Entscheidungsdatum
21.05.2024Norm
AsylG 2005 §10Spruch
I407 2278166-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX ), geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD NÖ Außenstelle Wr. Neustadt (BFA-N-ASt Wr. Neustadt), vom 11.08.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2024 zu Recht erkannt:Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch XXXX (alias römisch XXXX alias römisch XXXX alias römisch XXXX alias römisch XXXX ), geb. römisch XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD NÖ Außenstelle Wr. Neustadt (BFA-N-ASt Wr. Neustadt), vom 11.08.2023, Zl. römisch XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2024 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:römisch eins. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 16.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Noch am selben Tag fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass ihn und seine Familie in Nigeria eine Bande, welche Boko Haram heiße, töten hätte wollen. Er sei Zeuge von einem versuchten Mordanschlag gewesen. Mit der nigerianischen Regierung habe er keine Probleme.
Am 07.07.2023 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass ihn Mitglieder von Boko Haram töten hätten wollen. Boko Haram habe seinen Vater und seinen Onkel getötet, weshalb der Beschwerdeführer nach Lagos gezogen sei. In Lagos habe er gearbeitet, um Geld zu verdienen. Jemand hätte zu ihm gesagt: „ XXXX hier ist deine Endstation“, weswegen er weggelaufen sei und mit der Hilfe eines Mannes illegal aus Nigeria ausgereist sei. Am 07.07.2023 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass ihn Mitglieder von Boko Haram töten hätten wollen. Boko Haram habe seinen Vater und seinen Onkel getötet, weshalb der Beschwerdeführer nach Lagos gezogen sei. In Lagos habe er gearbeitet, um Geld zu verdienen. Jemand hätte zu ihm gesagt: „ römisch XXXX hier ist deine Endstation“, weswegen er weggelaufen sei und mit der Hilfe eines Mannes illegal aus Nigeria ausgereist sei.
Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 11.08.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.08.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ihm wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt VI.).Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 11.08.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 16.08.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Zugleich wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Ihm wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt römisch VI.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vollumfängliche Beschwerde vom 11.09.2023, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit, unrichtige rechtliche Beurteilung sowie fehlerhafte bzw. unzureichende Ermittlungen und mangelhafte Beweiswürdigung moniert wurde.
Mit Schriftsatz vom 14.09.2023, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 18.09.2023, legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
Am 07.05.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die englische Sprache einvernommen wurde. Eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des Bundesamtes blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, gehört der Volksgruppe der Yoruba an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der volljährige, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat einen Sohn sowie zwei Töchter. Seine Identität steht nicht fest.
Er wurde in Borno State geboren und stammt aus dem Ort XXXX , welcher in der Nähe von der Stadt XXXX gelegen ist. Er wurde in Borno State geboren und stammt aus dem Ort römisch XXXX , welcher in der Nähe von der Stadt römisch XXXX gelegen ist.
Der Beschwerdeführer gelangte schlepperunterstützt über ein ihm unbekanntes Land, Algerien, Libyen und Italien nach Österreich, wo er unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet einreiste. Er hält sich seit (mindestens) 16.08.2022 in Österreich auf.
Zumindest der Bruder, die Mutter, die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Nigeria und hat der Beschwerdeführer derzeit aufrechten Kontakt zu diesen. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.
Der Beschwerdeführer besuchte zwei Jahre lang die Grundschule in Nigeria und arbeitete anschließend als Kfz-Mechaniker. Aufgrund seiner Schulbildung und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit hat er eine Chance auch zukünftig am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Bereits vor seiner Ausreise verdiente er seinen Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit als Kfz-Mechaniker.
In Österreich geht der Beschwerdeführer derzeit keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Entgegen seinem Fluchtvorbringen, wonach er von Boko Haram verfolgt werde, kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wird, zumal sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft ist. Zudem würde ihm selbst bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehen.
