TE Vwgh Erkenntnis 1995/7/26 94/20/0821

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Veröffentlicht am 26.07.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnB lita;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art33;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. September 1994, Zl. 4.344.888/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem allein angefochtenen Spruchpunkt 1. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 16. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. August 1994, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. September 1994 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab (Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides) und sprach aus, dem Beschwerdeführer werde der befristete Aufenthalt im Bundesgebiet bis zum 20. März 1995 gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1991 bewilligt (Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides).

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 17. August 1994, zu seinen Fluchtgründen befragt, angegeben, er sei Kurde und seit 1989 Mitglied der TKPML. Seine Aufgabe innerhalb dieser Partei habe darin bestanden, Propaganda für diese zu machen und Sympathisanten anzuwerben.

Im März 1992 sei er deshalb festgenommen worden und 4 Tage inhaftiert gewesen. Von der wegen "separatistischer Propaganda für die TKPML" erhobenen Anklage sei er jedoch freigesprochen worden. Im September 1993 sei er von Polizeiorganen bei einem Gespräch mit einer führenden Persönlichkeit der "Dev-Sol"-Partei betreten und neuerlich vor Gericht gestellt, jedoch in der Folge - wie schon zuvor - freigesprochen worden. An bewaffneten Anschlägen des militärischen Flügels der TKPML habe er selbst nie mitgewirkt. Die türkische Polizei habe ca. 2 Wochen vor seiner Flucht eine "strenge Operation" gegen seine Partei unternommen und ca. 60 Mitglieder verhaftet. Da darunter Leute gewesen seien, die ihn und seinen Decknamen "X" gekannt hätten, und von einer Preisgabe seines Namens im Zuge deren Verhörs unter Folter auszugehen gewesen sei, habe er mit seiner Verfolgung rechnen und deshalb die Flucht ergreifen müssen.

Zu seinem Fluchtweg über Bulgarien, Rumänien, Ukraine und Ungarn sowie darüber befragt, warum er in diesen Ländern nicht bereits um Asyl angesucht habe, verwies der Beschwerdeführer darauf, daß diese Staaten nicht kommunistisch in dem von ihm verstandenen Sinne seien und ihm bekannt sei, daß Bulgarien, Rumänien sowie Ungarn türkische Asylwerber in die Türkei zurückstellen würden.

In seiner gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes gerichteten Berufung verwies der Beschwerdeführer nochmals darauf, daß er selbst an bewaffneten Kampfhandlungen gegen die türkische Regierung nicht teilgenommen habe. In der Türkei werde jedoch deutlich zwischen politischen Tätern (für die eine Inhaftierung ohne Haftbefehl für 15 bzw. 30 Tage im Ausnahmezustandsgebiet für zulässig erklärt worden sei, und anderen Straftätern (für die diese Frist auf 24 Stunden bzw. maximal 8 Tage begrenzt werde) unterschieden. Ebenso sei bekannt, daß politisch Inhaftierte im ersten Zeitraum der Inhaftierung systematisch gefoltert würden, sodaß es sich weder um einen ungenügenden Ausbildungsstand der polizeilichen Ermittler oder um unzureichende kriminaltechnische Ermittlungsmethoden oder um eine "tradierte Praxis" in der Türkei handle, sondern um staatlich geförderte und gedeckte Folter. Im übrigen übersehe die belangte Behörde auch, daß nach Art. 168 Abs. 2 des türkischen Strafgesetzbuches, welche Bestimmung eine rein politische Sanktionsnorm sei, selbst eine Person erfaßt werde, die unbewaffnet und nicht aktiv sei, die jedoch - und sei es auch nur aufgrund einer Meinungsäußerung - der bewaffneten Gruppierung zugerechnet werde. Diese Bestimmung sehe für ein solches einfaches Mitglied immerhin eine Strafdrohung von 10 bis 12 Jahren Zuchthaus vor. Ein derart erheblicher, die Verhältnismäßigkeit überschreitender Strafrahmen sei weiteres Indiz und Ausdruck dafür, daß auf die politische Überzeugung Zugriff genommen werden solle. Daher müsse sich auch ein Mitglied oder Sympathisant der TKPML, selbst wenn er sich an gewaltsamen terroristischen Aktivitäten nicht beteiligt habe, auf die Asylrelevanz seiner Mitgliedschaft zu dieser Partei mit Erfolg berufen können.

Zu der vom Bundesasylamt darüber hinaus angenommenen Verfolgungssicherheit in Bulgarien, Rumänien und Ungarn verwies er auf der Berufung beigelegte Dossiers des UNHCR, nach deren Inhalt weder in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, noch in Rumänien oder Bulgarien Verfolgungssicherheit bzw. Abschiebungsschutz bestünde.

