Entscheidungsdatum
14.05.2024Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W231 2273538-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch XXXX , geb. römisch XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.römisch eins. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. wird stattgegeben und römisch XXXX gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.römisch II. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, AsylG 2005 wird festgestellt, dass römisch XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
III. Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben. römisch III. Die Spruchpunkte römisch II. bis römisch VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.B) Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang: römisch eins. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 29.06.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.römisch eins.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 29.06.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 30.06.2022 gab der BF zu seinem Fluchtgrund an, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, da er seine Religion gewechselt habe. Bei einer Rückkehr drohe ihm die Todesstrafe, weil er aus dem Islam ausgetreten sei. römisch eins.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 30.06.2022 gab der BF zu seinem Fluchtgrund an, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, da er seine Religion gewechselt habe. Bei einer Rückkehr drohe ihm die Todesstrafe, weil er aus dem Islam ausgetreten sei.
I.3. Nach Zulassung des Verfahrens erfolgte am 15.12.2022 eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er der Volksgruppe der Kurden angehöre und im Herkunftsland zuletzt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in der Region Mashad gelebt habe. Seine Eltern und Geschwister seien nach wie vor im Herkunftsland aufhältig. Seit etwa elf Monaten sei der BF Christ. Im Herkunftsland habe der BF zwölf Jahre lang die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Zuletzt habe er bei seinem Onkel als Maler und als Pizzabäcker gearbeitet. Sein Herkunftsland habe der BF verlassen, weil er vom Islam zum Christentum übergetreten sei. Der Vater eines Freundes habe den BF angezeigt, weil er missionieren wollte. römisch eins.3. Nach Zulassung des Verfahrens erfolgte am 15.12.2022 eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er der Volksgruppe der Kurden angehöre und im Herkunftsland zuletzt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in der Region Mashad gelebt habe. Seine Eltern und Geschwister seien nach wie vor im Herkunftsland aufhältig. Seit etwa elf Monaten sei der BF Christ. Im Herkunftsland habe der BF zwölf Jahre lang die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Zuletzt habe er bei seinem Onkel als Maler und als Pizzabäcker gearbeitet. Sein Herkunftsland habe der BF verlassen, weil er vom Islam zum Christentum übergetreten sei. Der Vater eines Freundes habe den BF angezeigt, weil er missionieren wollte.
I.4. Mit angefochtenem Bescheid vom 21.04.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in den Iran Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). römisch eins.4. Mit angefochtenem Bescheid vom 21.04.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 (Spruchpunkt römisch eins.), sowie gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß Paragraph 46, FPG in den Iran Iran zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte die Behörde aus, dass das Vorbringen des BF hinsichtlich seiner Fluchtgründe nicht glaubhaft sei. Die Angaben des BF hätten Widersprüche aufgewiesen und seien nicht plausibel. Fragen zum christlichen Glauben hätte der BF zwar beantworten können, doch sei der persönliche Eindruck der Behörde vom BF nicht dergestalt, dass von einem ehrlichen und vor allem dauerhaften Glaubens- und Einstellungswandel ausgegangen werden könne.
I.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde und führte darin aus, dass er vor ungefähr drei Monaten im Gespräch mit seiner Tante ms. erfahren habe, dass die Polizei nochmal nach ihm gefragt habe. In Österreich besuche der BF wöchentlich den Gottesdienst und strebe eine Taufe an. römisch eins.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde und führte darin aus, dass er vor ungefähr drei Monaten im Gespräch mit seiner Tante ms. erfahren habe, dass die Polizei nochmal nach ihm gefragt habe. In Österreich besuche der BF wöchentlich den Gottesdienst und strebe eine Taufe an.
I.6. Am 25.01.2024 brachte der BF beim erkennenden Gericht einen Antrag auf Einvernahme von Zeugen für seinen Glaubenswechsel aus innerer Überzeugung ein und legte Dokumente vor. römisch eins.6. Am 25.01.2024 brachte der BF beim erkennenden Gericht einen Antrag auf Einvernahme von Zeugen für seinen Glaubenswechsel aus innerer Überzeugung ein und legte Dokumente vor.