Der Beschwerdeführer wird daher im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:
Die für den gegenständlichen Fall relevanten Feststellungen lauten wie folgt:
Politische Lage
Letzte Änderung 2023-11-21 15:06
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 4.10.2023; vgl. ÖB 10.2023). Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präsident der Republik (ÖB 9.2022; vgl. AA 24.11.2022), der für vier Jahre gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Der Staatspräsident führt den Vorsitz der von ihm ernannten Bundesregierung (Federal Executive Council) (ÖB 9.2022).Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem präsidialen Regierungssystem (AA 4.10.2023; vergleiche ÖB 10.2023). Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präsident der Republik (ÖB 9.2022; vergleiche AA 24.11.2022), der für vier Jahre gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Der Staatspräsident führt den Vorsitz der von ihm ernannten Bundesregierung (Federal Executive Council) (ÖB 9.2022).
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und das Federal Capital Territory (FCT, Abuja) (ÖB 10.2023; vgl. AA 24.11.2022) mit insgesamt 774 LGAs (Local Government Areas, dt. Bezirke) unterteilt (AA 24.11.2022). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) geführt (AA 24.11.2022; vgl. ÖB 10.2023). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 24.11.2022).Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und das Federal Capital Territory (FCT, Abuja) (ÖB 10.2023; vergleiche AA 24.11.2022) mit insgesamt 774 LGAs (Local Government Areas, dt. Bezirke) unterteilt (AA 24.11.2022). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) geführt (AA 24.11.2022; vergleiche ÖB 10.2023). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 24.11.2022).
Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und der ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 24.11.2022).
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen und machtstrategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 24.11.2022). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte und schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind (FH 13.4.2023).
Am 29.5.2023 trat Staatspräsident Tinubu sein Amt nach seiner Wahl im Februar 2023 an (AA 4.10.2023). Bola Tinubu von der regierenden APC (All Progressives Congress) erlangte gemäß Wahlkommission 8,8 Millionen Stimmen, Atiku Abubakar von der größten Oppositionspartei PDP (Peoples Democratic Party) erhielt laut Wahlkommission 6,9 Millionen Stimmen, Peter Obi von der LP (Labour-Partei) 6,1 Millionen. Letzterer wurde vor allem von jüngeren Nigerianern gewählt (KAS 5.4.2023; vgl. FAZ 1.3.2023).Am 29.5.2023 trat Staatspräsident Tinubu sein Amt nach seiner Wahl im Februar 2023 an (AA 4.10.2023). Bola Tinubu von der regierenden APC (All Progressives Congress) erlangte gemäß Wahlkommission 8,8 Millionen Stimmen, Atiku Abubakar von der größten Oppositionspartei PDP (Peoples Democratic Party) erhielt laut Wahlkommission 6,9 Millionen Stimmen, Peter Obi von der LP (Labour-Partei) 6,1 Millionen. Letzterer wurde vor allem von jüngeren Nigerianern gewählt (KAS 5.4.2023; vergleiche FAZ 1.3.2023).
Die Partei des Gewinners der Präsidentschaftswahl, APC, konnte auch die Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2023 für sich entscheiden. Damit bleibt der APC in den beiden Kammern des Parlaments mit 55 von 109 Sitzen im Senat und 159 von 360 Sitzen im Repräsentantenhaus stärkste Kraft. Die größte Oppositionspartei PDP kam auf 107 Sitze im Repräsentantenhaus und 33 Sitze im Senat. Damit stellen die beiden größten Parteien des Landes 80 Prozent des Senats und knapp 74 Prozent des Repräsentantenhauses (KAS 5.4.2023). Die größte Oppositionspartei, die PDP, hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. Die PDP stellt eine starke Opposition für die APC dar und bleibt v. a. im Süden und Südosten des Landes die treibende politische Kraft (AA 24.11.2023).
