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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juli 1993, Zl. 4.342.655/1-III/13/93, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. Jänner 1993 war der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines liberianischen Staatsangehörigen, abgewiesen worden. Dieser Bescheid war dem Beschwerdeführer am 15. Jänner 1993 zugestellt worden.
Am 16. März 1993 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, den er im wesentlichen damit begründete, daß er weder der deutschen Sprache noch des österreichischen Asylgesetzes kundig sei und dementsprechend die konkrete Gewichtung und Würdigung seiner Fluchtgründe durch das Bundesasylamt nicht habe nachvollziehen können. Zwar sei dem Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 1991 eine Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung angeschlossen gewesen, was jedoch keine ausreichende Grundlage für die Einbringung einer den behördlichen Ansprüchen gerecht werdenden Berufung darstelle. Da er sich während der gesamten Berufungsfrist in Schubhaft befunden habe, sei es ihm nicht möglich gewesen, einen der deutschen Sprache ausreichend Kundigen zu Rate zu ziehen. Erst im Rahmen eines Besuches eines Vertreters von Amnesty International im Polizeigefangenenhaus habe er die Möglichkeit gehabt, von diesem beraten zu werden und ihn mit seiner Vertretung zu betrauen.
Mit Bescheid vom 25. März 1993 wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ab. In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, daß er in Schubhaft ausschließlich mit anderen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Schubhäftlingen zu tun gehabt habe sowie mit Wachebeamten, zu deren Aufgaben es nicht gehörte, inhaftierten Asylwerbern Hilfe zu leisten. Auch würden Kenntnisse der englischen Sprache nicht zu den Anforderungen gehören, welche an Gefängniswachebeamte gestellt würden. Es sei ihm ebensowenig möglich gewesen, eine Person mit entsprechenden Deutsch- und Rechtskenntnissen mit der Einbringung der Berufung zu beauftragen, zumal er - vor allem in Wien - keine Vertrauensperson und keine Telefonnummer einer Hilfsorganisation gehabt habe.
Die Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juli 1993 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist unter anderem gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Wohl stellen mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache für sich allein keinen Wiedereinsetzungsgrund dar (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens 4, Eisenstadt 1990, S 633, zitierte Judikatur). Im Beschwerdefall tritt aber hinzu, daß der Beschwerdeführer seinen unwiderlegt gebliebenen Angaben zufolge auf Grund seiner mangelnden Sprachkenntnisse nicht die Möglichkeit hatte, von den Gründen aus denen sein Asylantrag abgewiesen worden war, Kenntnis zu erlangen, und somit auch nicht in die Lage versetzt war, ein den Anforderungen eines begründeten Berufungsantrages genügendes Rechtsmittel zu erheben. Wenn auch bei der Auslegung des Merkmales eines begründeten Berufungsantrages kein strenger Maßstab anzulegen ist, so kann dennoch beim gänzlichen Fehlen einer Begründung und eines Antrages von einem dem Gesetz entsprechenden Rechtsmittel nicht die Rede sein. Insbesondere mangelt einem Rechtsmittel, dem lediglich zu entnehmen ist, daß der Berufungswerber den Bescheid einer Verwaltungsbehörde bekämpft, nicht aber, worin die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides erblickt wird, ein begründeter Berufungsantrag (vgl. zum ganzen die in Hauer - Leukauf, aaO., S 491 ff, zitierte Judikatur). Es ergibt sich sohin, daß der Beschwerdeführer, um eine dem Gesetz entsprechende Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erheben zu können, zumindestens die tragenden Gründe dieses Bescheides hätte kennen müssen, um überhaupt darlegen zu können, worin er die Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides erblicke. Dies wäre im Beschwerdefall umso notwendiger gewesen, als der Asylantrag nicht nur deshalb abgewiesen wurde, weil die Behörde erster Instanz der Auffassung war, beim Beschwerdeführer lägen keine der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) aufgezählten Gründe vor, sondern auch deshalb, weil er bereits in einem anderen Land (Italien) vor Verfolgung sicher gewesen sei. Aus dem ihm in englischer Sprache mitgeteilten Spruch und der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Bescheides konnte der Beschwerdeführer aber keineswegs erkennen, daß ihm gegenüber auch der Versagungstatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zur Anwendung gebracht worden war, sodaß, auch wenn er - wie dies die belangte Behörde für möglich erachtet hat - in einer eher allgemein gehaltenen Berufung seine Asylgründe wiederholt hätte, diese Berufung allein schon deshalb als aussichtslos hätte angesehen werden müssen, weil er hinsichtlich der ihm nicht zur Kenntnis gelangten, von der Behörde erster Instanz angenommenen Verfolgungssicherheit in einem Drittland keinerlei Ausführungen hätte machen können.
Die belangte Behörde hat hinsichtlich des sich sohin für die Frage des Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses als entscheidungswesentlich erweisenden Vorbringens des Beschwerdeführers, es sei ihm infolge der über die gesamte Berufungsfrist andauernden Schubhaft nicht möglich gewesen, von den die Abweisung seines Asylantrages tragenden Gründen Kenntnis zu erlangen, keine weiteren Ermittlungen, wie etwa Befragungen der Mithäftlinge des Beschwerdeführers sowie des Aufsichtspersonals, angestellt aber auch sonst dieses Vorbringen nicht widerlegt. Damit ist der für die Frage des Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes maßgebliche Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994190518.X00Im RIS seit
20.11.2000