Entscheidungsdatum
18.03.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W200 2270970-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Syrien, gesetzlich vertreten durch Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Inklusion und Kinder- und Jugendhilfe, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2023, Zl. 1292220106/212025255, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.09.2023 zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA Syrien, gesetzlich vertreten durch Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Inklusion und Kinder- und Jugendhilfe, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2023, Zl. 1292220106/212025255, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.09.2023 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.A) Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der minderjährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, Kurde und Muslim, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 29.12.2021 nannte der Beschwerdeführer als Fluchtgrund, es sei in Syrien noch immer Krieg und Unsicherheit gewesen. Die syrische Polizei habe ihn einmal festgenommen, weil sein Name und der Name seiner Brüder auf der Liste der Polizei gewesen seien, da seine Brüder nicht zum Militärdienst angetreten seien. Der Beschwerdeführer sei eine Woche im Gefängnis gewesen. Die Polizei habe ihn dort geschlagen. Der Vater des Beschwerdeführers habe einem Rechtsanwalt eine Vollmacht gegeben und ca. 5.000 Dollar bezahlt, damit er wieder aus dem Gefängnis gekommen sei. Eine Woche später sei der Beschwerdeführer aus Syrien ausgereist. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, dass er wieder von der Polizei festgenommen werde. Im Falle einer Rückkehr habe er Polizeigewalt bzw. unmenschliche Behandlung durch die Polizei in Syrien zu befürchten. Der Beschwerdeführer habe seinem Bruder mit dem Handy Fotos von der Polizeigewalt geschickt.
Mit Schreiben vom 16.01.2023 brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung beim BFA eine Säumnisbeschwerde ein.
Bei der Einvernahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 01.03.2023 gab der Beschwerdeführer zu seiner Person zusammengefasst an, er sei am XXXX geboren worden, sein Geburtsort sei XXXX , er sei syrischer Staatsangehöriger, Kurde, Muslim und ledig.Bei der Einvernahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 01.03.2023 gab der Beschwerdeführer zu seiner Person zusammengefasst an, er sei am römisch XXXX geboren worden, sein Geburtsort sei römisch XXXX , er sei syrischer Staatsangehöriger, Kurde, Muslim und ledig.
Zum Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe einmal seine Tante in al-Hassakah besuchen wollen, dabei sei er von der syrischen Regierung festgenommen worden. Er sei dann im Gefängnis gewesen und sie hätten ihn geschlagen. Der Vater des Beschwerdeführers habe dann einen Anwalt besorgt, der 5.000,00 USD bezahlt habe, damit der Beschwerdeführer freigelassen werde. Eine Woche nachdem er freigelassen worden sei, sei er ausgereist. Er sei festgenommen worden, weil seine Brüder gesucht worden seien, da sie nicht zum Militär gegangen seien. Er sei in einem Kleinbus unterwegs gewesen. Sie seien aufgefordert worden, auszusteigen, und dann sei der Beschwerdeführer festgenommen worden. Sie hätten ihn gepackt, die Hände verbunden und dann habe er in ein Fahrzeug einsteigen müssen. Ebenso führte er aus, dass er drei Monate vor seiner Ausreise bzw. [zu einem späteren Zeitpunkt der Befragung] ca. zwei Tage nachdem er freigelassen worden war einen Einberufungsbefehl erhalten habe.
Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA legte der Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs vom 27.02.2023, Familienbuchauszüge betreffend seine Eltern und den syrischen Reisepass der Mutter (als Lichtbild) vor.
Am 07.03.2023 brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung beim BFA eine Stellungnahme ein, der ein Auszug aus dem Personenstandsregister beigelegt war.