Drei Wochen nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fanden im März 2023 Gouverneurs- und Landesparlamentswahlen statt. Ergebnisse: APC 15, PDP 9, LP 1, NNPP 1 (Gouverneure) (KAS 5.4.2023; vgl. PT 21.3.2023). Damit werden die beiden Parteien voraussichtlich zumindest auf Landesebene ihre politische Dominanz auch gegenüber der auf nationaler Ebene erstarkten LP behalten (KAS 5.4.2023; vgl. PT 21.3.2023)Drei Wochen nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fanden im März 2023 Gouverneurs- und Landesparlamentswahlen statt. Ergebnisse: APC 15, PDP 9, LP 1, NNPP 1 (Gouverneure) (KAS 5.4.2023; vergleiche PT 21.3.2023). Damit werden die beiden Parteien voraussichtlich zumindest auf Landesebene ihre politische Dominanz auch gegenüber der auf nationaler Ebene erstarkten LP behalten (KAS 5.4.2023; vergleiche PT 21.3.2023)
Ein neues Wahlgesetz "Electoral Act 2022" diente als rechtliche Grundlage der Wahlen 2023 (PT 27.9.2022).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.10.2023): Nigeria: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844, Zugriff 14.11.2023
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.11.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083020/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Oktober_2022%29%2C_24.11.2022.pdf, Zugriff 9.1.2023
? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (1.3.2023): Umstrittener Wahlsieg für Bola Tinubu, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nigeria-bola-tinubu-gewinnt-praesidentenwahl-18713667.html, Zugriff 29.6.2023
? FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090190.html, Zugriff 15.5.2023
? KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.4.2023): Nigeria hat gewählt, https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/nigeria-hat-gewaehlt, Zugriff 29.6.2023
? ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2098176/NIGR_%C3%96B-Bericht_2023_10.pdf, Zugriff 31.10.2023
? PT - Premium Times Nigeria (21.3.2023): 2023 General Elections - Gubernatorial & State House of Assembly, https://www.premiumtimesng.com/2023-elections-gubernatorial, Zugriff 29.6.2023
? PT - Premium Times Nigeria (27.9.2022): Key issues that will shape Nigeria’s 2023 elections – Report, https://www.premiumtimesng.com/news/headlines/556316-key-issues-that-will-shape-nigerias-2023-elections-report.html, Zugriff 25.10.2022
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2023-11-21 10:47
Nigeria sieht sich mit einer beispiellosen Welle unterschiedlicher, sich überschneidender Sicherheitskrisen konfrontiert. Fast jeder Teil des Landes ist aktuell von Gewalt und Kriminalität betroffen. Zu den landesweiten und regionsunspezifischen Bedrohungen gehören: (Kindes)Entführungen, Raub, Klein- und Cyberkriminalität, Verbrechen, Terrorismus/Aufstände, Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen, Landstreitigkeiten, Ausbruch von Krankheiten, Proteste und Demonstrationen. In jüngster Zeit konnte eine Eskalation von einigen Konflikten beobachtet werden: So löste Nigeria mit April 2022 den Irak mit den meisten vom sog. Islamischen Staat (IS) beanspruchten Attentaten ab. Allein in den ersten 45 Tagen unter dem neugewählten Präsidenten Bola Tinubu wurden 230 Todesopfer verschiedener Krisenherde gezählt. Es handelt sich hierbei um eine konservative Zählung (ÖB 10.2023). Banditentum und interkommunale Gewalt kommen in allen Regionen Nigerias vor (UKFCDO 4.11.2023a).
Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch in anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen (AA 31.10.2023). Politische Kundgebungen, Proteste und gewalttätige Demonstrationen können im ganzen Land unangekündigt stattfinden (UKFCDO 4.11.2023a). Beim Jahrestag der #EndSARS Proteste (Demonstrationen, die nach einem Massaker am 20.10.2020, wobei zwölf Menschen zu Tode kamen, zur Auflösung der für Gewaltanwendung gegen und Tötung von Zivilisten bekannten Spezialeinheit SARS - Special Anti-Robbery Squad führten) am 22.10.2022 wurden erneute Demonstrationen nicht zum Ort des damaligen Massakers durchgelassen (RANE 27.10.2022). [Anm.: Die Einheit wurde nach dem Massaker nicht faktisch aufgelöst, sondern in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt (EASO 6.2021).]
Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 24.11.2022; vgl. EASO 6.2021). Der Nordwesten Nigerias (Bundesstaaten: Kaduna, Kano, Jigawa, Kebbi, Sokoto, Zamfara) erlebt einen komplexen, multidimensionalen Konflikt, den verschiedene Banden und ethnische Milizen gegen die Regierung führen. Die Zahl an Todesopfern durch Bandenkriminalität im Nordwesten gleichen mittlerweile jener im Nordosten durch Terrorismus (ÖB 10.2023). Zudem haben sich die Aktivitäten der Islamisten von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Bundesstaaten ausgeweitet (EASO 6.2021).Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 24.11.2022; vergleiche EASO 6.2021). Der Nordwesten Nigerias (Bundesstaaten: Kaduna, Kano, Jigawa, Kebbi, Sokoto, Zamfara) erlebt einen komplexen, multidimensionalen Konflikt, den verschiedene Banden und ethnische Milizen gegen die Regierung führen. Die Zahl an Todesopfern durch Bandenkriminalität im Nordwesten gleichen mittlerweile jener im Nordosten durch Terrorismus (ÖB 10.2023). Zudem haben sich die Aktivitäten der Islamisten von den nordöstlichen Staaten in die nordwestlichen Bundesstaaten ausgeweitet (EASO 6.2021).
Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 weiter verschlechtert (AA 24.11.2022). Angriffe erfolgen vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWAP [Islamischer Staat Westafrika Provinz] in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa, aber es gab auch bedeutende Anschläge in Gombe, Kano, Kaduna, Plateau, Bauchi und Taraba (UKFCDO 4.11.2023b).
Seit vielen Jahren gibt es in Nigeria gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Viehhirten (muslimische Hausa und Fulani) und sesshaften Bauern (überwiegend christlich). Der Konflikt breitet sich im ganzen Land aus, aber vor allem der „Middle Belt“ in Zentralnigeria ist besonders betroffen (ÖB 10.2023; vgl. FH 13.4.2023). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 24.11.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 24.11.2022; vgl. EASO 6.2021). Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB 10.2023).Seit vielen Jahren gibt es in Nigeria gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Viehhirten (muslimische Hausa und Fulani) und sesshaften Bauern (überwiegend christlich). Der Konflikt breitet sich im ganzen Land aus, aber vor allem der „Middle Belt“ in Zentralnigeria ist besonders betroffen (ÖB 10.2023; vergleiche FH 13.4.2023). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 24.11.2022). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 24.11.2022; vergleiche EASO 6.2021). Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB 10.2023).
Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB (Indigenous People of Biafra) zugenommen (AA 24.11.2022). In der letzten Zeit hat es dort eine Anzahl von Angriffen gegeben (UKFCDO 4.11.2023c). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 24.11.2022).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser, gesellschaftlicher oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. In den nördlichen bzw. nordwestlichen Bundesstaaten, insbesondere im Grenzgebiet zu Niger, kommt es verstärkt zu Entführungen und schweren Gewaltakten, deren Urheberschaft nicht eindeutig ist, die aber unter Umständen ebenfalls terroristischen Gruppen zuzuschreiben sind (AA 31.10.2023).
Das Risiko terroristischer Angriffe hat sich durch im Jahr 2022 und danach erfolgte Attacken des ISWAP im Federal Capital Territory (FCT) erhöht (UKFCDO 4.11.2023b).
