Entscheidungsdatum
26.04.2024Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W208 2275064-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.06.2023, Zl. 1305147210-221337787, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.06.2023, Zl. 1305147210-221337787, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen. A) Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei (bP), ein syrischer Staatsbürger, Araber und Sunnit, stellte nach illegaler Einreise am 22.04.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung in der Muttersprache „Arabisch“ gab die bP zu den Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie das Heimatland wegen des Bürgerkriegszustandes und der drohenden Rekrutierung zum Reservedienst seitens des Regimes und einer Zwangsrekrutierung seitens der Kurden verlassen habe (AS 15).
Die korrekte Rückübersetzung und die Verständlichkeit wurden bestätigt (AS 17).
2. Am 28.04.2023 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in arabischer Sprache (AS 65).
Zu den Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, dass sie seit 2012 in SYRIEN gesucht werde, da sie den Reservedienst ableisten müsse. Sie habe keinen Einberufungsbefehl erhalten, jedoch seien ihre Eltern übers Festnetztelefon verständigt worden, dass sie gesucht werde. Im Jahr 2017 sei überdies das Militär zu ihren Eltern nach Hause gekommen, habe die bP gesucht und ihr Militärbuch an sich genommen (AS 75-76). Außerdem sei ihr Haus zerstört worden und ihre Familie nicht in Sicherheit (AS 78).
Die Übersetzung wurde laut der Niederschrift einwandfrei verstanden und gab es keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung (AS 78-79).
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA (AS 171), zugestellt am 14.06.2023, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.). Begründung für die Abweisung war, dass die von der bP behauptete Gefahr einer möglichen Verfolgung bzw Rekrutierung durch das syrische Regime in SYRIEN nicht glaubhaft war und die bP daher im gesamten Verfahren keine konkrete oder drohende Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen glaubhaft machen konnte (AS 302).3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA (AS 171), zugestellt am 14.06.2023, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.) und gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Begründung für die Abweisung war, dass die von der bP behauptete Gefahr einer möglichen Verfolgung bzw Rekrutierung durch das syrische Regime in SYRIEN nicht glaubhaft war und die bP daher im gesamten Verfahren keine konkrete oder drohende Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen glaubhaft machen konnte (AS 302).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 07.07.2023 (AS 311), Postaufgabedatum am selben Tag, Beschwerde erhoben. 4. Gegen Spruchpunkt römisch eins. dieses Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 07.07.2023 (AS 311), Postaufgabedatum am selben Tag, Beschwerde erhoben.
5. Die Beschwerde sowie die Verwaltungsakten sind am 14.07.2023 beim BVwG eingelangt (OZ 1), welches zunächst für den 08.09.2023 eine Verhandlung anberaumte (OZ 3), die aufgrund einer Befangenheitsanzeige (OZ 6) der ursprünglich zuständigen Richterin wieder abberaumt wurde (OZ 4). In der Folge wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W208 zugewiesen und am 25.03.2024 eine Verhandlung durchgeführt (OZ 11).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der bP
Die bP ist ein körperlich und geistig gesunder, 39 Jahre alter Mann, Staatsangehörige SYRIENs und gehört der Volksgruppe der Araber an. Sie ist Sunnit und spricht Arabisch.
Die bP stammt aus der Stadt XXXX , ca. 60 km östlich der Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement XXXX . Die bP stammt aus der Stadt römisch XXXX , ca. 60 km östlich der Stadt römisch XXXX im gleichnamigen Gouvernement römisch XXXX .
Die bP hat über viele Jahre (2002 – 2021) legal im LIBANON (in den Städten SACHLE, NABATIEH, KHIAM und BEIRUT) gelebt, ist während dieser Zeit jedoch regelmäßig wieder nach Syrien eingereist.
Im Jahr 2002 ist die bP erstmals mit ihren Brüdern in den LIBANON gereist und hat dort als Maler gearbeitet. Die bP hat keine Schulbildung. Von 2004 bis 2007 ist sie zurück nach SYRIEN gegangen und hat dort den Wehrdienst in SYRIEN als einfacher Soldat abgeleistet.
Im Jahr 2011 hat sie in SYRIEN am 03.11.2011 traditionell XXXX , geb. XXXX geheiratet und die Ehe am 21.11.2011 registrieren lassen. Sie haben zwei Kinder (Sohn XXXX und Tochter XXXX ), die in SYRIEN geboren wurden. Im Jahr 2016 ist ihre Frau mit den Kindern in den LIBANON zur bP gezogen. Davor ist die bP regelmäßig nach Syrien gependelt, um sie zu sehen. Im Jahr 2011 hat sie in SYRIEN am 03.11.2011 traditionell römisch XXXX , geb. römisch XXXX geheiratet und die Ehe am 21.11.2011 registrieren lassen. Sie haben zwei Kinder (Sohn römisch XXXX und Tochter römisch XXXX ), die in SYRIEN geboren wurden. Im Jahr 2016 ist ihre Frau mit den Kindern in den LIBANON zur bP gezogen. Davor ist die bP regelmäßig nach Syrien gependelt, um sie zu sehen.
