Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juni 1993, Zl. 4.329.728/3-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ghanas, der am 6. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat seinen am 13. Jänner 1992 gestellten Asylantrag bei seiner Befragung am 14. September 1992 vor der Bundespolizeidirektion Graz damit begründet, er sei seit 1986 Mitglied der illegalen Organisation X, (Ghana Democratic Movement), deren Basis sich in London befinde. Er sei bis Jänner 1990 regelmäßig nach Elfenbeinküste gefahren und habe dort Informationen über die politische Lage, so insbesondere darüber, welche Leute verschleppt oder ohne Urteil festgehalten worden seien, weitergegeben. Diese Informationen seien dann in Zeitungen in England und auch in anderen Ländern veröffentlicht worden. Am 23. April 1990 habe der Beschwerdeführer an einem geheimen Treffen dieser Organisation in Ghana teilgenommen. Zum Ende dieser Veranstaltung sei plötzlich Militärpolizei in den Raum gestürmt und habe alle Anwesenden bis auf den Beschwerdeführer und zwei weitere Männer, die hätten fliehen können, festgenommen. Der Beschwerdeführer sei sogleich nach Elfenbeinküste geflohen und habe seine geheimen Unterlagen im Haus seines Onkels zurückgelassen. In Elfenbeinküste habe er dann von seinen Eltern erfahren, daß die Polizei dieses Haus aufgebrochen und alle Unterlagen beschlagnahmt habe. Damals sei auch der Vater des Beschwerdeführers verhaftet worden und für elf Monate im Gefängnis verblieben, weil angenommen worden sei, dieser sei über die Tätigkeit des Beschwerdeführers und dessen Aufenthalt informiert. Im Fall seiner Rückkehr müsse der Beschwerdeführer mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen. Zu seinem Fluchtweg befragt, gab der Beschwerdeführer an, er sei am 23. April 1990 ohne Dokumente illegal nach Elfenbeinküste geflohen, wo er von seinen Eltern fernmündlich erfahren habe, daß er von der Polizei gesucht werde. Auf Rat seiner Eltern, die ihm einen mit den erforderlichen Visa versehenen Reisepaß gebracht hätten, sei er bis 21. September 1990 in Elfenbeinküste geblieben.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark fest, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen.
Mit Bescheid vom 24. Juni 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Bescheidbegründung verneinte die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers und vertrat außerdem die Ansicht, der Beschwerdeführer sei infolge von Aufenthalten in Frankreich, den Niederlanden und in Deutschland - dort habe der Beschwerdeführer sogar einen Asylantrag gestellt, sei in Bundesbetreuung aufgenommen worden und habe eine Beschäftigungsbewilligung erhalten - bereits in einem anderen Land vor Verfolgung sicher gewesen, weshalb bei ihm der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind am 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, sie habe bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden gehabt, ergibt sich aus dem Umstand, daß das Verfahren infolge Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 5. November 1992 (dies ist das Datum der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides durch den Beschwerdeführer) am 1. Juni 1992 noch nicht bei ihr anhängig war, die Rechtsfolge, daß sie verpflichtet gewesen wäre, das Asylgesetz (1968) anzuwenden (vgl. für viele andere insbesondere das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Dadurch, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, ist sie zu Unrecht davon ausgegangen, daß beim Beschwerdeführer - infolge seines Aufenthaltes in sicheren Drittländern - der Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorliege, weil ein solcher Ausschlußgrund dem Asylgesetz (1968) fremd war.
Die zu Unrecht erfolgte Anwendung dieses Ausschlußgrundes gegenüber dem Beschwerdeführer würde aber dann keine relevante Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nach sich ziehen, wenn die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen wäre, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft und damit die Gewährung von Asyl - die belangte Behörde hat seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 beurteilt, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff darstellt - nicht zukomme.
Zunächst ist dem Beschwerdeführer zu erwidern, daß entgegen seiner Auffassung im Asylgesetz 1991 die Beiziehung eines Amtsdolmetschers nicht verpflichtend vorgesehen ist. Gemäß § 18 Abs. 1 Asylgesetz 1991 reicht die Beiziehung eines Dolmetschers
-
also auch eines solchen, der nicht die Funktion eines Amtsdolmetschers innehat - für eine dem Asylwerber ausreichend verständliche Sprache aus. Ebenso verpflichtet auch das Asylgesetz (1968) - dieses hätte die belangte Behörde anwenden sollen - die Behörde lediglich, wenn ein Asylwerber der deutschen Sprache nicht kundig ist, seiner Vernehmung eine der fremden Sprache mächtige Person als Dolmetsch beizuziehen.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer einen Erfahrungssatz entgegengehalten, demzufolge "dem Vorbringen von Asylwerbern, die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen und mit dem in diesen Fällen zu beobachtenden formularmäßigen Vorbringen nach Österreich eingereist sind, eher geringere Glaubwürdigkeit" zukomme. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen aufzuzeigen, auf Grund welcher Umstände
-
der Beschwerdeführer hat nicht angegeben, mit Hilfe einer Schlepperorganisation nach Österreich gelangt zu sein - sie zu dem Schluß gekommen ist, der Beschwerdeführer sei auf diesem Weg in das Bundesgebiet eingereist. Auch ist den Ausführungen der belangten Behörde nicht zu entnehmen, in welcher Hinsicht sie das Vorbringen als "formularmäßig" erachtet hat.