In der Zeitspanne von Juli 2022 bis Juli 2023 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.265), Zamfara (877), Kaduna (637), Niger (542). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (6), Ekiti (9), Gombe (11) (CFR 1.7.2023). Intensive Unsicherheit und Gewalt haben seit 2018 in Nigeria Bestand bzw. haben diese zugenommen (EASO 6.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.10.2023): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 14.11.2023
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.11.2022): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083020/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria_%28Stand_Oktober_2022%29%2C_24.11.2022.pdf, Zugriff 9.1.2023
? CFR - Council on Foreign Relations (1.7.023): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 14.11.2023
? EASO - European Asylum Support Office (6.2021): Nigeria - Security Situation Version 1.1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053722/2021_06_EASO_COI_Report_Nigeria_Security_situation.pdf, Zugriff 3.10.2022
? FH - Freedom House (13.4.2023): Freedom in the World 2023 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2090190.html, Zugriff 15.5.2023
? ÖB - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2098176/NIGR_%C3%96B-Bericht_2023_10.pdf, Zugriff 31.10.2023
? RANE Worldview (27.10.2022): Two Years After the 'Lekki Massacre,' Police Brutality Still Looms Large Over Nigerian Elections, kostenpflichtiger Thinktank, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf, https://worldview.stratfor.com/article/two-years-after-lekki-massacre-police-brutality-still-looms-large-over-nigerian-elections?id=743c2bc617&e=43cabd063c&uuid=6937d4b7-893f-49da-915f-228fcd1e0261&mc_cid=04da2dd08c&mc_eid=43cabd063c,Zugriff 10.11.2022
? UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (4.11.2023a): Foreign travel advice - Nigeria - Summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 14.11.2023
? UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (4.11.2023b): Foreign travel advice - Nigeria - Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria/terrorism, Zugriff 14.11.2023
? UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office [Großbritannien] (4.11.2023c): Foreign travel advice - Nigeria - Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria/safety-and-security, Zugriff 14.11.2023
NORDNIGERIA – NW UND NO NIGERIA
Letzte Änderung 2023-11-21 09:39
Nordwesten
Im Nordwesten überlagern sich mehrere Konfliktebenen. Es sind islamistische Gruppen unter Boko Haram und Islamic State West Africa (ISIS-WA) aktiv. Daneben formieren sich auf Dorfebene Bürgerwehren, mit dem Ziel, Banditen zu bekämpfen. Dabei handelt es sich meist um Hirten- und Bauern-Konflikte, die sich bis in den Nordwesten ausgedehnt haben. Im Nordwesten sind geschätzt 80 Hauptbanditengruppen aktiv, die ohne Kommandokette und nach ihren individuellen Interessen handeln. Daher sind Verhandlungen mit diesen Gruppen kompliziert. Banditengruppen verüben in mehreren Bundesstaaten im Nordwesten Nigerias weiterhin zahlreiche Morde, Entführungen und Plünderungen (HRW 12.1.2023; vgl. ACCORD 21.12.2021), während das Militär mit Luftangriffen reagiert (HRW 12.1.2023) Laut Vertretern des Bundesstaates Niger sollen aber auch Boko Haram und ISIS-WA ihren Aktionsradius Richtung Nordwestnigeria ausgeweitet haben (ACCORD 21.12.2021).Im Nordwesten überlagern sich mehrere Konfliktebenen. Es sind islamistische Gruppen unter Boko Haram und Islamic State West Africa (ISIS-WA) aktiv. Daneben formieren sich auf Dorfebene Bürgerwehren, mit dem Ziel, Banditen zu bekämpfen. Dabei handelt es sich meist um Hirten- und Bauern-Konflikte, die sich bis in den Nordwesten ausgedehnt haben. Im Nordwesten sind geschätzt 80 Hauptbanditengruppen aktiv, die ohne Kommandokette und nach ihren individuellen Interessen handeln. Daher sind Verhandlungen mit diesen Gruppen kompliziert. Banditengruppen verüben in mehreren Bundesstaaten im Nordwesten Nigerias weiterhin zahlreiche Morde, Entführungen und Plünderungen (HRW 12.1.2023; vergleiche ACCORD 21.12.2021), während das Militär mit Luftangriffen reagiert (HRW 12.1.2023) Laut Vertretern des Bundesstaates Niger s