Aktuell leben ihre Frau und Kinder wieder in SYRIEN bei den Eltern der bP in deren Heimatstadt. Die wirtschaftliche Situation der Familie ist sehr gut, zumal die Familie der bP eine große Landwirtschaft mit Äckern und Nutztieren (etwa 50 Schafe, 15 Rinder und ca. 15.000 m2 Land) bewirtschaften und dadurch den Lebensunterhalt der ganzen Familie sichern.
Die bP hat 7 Brüder und 5 Schwestern. Drei Brüder der bP leben im LIBANON und verdienen dort ihren Lebensunterhalt als Maler. Zwei Brüder sind in der Heimatstadt in SYRIEN aufhältig und betreiben die Landwirtschaft der Familie. Die 5 Schwestern der bP leben ebenfalls in SYRIEN. Ein Bruder ist aus SYRIEN ausgereist und in der TÜRKEI verstorben. Ein Bruder lebt in ÖSTERREICH ( XXXX ) und hat ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Sohn seines Cousins ( XXXX ) lebt als Asylberechtigter in ÖSTERREICH. Außerdem leben zwei Schwager der bP ebenfalls in ÖSTERREICH.Die bP hat 7 Brüder und 5 Schwestern. Drei Brüder der bP leben im LIBANON und verdienen dort ihren Lebensunterhalt als Maler. Zwei Brüder sind in der Heimatstadt in SYRIEN aufhältig und betreiben die Landwirtschaft der Familie. Die 5 Schwestern der bP leben ebenfalls in SYRIEN. Ein Bruder ist aus SYRIEN ausgereist und in der TÜRKEI verstorben. Ein Bruder lebt in ÖSTERREICH ( römisch XXXX ) und hat ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Sohn seines Cousins ( römisch XXXX ) lebt als Asylberechtigter in ÖSTERREICH. Außerdem leben zwei Schwager der bP ebenfalls in ÖSTERREICH.
Die bP ist im Sommer 2021 illegal aus dem LIBANON über SYRIEN, wo sie sich auf der Durchreise 4 Wochen in AL AZAZ (Gouvernement ALEPPO an der türkischen Grenze) aufgehalten hat, weiter in die TÜRKEI gereist und hat von dort schleppertunterstützt das Land Richtung ÖSTERREICH verlassen.
Die bP ist am 22.04.2022 illegal nach ÖSTERREICH gereist, wobei sie für die Schleppung etwa € 10.500,00 bezahlt hat. Sie ist in ÖSTERREICH seit 14.06.2023 subsidiär schutzberechtigt und strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen
Die asylrechtliche Heimatregion der bP, die Stadt XXXX , liegt im südöstlichen Teil des Gouvernements XXXX ca. 60 km östlich der Stadt XXXX und steht unter Kontrolle des syrischen Regimes. Die asylrechtliche Heimatregion der bP, die Stadt römisch XXXX , liegt im südöstlichen Teil des Gouvernements römisch XXXX ca. 60 km östlich der Stadt römisch XXXX und steht unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Die bP verließ im Jahr 2002 noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges ihr Heimatland und ging in den LIBANON, um dort zu arbeiten. Zwischenzeitlich ist sie immer wieder nach SYRIEN eingereist. Im Jahr 2021 hat sie den LIBANON verlassen und ist illegal und schlepperunterstützt über SYRIEN in die TÜRKEI und weiter Richtung ÖSTERREICH ausgereist.
Sie hat den verpflichtenden Militärdienst in SYRIEN von 2004 bis 2007 abgeleistet und wurde als einfacher Rekrut aus dem Militärdienst entlassen. Die bP erhielt keine militärische Spezialausbildung, erreichte keinen besonderen Dienstgrad und übte keinen Beruf aus, in dem sie für einen Militäreinsatz relevante Qualifikationen erwarb. Sie hat an keinen Kampfhandlungen oder Militäroperationen teilgenommen.
Die bP hat keinen Einberufungsbefehl zum Reservedienst der syrischen Armee erhalten und wird nicht von der syrischen Regierung gesucht.
