TE Vwgh Erkenntnis 1995/8/2 94/13/0282

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Veröffentlicht am 02.08.1995
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
BAO §289 Abs2;
FinStrG §115;
FinStrG §157;
FinStrG §161 Abs1;
FinStrG §33 Abs2 lita;
FinStrG §82 Abs1;
FinStrG §82 Abs3;
FinStrG §83;
FinStrG §98 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Beschwerdeentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 2. September 1994, Zl. GA 10 - 712/2/92, betreffend Einleitung des Finanzstrafverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war im Jahre 1991 Geschäftsführerin einer Gesellschaft m.b.H. Im Bericht vom 12. Mai 1992 über eine bei dieser Gesellschaft durchgeführte Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Juli 1991 sowie September bis Dezember 1991 bislang nicht abgegeben worden seien und daß für die Monate April 1991 sowie Juni und August 1991 Differenzen zwischen den abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und der vorgelegten Buchhaltung bestünden. Es würden im Prüfungsverfahren für den Nachschauzeitraum daher die im Rechenwerk der Gesellschaft erfaßten Werte angesetzt.

Mit Bescheid vom 12. August 1992 leitete darauf das Finanzamt gegen die Beschwerdeführerin das Finanzstrafverfahren ein, weil der Verdacht bestehe, daß sie als Geschäftsführer der genannten Gesellschaft in Wien vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer für 1991 in Höhe von S 517.080,-- bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten habe, sodaß sie dadurch das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG begangen habe. Das Finanzamt begründete diesen Bescheid mit den Worten:

"Im Zuge der Betriebsprüfung wurde die Umsatzsteuer für die bislang nicht eingereichten UVAen vorgeschrieben und die im Rechenwerk der Firma erfaßten Beträge angesetzt."

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Administrativbeschwerde machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die Umsatzsteuervoranmeldungen laufend abgegeben und Beträge zur Einzahlung gebracht worden seien; dies ergebe sich allein schon aus einem Bescheid des Finanzamtes vom 13. September 1991, in welchem eine Rückzahlung von Guthaben aus Umsatzsteuervorauszahlungen des Jahres 1991 wegen der Verwendung dieser Beträge zur Tilgung eines Rückstandes abgelehnt worden sei. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin dem Prokuristen den Auftrag erteilt, für einen geordneten Ablauf Sorge zu tragen, welchen Auftrag dieser auch angenommen habe. Die Beschwerdeführerin habe trotz des Umstandes, daß sie einen Teil des Jahres in Karenz gewesen sei, laufend überprüft, ob der Prokurist seiner übernommenen Aufgabe auch ordnungsgemäß nachkomme. Die ordnungs- und termingerechte Abfuhr aller Steuern und Abgaben habe zu diesen Aufgaben gehört; es sei der Prokurist von Firmengründung an auch auf dem Firmenkonto einzelzeichnungsberechtigt gewesen. Da die Beschwerdeführerin anläßlich mehrerer Einsichtnahmen an verschiedenen Kontonachrichten des Finanzamtes erkennen habe können, daß gelegentlich auf Grund kurzfristiger Liquiditätsprobleme die Zahlungen leicht verspätet erfolgt seien, habe sie den Prokuristen in diesem Zusammenhang angewiesen, genauer auf die pünktliche und ordnungsgemäße Abfuhr der Abgaben zu achten. Die Beschwerdeführerin habe davon ausgehen können, daß der Prokurist für die regelmäßige und genaue Abfuhr entsprechend seiner Verantwortlichkeit Obsorge treffe, und habe anläßlich ihrer umfangreichen Stichproben auch den Eindruck gehabt, daß er die übernommenen Aufgaben verläßlich und mit Umsicht ausführe. Es habe sich der Prokurist für die Buchhaltung auch einer qualifizierten Buchhalterin bedient und auf Wunsch der Beschwerdeführerin auch den Steuerberater zugezogen. Da nachteilige Informationen an die Beschwerdeführerin nicht herangetragen worden seien, sei sie gänzlich überzeugt gewesen, daß der Prokurist seinen Pflichten korrekt nachkomme. Die Betriebsprüfung habe auf den im angeführten Zeitraum zuständigen und verantwortlichen Prokuristen nicht zurückgegriffen, obwohl aus den Unterlagen und Aussagen seine Funktion klar erkennbar gewesen sei; in der Niederschrift zur Schlußbesprechung werde die nunmehr angelastete Umsatzsteuerverkürzung nicht einmal angeführt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Administrativbeschwerde der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Auf Grund des Vorbringens der Administrativbeschwerde, führte die belangte Behörde begründend aus, sei lediglich zu untersuchen gewesen, ob im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens der Verdacht einer Abgabenhinterziehung gegeben gewesen sei oder nicht. Das nunmehrige Vorbringen der Beschwerdeführerin werde im weiteren Untersuchungsverfahren zu klären sein. Nach den schlüssigen Feststellungen der Betriebsprüfung über die teilweise unterbliebene und teilweise mit Differenzen zu den Buchhaltungsunterlagen belastete Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen erscheine die Einleitung des Finanzstrafverfahrens gegen die Beschwerdeführerin gerechtfertigt. Nach Überprüfung der Aktenlage, insbesondere der Feststellungen der Betriebsprüfung sei die belangte Behörde daher zur Ansicht gelangt, daß der im bekämpften Einleitungsbescheid angenommene Verdacht gegen die Beschwerdeführerin zu Recht ausgesprochen worden sei. Daß der Beschwerdeführerin bewußt gewesen sei, daß "die teilweise Abgabengebarung nicht termin- bzw. ordnungsgemäß erfolgt ist", räume die Beschwerdeführerin in ihrem Rechtsmittel auch ein. Die endgültige Beantwortung der Frage, ob die Beschwerdeführerin das ihr zur Last gelegte Finanzvergehen tatsächlich begangen habe, müsse im Hinblick auf ihre Ausführungen über das in den Prokuristen gesetzte Vertrauen dem Ergebnis des Untersuchungsverfahrens vorbehalten bleiben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Erklärung beantragt, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Unterbleiben der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens verletzt zu sein.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz, soferne das Rechtsmittel nicht gemäß § 156 zurückzuweisen ist, grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung der Rechtsmittelentscheidung ihre Anschauung an die Stelle jener der Finanzstrafbehörde erster Instanz zu setzen und das angefochtene Erkenntnis (den Bescheid) abzuändern oder aufzuheben, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären oder das Rechtsmittel als unbegründet abzuweisen.