Mit Bescheid des BFA vom 16.03.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.) und das Verfahren über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht vom 16.01.2023 eingestellt (Spruchpunkt IV.). Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle wurde u. a. festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Kurden und dem islamischen Glauben an. Der Beschwerdeführer sei minderjährig und ledig. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers bestehe aus seinem Vater, seiner Mutter, fünf volljährigen Brüdern und vier volljährigen Schwestern. Vier Brüder und alle Schwestern würden im Irak leben. Ein Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , sei in Österreich asylberechtigt.Mit Bescheid des BFA vom 16.03.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), dem Beschwerdeführer jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.), ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und das Verfahren über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht vom 16.01.2023 eingestellt (Spruchpunkt römisch IV.). Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle wurde u. a. festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Kurden und dem islamischen Glauben an. Der Beschwerdeführer sei minderjährig und ledig. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers bestehe aus seinem Vater, seiner Mutter, fünf volljährigen Brüdern und vier volljährigen Schwestern. Vier Brüder und alle Schwestern würden im Irak leben. Ein Bruder des Beschwerdeführers, römisch XXXX , sei in Österreich asylberechtigt.
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates stellte das BFA im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat nicht vorbestraft sei und von keiner staatlichen Behörde gesucht werde. Als Minderjähriger unterliege er nicht der allgemeinen Wehrpflicht und der Beschwerdeführer habe sich nicht der Musterungsuntersuchung unterzogen. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen hätten sich jemals öffentlich oppositionell betätigt oder regierungsfeindlich geäußert. Der Beschwerdeführer sei in Syrien nie persönlich bedroht worden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer von der syrischen Armee einberufen hätte werden sollen. Die syrischen Behörden seien insgesamt nicht in der Lage, Einwohner des Gebietes der AANES einzuziehen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer von den syrischen Sicherheitskräften festgenommen, angehalten und schließlich gegen Geldzahlung freigelassen worden wäre. Der Beschwerdeführer habe niemals persönlichen Kontakt zu den kurdischen Selbstverteidigungskräften gehabt und sei von diesen nie zur Teilnahme an Kampfhandlungen und zum Beitritt in bewaffnete Kräfte aufgefordert worden. Zwangsweise Rekrutierungen von Minderjährigen durch die SDF seien ausnehmend selten und seit spätestens 2020 lägen keine bestätigten Fälle vor. Keiner der Brüder des Beschwerdeführers sei vom Wehrdienst desertiert, sondern sie hätten sich bereits vor Dienstantritt entzogen (den Dienst gänzlich verweigert). Keiner der Brüder des Beschwerdeführers habe einen höheren militärischen Rang oder eine Kommandoposition innegehabt, keiner seiner Brüder habe Gewaltakte gegen Militärangehörige gesetzt und keiner der Brüder habe sich oppositionellen bewaffneten Gruppierungen angeschlossen. Insgesamt habe keine maßgebliche Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung festgestellt werden können.
Im Rahmen der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen auf das bisherige Fluchtvorbringen verwiesen. Der Beschwerdeführer sei einer konkreten Bedrohung durch das syrische Regime ausgesetzt, sein Name stehe bereits auf einer Liste und er sei aufgrund der Wehrdienstverweigerung seiner Brüder bereits inhaftiert gewesen. Die Brüder des Beschwerdeführers gälten als Deserteure. Auch wenn sie niemals der Verpflichtung nachgekommen seien, würden ihnen bei Festnahme drakonische Strafen drohen. Diese Strafen träfen den Beschwerdeführer als Familienmitglied genauso wie seine Brüder. Unerklärlicherweise werde im Bescheid nie auf das Kindeswohl eingegangen. Die belangte Behörde habe sich im vorliegenden Fall keineswegs mit dem Wohl des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.Im Rahmen der gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen auf das bisherige Fluchtvorbringen verwiesen. Der Beschwerdeführer sei einer konkreten Bedrohung durch das syrische Regime ausgesetzt, sein Name stehe bereits auf einer Liste und er sei aufgrund der Wehrdienstverweigerung seiner Brüder bereits inhaftiert gewesen. Die Brüder des Beschwerdeführers gälten als Deserteure. Auch wenn sie niemals der Verpflichtung nachgekommen seien, würden ihnen bei Festnahme drakonische Strafen drohen. Diese Strafen träfen den Beschwerdeführer als Familienmitglied genauso wie seine Brüder. Unerklärlicherweise werde im Bescheid nie auf das Kindeswohl eingegangen. Die belangte Behörde habe sich im vorliegenden Fall keineswegs mit dem Wohl des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.09.2023 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Kurdisch Kurmanji und im Beisein der Rechtsvertretung und gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seiner Rückkehrsituation befragt wurde. Ein/e Vertreter/in des BFA nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil. Der Beschwerdeführer wurde von der erkennenden Richterin zu seinem Antrag und seiner Beschwerde befragt und hatte Gelegenheit, den Sachverhalt umfassend darzulegen. Im Zuge der Verhandlung übergab die erkennende Richterin die ACCORD Anfragebeantwortung a-11859-1 zu Syrien betreffend Möglichkeit der Grenzübertritte bzw. offener Grenzübergänge sowie https://www.iraqinews.com/iraq/kurdistan-reopens-border-crossing-with-syria/, https://www.arabnews.com/node/2315261/middle-east und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation, SYRIEN, Gebietskontrolle Ort Kasrat Faraj, Stadt Raqqa, Gouvernement Raqqa; Gebietskontrolle Ort Shahil, Gouvernement Deir ez-Zor, beide vom 07.08.2023. Der Beschwerdeführer hatte keine weiteren Bescheinigungsmittel bei sich.
