TE Vwgh Erkenntnis 1995/7/27 95/19/0012

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Veröffentlicht am 27.07.1995
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des B in H, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. August 1994, Zl. 4.329.401/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Guineas und am 17. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Am folgenden Tag stellte er den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Er wurde am 7. Jänner 1992 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich niederschriftlich befragt, wobei er im wesentlichen angab, mit seiner Familie an der Grenze zu Liberia gelebt zu haben. Dort sei es im Juli 1991 zu einem "Übergriff der Liberianer" gekommen, wobei seine gesamte Familie ermordet worden sei. Er selbst sei zu diesem Zeitpunkt in Conakry gewesen. Nunmehr hätte er "zum Heer eingezogen werden" sollen, um gegen die Liberianer zu kämpfen. Da er dies nicht gewollt habe, sei er in Guinea ständig in Gefahr gewesen, ermordet oder verhaftet zu werden, weshalb er sich zur Flucht entschlossen habe.

Mit Bescheid vom 3. Februar 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei.

In seiner dagegen erhobenen Berufung vom 19. Februar 1992 führte der Beschwerdeführer aus, daß er bei seiner Ersteinvernahme sehr wohl angegeben habe, seine Heimat aus Angst vor Verfolgung aus politischen Gründen verlassen zu haben. Er habe erst jetzt erfahren, daß seine Angaben offenbar nicht entsprechend übersetzt worden seien. Am 6. Juli 1991 seien Rebellen in seine Heimatstadt gekommen und hätten den Vater des Beschwerdeführers als amtierenden Bürgermeister um Hilfe gebeten. Die Rebellen hätten gegen das Regime in Guinea gekämpft und seien keine Liberianer gewesen. Der Vater des Beschwerdeführers, der "neutral gesinnt" gewesen sei, habe ihnen nicht helfen können. Er habe den Beschwerdeführer zum Vizebürgermeister geschickt. Als der Beschwerdeführer zurückgekommen sei, seien seine Eltern und drei weitere Personen getötet gewesen. Der Beschwerdeführer sei daraufhin in die Hauptstadt Conakry geflüchtet und habe einen Freund seines Vaters aufgesucht. Von diesem habe er erfahren, daß der Onkel des Beschwerdeführers verhaftet worden sei sowie, daß alle Männer zum Militär einberufen würden, um gegen die Rebellen zu kämpfen.

Der Freund seines Vaters habe ihm auch die Flucht nach Österreich ermöglicht; von dort aus sei der Beschwerdeführer noch telefonisch in Kontakt mit ihm gewesen. So habe er erfahren, daß der neue Bürgermeister der Heimatstadt des Beschwerdeführers seinem Vorgänger, dem Vater des Beschwerdeführers, die "Mitgliedschaft zu den Rebellen" anlaste; auch der Beschwerdeführer gelte daher als Revolutionär.

Mit dem Bescheid vom 9. August 1994 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hatte § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in seiner durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94-10, bereinigten Fassung aufgrund der Kundmachung dieses Erkenntnisses am 5. August 1994 in BGBl. Nr. 610/1994, anzuwenden. Nach dem dritten Fall dieser Bestimmung - der von der Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes unberührt blieb - hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundegelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat.

Der Beschwerdeführer hat erstmals in der Berufung behauptet, nunmehr in Erfahrung gebracht zu haben, daß er von den Behörde seines Heimatlandes wegen der angenommenen Mitgliedschaft zu den Rebellen verfolgt werde. Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen - von dem nicht aktenkundig ist, daß es im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht zu beachten gewesen wäre - nicht als unglaubwürdig angesehen; sie wäre daher gehalten gewesen, sich mit dieser Behauptung des Beschwerdeführers näher auseinanderzusetzen, zumal sie dadurch zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1994, Zl. 94/19/0042).

Da die belangte Behörde schon bei der Behandlung der ihr vorliegenden Berufung Verfahrensvorschriften im dargelegten Sinne außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995190012.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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