Die belangte Behörde begründete ihre abweisliche Entscheidung sowohl mit dem Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft als auch mit dem Eintritt der Verfolgungssicherheit in Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Im einzelnen führte sie im Rahmen ihrer rechtlichen Überlegungen aus, die allein auf Grund der Tatsache der Mitgliedschaft bzw. der Tätigkeit für die TKPML gegründete Vermutung, der Name bzw. Deckname des Beschwerdeführers sei der türkischen Polizei bekanntgeworden, eigne sich nicht, seine Flüchtlingseigenschaft zu indizieren, da aus der bloßen Behauptung allein nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könne, er habe tatsächlich Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu befürchten gehabt. Im Hinblick auf die lediglich politische Propaganda betreibende und Sympathisanten werbende Tätigkeit des Beschwerdeführers sei auch ein schlüssiges Motiv für eine nachhaltige Verfolgung durch seinen Heimatstaat nicht ersichtlich. Hätte der türkische Staat tatsächlich Interesse an der Verfolgung des Beschwerdeführers gehabt, so wäre es ihm ein leichtes gewesen, im Zuge der angeführten Gerichtsverhandlungen "seine politische Tätigkeit zu beenden". Gerade der zweimalige Freispruch zeige aber, daß die Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft sei. Diese Annahme werde dadurch bestärkt, daß sich der Beschwerdeführer bereits im April 1994 einen türkischen Reisepaß und im Juni 1994 einen türkischen Personalausweis (lautend auf E A) habe ausstellen lassen, also bereits mehrere Monate vor den behaupteten Festnahmen von Gesinnungsgenossen offenkundig die Absicht gehabt habe, seine Heimat zu verlassen.

Zur Frage der Verfolgungssicherheit verwies die belangte Behörde auf die Mitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens bei der Genfer Flüchtlingskonvention sowie Ungarns bei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zu den der Berufung beigelegten Dossiers des UNHCR führte sie aus, daß der UNHCR keinen konkreten, ihm namentlich bekannten Fall habe nennen können, in welchem eine Verletzung des Völkerrechts stattgefunden habe. Er habe in seinem Schreiben lediglich allgemeine Betrachtungen über die Asylpolitik in diesen Staaten angestellt. Insbesondere sei im Fall Bulgariens zu bemerken, daß Asylwerber als solche durchaus zurückgeschoben werden könnten und dies auch keine Verletzung des Völkerrechtes darstelle. Komme es doch wesentlich auf die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers an und habe der UNHCR in keinem konkreten Fall darzutun vermocht, daß diese nicht geprüft und eine Zurückschiebung in einen Drittstaat oder den Heimatstaat zu Unrecht und unter Läsion des Refoulementverbotes erfolgt wäre.

Der Bestreitung der vom Bundesasylamt angenommenen Verfolgungssicherheit in Ungarn durch den Beschwerdeführer hielt die belangte Behörde entgegen, er habe in Istanbul, geographisch gesehen also in Europa gelebt, weshalb der von Ungarn erklärte Vorbehalt auch nicht anwendbar sei, daher auch von Ungarn seine Flüchtlingseigenschaft zu prüfen gewesen wäre. Gleichzeitig habe Ungarn auch die europäische Menschenrechtskonvention unterfertigt und sich damit insbesondere auch deren Art. 3 verpflichtet. Nichts spreche dafür, daß Ungarn dieser seiner völkerrechtlichen Verpflichtung, die auf ein spezielles Refoulementverbot hinauslaufe, zuwidergehandelt hätte. In dieser Feststellung werde die belangte Behörde auch durch die Stellungnahme des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht bestärkt, wonach auf Grund einer informellen Vereinbarung zwischen UNHCR und der ungarischen Regierung auch außereuropäische Asylwerber jedenfalls an den UNHCR verwiesen würden. Sei ein Flüchtlingseigenschaftsfeststellungsverfahren beim UNHCR anhängig, dürften die Betroffenen so lange in Ungarn verbleiben, bis eine endgültige Entscheidung durch den UNHCR getroffen sei.