Am 07.09.2023 wurden dem Bundesverwaltungsgericht Unterlagen betreffend den in Österreich asylberechtigten Bruder des Beschwerdeführers übermittelt.
Nach Einsichtnahme in den Akt des asylberechtigten Bruders wurde dieser an das BFA retourniert.
Mit Schreiben vom 02.10.2023 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Länderberichten ein. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass die Einreise über Semalka keine zumutbare, sichere und legale Einreisemöglichkeit darstelle. Selbst, wenn dem Beschwerdeführer eine Einreise gelingen würde, sei aufgrund der genauen Überwachung der Einreisenden durch das Regime davon auszugehen, dass das syrische Regime über die Einreise des Beschwerdeführers als wehrpflichtigen, jungen Mann Bescheid wisse, was die Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung und zwangsweisen Rekrutierung maßgeblich erhöhe. In „Kurdistan“ drohe dem Beschwerdeführer auch eine zwangsweise Einziehung durch die kurdischen Streitkräfte und ein Einsatz im Kampf. Er lehne die Ableistung eines Wehrdienstes ab. Bei einer Rückkehr drohe dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Ablehnung der Ableistung des Wehrdienstes sowie seiner wehrdienstverweigernden Brüder, seiner illegalen Flucht, der Asylantragstellung im Ausland und seiner Herkunftsregion Verfolgung aufgrund oppositioneller Gesinnung, genauer Inhaftierung, Folter und Zwangsrekrutierung. Ihm drohe zudem eine Zwangsrekrutierung durch kurdische Kräfte (SDF/YPG) bzw. deren Verbündete und der zwangsweise Einsatz im Kampf sowie die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung.
Mit Beschluss vom 01.02.2024 bestellte das Bundesverwaltungsgericht einen Sachverständigen zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers.
Basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.02.2024 erstellte der medizinische Sachverständige ein Gutachten „Multifaktorielle Diagnostik zur Feststellung des absoluten Mindestalters zum Antragszeitpunkt“ betreffend den Beschwerdeführer. Darin wurde im Wesentlichen festgestellt, dass das höchstmögliche Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Antragstellung am 29.12.2021 15,38 Jahre betrage. Das auf Basis des höchstmöglichen Mindestalters zum Untersuchungszeitpunkt (13.02.2024) berechnete „fiktive“ Geburtsdatum des Beschwerdeführers laute 14.08.2006. Das beim Beschwerdeführer angenommene Geburtsdatum „ XXXX “ sei mit diesen Ergebnissen vereinbar.Basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.02.2024 erstellte der medizinische Sachverständige ein Gutachten „Multifaktorielle Diagnostik zur Feststellung des absoluten Mindestalters zum Antragszeitpunkt“ betreffend den Beschwerdeführer. Darin wurde im Wesentlichen festgestellt, dass das höchstmögliche Mindestalter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Antragstellung am 29.12.2021 15,38 Jahre betrage. Das auf Basis des höchstmöglichen Mindestalters zum Untersuchungszeitpunkt (13.02.2024) berechnete „fiktive“ Geburtsdatum des Beschwerdeführers laute 14.08.2006. Das beim Beschwerdeführer angenommene Geburtsdatum „ römisch XXXX “ sei mit diesen Ergebnissen vereinbar.