Die bP war in SYRIEN zu keinem Zeitpunkt einem Rekrutierungsversuch für den Reservedienst ausgesetzt. Sie wird bzw wurde insbesondere nicht durch das syrische Regime konkret verfolgt oder bedroht. Dass sie von anderen Konfliktparteien verfolgt oder bedroht werden würde, hat sie zu keinem Zeitpunkt konkret geltend gemacht und war auch sonst nicht aus den Einvernahmen oder vor dem Hintergrund der Länderberichte ersichtlich (zu der in der Erstbefragung pauschal behaupteten Durchführung von Zwangsrekrutierungen seitens der Kurden siehe Beweiswürdigung 2.2.5.)
Ein syrischer Mann bleibt nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen.
Die bP befindet sich mit 39 Jahren zwar noch im wehrdienstfähigen Alter für die Regierungsarmee, sie hat jedoch während der Ableistung ihres Militärdienstes weder einen besonderen Rang oder eine besondere Position innegehabt noch eine besondere Ausbildung erhalten, welche sie für eine abermalige Einberufung zum Militär in ihrem Alter eignen würden.
Die bP hat keine Aufforderung bekommen, als Reservist eingezogen zu werden und scheint auch nicht auf der diesbezüglichen Internetseite der Regierung als für den Reservedienst „gesucht“ auf.
Die bP hat sich von 2002 bis 2021 im LIBANON aufgehalten. Auch bei ihren zwischenzeitlichen Einreisen in das syrische Staatsgebiet war sie keiner Rekrutierung durch die syrischen Behörden ausgesetzt. Das BVwG geht davon aus, dass sich die bP vom Reservedienst freigekauft hat. Die Ausführungen hinsichtlich der Benachrichtigung des Ortsvorstehers an den Vater der bP über eine drohende Einberufung und einen Überfall des Militärs auf das Elternhaus sind im Hinblick auf die vagen und unplausiblen Schilderungen der bP nicht glaubhaft (mehr dazu in der Beweiswürdigung unter 2.2.).
Der bP droht in der Herkunftsregion XXXX , mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine reale Gefahr, zum Reservedienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Es besteht auch keine Gefahr, dass der bP durch das syrische Regime eine gegenüber dem syrischen Regime eingenommene kritische Haltung und folglich zumindest eine oppositionsnahe Einstellung bzw Gesinnung unterstellt werden könnte. Der bP droht in der Herkunftsregion römisch XXXX , mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine reale Gefahr, zum Reservedienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Es besteht auch keine Gefahr, dass der bP durch das syrische Regime eine gegenüber dem syrischen Regime eingenommene kritische Haltung und folglich zumindest eine oppositionsnahe Einstellung bzw Gesinnung unterstellt werden könnte.
Die bP war in SYRIEN nicht politisch aktiv und ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung. Die bP ist auch nicht als Regimekritiker bei den syrischen Behörden bekannt und wird auch deswegen nicht von ihnen gesucht. Die bP gab zudem bei ihren Einvernahmen bei der Polizei und dem BFA niemals an, dass sie oder ihre Familienmitglieder politisch tätig gewesen wären.
Die in der mündlichen Verhandlung getroffenen Angaben zur Teilnahme an Demonstrationen im LIBANON und einem Brandanschlag auf ihre Wohnung sind nicht glaubhaft.
Sie wurde zu keinem Zeitpunkt – weder während der angeblichen Demonstrationen im LIBANON oder danach – auf ihre Identität überprüft und waren die Angaben zu einer Verfolgung durch die Hizbollah im LIBANON (in Form eines Brandanschlages auf die Wohnung der bP) nicht glaubhaft (vgl Beweiswürdigung 2.2.4.).Sie wurde zu keinem Zeitpunkt – weder während der angeblichen Demonstrationen im LIBANON oder danach – auf ihre Identität überprüft und waren die Angaben zu einer Verfolgung durch die Hizbollah im LIBANON (in Form eines Brandanschlages auf die Wohnung der bP) nicht glaubhaft vergleiche Beweiswürdigung 2.2.4.).
Im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG hat die bP eine Bestätigung über die Mitgliedschaft beim Verein „Die freie syrische Gemeinde Österreichs“ und Fotos von ihr bei einer Demonstrationsteilnahme am 10.03.2024 vorgelegt. Sie ist dadurch jedoch nicht derart oppositionell in Erscheinung getretenen, als dass sie deshalb ins Visier des syrischen Regimes geraten war oder würde.
