TE Vwgh Erkenntnis 1995/7/26 94/20/0857

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Veröffentlicht am 26.07.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. November 1994, Zl. 4.324.095/7-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der am 2. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 3. Oktober 1991 den Asylantrag gestellt hat, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Oktober 1991 mit Berufung vom 4. November 1991 sowie mit deren Ergänzung vom 18. November 1991, bekämpft. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. April 1993 wurde die Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurückgewiesen. Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde dieser Bescheid mit hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0317, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Mit dem nunmehr bekämpften (Ersatz-)Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. November 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre ihm kein Asyl.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 7. Oktober 1991, zu seinen Fluchtgründen befragt, angegeben, er sei Kurde und Alevite. In Ostanatolien herrsche derzeit der Ausnahmezustand. Deshalb würden Kurden, insbesondere die Jugend, unterdrückt. Er habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen, sei aber trotzdem mindestens fünfmal, zuletzt im September 1991 von Gendarmen festgenommen und ein bis zwei Tage auf der Gendarmeriestation in Cayirli festgehalten, verhört und geschlagen worden, weil er den wiederholt ins Dorf kommenden Freiheitskämpfern über ihr Verlangen, und weil er mit ihnen Mitleid gehabt habe, Lebensmittel gegeben habe. Diese Freiheitskämpfer seien immer hungrig gewesen und hätten verwahrlost ausgesehen. Sie hätten bei ihnen gegessen und seien dann wieder gegangen. Unterschlupf habe er ihnen nicht gewährt. Freiheitskämpfern sei es auch immer wieder gelungen, ins Dorf zu kommen, obwohl Gendarmen überall postiert gewesen seien und auch Schießbefehl hätten. Der Beschwerdeführer habe daher gefürchtet, daß die Gendarmen die Freiheitskämpfer beim Essen hätten überraschen und dann gleich das Feuer eröffnen können. Deshalb habe er sich entschlossen, die Türkei zu verlassen.

In seiner Berufungsergänzung vom 18. November 1991 gegen den erstinstanzlichen Bescheid erweiterte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen dahingehend, die Freiheitskämpfer seien nicht als "Bittsteller" gekommen, sodaß er und seine Familie keine andere Wahl gehabt habe, als ihnen das Gewünschte zu geben. Er habe mit ihnen sympathisiert, weil sie auch Kurden seien. Es seien aber in dem Dorf auch Spitzel gewesen, die die Polizei aus der nächstgrößeren Ortschaft verständigt hätten, wenn PKK-Leute im Dorf vermutet würden. Er habe also Angst vor beiden gehabt: Die PKK habe sie (gemeint offenbar: die Dorfbevölkerung) bedroht, wenn man ihnen nichts gegeben hätte und die Polizei habe ihn dann verhört und geschlagen ("auf die Frage erfolgte immer gleich der Schlag: Frage: "habt ihr der PKK geholfen", Antwort: "ja, wir wurden bedroht" Schläge...

Frage nach Namen der PKK-Leute, Antwort: "weiß ich nicht", weitere Schläge... .) Dies habe sich einige Tage wiederholt. Es sei kaltes Wasser über den Beschwerdeführer geschüttet worden und er habe auch Fußtritte bekommen. Das letzte Mal sei er im September 1991 für vier Tage ins Gefängnis gesteckt worden. Von der PKK sei er gezwungen worden, dreimal an Versammlungen in seinem Heimatdorf teilzunehmen. Er habe große Angst gehabt, daß die Polizei einmal komme, wenn sich noch PKK-Leute im Dorf aufhielten und es zu einer Schießerei komme. Deshalb habe er sich nach seiner letzten Inhaftierung entschlossen, das Land zu verlassen. Er habe in seiner Heimat nicht vor den Drohungen der PKK beschützt werden können, im Gegenteil, die Polizei habe ihn auch noch verdächtigt, die PKK freiwillig zu unterstützen. Er sei von beiden Seiten bedroht und verfolgt worden und könne so nicht mehr leben.

Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag im wesentlichen mit der Begründung ab, den Darstellungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen müsse Glaubwürdigkeit versagt bleiben, weil er die seiner Meinung nach einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich und widersprüchlich dargestellt habe. Ebenso versagte die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit, vor Übergriffen durch Angehörige der PKK keinen Schutz staatlicher Behörden erlangen zu können. Die geltend gemachten vorläufigen Festnahmen und angeblich stattgefundenen Mißhandlungen stellten infolge ihrer geringen Eingriffsintensität keinen ernsthaften Nachteil im Sinne des Verfolgungsbegriffs des AsylG 1991 dar und hätten überdies nur zur Erlangung eines bei ihm vermuteten "Sonderwissens" über die PKK bzw. deren Angehörigen und Organisation gegolten. Auch seinen Angaben über die Dauer der letzten im September 1991 erfolgten Verhaftung mangle es infolge Divergierens seiner diesbezüglichen Darstellungen an Glaubwürdigkeit. Aus der allgemeinen Situation der kurdischen Volksgruppe sowie der bürgerkriegsähnlichen Zustände in manchen Teilen seines Heimatlandes könne für ihn selbst mangels einer konkreten ihn betreffenden Verfolgungsgefahr ein Asylrecht nicht abgeleitet werden. Es hätten sich auch keine Umstände ergeben, die die Annahme rechtfertigen würden, daß sich die von ihm geltend gemachten, durch den Bürgerkrieg bedingten Beeinträchtigungen auf das gesamte Gebiet seines Heimatlandes bezögen; es hätte daher für ihn eine "inländische Fluchtalternative" gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insoweit sich die Beschwerde in weitwendigen Ausführungen zur aktuellen politischen (Allgemein-)Situation in der Türkei betreffend Verfolgung der Kurden sowie der allgemeinen Menschenrechtssituation dort ergeht, ist darauf zu verweisen, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, von der abzugehen auch die Beschwerdeausführungen keinen Anlaß bieten, Mißstände des gesellschaftlichen und politischen Systems sowie Hinweise allgemeiner Natur über die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers Flüchtlingseigenschaft ohne Hinzutreten besonderer, diesen konkret betreffender Umstände, nicht begründen können (vgl. dazu Steiner, Österreichisches Asylrecht, S. 28, und die dort angegebene Judikatur).

Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen, sofern nicht einer der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. in der bereinigten Fassung durch das teilweise aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994 G 92,93/94 vorliegt. Gründe, die eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 notwendig gemacht hätten, wurden in der Berufung vom Beschwerdeführer nicht behauptet und von der belangten Behörde auch nicht als vorliegend erachtet, sodaß sie im Sinn des § 20 Abs. 1 leg. cit. vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz auszugehen hatte. Damit unterlag aber lediglich die Darstellung des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde. Lediglich Widersprüche im Rahmen seiner erstinstanzlichen Aussagen hätten daher zu seinem Nachteil durch die belangte Behörde aufgegriffen werden dürfen. Daß diese angebliche Divergenzen zwischen den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Ersteinvernahme einerseits und seiner Darstellung in der Berufungsergänzung andererseits einander gegenüberstellend zum Anlaß nahm, ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen, erweist sich daher als rechtswidrig. Damit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat aber nicht nur die dem Beschwerdeführer drohende konkrete Verfolgungsgefahr als nicht glaubhaft gemacht angesehen, sondern ihre Entscheidung auch darauf gestützt, es hätte für den Beschwerdeführer eine "inländische Fluchtalternative" gegeben. Dem hält der Beschwerdeführer in der Beschwerde im wesentlichen entgegen, es herrsche derzeit im gesamten Lande eine Stimmung des durch Politiker und Medien aufgeschaukelten Hasses der Türken gegen die Kurden, in dieser Grundstimmung könnten kurdische Emigranten, die in den türkischen Westen zurückkehren müßten, keine Lebensgrundlage mehr vorfinden.

Damit bekämpft der Beschwerdeführer ausdrücklich die von der belangten Behörde angenommene "inländische Fluchtalternative". Die belangte Behörde hat es unterlassen, ein konkretes Gebiet innerhalb des Heimatstaates des Beschwerdeführers zu bezeichnen, wo dieser ihrer Ansicht nach vor Verfolgung hätte sicher sein können. Durch die lediglich unspezifische Annahme einer inländischen Fluchtalternative wird jedoch dem Beschwerdeführer die Beweislast für das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes a priori auferlegt. Der Beschwerdeführer hätte somit von sich aus unaufgefordert belegen müssen, daß die gesamte Türkei keine Fluchtalternative für ihn biete. Diese Vorgangsweise läßt sich jedoch mit § 16 AsylG 1991 nicht vereinbaren, wonach die belangte Behörde von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken hat, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben - d.h. jene Angaben, die sie für erheblich erachtet - vervollständigt und ergänzt werden. Die belangte Behörde hätte daher zu der von ihr als relevant erachteten Frage der "inländischen Fluchtalternative" dem Beschwerdeführer Parteiengehör einräumen müssen. Da sie dies unterlassen hat, belastete sie ihren Bescheid mit einer (weiteren) Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994200857.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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