In der vorliegenden Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen diese Ausführungen mit dem Hinweis, daß die Behörde ihrer Ermittlungspflicht nach § 16 AsylG nicht nachgekommen sei, sondern vielmehr reine Spekulationen angestellt habe. Der Beschwerdeführer sei seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und habe die Berichte des UNHCR vorgelegt sowie aufgezeigt, daß in den angeführten Ländern ein Abschiebungsschutz für Flüchtlinge nicht bestehe. Es sei unerfindlich, aufgrund welcher Erhebungen die belangte Behörde zu den anderslautenden Ergebnissen gelangt sei. Hätte die Behörde dem Beschwerdeführer ihre allfälligen Erkenntnisquellen bekanntgegeben, hätte der Beschwerdeführer, der sich ja in Schubhaft befinde, weitere Erhebungen und Stellungnahmen dazu durch den UNHCR oder durch AI veranlassen können. Die Einvernahme durch das Bundesasylamt sei nicht sorgfältig durchgeführt, die Aussagen durch den beigezogenen Dolmetscher unrichtig und unvollständig übersetzt worden. Bei der genauer durchgeführten Einvernahme im fremdenrechtlichen Verfahren am 2. September 1994 habe der Beschwerdeführer ausgesagt, daß er gefoltert worden sei, Elektroschocks am ganzen Körper, insbesondere auch im Genitalbereich erhalten habe. Wegen dieser Behauptungen hätte die Behörde ein medizinisches Gutachten in Auftrag geben müssen. Die belangte Behörde sei überhaupt mit keinem überzeugenden Argument auf die Fluchtgründe des Beschwerdeführers eingegangen. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer bereits zwei Gerichtsverhandlungen hinter sich habe, spreche ungeachtet der Freisprüche gerade für eine besonders hohe Gefahr einer neuerlichen Verfolgung. Den Ausführungen der Behörde sei zu entnehmen, daß diese dem Beschwerdeführer als Betroffenen die Schuld dafür auferlege, daß er verfolgt werde. Damit werde das gesamte Asylrecht in Frage gestellt.

Notorisch sei darüber hinaus, daß im Sommer 1994 eine Verhaftungswelle unter den Mitgliedern der TKPML stattgefunden habe und daß es im Zuge von Massenverhaftungen regelmäßig zu Folter gekommen sei, sodaß sich der Beschwerdeführer in berechtigter Furcht befinde, verhaftet und ebenfalls gefoltert zu werden. Dieses Vorbringen werde dadurch unterstrichen, daß sich der Beschwerdeführer zur Ausreise aus seinem Heimatland falscher Reisedokumente bedient habe.

Ausgehend von seiner Beschwerdeerklärung richtet sich die Beschwerde lediglich gegen den Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides, wobei Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes des bekämpften Bescheides geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde erwogen:

Der belangten Behörde ist zwar zuzugeben, daß allein die Anhaltung und Befragung durch die staatlichen Sicherheitskräfte die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht zu begründen vermögen, sofern diese ohne weitere Konsequenzen geblieben sind. Aufgrund der seinerzeit festgehaltenen Angaben des Beschwerdeführers, wonach er zwar zweimal verhaftet, in der Folge jedoch jedesmal freigesprochen worden sei und er auch nichts von Mißhandlungen erwähnte, bestand für die belangte Behörde keine Veranlassung für die Einholung eines medizinischen Gutachtens zu allfälligen Folterspuren, zumal sich auch in der Berufungsschrift dafür keine Anhaltspunkte ergaben. Den erstmals dazu in der Beschwerde aufgestellten Behauptungen einer unrichtigen und unvollständigen Übersetzung der Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 17. August 1994 steht das im Verwaltungsgerichtshofverfahren geltende Neuerungsverbot entgegen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zog die belangte Behörde auch keineswegs den unterstellten rechtlichen Schluß, daß der Beschwerdeführer schon deshalb keinen Anspruch auf Asylgewährung habe, weil er trotz zweier Gerichtsverhandlungen seine oppositionelle Tätigkeit gegen den türkischen Staat fortgesetzt habe. Die belangte Behörde war lediglich der - nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings unzutreffenden - Ansicht, aus den beiden Freisprüchen ergebe sich schon die Unglaubwürdigkeit des Vorliegens der behaupteten Furcht vor Verfolgung. Auch der weiteren Argumentation, aus der nicht näher konkretisierten Vermutung der Bekanntgabe seines Decknamens bzw. seiner Mitgliedschaft bei der verbotenen Organisation der TKPML könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Verfolgung des Beschwerdeführers geschlossen werden, kann nicht gefolgt werden. Die belangte Behörde hätte sich vielmehr angesichts der von ihr selbst angenommenen Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der verbotenen TKPML sowie seiner dort gerichtsbekannten und dadurch dokumentierten politischen Auffälligkeit mit den Behauptungen des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang auseinanderzusetzen gehabt, wonach die dafür vom Staat vorgesehene Strafandrohung nicht nur unangemessen, sondern auch im Hinblick auf die regelmäßig angewendete Folter als ein Akt der Verfolgung politisch anders Gesinnter zu werten sei. Ohne ergänzende Ermittlungsergebnisse kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß das vom Beschwerdeführer auch auf seine Person bezogene Vorgehen seines Heimatlandes gegen alle Mitglieder der TKPML nicht aus Gründen der politischen Gesinnung droht (vgl. dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 6. Juli 1994, Zl. 94/20/0212, und vom 27. Juni 1995, Zl. 94/20/0817). Daß selbst der Verdacht der Teilnahme an bewaffneten Kampfhandlungen gegen türkische Regierungstruppen die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht hindert, wurde bereits im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, ausgesprochen.

Insoweit die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers mangelnde Glaubwürdigkeit lediglich aus dem Grunde zumißt, er habe sich bereits im April 1994 um einen Reisepaß und im Juni 1994 um einen türkischen Personalausweis bemüht, also zu einem Zeitpunkt, in dem die behaupteten Festnahmen von Gesinnungsgenossen noch nicht erfolgt gewesen seien, er daher bereits vor diesem Zeitpunkt offenkundig die Absicht gehabt habe, seine Heimat zu verlassen, wird übersehen, daß allein aus der Tatsache der Besorgung dieser (auf falschen Personalangaben beruhenden) Dokumente auf das Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft nicht rückgeschlossen werden kann, zumal nicht geklärt wurde, ob es lediglich die beabsichtigte Flucht war, die den Beschwerdeführer dazu veranlaßte. Die diesbezüglichen Erwägungen der belangten Behörde erweisen sich demnach als nicht schlüssig.

Zur Frage der Verfolgungssicherheit wiederholt die belangte Behörde die aus der Mitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens bei der Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitete allgemeine Vermutung der Beachtung des Refoulementverbots und die allgemeinen Betrachtungen über die "Normökonomie" dieser "sicheren" Drittstaaten. Den Ausführungen des UNHCR begegnet die belangte Behörde lediglich mit dem Hinweis darauf, dieser habe "keinen konkreten, ihm namentlich bekannten Fall nennen können, in welchem eine Verletzung des Völkerrechtes stattgefunden" habe. Bei dieser Argumentation übersieht die belangte Behörde, daß sie zur Stützung ihrer Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn eine ebenso generelle Stellungnahme des UNHCR verwendet. Wie der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen bereits dargelegt hat, geht die Mitwirkungspflicht einer Partei nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß § 11 und 16 AsylG 1991 in Verbindung mit § 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. als Beispiel für viele das

hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zl. 94/20/0397, und die dort angegebene Judikatur). Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft auf die im allgemeinen in Rumänien und Bulgarien beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Der Pflicht des Beschwerdeführers zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren ist dadurch entsprochen worden, daß er in Bestreitung der Annahme der Verfolgungssicherheit in Rumänien und Bulgarien das auch von der belangten Behörde zitierte Dossier des UNHCR diese Länder betreffend vorgelegt hat. Sollte die belangte Behörde an der Richtigkeit oder Anwendbarkeit der darin enthaltenen Informationen Zweifel hegen, hätte sie weitere Ermittlungen anstellen müssen. Es kann dem einzelnen Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, konkrete Fälle von Verletzungen des Refoulementverbotes nachzuweisen, ganz davon abgesehen, daß auch die belangte Behörde ihrerseits dem Inhalt der vorgelegten UNHCR-Dossiers bloße Vermutungen entgegensetzt.

Was die von der belangten Behörde angenommene Verfolgungssicherheit in Ungarn anlangt, ist darauf zu verweisen, daß Ungarn seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention auf Ereignisse beschränkt hat, die in Europa - und nur dort - eintreten. Es kommt nicht darauf an, woher der betreffende Asylwerber im geographischen Sinn kommt - im übrigen liegt Instanbul sowohl in Asien als auch in Europa -, sondern im Sinne des Art. 1 Abschnitt B lit. a der Genfer Flüchtlingskonvention darauf, wo die fluchtauslösenden EREIGNISSE eintreten. In diesem Sinne ist es ohne Belang, ob der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im europäischen oder im asiatischen Teil seines Heimatlandes hatte, wenn die "Ereignisse", die seine Furcht vor Verfolgung begründen, im gesamten Heimatland Auswirkungen haben könne. Die aus der Mitgliedschaft Ungarns zur Genfer Flüchtlingskonvention resultierenden Überlegungen betreffend die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers als türkischen Staatsangehörigen vermögen daher ebenso wenig zu überzeugen wie der bloße Verweis auf die EMRK.

Insoweit die belangte Behörde eine Stellungnahme des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht zitiert und darauf die Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn zu stützen sucht, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Parteiengehörs zu Recht, ganz davon abgesehen, daß eine derartige Stellungnahme im Akt nicht aufzufinden ist. Wendet sich daher der Beschwerdeführer gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn mit der Behauptung, wäre ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden, hätte er allenfalls selbst weitere Ermittlungen durch den UNHCR oder durch Amnesty International vornehmen lassen können, was zum Ergebnis geführt hätte, daß es sich auch bei Ungarn nicht um ein "sicheres Drittland" handle, verstößt dieses Vorbringen nicht gegen das gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich geltende Neuerungsverbot.

Da die belangte Behörde dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, hat sie diesen mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200821.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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