Es besteht auch keine Gefahr, aufgrund der illegalen Ausreise oder der gegenständlichen Asylantragstellung in ÖSTERREICH mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Der bP droht in SYRIEN daher aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in SYRIEN und der Heimatregion der bP
1.3.1. Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation SYRIEN, (COI-CMS) https://staatendokumentation.at bzw https://ecoi.net, ergibt sich wie folgt (Auszug Version 9, 17.07.2023 – abgefragt am 12.03.2024 ):
1. Sicherheitslage
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Mittlerweile hat das Assad-Regime, unterstützt von Russland und Iran, unterschiedlichen Quellen zu Folge zwischen 60 % (INSS 24.4.2022; vgl. GIS 23.5.2022) und 70 % des syrischen Territoriums wieder unter seine Kontrolle gebracht (USCIRF 11.2022; EUAA 9.2022). Im November 2022 kontrolliert die Regierung die meisten größeren Städte des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama (CRS 8.11.2022; vgl EUAA 9.2022). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; vgl. SWP 3.2020, FP 15.3.2021, EUI 13.3.2020) (Anm.: siehe dazu auch das Überkapitel Sicherheitslage). Folgende Karte mit Stand 23.5.2023 veranschaulicht diese territoriale nominelle Dominanz der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten und das komplexe Verhältnis zum selbsternannten Autonomiegebiet im Nordosten, das hier als "halbautonome kurdische Zone" bezeichnet wird:Mittlerweile hat das Assad-Regime, unterstützt von Russland und Iran, unterschiedlichen Quellen zu Folge zwischen 60 % (INSS 24.4.2022; vergleiche GIS 23.5.2022) und 70 % des syrischen Territoriums wieder unter seine Kontrolle gebracht (USCIRF 11.2022; EUAA 9.2022). Im November 2022 kontrolliert die Regierung die meisten größeren Städte des Landes, darunter die Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama (CRS 8.11.2022; vergleiche EUAA 9.2022). Ausländische Akteure und regierungstreue Milizen üben erheblichen Einfluss auf Teile des Gebiets aus, das nominell unter der Kontrolle der Regierung steht (AM 23.2.2021; vergleiche SWP 3.2020, FP 15.3.2021, EUI 13.3.2020) Anmerkung, siehe dazu auch das Überkapitel Sicherheitslage). Folgende Karte mit Stand 23.5.2023 veranschaulicht diese territoriale nominelle Dominanz der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten und das komplexe Verhältnis zum selbsternannten Autonomiegebiet im Nordosten, das hier als "halbautonome kurdische Zone" bezeichnet wird:
Die zivilen Behörden haben nur begrenzten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Organisationen, die in Syrien operieren, darunter russische Streitkräfte, die libanesische Hizbollah, die iranischen Revolutionswächter (IRGC) und regierungsnahe Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defence Forces - NDF), deren Mitglieder zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 20.3.2023). Auch innerhalb einzelner Regionen unterscheidet sich die Lage von Ort zu Ort und von Betroffenen zu Betroffenen. Somit ist eine pauschale Lagebeurteilung nicht möglich (AA 29.3.2023).
Die Sicherheitslage zwischen militärischen Entwicklungen und Menschenrechtslage
Ungeachtet der obigen Ausführungen bleibt Syrien bis hin zur subregionalen Ebene territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Die Regierung ist nicht in der Lage, alle von ihr kontrollierten Gebiete zu verwalten und bedient sich verschiedener Milizen, um einige Gebiete und Kontrollpunkte in Aleppo, Lattakia, Tartus, Hama, Homs und Deir ez-Zor zu kontrollieren (DIS/DRC 2.2019). Die Hizbollah und andere von Iran unterstützte schiitische Milizen kontrollieren derzeit rund 20 Prozent der Grenzen des Landes. Obwohl die syrischen Zollbehörden offiziell für die Grenzübergänge zum Irak (Abu Kamal), zu Jordanien (Nasib) und zum Libanon (al-Arida, Jdeidat, al-Jousiyah und al-Dabousiyah) zuständig sind, liegt die tatsächliche Kontrolle bei anderen: Die libanesische Grenze ist von der Hizbollah besetzt, die auf der syrischen Seite Stützpunkte eingerichtet hat (Zabadani, al-Qusayr), von denen aus sie die Bergregion Qalamoun beherrscht. Auch die irakischen schiitischen Milizen verwalten beide Seiten ihrer Grenze von Abu Kamal bis at-Tanf (WI 10.2.2021).
Vor allem Aleppo, die größte Stadt Syriens und ihr ehemaliger wirtschaftlicher Motor, bietet einen Einblick in die derzeitige Lage: Die Truppen des Regimes haben die primäre, aber nicht die ausschließliche Kontrolle über die Stadt, weil die Milizen, auch wenn sie nominell mit dem Regime verbündet sind, sich sporadische Zusammenstöße mit Soldaten und untereinander liefern und die Einwohner schikanieren. Die Rebellen sind vertrieben, kein ausländischer Akteur hat ein Interesse an einer erneuten Intervention, um das Regime herauszufordern, und die Bevölkerung ist durch den jahrelangen Krieg zu erschöpft und verarmt und zu sehr damit beschäftigt, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, um einen weiteren Aufstand zu führen. Außerdem konnten die meisten Einwohner der Stadt, die in von der Opposition gehaltene Gebiete oder ins Ausland vertrieben wurden, nicht zurückkehren, vor allem weil sie entweder die Einberufung oder Repressalien wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung am Aufstand fürchten (ICG 9.5.2022). Gebiete, in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021).
Andere Regionen wie der Westen des Landes, insbesondere die Gouvernements Tartus und Latakia (Kerneinflussgebiete des Assad-Regimes), blieben auch im Berichtszeitraum von aktiven Kampfhandlungen vergleichsweise verschont. Unverändert kam es hier nur vereinzelt zu militärischen Auseinandersetzungen, vorwiegend im Grenzgebiet zwischen Latakia und Idlib (AA 29.3.2023).
Unabhängig von militärischen Entwicklungen kommt es laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021) [Anm.: Siehe dazu Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage]. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien hält es für wahrscheinlich, dass das Regime, seine russischen Verbündeten und andere regimetreue Kräfte Angriffe begangen haben, die durch Kriegsverbrechen gekennzeichnet sind und möglicherweise auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen. Dem Regime nahestehende paramilitärische Gruppen begehen Berichten zufolge häufige Verstöße und Misshandlungen, darunter Massaker, wahllose Tötungen, Entführungen von Zivilisten, extreme körperliche Misshandlungen, einschließlich sexueller Gewalt, und rechtswidrige Festnahmen (USDOS 20.3.2023). Die syrische Regierung und andere Konfliktparteien setzen weiterhin Verhaftungen und das Verschwindenlassen von Personen als Strategie zur Kontrolle und Einschüchterung der Zivilbevölkerung ein (GlobalR2P 31.5.2023; vgl. CC 3.11.2022). In Zentral-, West- und Südsyrien kommt es in den von der Regierung kontrollierten Gebieten systematisch zu willkürlichen Verhaftungen, Folterungen und Misshandlungen (GlobalR2P 1.12.2022) [Anm.: Siehe auch Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage]. Aus den Gouvernements Dara'a, Quneitra und Suweida wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 gezielte Tötungen, Sprengstoffanschläge, Schusswechsel, Zusammenstöße und Entführungen gemeldet, an denen Kräfte der syrischen Regierung und regierungsfreundliche Milizen, ehemalige Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen, IS-Kämpfer und andere nicht identifizierte Akteure beteiligt waren (EUAA 9.2022). Unabhängig von militärischen Entwicklungen kommt es laut Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure in allen Landesteilen, insbesondere auch in Gebieten unter Kontrolle des Regimes (AA 29.11.2021) [Anm.: Siehe dazu Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage]. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien hält es für wahrscheinlich, dass das Regime, seine russischen Verbündeten und andere regimetreue Kräfte Angriffe begangen haben, die durch Kriegsverbrechen gekennzeichnet sind und möglicherweise auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen. Dem Regime nahestehende paramilitärische Gruppen begehen Berichten zufolge häufige Verstöße und Misshandlungen, darunter Massaker, wahllose Tötungen, Entführungen von Zivilisten, extreme körperliche Misshandlungen, einschließlich sexueller Gewalt, und rechtswidrige Festnahmen (USDOS 20.3.2023). Die syrische Regierung und andere Konfliktparteien setzen weiterhin Verhaftungen und das Verschwindenlassen von Personen als Strategie zur Kontrolle und Einschüchterung der Zivilbevölkerung ein (GlobalR2P 31.5.2023; vergleiche CC 3.11.2022). In Zentral-, West- und Südsyrien kommt es in den von der Regierung kontrollierten Gebieten systematisch zu willkürlichen Verhaftungen, Folterungen und Misshandlungen (GlobalR2P 1.12.2022) [Anm.: Siehe auch Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage]. Aus den Gouvernements Dara'a, Quneitra und Suweida wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 gezielte Tötungen, Sprengstoffanschläge, Schusswechsel, Zusammenstöße und Entführungen gemeldet, an denen Kräfte der syrischen Regierung und regierungsfreundliche Milizen, ehemalige Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen, IS-Kämpfer und andere nicht identifizierte Akteure beteiligt waren (EUAA 9.2022).
Seit der Rückeroberung der größtenteils landwirtschaftlich geprägten Provinz um Damaskus im Jahr 2018 versucht der syrische Präsident Bashar al-Assad, die Hauptstadt als einen 'Hort der Ruhe' in einem vom Konflikt zerrissenen Land darzustellen (AN 1.7.2022; vgl. EUAA 9.2022). Allerdings kommt es seit Anfang 2020 zu wiederholten Anschlägen in Damaskus und Damaskus-Umland bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen werden (TSO 10.3.2020; vgl. COAR 25.10.2021). Darunter war z. B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2021 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022). Im Zeitraum April 2022 bis Juli 2022 wurden sechzehn Anschläge in und um Damaskus gemeldet, welche Personen mit Regimenähe zum Ziel hatten (AN 1.7.2022).Seit der Rückeroberung der größtenteils landwirtschaftlich geprägten Provinz um Damaskus im Jahr 2018 versucht der syrische Präsident Bashar al-Assad, die Hauptstadt als einen 'Hort der Ruhe' in einem vom Konflikt zerrissenen Land darzustellen (AN 1.7.2022; vergleiche EUAA 9.2022). Allerdings kommt es seit Anfang 2020 zu wiederholten Anschlägen in Damaskus und Damaskus-Umland bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen werden (TSO 10.3.2020; vergleiche COAR 25.10.2021). Darunter war z. B. die Bombenexplosion eines Militärbusses am 20.10.2021 in einem dicht besiedelten Gebiet von Damaskus, bei welcher 14 Personen getötet wurden (HRW 13.1.2022). Im Zeitraum April 2022 bis Juli 2022 wurden sechzehn Anschläge in und um Damaskus gemeldet, welche Personen mit Regimenähe zum Ziel hatten (AN 1.7.2022).
In Gebieten wie Dara?a, der Stadt Deir ez-Zor und Teilen von Aleppo und Homs sind Rückkehrer mit ihre Macht missbrauchenden regimetreuen Milizen, Sicherheitsproblemen wie Angriffen des IS, mit schweren Zerstörungen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren konfrontiert (ICG 13.2.2020).
Der Islamischer Staat (IS) verfügt über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021; Anm.: Siehe dazu auch Abschnitt "Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet"). Der IS ist unter anderem im Osten der Provinz Homs aktiv. Es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vgl. DIS 5.2022).Der Islamischer Staat (IS) verfügt über Rückzugsgebiete im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien. Seit Anfang 2020 hat der IS Anschläge in fast allen Landesteilen durchgeführt und ist weiterhin grundsätzlich in der Lage, dies landesweit zu tun (AA 29.11.2021; Anmerkung, Siehe dazu auch Abschnitt "Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet"). Der IS ist unter anderem im Osten der Provinz Homs aktiv. Es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 1.10.2021; vergleiche DIS 5.2022).
Von Februar bis April versuchen verarmte Syrer durch die Trüffelsuche Geld zum Überleben zu verdienen - trotz Lebensgefahr (France 24 8.3.2023) aufgrund der Präsenz von IS-Kämpfern und zahlreichen Landminen in der Wüste Zentralsyriens (TAZ 24.3.2023). Bei einem weiteren IS-Angriff Mitte Februar kamen 53 Zivilisten bei der Trüffelsuche ums Leben (Ha'aretz 17.2.2023). Mittlerweile soll der IS mindestens 150 Trüffelsucher im heurigen Jahr getötet haben (BBC 17.4.2023). […]
2. Rechtsschutz / Justizwesen
Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes
Die syrische Verfassung sieht Demokratie (Art. 1, 8, 10, 12), Achtung der Grund- und Bürgerrechte (Art. 33-49), Rechtsstaatlichkeit (Art. 50-53), Gewaltenteilung sowie freie, allgemeine und geheime Wahlen zum Parlament (Art. 57) vor. Faktisch haben diese Prinzipien in Syrien jedoch nie ihre Wirkung entfaltet, da die Ba'ath-Partei durch einen von 1963 bis 2011 geltenden, extensiv angewandten Ausnahmezustand wichtige Verfassungsregeln außer Kraft setzte. Zwar wurde der Ausnahmezustand 2011 beendet, aber mit Ausbruch des bewaffneten Konflikts in Syrien umgehend im Jahr 2012 durch eine genauso umfassende und einschneidende „Anti-Terror-Gesetzgebung“ ersetzt. Sie führte zu einem Machtzuwachs der Sicherheitsdienste und massiver Repression, mit der das Regime auf die anfänglichen Demonstrationen und Proteste sowie den späteren bewaffneten Aufstand großer Teile der Bevölkerung antwortete. Justiz und Gerichtswesen sind von grassierender Korruption und Politisierung durch das Regime geprägt. Laut geltender Verfassung ist der Präsident auch Vorsitzender des Obersten Justizrates (AA 29.3.2023).Die syrische Verfassung sieht Demokratie (Artikel eins,, 8, 10, 12), Achtung der Grund- und Bürgerrechte (Artikel 33 -, 49,), Rechtsstaatlichkeit (Artikel 50 -, 53,), Gewaltenteilung sowie freie, allgemeine und geheime Wahlen zum Parlament (Artikel 57,) vor. Faktisch haben diese Prinzipien in Syrien jedoch nie ihre Wirkung entfaltet, da die Ba'ath-Partei durch einen von 1963 bis 2011 geltenden, extensiv angewandten Ausnahmezustand wichtige Verfassungsregeln außer Kraft setzte. Zwar wurde der Ausnahmezustand 2011 beendet, aber mit Ausbruch des bewaffneten Konflikts in Syrien umgehend im Jahr 2012 durch eine genauso umfassende und einschneidende „Anti-Terror-Gesetzgebung“ ersetzt. Sie führte zu einem Machtzuwachs der Sicherheitsdienste und massiver Repression, mit der das Regime auf die anfänglichen Demonstrationen und Proteste sowie den späteren bewaffneten Aufstand großer Teile der Bevölkerung antwortete. Justiz und Gerichtswesen sind von grassierender Korruption und Politisierung durch das Regime geprägt. Laut geltender Verfassung ist der Präsident auch Vorsitzender des Obersten Justizrates (AA 29.3.2023).
Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten regeln das Familienrecht (SLJ 5.9.2016). Der Konflikt in Syrien hat das bereits zuvor schwache Justizsystem weiter ausgehöhlt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Die syrischen Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte werden regelmäßig vom Regime für politische Zwecke missbraucht. Zudem ist Korruption weit verbreitet. Die Unabhängigkeit syrischer Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte ist somit unverändert nicht gewährleistet. Vor allem vor Strafgerichten ist eine effektive Verteidigung in Fällen mit politischem Hintergrund praktisch nicht möglich. Immer wieder werden falsche Geständnisse durch Folter und Drohungen durch die Anklage erpresst und seitens der Gerichte weitestgehend vorbehaltlos akzeptiert (AA 29.3.2023). In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Umsetzung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB Damaskus 1.10.2021). Richter und Staatsanwälte müssen im Grunde genommen der Ba'ath-Partei angehören und sind in der Praxis der politischen Führung verpflichtet (FH 9.3.2023).
Tausende von Gefangenen wurden monatelang oder jahrelang ohne Kontakt zur Außenwelt ("incommunicado") festgehalten, bevor sie ohne Anklage oder Gerichtsverfahren freigelassen wurden, während viele andere im Gefängnis starben (USDOS 20.3.2023).
Anti-Terror-Gerichte (CTC)
2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht (Counter Terrorism Court - CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund "terroristischer Taten" gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist (SJAC 9.2018). Die „Terrorismus-Gerichte“ sind außerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens tätig (ÖB Damaskus 1.10.2021). Anklagen gegen Personen, die vor das CTC gebracht werden, beinhalten: das Finanzieren, Fördern und Unterstützen von Terrorismus; die Teilnahme an Demonstrationen; das Schreiben von Stellungnahmen auf Facebook; die Kontaktierung von Oppositionellen im Ausland; den Waffenschmuggel an bewaffnete Oppositionelle; das Liefern von Nahrungsmitteln, Hilfsgütern und Medizin in von der Opposition kontrollierte Gebiete (NMFA 5.2020).
Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) und andere Quellen betonen, dass sowohl der Gerichtsprozess im CTC als auch die Gesetzgebung, auf deren Basis dieser Gerichtshof agiert offenkundig internationales Menschenrecht und fundamentale rechtliche Standards verletzen. Diese Verletzungen beinhalten: willkürliche Verhaftungen, unter Folter erzwungene Geständnisse als Beweismittel, geschlossene Gerichtssitzungen unter Ausschluss der Medien, das Urteilen des Gerichts über Zivilisten, Minderjährige und Militärangehörige gleichermaßen, die Ernennung der Richter durch den Präsidenten, die Nicht-Zulässigkeit von ZeugInnen der/des Angeklagten, usw. (NMFA 6.2021). Das normale juristische Prozedere gilt bei keinem der Fälle vor den CTCs. Eine Berufung gegen Urteile ist nicht möglich (BS 23.2.2022).
Mangels Definition von "Terrorismus" und mit "Terrorismus" als Generalvorwurf gegen jede Form von abweichender Meinung werden die Anti-Terrorismus-Gerichte als "politisch" kategorisiert (BS 23.3.2022), und vor allem auch viele Oppositionelle werden dabei als "Terroristen" angeführt (ÖB Damaskus 1.10.2021): Die Anti-Terror-Gerichte dienen insbesondere dem Zweck, politische Gegner und Personen, die sich für politischen Wandel und Menschenrechte einsetzen, auszuschalten. Demnach sollen seit Errichtung dieser Gerichte bis Oktober 2020 schätzungsweise mindestens 90.560 Fälle vor diesen Gerichten verhandelt worden sein. Dabei sollen mindestens 20.641 Gefängnisstrafen und mehr als 2.147 Todesurteile verhängt worden sein, davon der Großteil in Abwesenheit der Angeklagten. Vor diesen Gerichten sei Angeklagten in Verfahren, die oftmals nur wenige Minuten dauern, ein Rechtsbeistand verwehrt; sie würden nach glaubhaften Aussagen ehemaliger Häftlinge oftmals gezwungen, Geständnisse ohne Kenntnis des Textes blind zu unterschreiben. Viele der von diesen Gerichten Verurteilten erhielten laut SNHR Haftstrafen zwischen 10 und 20 Jahren, politische Dissidenten häufig bis zu 30 Jahre. In letzteren Fällen sei es wiederholt auch zu außergerichtlichen Hinrichtungen gekommen (AA 29.3.2023).
