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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / AllgLeitsatz
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Devolutionsanträgen betreffend Einsprüche gegen das Wählerverzeichnis durch die Landeswahlbehörde mangels Anordnung einer Devolution nach den - insoweit verfassungsrechtlich unbedenklichen - Bestimmungen der Bgld GdWO 1992; keine Anwendung des AVG in Wahlangelegenheiten; gesetzmäßige Zusammensetzung der Gemeindewahlbehörde; gesetzmäßig unterschriebene Bescheide aufgrund eigenhändiger BeglaubigungsvermerkeSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit gesonderten, jeweils als "Devolutionsantrag" bezeichneten Eingaben begehrten die Beschwerdeführer, die Landeswahlbehörde für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen 1992 beim Amt der Burgenländischen Landesregierung möge über ihre Einsprüche (gegen das Wählerverzeichnis der Gemeinde Neusiedl am See) vom 2. September 1992 "selbst in der Sache erkennen und gemäß §23 GemWO 1992 die Aufnahme in das Wählerverzeichnis der Stadtgemeinde Neusiedl am See verfügen."
1.1.2. Die Landeswahlbehörde wies diese Anträge mit Einzelentscheidungen vom 16. Dezember 1992, alle ZII-15/41-1992, als unzulässig zurück.
In der Begründung heißt es:
"Die GemWO 1992 enthält keine Bestimmung, die es einer Partei bei Säumnis einer Behörde ermöglicht, den Antrag auf Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu stellen. Da § 73 AVG auf das Wahlverfahren nach der GemWO 1992 weder ausdrücklich noch aufgrund einer Analogie anzuwenden ist, war daher der Devolutionsantrag zurückzuweisen."
1.2.1. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, worin die Beschwerdeführer die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG, und in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend machen und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragen.
1.2.2. Die zur Äußerung über die (nach §187 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen) Beschwerden aufgeforderte Landeswahlbehörde legte Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Abweisung der Beschwerden eintrat.
2. Über die Beschwerden wurde erwogen:
2.1. Die Beschwerdeführer machen unter Berufung auf Art83 Abs2 B-VG der Sache nach geltend, die Landeswahlbehörde habe ihnen als gesetzwidrig zusammengesetzte Kollegialbehörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und den Parteien unzulässigerweise Ausfertigungen der angefochtenen Erkenntnisse mit einer bloß kopierten Unterschrift zugestellt. Sie vertreten weiters die Auffassung, die bekämpften Bescheide stützten sich auf "Verfahrensbestimmungen der GemWO 1992", die deshalb gleichheitswidrig seien, weil sie es einer Partei bei Säumnis einer Behörde nicht ermöglichten, den Übergang der Entscheidungspflicht auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu begehren.
2.2. Keine der Rügen ist berechtigt:
2.2.1. Laut der gemäß §12 Gemeindewahlordnung 1992, Bgld. LGBl. 54/1992, vorgeschriebenen Kundmachung (Landesamtsblatt für das Burgenland Nr. 476/1992) bestand die Landeswahlbehörde für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen 1992 aus dem Vorsitzenden Mag. H und den Beisitzern Dr. P, Dr. W, Dr. P, P, Dr. R, P, Dr. M, F, K, Mag. B, Mag. T und E. Nach der Aktenlage entschied diese Wahlbehörde am 26. November 1992 durch ebendiese Mitglieder mit Ausnahme von Dr. P, Dr. W und (nach 10 Uhr) Dr. M, die damals von den ebenfalls in der Verlautbarung des Landeswahlleiters aufscheinenden Ersatzmännern Dr. H, Dr. M und (ab 10 Uhr) Dr. R vertreten wurden, über alle eingebrachten Devolutionsanträge.
Somit war aber die Landeswahlbehörde in ihrer Sitzung am 26. November 1992, der Rechtsmeinung der Beschwerdeführer zuwider, gesetzmäßig zusammengesetzt.
2.2.2. Die Behauptung einer Gesetzwidrigkeit im Zusammenhang mit den Bescheidzustellungen (Zumittlung unzulänglicher Bescheidausfertigungen) ist, wie die Aktenlage zeigt, bereits vom Ansatz her verfehlt. Den Beschwerdeführern wurden nämlich jedenfalls Vervielfältigungen von Erledigungen zugestellt, die eigenhändig unterschriebene Beglaubigungsvermerke enthalten.
2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Rechtsmeinung der belangten Behörde, daß in Wahlangelegenheiten das AVG nach ArtII Abs6 Z2 EGVG keine Anwendung findet (s. VfSlg. 6339/1970, 9223/1981, 10610/1985; VfGH 5.10.1981 WI-5/81), somit im Verfahren nach der zitierten GemWO 1992 - die nicht ausdrücklich etwas anderes anordnet - keine Devolutionsmöglichkeit besteht: Zwar sind in solchen Verfahren die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsätze heranzuziehen, nicht hingegen aber die besonderen Vorschriften des §73 Abs2 AVG zum Übergang der Entscheidungspflicht (vgl. VfSlg. 2967/1956, 3420/1958, 4447/1963, 5081/1965, 10374/1985), zumal es keine wie immer gearteten Hinweise dafür gibt, daß es sich hier um eine planwidrige - durch Analogie zu schließende - Gesetzeslücke handeln könnte. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese Rechtslage aus der Sicht der Beschwerdefälle keine verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar auch nicht unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes (Art7 Abs1 B-VG) (vgl. VfSlg. 12167/1989); denn es steht dem Normsetzer nach ständiger Rechtsprechung frei, sich in einzelnen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahrensarten - konkret: der Verfahren in Wahlangelegenheiten - adäquat Rechnung tragen (zB VfSlg. 10770/1986).
2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die - gesetzmäßig zusammengesetzte - Landeswahlbehörde die Devolutionsanträge unter Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Rechtsvorschriften zu Recht als unzulässig zurückwies und demnach die Beschwerdeführer nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzte.
Eine Verletzung der Beschwerdeführer in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ist damit ausgeschlossen (vgl. zB VfSlg. 10374/1985).
Die Beschwerden waren daher als unbegründet abzuweisen.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Bescheid Unterschrift, Unterschrift Bescheid, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Entscheidungspflicht, Wahlen, Devolution, Verfahrensregelungen unterschiedliche, WählerevidenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B179.1993Dokumentnummer
JFT_10069386_93B00179_00