Des weiteren hat die belangte Behörde unter Zitierung ausländischer Literatur und Judikatur den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Mitgliedschaft bei der angeführten Organisation deshalb keinen Glauben geschenkt, weil er insbesondere keine näheren Kenntnisse über deren Zielsetzungen, örtliche Struktur und Arbeitsweise nachgewiesen habe. Allerdings ist weder den Ausführungen der belangten Behörde noch dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten entnehmbar, daß der Beschwerdeführer überhaupt aufgefordert worden wäre, über seine Angaben hinaus noch nähere Ausführungen über diese Organisation zu machen. Ohne eine solche - erfolglos gebliebene - Aufforderung kann aber der aus dem Fehlen solcher näherer Angaben gezogene Schluß auf die mangelnde Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens nicht nachvollzogen werden.
Als besonderes, gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sprechendes Indiz hat es die belangte Behörde gewertet, daß der Beschwerdeführer einerseits behauptet habe, seine Eltern hätten ihm seinen Reisepaß nach Elfenbeinküste gebracht und hätten ihm auch mitgeteilt, daß das Haus seines Onkels aufgebrochen worden sei, daß er andererseits aber angegeben habe, sein Vater sei anläßlich des letztangeführten Ereignisses für elf Monate inhaftiert worden. Es sei nicht erklärbar, wie der Vater des Beschwerdeführers während seiner Inhaftierung all diese Aktivitäten habe setzen können. Wenn es der Beschwerdeführer auch unterlassen hat, in der Beschwerde Ausführungen zu diesem von der belangten Behörde erblickten Widerspruch zu machen, ist diese Argumentation dennoch vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm aufgegebenen Schlüssigkeitsprüfung zu untersuchen. Hierbei fällt auf, daß der Beschwerdeführer über die nach seiner Flucht nach Elfenbeinküste (23. April 1990) eingetretenen Ereignisse bis zu seiner Ausreise aus diesem Staat (21. September 1990) keine näheren zeitlichen Angaben gemacht hat. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich aber auch nicht, daß er von der Behörde aufgefordert worden wäre, diese weiteren Ereignisse datumsmäßig näher zu konkretisieren. Mangels solcher näherer Angaben über den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse ist aber der von der belangten Behörde gezogene Schluß, aus den Angaben des Beschwerdeführers ergebe sich, daß der Vater des Beschwerdeführers einerseits dem Beschwerdeführer seinen mit Visa versehenen Reisepaß nach Elfenbeinküste gebracht und gleichzeitig inhaftiert gewesen sei, nicht zwingend. Vielmehr schließen es die - von der belangten Behörde nicht näher hinterfragten - Angaben des Beschwerdeführers nicht aus, daß die Inhaftierung seines Vaters erst nach der Überbringung des Reisepasses an den Beschwerdeführer erfolgt sein könnte. Auch ist aus dem vom Beschwerdeführer verwendeten Begriff "Eltern" nicht unbedingt zu schließen, daß bei allen Gelegenheiten, bei denen der Beschwerdeführer diesen Begriff verwendet hat, auch tatsächlich jeweils beide Elternteile aktiv am Geschehen beteiligt waren. Aus solchen eher nebensächliche Details betreffenden Angaben, die infolge des Erfordernisses der Zwischenschaltung eines Dolmetschers auch nicht unmittelbar vom Beschwerdeführer stammen, kann somit, ohne daß der Beschwerdeführer hierzu näher befragt bzw. zumindest aufgefordert worden wäre, die der belangten Behörde maßgeblich erscheinenden Ereignisses durch Angabe des Datums zeitlich zu fixieren, nicht geschlossen werden, es handle sich um in sich widersprüchliche Angaben, durch die die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers insgesamt erschüttert sei.
Es erweist sich somit, daß Ermittlungen bzw. entsprechend belegte Feststellungen zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes unterblieben sind, sodaß dieser in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist.
Somit wurden auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Da der angefochtene Bescheid infolge Anwendung der falschen Rechtslage auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist und die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 592, zitierte Judikatur), mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Parteienvernehmung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994190497.X00Im RIS seit
20.11.2000