In einer Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung vom 28.02.2024 wurde angeregt, weiterhin vom bisherigen Geburtsdatum auszugehen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der minderjährige Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum Islam. Er wurde am XXXX in Syrien geboren und ist zum Entscheidungszeitpunkt gerade noch 17 Jahre alt. Seine Muttersprache ist Kurdisch und er verfügt über gute Kenntnisse der arabischen Sprache. Er ist ledig. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.Der minderjährige Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum Islam. Er wurde am römisch XXXX in Syrien geboren und ist zum Entscheidungszeitpunkt gerade noch 17 Jahre alt. Seine Muttersprache ist Kurdisch und er verfügt über gute Kenntnisse der arabischen Sprache. Er ist ledig. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer stammt aus einem Ort namens „ XXXX “ (Kurdisch) bzw. „ XXXX “ (Arabisch) in der Nähe von XXXX im Gouvernement al-Hassakah. Er besuchte die Schule in Syrien ungefähr drei Jahre lang. Im Jahr 2021 reiste der Beschwerdeführer illegal aus Syrien aus.Der Beschwerdeführer stammt aus einem Ort namens „ römisch XXXX “ (Kurdisch) bzw. „ römisch XXXX “ (Arabisch) in der Nähe von römisch XXXX im Gouvernement al-Hassakah. Er besuchte die Schule in Syrien ungefähr drei Jahre lang. Im Jahr 2021 reiste der Beschwerdeführer illegal aus Syrien aus.
Der Beschwerdeführer leistete keinen Militärdienst in der syrischen Armee. Er hat keine Musterung absolviert und auch kein Wehrbuch erhalten.
Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist XXXX bzw. XXXX samt Umgebung. Diese liegt in dem aktuell von der kurdischen Selbstverwaltung – und damit nicht in dem von der syrischen Regierung – kontrollierten Teil Syriens.Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers ist römisch XXXX bzw. römisch XXXX samt Umgebung. Diese liegt in dem aktuell von der kurdischen Selbstverwaltung – und damit nicht in dem von der syrischen Regierung – kontrollierten Teil Syriens.
Der Beschwerdeführer reiste illegal in Österreich ein und stellte am 29.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Mit Bescheid des BFA vom 16.03.2023 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten (rechtskräftig) zuerkannt und ihm eine für ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
In Österreich lebt ein Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.In Österreich lebt ein Bruder des Beschwerdeführers, römisch XXXX , dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in XXXX in Syrien. Die Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben im Irak. Alle Brüder – außer XXXX – leben im Irak. Keiner der Brüder des Beschwerdeführers trat den verpflichtenden Wehrdienst für die syrische Armee an.Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in römisch XXXX in Syrien. Die Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben im Irak. Alle Brüder – außer römisch XXXX – leben im Irak. Keiner der Brüder des Beschwerdeführers trat den verpflichtenden Wehrdienst für die syrische Armee an.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers liegt im Selbstverwaltungsgebiet in Nord- und Ostsyrien und ist unter der Kontrolle der Kurden.
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Einziehung oder Zwangsrekrutierung durch die syrische Armee bzw. einer realen Gefahr einer sonstigen konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt.
Die staatlichen Behörden Syriens haben in den Gebieten, die unter alleiniger Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung stehen, keinen Zugriff auf bestimmte Personen und können dort keine staatliche Macht (z. B. Vollstreckung von Einberufungs- oder Haftbefehlen) ausüben.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt aufgrund seiner Herkunft aus einem oppositionellen Gebiet.
Dem Beschwerdeführer droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund politischer Aktivität oder seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden.
Dem Beschwerdeführer droht auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien oder seiner Asylantragstellung im Ausland bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Gesinnung. Nicht jedem Rückkehrenden, der unrechtmäßig ausgereist ist und der im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung, weil seinem Bruder in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde bzw. aufgrund seiner Familienzugehörigkeit.
Dem Beschwerdeführer droht zudem keine Verfolgung aufgrund seiner Religion, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung durch die kurdischen Milizen (wie die YPG).
Im Falle seiner Rückkehr nach Syrien ist der Beschwerdeführer auch keiner asylrelevanten Verfolgung durch andere Gruppen bzw. Milizen ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer steht (für die hypothetische Rückkehr) insbesondere die Benützung des Grenzüberganges von Semalka (zwischen der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien und der Autonomen Region Kurdistan im Irak) zur Verfügung, womit ihm die Einreise nach Syrien in das Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung grundsätzlich möglich ist. Dem Beschwerdeführer, der der kurdischen Volksgruppe angehört und dem im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung, in dem er auch registriert ist, nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (asylrelevante) Verfolgung droht, ist eine Fortbewegung durch das kurdische Selbstverwaltungsgebiet in seine unter kurdischer Selbstverwaltung stehende Herkunftsregion möglich, ohne dass ihm dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gegen seiner Person gerichtete Verfolgung aufgrund seiner Religion, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung droht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 9 (Veröffentlichung am 17.07.2023), wiedergegeben:
3 Politische Lage
3.3 Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien
Letzte Änderung: 11.07.2023
2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).
Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).
Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet 'belohnt' zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.3.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 1.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.5.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.1.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AAA 24.6.2023). Anders als die EU und USA betrachtet die Türkei sowohl die Streitkräfte der YPG als auch die Partei PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.3.2023).
Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Die "autonome Verwaltung" basiert auf der egalitären, von unten nach oben gerichteten Philosophie Abdullah Öcalans, der in der Türkei im Gefängnis sitzt [Anm.: Gründungsmitglied und Vorsitzender der PKK]. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.4.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 9.3.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.4.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.1.2023; vergleiche SD 22.7.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 9.3.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.3.2023).
Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis KDP [Anm.: Kurdistan Democratic Party - Irak] nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 1.10.2021).
Seitdem der Islamische Staat (IS) 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 9.3.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021). […]
4 Sicherheitslage
Letzte Änderung: 11.07.2023
Die Gesamtzahl der Kriegstoten wird auf fast eine halbe Million geschätzt (USIP 14.3.2023). Die Zahl der zivilen Kriegstoten zwischen 1.3.2011 und 31.3.2021 beläuft sich laut UNO auf 306.887 Personen - dazu kommen noch viele zivile Tote durch den Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, Lebensmittel, sauberem Wasser und anderem Grundbedarf (UNHCHR 28.6.2022).
Überlappende bewaffnete Konflikte und komplexe Machtverhältnisse
Der Konflikt in Syrien seit 2011 besteht aus einem Konvolut überlappender Krisen (ICG o.D.). Die Suche nach einer politischen Beilegung verlief im Sand (USIP 14.3.2023). Dazu kommt das bestehende Informationsdefizit. Obwohl der Syrien-Konflikt mit einer seit Jahren anhaltenden, extensiven Medienberichterstattung einen der am besten dokumentierten Konflikte aller Zeiten darstellt, bleiben dennoch eine Reihe grundlegender Fragen offen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Konflikts ist es auch Personen, die in Syrien selbst vor Ort sind, oft nicht möglich, sich ein Gesamtbild über alle Aspekte zu verschaffen. Das Phänomen des Propagandakrieges besteht auf allen Seiten und wird von allen kriegsführenden Parteien und ihren Unterstützern gezielt und bewusst eingesetzt, sodass sich das Internet, soziale und sonstige Medien angesichts der Verzerrungen der Darstellungen nur bedingt zur Informationsbeschaffung eignen. Darüber hinaus sind offiziell verfügbare Quellen (Berichte, Analysen etc.) aufgrund der Entwicklungen vor Ort oft schnell überholt (ÖB Damaskus 1.10.2021). In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v.a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023).
Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 70 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 29.3.2023). […]
Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen [Anm.: zu den Gebieten IS-Präsenz siehe Unterkapitel zu den Regionen]:
[Quelle…]
Die militärischen Akteure und Syriens militärische Kapazitäten
Die Kämpfe und Gewalt nahmen 2021 sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021). Der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Syrien Geir O. Pedersen wies am 29.11.2022 vor dem Sicherheitsrat insbesondere auf eine langsame Zunahme der Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens auf der einen Seite und der Türkei und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite im Norden Syriens hin. Er betonte weiter, dass mehr Gewalt noch mehr Leid für die syrische Zivilbevölkerung bedeutet und die Stabilität in der Region gefährden würde - wobei gelistete terroristische Gruppen die neue Instabilität ausnutzen würden (UNSC 29.11.2022). Im Hinblick auf das Niveau der militärischen Gewalt ist eine Verstetigung festzustellen. Auch das Erdbeben am 6.2.2023 hat zu keiner nachhaltigen Verringerung der Kampfhandlungen geführt. In praktisch allen Landesteilen kam es im Berichtszeitraum zu militärischen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Art und Ausprägung. Dabei bestanden auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Regionen mit einer hohen Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen und vergleichsweise ruhigeren Landesteilen (AA 29.3.2023).
Die CoI stellte im Februar 2022 fest, dass fünf internationale Streitkräfte - darunter Iran, Israel, Russland, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika, sowie nicht-staatliche bewaffnete Gruppen und von den Vereinten Nationen benannte terroristische Gruppen weiterhin in Syrien aktiv sind (EUAA 9.2022). Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Mitte des Jahres 2016 hatte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der 'wichtigsten' Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt, kontrolliert (Reuters 13.4.2016). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 29.3.2023).
Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind während des Jahres im Land in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) [Anm.: zu israelischen und amerikanischen Militäraktionen siehe u.a. Unterkapitel Gouvernement Deir ez-Zor / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet und Unterkapitel Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien]. Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Irans unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah. Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. Die Menschenrechtsorganisation Syrians for Truth and Justice (STJ) behauptet, dass Russland syrische Söldner u.a. aus den Streitkräften für den Kampfeinsatz in der Ukraine abwirbt. Unter Bezug auf syrische Militärangehörige sowie Familien der Söldner spricht STJ von 300 syrischen Kämpfern, die im Zeitraum Juni bis September 2022 nach Russland oder Ukraine verlegt worden seien. Mehrere von ihnen seien laut einer unbestätigten Mitteilung der rekrutierenden al-Sayyad Company for Guarding and Protection Services, welche der russischen Wagner-Gruppe zugeschrieben wird, gefallen (AA 29.3.2023). Russland hatte noch z.B. im Oktober 2022 seine Luftangriffe in der Provinz Idlib verstärkt (ICG 10.2022). […]
Auch wenn die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes erklärtes Ziel des Regimes bleibt, zeichnet sich eine Rückeroberung weiterer Landesteile durch das Regime derzeit nicht ab. Im Nordwesten des Landes werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Die Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei stehen in Teilen unter Kontrolle der Türkei und der ihr nahestehenden bewaffneten Gruppierungen und in Teilen unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) und in einigen Fällen auch des syrischen Regimes (AA 29.11.2021).
Im Jahr 2022 hielten die Kämpfe im nördlichen Syrien mit Beteiligten wie den Regimetruppen, den SDF, HTS sowie türkischen Streitkräften und ihren Verbündeten an (FH 9.3.2023). Türkische Militäroperationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) umfassen gelegentliche Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze (ICG 2.2022). Am Vorabend des 20.11.2022 begann die türkische Luftwaffe eine Offensive in Nordsyrien unter dem Namen 'Operation Claw-Sword', die nach türkischen Angaben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte und der syrischen Streitkräfte abzielte, aber auch ein Behandlungszentrum für Covid-19, eine Schule, Getreidesilos, Kraftwerke, Tankstellen, Ölfelder und eine häufig von Zivilisten und Hilfsorganisationen genutzte Straße traf (HRW 7.12.2022). Die Türkei führte seit 2016 bereits eine Reihe von Offensiven im benachbarten Syrien durch (France 24 20.11.2022). Bei früheren Einmärschen kam es zu Menschenrechtsverletzungen (HRW 7.12.2022). Die türkischen Militäroperationen trieben Tausende Menschen in die Flucht und stellten 'eine ernste Bedrohung für ZivilistInnen' in den betroffenen Gebieten dar. Kämpfe zwischen den pro-türkischen Gruppen ermöglichten Vorstöße der HTS (FH 9.3.2023). Im Nordwesten Syriens führte im Oktober 2022 das Vordringen der HTS in Gebiete, die unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten Gruppen standen, zu tödlichen Zusammenstößen (ICG 10.2022).