Gemäß § 157 erster Satz FinStrG ist auf das Rechtsmittelverfahren unter anderem auch die Bestimmung des § 115 FinStrG sinngemäß anzuwenden, nach welcher die Finanzstrafbehörde im Untersuchungsverfahren den für die Erledigung der Strafsache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen festzustellen und den Beschuldigten sowie den Nebenbeteiligten Gelegenheit zu geben hat, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen.

Aus diesen Bestimmungen ist abzuleiten, daß im verwaltungsbehördlichen Rechtsmittelverfahren nicht nur die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Zeitpunkt des Ergehens zu prüfen ist, sondern vielmehr eine eigenständige Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorgenommen werden muß; eine das angefochtene Erkenntnis (den angefochtenen Bescheid) bestätigende Rechtsmittelentscheidung darf demnach im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren nur dann ergehen, wenn die der Rechtsmittelinstanz vorliegende Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtsmittelerledigung im Ergebnis keine anderslautende Entscheidung erfordert (vgl. Fellner, Kommentar zum Finanzstrafgesetz, Anm. 6 zu

§§ 161 - 164 FinStrG, samt Hinweisen auf die hg. Judikatur). Nichts anderes gilt für das Rechtsmittelverfahren über einen Einleitungsbescheid; auch in einem solchen Falle ist die Rechtsmittelbehörde verpflichtet, bei Erlassung der Beschwerdeentscheidung auf die während des Rechtsmittelverfahrens festgestellten Tatsachen Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1994, 93/13/0256).

Die demgegenüber von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, sie habe in der Entscheidung über die Administrativbeschwerde lediglich zu untersuchen gehabt, ob im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Einleitungsbescheides der Verdacht einer Abgabenhinterziehung gegeben gewesen sei oder nicht, widerspricht demnach dem Gesetz. Soweit die belangte Behörde, von dieser ihrer nicht zu teilenden Rechtsauffassung ausgehend, der Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung mit dem in der Administrativbeschwerde vorgetragenen Sachverhalt verweigert hat und deshalb in die Prüfung der Frage nicht eingetreten ist, ob die von der Beschwerdeführerin behaupteten Umstände geeignet waren, das Vorliegen des von der Finanzstrafbehörde erster Instanz als zur Einleitung eines Finanzstrafverfahrens ausreichenden Tatverdachtes zu widerlegen, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Die im angefochtenen Bescheid ergänzend geäußerte Auffassung, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Rechtsmittel eingeräumt habe, daß es ihr bewußt gewesen sei, daß "die teilweise Abgabengebarung nicht termin- bzw. ordnungsgemäß erfolgt" sei, ist deswegen nicht geeignet, den Spruch des angefochtenen Bescheides zu tragen, weil die Beschwerdeführerin in den von der belangten Behörde angesprochenen Ausführungen der Administrativbeschwerde lediglich erklärt hat, gelegentliche Verspätung in den erfolgten Zahlungen wahrgenommen und deswegen den Prokuristen in der von ihr behaupteten Weise ermahnt zu haben. Daß die Beschwerdeführerin mit diesen Ausführungen einen Sachverhalt zugestanden hätte, der es erlaubte, einen Schluß auf die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des Tatbestandes eines Finanzvergehens (vgl. hiezu die bei Fellner, a.a.O., Anm. 7c zu §§ 80 - 84 FinStrG, wiedergegebene hg. Judikatur) in der besonderen Schuldform des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG zu ziehen, ist nicht zu erkennen.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1994130282.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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