TE Bvwg Erkenntnis 2024/4/2 W252 2278993-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2024
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Entscheidungsdatum

02.04.2024

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
  1. B-VG Art. 133 heute
  2. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2019 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  3. B-VG Art. 133 gültig ab 01.01.2019 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  4. B-VG Art. 133 gültig von 25.05.2018 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 22/2018
  5. B-VG Art. 133 gültig von 01.08.2014 bis 24.05.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 164/2013
  6. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2014 bis 31.07.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  7. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.2004 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. B-VG Art. 133 gültig von 01.01.1975 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  9. B-VG Art. 133 gültig von 25.12.1946 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 211/1946
  10. B-VG Art. 133 gültig von 19.12.1945 bis 24.12.1946 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 133 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934

Spruch


W252 2278993-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. am römisch XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 06.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am darauf folgenden Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe seine Heimat wegen dem Krieg verlassen.

3. Am 25.07.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt statt. Dabei gab er an, dass er Syrien bereits als Kind wegen dem IS verlassen habe. Wenn er zurückkehre, werde er von der syrischen Armee, den kurdischen Milizen, oder irgendeiner anderen Gruppierung zum Militärdienst eingezogen. Er wolle für niemanden kämpfen oder getötet werden.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.08.2023 wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Es erteilte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt II. und III.).4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.08.2023 wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt römisch eins.). Es erteilte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt römisch II. und römisch III.).

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er seinen Heimatstaat aus Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Es gebe keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Herkunftsstaats und der Asylantragstellung in Österreich. Da der BF nie ein (vermeintlich) oppositionelles Verhalten gezeigt habe, bestehe keine Gefahr der Verfolgung durch das syrische Regime.Begründend wurde zu Spruchpunkt römisch eins. im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er seinen Heimatstaat aus Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Es gebe keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Herkunftsstaats und der Asylantragstellung in Österreich. Da der BF nie ein (vermeintlich) oppositionelles Verhalten gezeigt habe, bestehe keine Gefahr der Verfolgung durch das syrische Regime.

5. Der BF erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er mittlerweile im wehrfähigen Alter sei und bei einer Rückkehr sowohl durch die kurdischen Gruppierungen, als auch durch die syrische Regierung zwangsrekrutiert werde.5. Der BF erhob gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er mittlerweile im wehrfähigen Alter sei und bei einer Rückkehr sowohl durch die kurdischen Gruppierungen, als auch durch die syrische Regierung zwangsrekrutiert werde.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.02.2024 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung sowie mit Parteiengehör vom 12.03.2024 (OZ 8) wurde den Parteien das einschlägige Länderberichtsmaterial vorgehalten und die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben.

7. Mit Schreiben vom 18.03.2024 wurde den Parteien das Länderinformationsblatt Version 10 vom 14.03.2024 zum Parteiengehör übermittelt.

Beweis wurden aufgenommen durch: Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des BF sowie insbesondere durch die mündliche Einvernahme des BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und spricht Kurmanji als Muttersprache. Der BF ist Angehöriger der Volksgruppe der XXXX . Er ist ledig und hat keine Kinder (AS 7 f; 40, 42 f; OZ 7, S 7).Der BF führt den Namen römisch XXXX , geboren am römisch XXXX . Er ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und spricht Kurmanji als Muttersprache. Der BF ist Angehöriger der Volksgruppe der römisch XXXX . Er ist ledig und hat keine Kinder (AS 7 f; 40, 42 f; OZ 7, S 7).

Der BF wuchs in XXXX auf und lebte dort bis zu seiner Ausreise am 2014. Er absolvierte in Syrien eine Schulbildung von fünf Jahren und arbeitete als Erntehelfer (AS 7 ff; AS 41 ff; OZ 7, S 7 f).Der BF wuchs in römisch XXXX auf und lebte dort bis zu seiner Ausreise am 2014. Er absolvierte in Syrien eine Schulbildung von fünf Jahren und arbeitete als Erntehelfer (AS 7 ff; AS 41 ff; OZ 7, S 7 f).

Der BF hat zwei Brüder in Österreich, der Rest seiner Familie lebt in der Türkei (AS 9, 43, 51 ff; OZ 7, S 8). Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie (OZ 7, S 8).

Der BF stellte am 06.09.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 29.08.2023 wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (AS 7 ff, 67 ff).

Der BF ist gesund (AS 40 f; OZ 6, S 6).

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten (OZ 5).

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

XXXX befindet sich unter Kontrolle der XXXX . römisch XXXX befindet sich unter Kontrolle der römisch XXXX .

Das syrische Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden haben in XXXX keinen Zugriff auf den BF und können dort weder Verhaftungen, noch Zwangsrekrutierungen durchführen.Das syrische Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden haben in römisch XXXX keinen Zugriff auf den BF und können dort weder Verhaftungen, noch Zwangsrekrutierungen durchführen.

Es ist möglich, dass der BF bei einer Rückkehr zum kurdischen Selbstverteidigungsdienst eingezogen und dort im Nachschub oder Objektschutz eingesetzt wird. Der BF ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Beteiligung an Kampfhandlung verpflichtet und muss sich auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligen.

Der BF hat keine oppositionelle Gesinnung gegenüber den XXXX , möchte aber nicht kämpfen. Personen, die den Selbstverteidigungsdienst verweigern oder sich diesem entziehen werden nicht gefoltert oder Misshandelt. Die Wehrdienstverweigerung hat auch keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers.Der BF hat keine oppositionelle Gesinnung gegenüber den römisch XXXX , möchte aber nicht kämpfen. Personen, die den Selbstverteidigungsdienst verweigern oder sich diesem entziehen werden nicht gefoltert oder Misshandelt. Die Wehrdienstverweigerung hat auch keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers.

Im Falle der Rückkehr nach Syrien droht dem BF keine Lebensgefahr und kein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die kurdischen Milizen.

Dem BF ist eine Rückkehr in seinen Heimatort über den Grenzübergang Semalka-Faysh Khabur möglich, ohne dabei Gebiete unter Regimekontrolle zu durchqueren.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, Version 10 vom 14.03.2024

?        ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertation, 08.09.2022

?        ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für die Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka – Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1] 06.05.2022

?        UNHCR Richtlinien

?        UNHCR – Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 03.2021

?        EUAA (EASO) Leitlinien

?        EUAA – Country Guidance: Syria 2023 – 02.2023

?        Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front a-12188] 18.08.2023

?        Auszug der Syria-Live-Map

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat ( XXXX , Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197], vom 24.08.2023?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat ( römisch XXXX , Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197], vom 24.08.2023

ergibt sich Folgendes:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, Version 9 vom 17.07.2023

Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022).

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Dies wird auch von SNHR bestätigt, die ebenfalls angeben, dass die Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden ist (ACCORD 7.9.2023). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o. Ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vergleiche Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren beschränkt. Zuvor war das Alterslimit - bis 40 Jahre - höher. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023). Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vergleiche DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Wehrpflicht auf Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren beschränkt. Zuvor war das Alterslimit - bis 40 Jahre - höher. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vergleiche NMFA 8.2023).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022).

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die "Selbstverteidigungspflicht" erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim "Büro für Selbstverteidigungspflicht" ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird (DIS 6.2022). Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen (AA 2.2.2024).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen (ÖB Damaskus 12.2022). Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die "Militärpolizei" unter seiner Adresse. Die meisten sich der "Wehrpflicht" entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht (DIS 6.2022).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil (ÖB Damaskus 12.2022). Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das "Selbstverteidigungspflichtgesetz" auch mit Gewalt durchgesetzt (AA 2.2.2024), während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der "Wehrpflicht" um einen Monat bestraft würden - zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft "für eine Zeitspanne". Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden (DIS 6.2022). Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleich behandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft (ACCORD 6.9.2023). Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur [Anm.: nicht näher spezifizierten] Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB Damaskus 12.2022). Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern (ACCORD 6.9.2023).

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen (DIS 6.2022).

Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vgl. EB 12.7.2019).Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht (DIS 6.2022; vergleiche EB 12.7.2019).

Aufschub des Wehrdienstes

Das Gesetz enthält Bestimmungen, die es Personen, die zur Ableistung der "Selbstverteidigungspflicht" verpflichtet sind, ermöglichen, ihren Dienst aufzuschieben oder von der Pflicht zu befreien, je nach den individuellen Umständen. Manche Ausnahmen vom "Wehrdienst" sind temporär und kostenpflichtig. Frühere Befreiungen für Mitarbeiter des Gesundheitsbereichs und von NGOs sowie von Lehrern gelten nicht mehr (DIS 6.2022). Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden (EB 12.7.2019). Im Ausland (Ausnahme: Türkei und Irak) lebende, unter die "Selbstverteidigungspflicht" fallende Männer können gegen eine Befreiungsgebühr für kurzfristige Besuche zurückkehren, ohne den "Wehrdienst" antreten zu müssen, wobei zusätzliche Bedingungen eine Rolle spielen, ob dies möglich ist (DIS 6.2022).

Proteste gegen die "Selbstverteidigungspflicht"

Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der SDF gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Manbij (Menbij) bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2.6.2021 einigten sich die SDF, der Militärrat von Manbij und der Zivilrat von Manbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021). Diese Einigung resultierte nach einer Rekrutierungspause in der Herabsetzung des Alterskriteriums auf 18 bis 24 Jahre, was später auf die anderen Gebiete ausgeweitet wurde (DIS 6.2022). Im Sommer 2023 kam es in Manbij zu Protesten gegen die SDF insbesondere aufgrund von Kampagnen zur Zwangsrekrutierung junger Männer in der Stadt und Umgebung (SO 20.7.2023).

Rekrutierung für den nationalen syrischen Wehrdienst

Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der Selbstverwaltung befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien (DIS 6.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z. B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o.ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Laut mehreren von ACCORD für eine Anfragebeantwortung interviewten Experten gibt es de facto keine Möglichkeit des syrischen Regimes, in den von den SDF kontrollierten Gebieten zu rekrutieren, obwohl es teilweise Patrouillen des syrischen Regimes in der AANES gibt. Lediglich in jenen Gebieten, die von den Regierungstruppen kontrolliert werden, können die Personen auch rekrutiert werden (ACCORD 24.8.2023). Ebenso gibt der Syrienexperte van Wilgenburg an, dass die Kontrollpunkte der syrischen Armee nicht die Befugnis haben, Menschen in den Städten zu kontrollieren, sondern der Abschreckung der Türkei dienen (van Wilgenburg 2.9.2023). Dem widerspricht SNHR, das ebenfalls von ACCORD befragt wurde mit der Angabe, dass das syrische Regime an Checkpoints und Kontrollpunkten sehr wohl auf vom Regime gesuchte Wehrpflichtige zugreifen könnte und würde und diese in die von der Regierung kontrollierten Gebiete eskortieren würde (ACCORD 24.8.2023).

ACCORD - Anfragebeantwortung zu Syrien: Möglichkeit der syrischen Behörden, in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen; Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen [a-12197], vom 24.08.2023

Möglichkeit der syrischen Behörden in den kurdisch kontrollierten Gebieten, in denen die Regierung Präsenz hat (Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Landstreifen entlang der türkischen Grenze) Personen für den Reservedienst einzuziehen

Es konnten als Teil der Onlinerecherche keine Informationen darüber gefunden werden, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personen für den Reservedienst einziehen.

Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, syrische Armee, syrische Regierung, Checkpoints, Personenkontrollen, Wehrpflicht, Reservedienst, einberufen, Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Grenzregion Türkei, Nordsyrien, Provinz Aleppo, Provinz Hasaka

Laut einem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten sehe die allgemeine Realität in Nordostsyrien wie folgt aus: Die Regierung sei in kleinen Teilen der Stadt al-Qamischli und in zahlreichen Dörfern südlich der Stadt sowie in kleinen Teilen der Stadt al-Hasaka stark vertreten. Außerhalb dieser Gebiete sei die Kontrolle der Regierung locker und umstritten. Die Regierung sei daher nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. Die Gebiete in und um Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze würden sich zwar durch Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen, die SDF (Syrian Democratic Forces) seien jedoch nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF hätten der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei. Zurzeit seien die SDF der wichtigste Kontrollakteur, der die Möglichkeit habe, die Lokalbevölkerung zu rekrutieren und zu verhaften (Syrienexperte, 17. August 2023).

Fabrice Balanche, Associate Professor und Forschungsdirektor an der Universität Lyon 2, erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom August 2023, dass das Gebiet an der türkischen Grenze in der Provinz Hasaka (östlich von Ras Al-Ain) unter der Kontrolle der SDF stehe. Es gebe ein paar syrische Militärposten, doch diese seien isoliert und symbolischer Natur. Die syrische Armee könne in dieser Gegend nichts unternehmen (Balanche, 23. August 2023).

Wladimir van Wilgenburg[1] legt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD dar, dass die syrischen Behörden in den Gebieten um Manbij, Ain Al-Arab und in der Nähe der türkischen Grenze nicht in der Lage seien, Reservepersonal einzuziehen. In Tal Rifaat sei die Situation eine andere als in den anderen Gebieten. Van Wilgenburg könne aus diesem Grund nicht sagen, ob die Regierung in Tal Rifaat Personen zum Reservedienst einziehen könne oder nicht. Die Kurden würden es allgemein nicht gestatten, dass die Regierung Personen in den von ihnen kontrollierten Gebieten zum Militärdienst einziehe (Van Wilgenburg, 17. August 2023).

Das Syrian Network for Human Rights (SNHR), eine 2011 gegründete unabhängige Menschenrechtsorganisation, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien beobachtet und dokumentiert, schreibt in einer E-Mail-Auskunft an ACCORD vom August 2023, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen und Reservisten durch die syrischen Regierung an die Zugriffsmöglichkeiten gebunden sei. Dies bedeute, dass wenn junge Menschen, die für den Militärdienst benötigt würden, einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij oder Ain Al-Arab, oder in den Vierteln der Stadt Al-Hasaka, passieren würden und für den Militärdienst gesucht würden, zur Wehrpflicht eskortiert würden (SNHR, 21. August 2023).

Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über Rekrutierung durch die syrische Armee in der Provinz Hasaka (die spezifische Situation von Reservisten wird im Bericht jedoch nicht behandelt, Anmerkung ACCORD). Laut DIS rekrutiere die syrische Regierung keine Wehrpflichtigen in von der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) kontrollierten Gebieten. Es sei unklar, ob und in welchem Umfang Rekrutierung für die syrische Armee in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten in Qamischli stattfinde (DIS, Juni 2022, S. 1). DIS befragte im Jänner und Februar 2022 vier Expert·innen sowie drei Bewohner·innen der Provinz Hasaka zur Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Armee in der Provinz:

Laut Fabrice Balanche würde eine Person, die sich dem Militärdienst der syrischen Armee entzogen habe oder desertiert sei, verhaftet, wenn sie die von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiete in der Provinz betrete. Aus diesem Grund benötige eine solche Person Hilfe von Familienmitgliedern oder einem gesetzlichen Vertreter, wenn sie sich von einer staatlichen Stelle Dokumente ausstellen lassen wollte. Personen, die in den von der syrischen Regierung kontrollierten sogenannten „Sicherheitsbereichen“ („security squares“/ „Al-Morabat Al-Amniya“) in Qamischli oder Hasaka leben, müssten in der syrischen Armee dienen. Südlich von Qamischli gebe es zwölf arabische Dörfer, die zum regierungstreuen Tay-Stamm gehörten und die unter der Kontrolle der syrischen Regierung stünden. Die Bewohner dieser Dörfer müssten in der syrischen Armee dienen, würden allerdings in ihren eigenen Dörfern und nicht in anderen Gegenden Syriens eingesetzt. Die syrische Armee verfüge über Rekrutierungsbüros in Qamischli und Hasaka (DIS, Juni 2022, S. 44).

Ein kurdischer Journalist und Autor aus Qamischli, der zum Zeitpunkt des Interviews in Erbil lebte, erklärt gegenüber DIS; dass die syrische Regierung nicht in der Lage sei, Personen gewaltsam zu rekrutieren, die in von der AANES kontrollierten Gebieten wohnen würden. Auch Personen, die in den „Sicherheitsbereichen“ wohnen, würden nicht rekrutiert. Es sei möglich, der syrischen Armee freiwillig beizutreten. Wenn jedoch eine Person für den Militärdienst der syrischen Armee gesucht werde und einen der „Sicherheitsbereiche“ betrete, könne diese Person festgenommen werden. Der Journalist kenne dementsprechende Fällen aus Qamischli und Hasaka. Südlich von Qamischli gebe es eine Reihe von Dörfern, die von Stämmen bewohnt würden, die mit der syrischen Regierung sympathisieren und die AANES nicht anerkennen würden. Einzelpersonen aus diesen Dörfern könnten der syrischen Armee freiwillig beitreten (DIS, Juni 2022, S. 50).

Laut einem politischen Analysten sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Araber, der zum Wehrdienst eingezogen werden soll und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Qamischli oder Hasaka betrete, festgenommen werde. Bei einer Person kurdischer Herkunft sei die Situation eine andere (DIS, Juni 2022, S. 54).

Die Vertretung der AANES in der Autonomen Region Kurdistan im Irak gibt gegenüber DIS an, dass die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass eine Person, die zum Wehrdienst eingezogen werden soll und ein von der syrischen Regierung kontrolliertes Gebiet in Nordost-Syrien betrete, festgenommen werde. Wenn die syrischen Behörden eine gesuchte Person in Qamischli festnehmen würden, werde die Person daraufhin in andere Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung geschickt, wie zum Beispiel nach Damaskus. Es werde der Person nicht gestattet, ihren Militärdienst in Qamischli abzuleisten. Die Sicherheitskräfte der AANES würden in solchen Fällen gelegentlich eingreifen (DIS, Juni 2022, S. 58-59).

Drei Bewohner von Gebieten unter Kontrolle der AANES in der Provinz Hasaka bestätigen gegenüber DIS, dass ihres Wissens nach eine Person, die von der syrischen Regierung wegen des Militärdienstes oder aus einem anderen Grund gesucht werde, und die von der Regierung kontrollierten Gebiete in Qamischli oder Hasaka betrete, einem hohen Risiko ausgesetzt sei, von den syrischen Behörden festgenommen zu werden. Die Sicherheitskräfte der AANES hätten sich in manchen Fällen um eine Freilassung der betreffenden Person bemüht. Laut den drei Bewohnern sei dies jedoch in der Regel nur der Fall, wenn die von der syrischen Regierung festgenommene Person enge Verbindungen zur AANES habe, zum Beispiel für die AANES tätig sei (DIS, Juni 2022, S. 65).

Personenkontrollen in diesen Gebieten, die einen Aufgriff von Regierungskritiker·innen ermöglichen

Es konnten als Teil der Onlinerecherche keine Informationen dazu gefunden werden, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personenkontrollen durchführen und/oder Regierungskritiker·innen festnehmen.

Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, syrische Armee, syrische Regierung, Checkpoints, Personenkontrollen, Verhaftung, Aufgriff, Regimekritiker, Zivilisten, Manbij, Ain Al-Arab, Tal Rifaat, Grenzregion Türkei, Nordsyrien, Provinz Aleppo, Provinz Hasaka

Laut Wladimir van Wilgenburg könnten die syrischen Behörden in den genannten Gebieten im allgemeine keine Personenkontrollen durchführen, die eine Festnahme von Regimekritiker·innen ermöglichen würden. Die meisten (von der Regierung besetzten) Checkpoints würden keine Kontrollen durchführen. In den Sicherheitsbereichen in den Städten Al-Hasaka und Qamischli oder am Flughafen [von Qamischli] könne die Situation eine andere sein. Van Wilgenburg habe schon lange nicht mehr von Verhaftungen von Regierungskritiker·innen im Nordosten Syriens gehört (Van Wilgenburg, 17. August 2023).

SNHR antwortet in seiner E-Mail-Auskunft auf die Frage, ob die syrischen Behörden in den genannten Gebieten Personenkontrollen durchführen würden, die zu Festnahmen führen könnten, dass während des Prozesses zum Einzug in den Wehrdienst die Identität der Männer überprüft werde. Wenn sie von einer Sicherheitsbehörde gesucht würden, würden sie aufgegriffen und der Behörde, von der sie gesucht würden, übergeben (SNHR, 21. August 2023).

Als Teil der Onlinerecherche konnten folgende Informationen über die Art der Präsenz der syrischen Regierungstruppen in den genannten Gebieten gefunden werden:

Kurdistan 24 berichtet im Juli 2022, dass laut ihrem Oberbefehlshaber die SDF (Syrian Democratic Forces) die Verstärkung einiger Posten in Ain Al-Arab (auch Kobane genannt), Manbij und im Grenzgebiet durch die syrische Armee akzeptiert habe, mit dem Ziel, die syrischen Grenzen zu schützen (Kurdistan 24, 16. Juli 2022).

Al-Monitor fasst ebenfalls im Juli 2022 mehrere syrische Medienberichte über eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee in Gebieten unter kurdischer Kontrolle zusammen. Laut der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA (Syrian Arab News Agency) habe die syrische Regierung Mitte Juli Verstärkung in die Städte Ain Issa (Provinz Raqqa), Manbij und Ain Al-Arab (Provinz Aleppo) entsandt. Die regierungsfreundliche Nachrichtenwebseite Al-Watan habe von militärischer Verstärkung durch die syrische Armee im nördlichen und nordöstlichen Umland von Aleppo, unter anderem am Stadtrand von Manbij berichtet. Auch Medienquellen aus den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten hätten gegenüber Al-Monitor bestätigt, dass die syrische Armee vor allem in Ain al-Arab, Manbij sowie Tell Abyad (im Norden von Raqqa) präsent sei. Den Quellen zufolge würden diese Einsätze dutzende Militär- und Panzerfahrzeuge, sowie schwere Artillerie und mehr als 400 Truppen der syrischen Armee umfassen. Laut einer anonymen Quelle gebe es militärische Checkpoints der syrischen Armee an den Demarkationslinien der (von der Türkei unterstützten) SNA (Syrian National Army). Die Regierungstruppen hätten Zementblöcke im Dorf Zaibat und am Rande des Dorfes Bozekeeg, nördlich von Manbij, errichtet. Die SDF hätten die Flagge der Regierung über Militärgebäuden in der Stadt Manbij gehisst (Al-Monitor, 20. Juli 2022).

Asharq al-Awsat schreibt in einem Artikel vom Juni 2023, dass die syrische Armee an Militärcheckpoints in der Nähe der türkischen Grenze in der Provinz Hasaka stationiert sei (Asharq Al-Awsat, 27. Juni 2023).

Kurdistan 24 berichtet im August 2023, dass Berichten zufolge ein Militärposten der syrischen Regierung in der Nähe von Manbij von einer türkischen Drohne angegriffen worden sei (Kurdistan 24, 13. August 2023).

ACCORD - Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front [a-12188-v2], vom 06.09.2023

Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften (Tod, Folter, Freiheitsentzug)

Das Rojava Information Center (RIC) veröffentlicht im Juni 2020 eine englische Übersetzung des Militärdienstgesetzes von Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES). Laut Artikel 13 werde jede Abwesenheit mit einer Verlängerung der Dienstzeit um einen Monat bestraft. Ein Wehrpflichtiger gelte als abwesend, wenn die Person kein Selbstverteidigungsdienstbuch erhalten habe und/oder nicht binnen 60 Tagen ab Datum des Einzugs in den Selbstverteidigungsbüros vorstellig geworden sei (RIC, Juni 2020).

Das Danish Immigration Service (DIS) veröffentlicht im Juni 2022 einen Bericht über militärische Rekrutierung in der Provinz Hasaka. Für den Bericht führte DIS im Jänner und Februar 2022 fünfzehn Interviews mit Expert·innen und Informanten, die unter anderem über die Situation von Personen, die sich dem Selbstverteidigungsdienst entziehen, befragt wurden. Laut einem kurdisch-syrischen Journalisten und Autoren aus Qamischli, sowie Wladimir van Wilgenburg (Journalist, politischer Analyst und Autor mehrerer Bücher über Kurd·innen in Syrien) sei Kriegsdienst

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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