I.7. Am 29.01.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung sowie von zwei Zeugen statt. römisch eins.7. Am 29.01.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung sowie von zwei Zeugen statt.
I.8. Am 31.01.2024 brachte der BF eine Beweismittelvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein und legte damit Screenshots seines Instagram- Profils vor. Zudem machte er weitere Zeugen namhaft. römisch eins.8. Am 31.01.2024 brachte der BF eine Beweismittelvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein und legte damit Screenshots seines Instagram- Profils vor. Zudem machte er weitere Zeugen namhaft.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:römisch II.1. Feststellungen:
II.1.1. Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Seine Identität steht fest. Er ist iranischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden an; seine Muttersprache ist Kurdisch. Darüber hinaus verfügt er über Kenntnisse der Sprachen Farsi, Englisch und Türkisch.römisch II.1.1. Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum. Seine Identität steht fest. Er ist iranischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden an; seine Muttersprache ist Kurdisch. Darüber hinaus verfügt er über Kenntnisse der Sprachen Farsi, Englisch und Türkisch.
Der BF ist ledig und hat keine Sorgepflichten.
Er wurde in der Region Mashad, Iran, geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Österreich. Im Herkunftsland besuchte der BF zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Nach seinem Schulabschluss arbeitete der BF als Maler bei seinem Onkel und als Pizzabäcker.
Im Iran sind nach wie vor die Eltern sowie zwei Geschwister des BF aufhältig. Die Eltern des BF sind mittlerweile umgezogen und nicht mehr an dem Ort aufhältig, an welchem sie zuletzt mit dem BF zusammen wohnten. Mit seinen Geschwistern steht der BF nach wie vor in Kontakt.
Der BF weist keine familiären Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet auf.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF wuchs im Iran muslimisch auf. Nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet nahm der BF zunächst an Gottesdiensten der katholischen Kirche teil. Seit Mai 2023 besucht der BF Gottesdienste sowie Kurse der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen). Am 18.06.2023 wurde der BF getauft, am 25.06.2023 konfirmiert und am 13.08.2023 zum aronischen Priester ordiniert. Der BF weist grundlegendes Wissen über das Christentum auf. Auf sozialen Medien postet der BF unter seinem Klarnamen auf einem öffentlichen Profil religiöse Inhalte mit Bezug auf seine christliche Glaubensgemeinschaft. Er veröffentlicht auch Posts mit oppositionellen Inhalten.
Am 27.06.2023 ist der BF aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten.
Der BF hat sich ernsthaft mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und ist sich einer christliche Glaubensgemeinschaft nachhaltig zugewandt, sodass dieser Glaube für den BF als identitätsstiftend anzusehen ist. Bei einer Rückkehr in den Iran würde der BF nicht zum Islam zurückkehren, sondern dieser christlichen Glaubensgemeinschaft Christ weiter zugehörig sein wollen.
Im Hinblick auf die aktuelle Lage für konvertierte Angehörige christlicher Glaubensgemeinschaften im Herkunftsland kann im Entscheidungszeitpunkt nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in den Iran auf Grund seiner nunmehrigen Religionszugehörigkeit einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein wird.
Dem BF steht als vom Islam zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft Konvertierten keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:römisch II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zum Iran (Version 6, 13.04.2023):
Politische Lage
Letzte Änderung: 13.04.2023
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System (BS 23.2.2022; vgl. BPB 10.1.2020). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht, und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System (BS 23.2.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht, und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).
Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vgl. USDOS 20.3.2023). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 10.3.2023). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 10.3.2023). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).
Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.9.2021). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. USDOS 20.3.2023), er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 10.3.2023). Auch wenn der Expertenrat nominell direkt von der Bevölkerung gewählt wird, hat der Revolutionsführer indirekt Einfluss auf dessen Zusammensetzung, da der Wächterrat, der zur Hälfte vom Revolutionsführer und zur Hälfte vom (durch den Revolutionsführer eingesetzten) Leiter des Justizwesens besetzt wird, die Kandidatenauswahl dafür vornimmt und den Wahlvorgang kontrolliert (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021). Da der Wächterrat die Kandidaten für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (majles oder Islamische Beratende Versammlung) überprüft und regelmäßig eine bedeutsame Anzahl an Kandidaten von der Wahl ausschließt und den Wahlvorgang kontrolliert, übt der Revolutionsführer somit indirekt Einfluss auf die legislativen und exekutiven Institutionen des Landes aus (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.9.2021). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 20.3.2023), er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 10.3.2023). Auch wenn der Expertenrat nominell direkt von der Bevölkerung gewählt wird, hat der Revolutionsführer indirekt Einfluss auf dessen Zusammensetzung, da der Wächterrat, der zur Hälfte vom Revolutionsführer und zur Hälfte vom (durch den Revolutionsführer eingesetzten) Leiter des Justizwesens besetzt wird, die Kandidatenauswahl dafür vornimmt und den Wahlvorgang kontrolliert (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021). Da der Wächterrat die Kandidaten für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (majles oder Islamische Beratende Versammlung) überprüft und regelmäßig eine bedeutsame Anzahl an Kandidaten von der Wahl ausschließt und den Wahlvorgang kontrolliert, übt der Revolutionsführer somit indirekt Einfluss auf die legislativen und exekutiven Institutionen des Landes aus (USDOS 20.3.2023). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).
Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 10.3.2023). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt (BBC 8.10.2022; vgl. BPB 10.1.2020). Der religiöse Führer hat das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten (DW 16.6.2021). Die Macht des Präsidenten wird auch durch das Parlament eingeschränkt und der Wächterrat muss neuen Gesetzen zustimmen oder kann ein Veto einlegen (BBC 8.10.2022).Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 10.3.2023). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt (BBC 8.10.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Der religiöse Führer hat das letzte Wort in allen staatlichen Angelegenheiten (DW 16.6.2021). Die Macht des Präsidenten wird auch durch das Parlament eingeschränkt und der Wächterrat muss neuen Gesetzen zustimmen oder kann ein Veto einlegen (BBC 8.10.2022).
Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.9.2021). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 10.3.2023). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen (AA 30.11.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 10.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 10.3.2023; vgl. AA 30.11.2022).Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben ihre Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen (AA 30.11.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 10.3.2023). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 10.3.2023; vergleiche AA 30.11.2022).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vgl. FH 10.3.2023, BPB 31.1.2020a). Dennoch kommt es in kaum einem anderen Land des Nahen Ostens zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegeln einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht ist (BPB 31.1.2020a).Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023, BPB 31.1.2020a). Dennoch kommt es in kaum einem anderen Land des Nahen Ostens zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegeln einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht ist (BPB 31.1.2020a).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit einem harten Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der "islamischen Gesellschaftsordnung" (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung "westlicher" Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie mancher Richterposten anzutreten (USDOS 20.3.2023). Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020a).
Nach dem Tod der 22-Jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022 (USDOS 20.3.2023) in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei (Gasht-e Ershâd) in Teheran (BPB 16.2.2023) aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hidschabs kam es in Iran zu den größten Protesten seit Jahren (EN 1.2.2023). Der Protest erreichte schnell alle Teile des Landes und hat eine politische Dimension angenommen, die weit über die "Kopftuch-Frage" und die Überlappung von geschlechtsspezifischer und ethnischer Diskriminierung hinausgeht. Die von den Demonstrantinnen und Demonstranten verwendete Parole lautet "Zan, Zendegi, Âzâdi" [Anm.: Persisch für "Frau, Leben, Freiheit"; ursprüngl. Kurdisch: Jin, Jîyan, Azadî] und ist gepaart mit der Forderung nach einem Regimewechsel. Die Proteste werden insbesondere von den folgenden Gruppen getragen: Frauen, Jugendliche, Studentinnen und Studenten sowie von marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen. Das iranische Regime reagierte mit massiver Repression auf die Proteste, zeitweise wurden rund 20.000 Personen inhaftiert und rund 500 Protestteilnehmer wurden von den Sicherheitskräften getötet. Die Proteste zeichnen sich bislang durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen sind sowohl Stärke als auch Schwäche der derzeitigen Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielen: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer politischen Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 13.04.2023
Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden. Mit Ausnahme von einigen peripheren Grenzregionen ist die Regierung im Besitz der Kontrolle über das gesamte Staatsterritorium. In den Provinzen West-Aserbaidschan und Kermanshah, an der westlichen Staatsgrenze zu Irakisch-Kurdistan, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran) und separatistischen Gruppierungen, wie der Kurdistan Democratic Party of Iran (KDPI) und der Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (PJAK) (BS 23.2.2022).
Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeier- und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Seit Mitte September 2022 kommt es in zahlreichen Städten des Landes zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 10.2.2023). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie in Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vgl. UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeier- und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Seit Mitte September 2022 kommt es in zahlreichen Städten des Landes zu Protesten gegen die Regierung. Bei Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstrierenden sind zahlreiche Personen getötet oder verletzt worden. Teilweise wird scharfe Munition eingesetzt (EDA 10.2.2023). Die Sicherheitskräfte gingen insbesondere in Randgebieten wie den Provinzen Kurdistan sowie in Sistan und Belutschistan hart gegen Protestierende vor (Newsweek 1.12.2022; vergleiche UNHRC 7.2.2023). Während Mitglieder der Basij-Miliz in Teheran Demonstranten verprügelten, haben die Sicherheitsbehörden in Kurdistan, Belutschistan und Ahwaz beispielsweise schwere Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge, schwere Artillerie und sogar Kampfhubschrauber zur Bekämpfung der Proteste in Stellung gebracht (TWI 14.10.2022).
Im ganzen Land besteht ein Risiko für Anschläge. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 10.2.2023). Vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 8.2.2023).
In der Provinz Sistan und Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 8.2.2023). Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliches Kerman und Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- sowie von extremistischen Organisationen. Diese verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 10.2.2023). An der Grenze zu Afghanistan kommt es auch immer wieder zu Schusswechseln zwischen iranischen Sicherheitsbehörden und Grenzschützern der Taliban (IRINTL 3.9.2022).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 8.2.2023). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 10.2.2023). Im Herbst 2022 schoss Iran zur Bekämpfung iranisch-kurdischer Gruppen mehr als 70 Raketen über die Grenze auf Gebiete des benachbarten Irak - der größte grenzüberschreitende Angriff des Landes seit den 1990er-Jahren (DW 13.11.2022; vgl.K24 28.11.2022, Rudaw 28.9.2022).
Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 10.2.2023).
Seit 2015 wurden nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt Personen verhaftet, die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 8.2.2023; vgl. TWI 31.10.2022). Im Oktober 2022 fand laut der iranischen Nachrichtenagentur IRNA ein Anschlag auf einen schiitischen Schrein in der südiranischen Stadt Shiraz [Provinz Fars] statt, bei dem mindestens 15 Menschen getötet wurden und zu dem sich der IS bekannt hat (AJ 26.10.2022; vgl. MAITIC 3.11.2022). Dies war der erste Anschlag des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der afghanische Zweig des IS - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022).Seit 2015 wurden nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt Personen verhaftet, die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 8.2.2023; vergleiche TWI 31.10.2022). Im Oktober 2022 fand laut der iranischen Nachrichtenagentur IRNA ein Anschlag auf einen schiitischen Schrein in der südiranischen Stadt Shiraz [Provinz Fars] statt, bei dem mindestens 15 Menschen getötet wurden und zu dem sich der IS bekannt hat (AJ 26.10.2022; vergleiche MAITIC 3.11.2022). Dies war der erste Anschlag des IS auf iranischem Boden seit 2018. Zuvor hatte der afghanische Zweig des IS - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) mehrere Drohungen gegen den iranischen Staat ausgesprochen (TWI 31.10.2022).
Der neue de facto-Anführer von al-Qaida - sein Amtsantritt wurde bislang nicht offiziell bekannt gegeben - Sayf al-Adl befindet sich nach Einschätzungen von Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats in Iran (UNSC 13.2.2023).
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 10.2.2023).