Undeklarierte Internierungslager, in denen unmenschliche Bedingungen vorherrschen, sind weit verbreitet. Auch Kinder und Frauen werden in diesen Internierungszentren festgehalten. Im Mai 2018 veröffentlichte die syrische Regierung Listen mit Tausenden Namen von in Internierungslagern verstorbenen Bürgern. Eine Aufklärung dieser Todesfälle steht aus (ÖB Damaskus 1.10.2021). Neben Gefängnisstrafen, Zwangsarbeit und der Todesstrafe sieht das Dekret 6372 auch vor, dass das Gericht, jeglichen beweglichen und unbeweglichen Besitz beschlagnahmen kann (SJAC 9.2018). Umfasst ist auch das Eigentum der Familien der Verurteilten und in einigen Fällen sogar ihrer Freunde (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Militärgerichte und Feldgerichte
Militäroffiziere können ZivilistInnen sowohl vor Militärgerichte wie auch Feldgerichte stellen, in welchen es den Angeklagten an Prozessrechten fehlt. ZivilistInnen können zwar Berufung gegen die Entscheidungen von Militärgerichten einlegen, aber die Richter der Militärkammer des Kassationsgerichts sind letztlich dem Militär untergeordnet (FH 9.3.2023).
Militär-Feldgerichte sind geheime Gerichte, deren Richter Militärangehörige sind, die keinerlei Ausbildung oder juristischen Hintergrund haben müssen. Inhaftierte haben hierbei nicht die Möglichkeit, einen Anwalt zu beauftragen, und Anwälte können den Sitzungen nicht beiwohnen. Es gibt keine Möglichkeit zum Einspruch, und es fehlt an den Bedingungen für ein faires Gerichtsverfahren (NMFA 6.2021).
Ein befragter Experte beschrieb die Arbeit der Feldgerichte während aktiver Kämpfe in Kriegsgebieten folgendermaßen: "Feldtribunal" bedeutet nicht, dass es in einem großen Gebäude abseits der Front stattfindet, sondern es ist im Grunde ein Tisch mit drei Offizieren. Sie prüfen die Anschuldigungen, und es gibt eine sehr kurze Verhandlung, in der sie die Version der Geschichte des Angeklagten hören. Sie hören auch die Versionen der Offiziere und der Mitsoldaten, und wenn der Angeklagte beispielsweise des Hochverrats für schuldig befunden wird, kann er im Schnellverfahren hingerichtet werden, was bedeutet, dass er an die Wand gestellt und erschossen wird. Während des Konflikts ist es zu derartigen Fällen gekommen. Die Hinrichtungen werden üblicherweise von der Militärpolizei (ash-Shurta al-Askariya) oder dem Militärgeheimdienst durchgeführt (Üngör 15.12.2021).
Andere Gerichte
Die Verwaltung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeitet in Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, vor allem in Personenstandsangelegenheiten (AA 29.3.2023). Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht (IA 7.2017). Hierbei sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte (SLJ 5.9.2016). Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an (USDOS 20.3.2023).
Die anhaltende Regierungskampagne zur Konfiszierung von Land und Häusern oder Beschlagnahmung ohne adäquate Entschädigung macht Land- und Immobilienbesitzrechte zu einem sensiblen Thema, bei dem die Justiz nicht unabhängig ist. In diesen Fällen dienen die Gerichte dazu, die Einziehung des Besitzes im Namen des Kampfes gegen "Terrorismus" zu legitimieren. BürgerInnen im Ausland riskieren, dass ihr Besitz beschlagnahmt wird, wenn sie vom Regime mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und haben kaum Einspruchsmöglichkeiten. Die Verfügungen zur Durchführung der Konfiszierung werden nur in lokalen Zeitungen bekannt gegeben und sind so vom Ausland nicht zugänglich. Die Kläger müssten persönlich (bei Einsprüchen) in solchen Fällen zugegen sein (BS 23.3.2022). […]
3. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.3.2023). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023). […]Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Artikel 4, Litera b, gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.3.2023). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023). […]
Rekrutierungspraxis
Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vgl. NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vergleiche NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vergleiche NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).
Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterscha