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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des S in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. August 1994, Zl. 4.306.300/5-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 30. Mai 1994 wurde der Antrag des Beschwerdeführers - eines nigerianischen Staatsangehörigen, der am 24. November 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 29. November 1990 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt hat - gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz AsylG 1991, wonach am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 zu Ende zu führen sind, davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches des näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat, ist gemäß § 25 Abs. 1 AsylG 1991, wenn das Verfahren in erster Instanz am 1. Juni 1992 anhängig war, im gesamten Asylverfahren das Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968, anzuwenden. Im vorliegenden Fall wurde - nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten - der erstinstanzliche Bescheid am 3. Juni 1994 erlassen, sodaß die belangte Behörde auf das beschwerdegegenständliche Verfahren, weil dieses am 1. Juni 1992 noch in erster Instanz anhängig war, die Bestimmungen des Asylgesetzes (1968) anzuwenden gehabt hätte.
Die Heranziehung einer unzutreffenden Rechtslage bewirkt nicht jedenfalls eine notwendigerweise zur Aufhebung des Bescheides führende Rechtswidrigkeit. Vielmehr ist dafür entscheidend, inwieweit dieser Fehler geeignet ist, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers zu beeinflussen und gegebenenfalls nachteilig zu verändern.
Zunächst ist festzustellen, daß sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - trotz der Zitierung weiterer Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 (§§ 3, 2 Abs. 2 und Abs. 3) - in rechtlicher Würdigung der vom Beschwerdeführer gemachten Angaben über seine Fluchtgründe ausschließlich mit dem Flüchtlingsbegriff des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinandergesetzt hat; dieser stimmt jedoch mit jenem des Asylgesetzes (1968) - vgl. Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, soweit es sich um dessen Z. 2 (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 18/1974) handelt - vollinhaltlich überein.
Des weiteren ist festzuhalten, daß sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowohl im erstinstanzlichen als auch im Berufungsverfahren auseinandergesetzt hat.
Der Beschwerdeführer wäre - selbst bei irrtümlicher Annahme der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 - spätestens nach Kundmachung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94 im BGBl. Nr. 610/1994 in der Lage gewesen, im Wege einer Berufungsergänzung - eine solche ist im Fall des Vorliegens einer den Erfordernissen des § 63 Abs. 3 und 5 AVG entsprechenden Berufung zulässig, wobei die Berufungsbehörde auf das neue Vorbringen der Partei Bedacht zu nehmen und sich mit diesem auseinanderzusetzen hat - jeden Verfahrensmangel (d.h. auch andere als "offenkundige" Mängel) des erstinstanzlichen Verfahrens vorzubringen.
Damit ist davon auszugehen, daß weder der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens einer Einschränkung unterlag noch die Behörde einschränkende Verfahrensbestimmungen anzuwenden hatte bzw. anwendete. Die unrichtige Anwendung des Asylgesetzes 1991 war im konkreten Fall somit nicht geeignet, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig zu beeinflussen.
Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner Erstbefragung im Asylverfahren am 8. Dezember 1990 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen angegeben, daß seine Mutter Christin gewesen sei, sein Vater habe dem islamischen Glauben angehört. Er selbst hätte der katholischen Kirche angehört. Eine Aufforderung seines Vaters, zum islamischen Glauben überzuwechseln, habe er abgelehnt, weil er sich dem Christentum zugehörig fühle. Sein Vater sei am 9. Juli 1990 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seither hätten die Verwandten seines Vaters den Übertritt zum Islam gefordert. Er hätte die im Jahre 1987 beendete Schule fortsetzen wollen, doch sei die Familie seines Vaters aufgrund seiner Weigerung nicht bereit gewesen, für den weiteren Schulbesuch aufzukommen. Ebenso sei die Übereignung des väterlichen Besitzes mit der Bedingung seitens der Familie des Vaters verknüpft gewesen, dem islamischen Glauben beizutreten. Die Übernahme des Besitzes des Vaters durch seine Mutter sei vom Distriktschef abgelehnt worden, eine Übereignung an seine Person ebenfalls mit der Bedingung verknüpft worden, dem islamischen Glauben beizutreten. Er sei in seinen Bemühungen vom Bruder seiner Mutter unterstützt worden. Dieser sei im September 1990 vergiftet worden. Polizeiliche Erhebungen seien geführt, doch dann vom Polizeichef, welcher dem Stamm seines Vaters angehöre, eingestellt worden. Der Mann seiner Schwester habe sein Hilfeersuchen abgelehnt, da er nicht auch sein Leben verlieren wolle. Der Beschwerdeführer habe deshalb mit dem im Oktober 1990 in Lagos ausgestellten Reisepaß Nigeria verlassen.
In seiner Berufung wiederholte er sein erstinstanzliches Vorbringen zu seiner persönlichen Situation und ergänzte es durch eine allgemein gehaltene Schilderung der Situation von Moslems und Christen in Nigeria.
Die belangte Behörde stützte sich bei der rechtlichen Beurteilung im bekämpften Bescheid auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren. Sie ging sowohl auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers ein als auch auf die allgemeine Situation der Christen in Nigeria. Sie kam zum Ergebnis, daß gegen den Beschwerdeführer keine persönlich gerichtete Verfolgung vorliege.
Die Beschwerde bringt unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit dagegen nur vor, daß es im Heimatland des Beschwerdeführers öfter zu religiös motivierten Auseinandersetzungen gekommen sei, und wiederholt das allgemeine Vorbringen betreffend die "sogenannte dritte Konfliktpartei" Polizei und/oder Militär. Einen Rückschluß auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers enthält das Vorbringen nicht. Die Beschwerde führt weitwendig zum Gerichtssystem in Nigeria aus, wobei diese Ausführungen unter dem Aspekt stehen, "daß dem AW ein den rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Asylverfahren (nicht) gewährleistet worden wäre". Diese Ausführungen beziehen sich auf das Heimatland des Beschwerdeführers und sind daher unverständlich, da ein "Asylverfahren" im Heimatland des Antragstellers sinnwidrig ist.
Die belangte Behörde hat zunächst richtig erkannt, daß alleine aus der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe bzw. aus dem Hinweis auf deren allgemeine Situation zu anderen religiösen Gruppierungen das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeleitet werden kann. Entgegen der offenbar vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht kann sohin die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft in Nigeria nicht als Umstand, der für sich alleine schon begründete Furcht vor Verfolgung nach sich zöge, gewertet werden (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 14. März 1995, Zl. 94/20/0798). Der Beschwerdeführer behauptet weder, daß er an Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Christen, in welche die Polizei als "sogenannte dritte Konfliktpartei" eingetreten sei, teilgenommen habe, noch zeigt er irgendwelche Querverbindungen von der allgemeinen Situation zu seiner konkreten individuellen Situation auf, welche über sein eingangs geschildertes Vorbringen hinausgingen.
Ebenso begründet die "Ablehnung" des Distriktschefs hinsichtlich der Übernahme des väterlichen Besitzes durch die Mutter des Beschwerdeführers und den Beschwerdeführer keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des einzelnen zu verstehen ist, die geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Dieser "Ablehnung" kommt insbesondere deshalb keine derartige Intensität zu, da der Beschwerdeführer gar nicht behauptet hat, daß er bzw. seine Mutter irgendwelche rechtlichen Schritte dagegen unternommen hätten.
Zwar trifft es zu, daß in Ausnahmsfällen auch gegen Familienangehörige gerichtete Verfolgungshandlungen zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden können, doch kann der "Gifttod" des Onkels im gegenständlichen Fall keine "mittelbare staatliche Verfolgung" belegen, weil der Beschwerdeführer keine näheren Umstände des "Gifttodes" vorgebracht hat, sodaß aus der Weisung des Polizeichefs auf Einstellung der Erhebungen nicht zwingend auf eine Verfolgung aus religiösen Gründen geschlossen werden kann.
Da es sich aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers offenbar um einen "erweiterten Familienstreit" sowohl aus religiösen, als auch aus wirtschaftlichen Gründen handelt, ist die belangte Behörde - trotz Anwendung des unrichtigen Asylgesetzes - zu Recht zum Ergebnis gelangt, daß dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland weder eine direkte noch eine mittelbare staatliche Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Insoweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Manuduktionspflicht rügt, ist ihm entgegenzuhalten, daß aus § 13a AVG eine Verpflichtung der Behörden, einen Asylwerber, der - wie der Beschwerdeführer - nur Angaben macht, denen kein Hinweis auf eine asylrechtlich relevante Verfolgung zu entnehmen ist, anzuleiten, wie er seine Angaben konkret gestalten sollte, nicht abgeleitet werden kann (vgl. aus vielen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1991, Zl. 93/01/0800-0803). Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist zunächst festzuhalten, daß der vom Beschwerdeführer angezogene § 16 Asylgesetz 1991 im konkreten Fall nicht zur Anwendung gelangt, weil der Fall nach dem Asylgesetz (1968) zu beurteilen ist. Zwar sind Verwaltungsbehörden gemäß § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG verpflichtet, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen; jedoch beinhalten diese gesetzlichen Aufträge nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, die Verpflichtung der Behörde, in geeigneter Weise nähere Ermittlungen anzustellen und/oder auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Es besteht hingegen keine Verpflichtung der Behörde, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln. Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführers nicht enthalten waren, war die belangte Behörde nicht verpflichtet, nähere Ermittlungen anzustellen.
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994191367.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
16.04.2010