Im Jänner und April 2023 wurde von israelischen Drohnenangriffen auf militärische Ziele in Iran berichtet (IRINTL 5.4.2023, RFE/RL 31.1.2023). Im vergangenen Jahr kam es in Iran zu einer Reihe von Zwischenfällen, darunter Sabotage- und Cyberangriffe, Attentate und die mysteriöse Ermordung von Mitgliedern der IRGC sowie von Wissenschaftlern und Ingenieuren. Teheran hat einige der Vorfälle Israel, seinem regionalen Feind, angelastet (RFE/RL 31.1.2023).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 13.04.2023
Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vgl. BS 23.2.2022). Art. 57 der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vgl. FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem jedoch regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vgl. BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vgl. USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltenteilung ist in der Praxis stark eingeschränkt (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Artikel 57, der Verfassung verleiht dem Revolutionsführer weitreichende Aufsichtsbefugnisse über das Justizwesen (BS 23.2.2022). Er ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative (AA 30.11.2022; vergleiche FH 10.3.2023), der wiederum für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig ist (BS 23.2.2022). Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 30.11.2022). Während die Gerichte innerhalb des herrschenden Establishments ein gewisses Maß an Autonomie genießen, wird das Justizsystem jedoch regelmäßig als Instrument eingesetzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 10.3.2023). Der Sicherheitsapparat (AA 30.11.2022) - insbesondere die Revolutionsgarden (BS 23.2.2022) - nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung (AA 30.11.2022; vergleiche BS 23.2.2022). Das Justizwesen ist geprägt von Korruption (AA 30.11.2022; vergleiche USIP 1.8.2015). Es wird von Fällen berichtet, in denen Richter bestochen wurden, um Gerichtsprozesse zu beeinflussen (IrWire 28.4.2021).
Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z.B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).Iranische Gerichte, insbesondere Revolutionsgerichte, sind regelmäßig weit davon entfernt, faire Gerichtsverfahren zu gewährleisten (HRW 12.1.2023). So verweigerten die Behörden z.B. Untersuchungshäftlingen den Zugang zu einem Rechtsbeistand, ließen Inhaftierte "verschwinden" oder hielten sie ohne Kontakt zur Außenwelt fest (AI 27.3.2023), ließen in Prozessen "Geständnisse" als Beweise zu, die unter Folter erpresst worden waren (AI 27.3.2023; vergleiche HRW 12.1.2023), und führten summarische und geheime Scheinprozesse durch, die keinerlei Ähnlichkeit mit fairen Verfahren aufwiesen, in denen jedoch Haftstrafen, Körperstrafen und Todesurteile verhängt wurden (AI 27.3.2023). Im Zusammenhang mit den weitverbreiteten Protesten haben die Justizbehörden im September und November 2022 über 1.000 Anklagen erhoben (HRW 12.1.2023), wobei in den ersten Wochen der Proteste über 15.000 Personen inhaftiert worden sind. Im Laufe des Jahres 2022 wurden Tausende Menschen willkürlich inhaftiert und/oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben. Unzählige weitere bleiben zu Unrecht in Haft (AI 27.3.2023).
Strafrecht und Sharia
Die Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der Ja'afari-Rechtsschule (BAMF 5.2021). Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen (ÖB Teheran 11.2021). Von den drei Staatsgewalten haben die Geistlichen in der Judikative die stärkste Präsenz, wobei sie eine Ausbildung in islamischer Rechtswissenschaft oder Abschlüsse von religiösen Rechtsschulen haben müssen, um Richter zu werden. Der Chef der Justiz, der Generalstaatsanwalt des Landes und alle Richter des Obersten Gerichtshofs müssen hochrangige Geistliche oder Mujtahids sein (USIP 1.8.2015), also Rechtsgelehrte, die nach schiitischer Auslegung dazu qualifiziert sind, Ijtihad zu betreiben (EB o.D.a), d.h. islamische Texte in ungeklärten Rechtsfragen unabhängig auszulegen (EB o.D.b). Die iranische Justiz ist insofern ein einzigartiges System, als sie islamische Prinzipien und eine vom französischen System inspirierte Gesamtstruktur kombiniert. Nach der islamischen Revolution wurde das Justizsystem stark verändert, um die Scharia einzubeziehen. Das neue System wurde jedoch auf einer bereits bestehenden säkularen Struktur aufgebaut, wodurch ein sehr komplexes Justizwesen entstanden ist (Landinfo/et al. 12.2021).
Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, das die bi