Im Gouvernement Dara'a kam es 2022 weiterhin zu Gewalt zwischen Regimekräften und lokalen Aufständischen trotz eines nominellen Siegs der Regierung im Jahr 2018 und eines von Russland vermittelten 'Versöhnungsabkommens'. Eine allgemeine Verschlechterung von Recht und Ordnung trägt in der Provinz auch zu gewalttätiger Kriminalität bei (FH 9.3.2023).
Das syrische Regime, und damit die militärische Führung, unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und „rein militärischen Zielen“ (BMLV 12.10.2022). Human Rights Watch kategorisiert einige Angriffe des syrisch-russischen Bündnisses als Kriegsverbrechen, die auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. In Idlib mit seinen über drei Millionen Zivilbevölkerung kommt es trotz eines wackeligen Waffenstillstandes demnach weiterhin zu verbotenen Angriffen durch das Bündnis. Auch die von den USA angeführte Koalition gegen den Islamischen Staat (IS) verletzte internationales Recht durch unterschiedslose Luftschläge in Nordostsyrien, welche zivile Todesopfer und Zerstörung verursachten (HRW 13.1.2022).
Seit Beginn 2023 wurden mit Stand 1.5.2023 auch 258 ZivilistInnen durch andere Akteure (als dem Regime) getötet, somit 75 Prozent aller zivilen Toten in diesem Jahr. Viele von ihnen wurden beim Trüffelsuchen getötet, und dazu kommen auch Todesfälle durch Landminen. Außerdem bietet die Unsicherheit in vielen Gebieten ein passendes Umfeld für Schießereien durch nicht-identifzierte Akteure (SNHR 1.5.2023). […]
Zivile Todesopfer landesweit
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von 'Massakern', bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021). Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022): […]Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche sowohl Zivilisten als auch Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von 'Massakern', bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vergleiche SNHR 1.1.2021). Die folgende Grafik zeigt die von SNHR dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien im Jahr 2021 getötet wurden, wobei SNHR insgesamt 1.271 getötete Zivilisten zählte, davon 299 Kinder und 134 Frauen (SNHR 1.1.2022): […]
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) dokumentierte im Zeitraum 1.1.2021 bis 30.6.2023 in den syrischen Gouvernements die folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer sowie Todesopfern. Demnach kamen im Jahr 2022 5.949 Menschen ums Leben und im ersten Halbjahr 2023 2.796 Personen (Darstellung der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED): […]
Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).
Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht nach Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 29.11.2021).
Informationen zur Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien
Seit der im November 2017 an russischen Vetos im VN-Sicherheitsrat gescheiterten Verlängerung des Mandats des „Joint Investigative Mechanism“ (JIM) fehlte ein Mechanismus, der die Urheberschaft von Chemiewaffeneinsätzen feststellt. Ein gegen heftigen Widerstand Russlands im Juni 2018 angenommener Beschluss erlaubt nun der Organisation für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW), die Verantwortlichen der Chemiewaffenangriffe in Syrien im Rahmen eines hierfür neu gebildeten „Investigation and Identification Team“ (IIT) zu ermitteln. Im April 2021 legte das IIT seinen zweiten Ermittlungsbericht vor, demzufolge hinreichende Belege vorliegen, dass der Chemiewaffeneinsatz in der Stadt Saraqib im Februar 2018 auf Kräfte des syrischen Regimes zurückzuführen ist. Die Untersuchung dreier Angriffe im März 2017 kam zu dem Ergebnis, dass hinreichende Belege vorliegen, dass die syrischen Luftstreitkräfte