Anlässlich der in lita der Schubhaftbeschwerde aufgeworfenen Frage, ob die - vom 29. Mai bis 28. Juni 2006 erfolgte - Anhaltung in Schubhaft notwendig iSd. §76 Abs1 FPG war, stellte der UVS den vorliegenden Antrag, einzelne Wortfolgen in §57 NAG als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Zur Rechtslage:

1.1. Gemäß §1 Abs1 NAG regelt dieses Bundesgesetz die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten (wollen) sowie die Dokumentation von bestehenden Aufenthalts- und Niederlassungsrechten. Abs2 leg.cit. nennt die Personen(gruppen), die von der Anwendung des NAG ausgenommen sind.

1.2. Gemäß §3 Abs1 NAG ist sachlich zuständige Behörde iSd. Gesetzes der örtlich zuständige Landeshauptmann. Er kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörde ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden. Gemäß Abs2 leg.cit. entscheidet über Berufungen gegen Entscheidungen des Landeshauptmannes der Bundesminister für Inneres.

1.3. Die §§51 bis 56 NAG regeln Fragen des Niederlassungsrechts für EWR-Bürger und deren Angehörige sowie dessen Dokumentation. Sodann bestimmt §57 leg.cit. (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Die Bestimmungen der §§51 bis 56 finden auch auf Schweizer Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, und deren Angehörige sowie auf Angehörige von Österreichern, sofern diese ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, Anwendung."

1.4. Gemäß §81 Abs1 NAG sind Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

2. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft sind folgende Bestimmungen des FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BG BGBl. I Nr. 99/2006, maßgeblich:

"Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet

§31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§19 Abs4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§48 Abs1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß §67 ARHG eingereist sind;

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß §3 Abs5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß §18 Abs3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

(2) ...

(3) Fremdenpolizeiliche Einwände im Sinne des Abs2 liegen vor, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §60 besteht;

2. ein Vertragsstaat einen Zurückweisungsgrund mitgeteilt hat;

3. gegen ihn in den letzten zwölf Monaten eine Ausweisung gemäß §54 oder §10 AsylG 2005 rechtskräftig erlassen wurde;

4. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

5. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(2) - (6) ...

(7) Die Anordnung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß §82 angefochten werden.

Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

§82. (1) Der Fremde hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1. wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder

3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

(2)-(4) ...

Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat

§83. (1) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

(2)-(4) ..."

III. 1. Der UVS beantragt die Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen in §57 NAG, weil er im Zuge der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Anhaltung in Schubhaft das Vorliegen diverser Umstände, insbesondere ob sich der Fremde, der Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen ist, rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder zumindest berechtigt ist, die Erledigung eines von ihm gestellten Antrages im Inland abzuwarten, zu prüfen und einer rechtlichen Würdigung zu unterziehen habe. Aus Anlass der Schubhaftbeschwerde hegt der UVS das Bedenken, dass die in §57 NAG getroffene Regelung eine sachlich nicht zu rechtfertigende Unterscheidung von Angehörigen von Österreichern, die Staatsbürger eines Drittstaates sind, und solchen Angehörigen von EWR-Bürgern bzw. Schweizer Bürgern treffe.

2. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung der Anträge sowie - im Falle ihrer Zulässigkeit - ihre Abweisung begehrt.

3. Die am Verfahren beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie sich den Bedenken des UVS anschließt.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages des UVS erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenat an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd. Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenates im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).

2. Der UVS vertritt auf das Wesentliche zusammengefasst die Ansicht, dass er bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schubhaft gemäß §76 Abs1 FPG die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltstitels des Fremden auch nach den Vorgaben des NAG zu überprüfen habe und dass daher §57 NAG präjudiziell sei.

3. Diese Ansicht teilt der Verfassungsgerichtshof nicht:

3.1. Gemäß §76 Abs1 erster Satz FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Nach dem zweiten Satz der Bestimmung darf über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, Schubhaft verhängt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

3.2. Da der Beschwerdeführer im Anlassverfahren vor dem UVS unbestritten weder einen gültigen Aufenthaltstitel noch eine gültige Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts besaß noch sonst zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war, sondern mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. April 2005 die Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung für zulässig erklärt und die Ausweisung gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 ausgesprochen wurde, lagen die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft vom 29. Mai bis 28. Juni 2006 gemäß §76 Abs1 FPG vor, wie dies auch der UVS in seinem Bescheid vom 28. Juni 2006, Zl. E166/10/2006.041/008, zutreffend festgestellt hat. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles hatte der UVS über die Frage, ob sich der Fremde in diesem Zeitraum rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht zu entscheiden und daher auch die von ihm angefochtene Bestimmung des §57 NAG nicht anzuwenden.

Da sowohl der Hauptantrag als auch der Eventualantrag die Verfassungswidrigkeit von Wortfolgen des §57 NAG behaupten, sind sie aus den oben dargelegten Gründen unzulässig und daher zurückzuweisen.

IV. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Schubhaft, Aufenthaltsrecht, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G170.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten