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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):95/20/0243Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über den Antrag des A in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zusammenhang mit der Versäumnis der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sowie über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. März 1995, Zl. 4.322.982/8-III/13/95, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattgegeben.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Die Antragstellerin begründet ihren Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen damit, daß der Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 1995, Zl. 4.322.982/8-III/13/95, am 15. März 1995 dem Vertreter des Berufungswerbers, Rechtsanwalt Dr. W, zugestellt worden sei. Mittlerweile sei am 7. März 1995 Frau Dr. E mit der "weiteren Vertretung" des Beschwerdeführers betraut worden. Dr. W habe den Bescheid mit Schreiben vom gleichen Tage (15. März 1995) an Frau Dr. E weitergeleitet, wo der Bescheid am 16. März 1995 in der Kanzlei eingelangt sei. An diesem Tag habe sich Frau Dr. E auf einer Konferenz in Budapest befunden, die Kanzleileiterin sei plötzlich an einer hochfiebrigen Grippe erkrankt und habe nach Hause gehen müssen. Es sei daher nur eine Angestellte, Frau K, in der Kanzlei gewesen, welche die gesamte Arbeit alleine machen habe müssen. Durch einen Irrtum und auf Grund der Arbeitsüberlastung habe Frau K sodann die Sechswochen-Frist ab Eingang des Schreibens Dr. W in der Kanzlei Dr. E und nicht ab dem 15. März 1995, Eingang in der Kanzlei Dr. W, berechnet und im Fristenbuch eingetragen. Dieser Irrtum sei ihr offensichtlich deshalb passiert, weil sie nur die Eingangsstampiglie Dr. E beachtet habe und diese nur auf dem Schreiben von Dr. W angebracht gewesen sei und nicht auf dem beigelegten Bescheid. Der Irrtum sei trotz eines Telefonates mit Frau Dr. E, bei welchem die eingehende Post telefonisch besprochen worden sei (so auch die gegenständliche Fristeintragung), passiert. Nach ihrer Rückkehr habe Frau Dr. E zwar bei allen eingegangenen Poststücken kontrolliert, ob die Eintragungen erfolgt seien, die Differenz von einem Tag sei jedoch hiebei nicht aufgefallen. Erst im Zuge des Diktats der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde sei die verspätete Eintragung bemerkt worden. Frau K sei eine zuverlässige Arbeitskraft, und es sei ihr ein solches Versehen noch nie passiert. Der Beschwerdeführer sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert worden. Zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wurde die versäumte Handlung nachgeholt und Beschwerde gegen den genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres erhoben. Antrag und Beschwerde wurden am 27. April 1995 zur Post gegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bekämpft nicht die Richtigkeit des Zustellvorganges an Dr. W. Insbesondere wird nicht vorgebracht, daß das neue Vertretungsverhältnis am 15. März 1995 dem Bundesasylamt bekannt und das alte Vertretungsverhältnis zu Dr. W aufgelöst gewesen sei. Damit ist von der Rechtsgültigkeit der Zustellung am 15. März 1995 auszugehen. Wie der Beschwerdeführer richtig erkennt, ist demnach die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof am 26. April 1995 abgelaufen.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 564/1985, ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u. a. dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Wiedereinsetzung schadet ein solches Versagen dann nicht, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der - aus der Zivilprozeßordnung in der Fassung der Zivilverfahrensnovelle 1983 übernommene - Begriff des minderen Grades des Versehens wird im Bereich der Zivilprozeßordnung, z.B. von Fasching im Lehrbuch des österreichischen Zivilprozesses, Rz. 580, als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürften also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt nicht außer acht gelassen haben. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten seien diesen zuzurechnen und ermöglichten jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen seien (vgl. den hg. Beschluß vom 17. Mai 1995, Zl. 95/01/0056, und die darin zitierte Vorjudikatur).
Im vorliegenden Fall ist sowohl entscheidend, ob die Fehlleistung einer Kanzleiangestellten in einer Angelegenheit unterlaufen ist, in der eine Kontrollpflicht der Rechtsanwältin nicht bestanden hat, als auch, ob bei gebotener Kontrollpflicht die Beaufsichtigung und Kontrolle der Kanzleiangestellten im ausreichenden Maße durchgeführt wurde.
In einer Rechtsanwaltskanzlei ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte allein verantwortlich, der den Termin weisungsgemäß in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne daß er dartun kann, daß die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1983, Slg 11140 A).
Damit ergibt sich eindeutig, daß die Frage der Fristsetzung und Fristvormerkung keine Angelegenheit ist, die einer Kanzleiangestellten in alleiniger Verantwortlichkeit übergeben werden kann. Wird eine solche Fristsetzung und Vormerkung - aus welchen Gründen auch immer - von der Kanzleiangestellten vorgenommen, so obliegt dem Anwalt die Beaufsichtigungs- und Kontrollpflicht.
Im gegenständlichen Fall ist die Besonderheit zu beachten, daß infolge des hinzukommenden neuen Vertreters Dr. E und durch die Übermittlung des ordnungsgemäß an den Vertreter Dr. W zugestellten Berufungsbescheides, die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bei Einlangen des Berufungsbescheides in der Kanzlei Dr. E auf Grund ihrer Abwesenheit nicht von ihr selbst, sondern von einer infolge Erkrankung der Kanzleileiterin "arbeitsüberlasteten" Schreibkraft berechnet und eingetragen wurde, wobei ein unrichtiges Ende der Frist angenommen werde. Das diesbezüglich geführte Telefonat ist keineswegs ein Ersatz für die selbst vorgenommene Fristberechnung und Kontrolle des Einganges durch die Rechtsanwältin. Auf Grund dieser Umstände war Dr. E zu einer besonderen Aufmerksamkeit bei der Kontrolle der in ihrer Abwesenheit durch die Kanzleikraft K berechneten und eingetragenen Fristen verpflichtet. Daß ihr dabei der Fehler nicht auffiel, kann nicht mehr als bloß minderer Grad des Versehens angesehen werden.
Aus diesem Grund war dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben.
Da sich somit die am 27. April 1995 zur Post gegebene und zur Zl. 95/20/0243 protokollierte Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid der belangten Behörde, der nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers am 15. März 1995 ihrem Vertreter Dr. W zugestellt wurde, als verspätet erweist, war die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Damit erübrig sich auch eine Entscheidung des Berichters zu dem zu Zl. AW 95/20/0174 gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995200242.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
15.04.2010