TE Vwgh Erkenntnis 1995/8/3 92/10/0027

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Veröffentlicht am 03.08.1995
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Index

L55003 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Niederösterreich;
L55053 Nationalpark Biosphärenpark Niederösterreich;
L81503 Umweltschutz Niederösterreich;
L81513 Umweltanwalt Niederösterreich;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
B-VG Art131 Abs2;
NatSchG NÖ 1977 §1 Abs1;
NatSchG NÖ 1977 §9 Abs3;
NatSchG NÖ 1977 §9 Abs5;
NatSchG NÖ 1977 §9;
UmweltschutzG NÖ 1984 §11 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. September 1991, Zl. II/3-2535/6-91, betreffend Behebung eines Bescheides, mit dem ein Feuchtbiotop zum Naturdenkmal erklärt worden ist (mitbeteiligte Parteien: 1) Stadtgemeinde X;

2) E in X; 3) A D in X; 4) M D in X), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid vom 6. Juni 1990 erklärte die Bezirkshauptmannschaft Melk (BH) das Feuchtbiotop auf den Teilflächen der Parzellen 310/4, 310/5 und 500/1, alle KG X, gemäß § 9 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 5500-3 (NÖ NSchG), zum Naturdenkmal. Nach der Begründung schließe sich die Behörde bei der Beurteilung des gegenständlichen Feuchtbiotops den nachvollziehbaren und schlüssigen Darstellungen der Sachverständigen für Naturschutz an. Danach stelle das gegenständliche Feuchtbiotop einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche an das Wasser gebundene Tiere und Pflanzen dar. Unter den (im einzelnen aufgezählten) nachgewiesenen Arten befinde sich eine Vielzahl von geschützten und zum Teil stark gefährdeten Arten, deren Überleben von den letzten noch vorhandenen Biotopen dieser Art abhängig sei. Feuchtbiotope gehörten heute zu den am meisten bedrohten Lebensräumen; ihre Zahl sei in den letzten Jahren so stark reduziert worden, daß jedes noch vorhandene eine entscheidende Rolle für den Erhalt dieser stark bedrohten Biozönosen spiele. Besondere wissenschaftliche Bedeutung genieße das gegenständliche Feuchtbiotop vor allem durch seine Lage im Stadtgebiet von X. Es fungiere gleichsam als "Ökoinsel" inmitten naturfeindlichen Siedlungsgebietes.

Nach Auffassung der BH sei somit eindeutig nachgewiesen, daß das gegenständliche Feuchtbiotop aus vielfältigen Gründen von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erklärung zum Naturdenkmal seien somit gegeben. Daran könnten weder die Erklärung der Stadtgemeinde X noch die Einwendungen der übrigen Mitbeteiligten etwas ändern.

Die mitbeteiligten Parteien erhoben Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde den Berufungen Folge gegeben und der Bescheid der BH gemäß § 66 Abs. 4 AVG behoben. Zur Begründung ihrer Entscheidung verwies die belangte Behörde auf das von ihr eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen für Naturschutz. Danach sei das gegenständliche Feuchtgebiet jedenfalls als Naturgebilde zu bezeichnen, weil hier aufgrund von natürlichen Gegebenheiten und Vorgängen eine stabile Lebensgemeinschaft entstanden sei, die durch das Vorkommen seltener (im einzelnen näher aufgezählter) Arten ausgezeichnet sei. Auf einer relativ kleinen Fläche sei eine Reihe geschützter oder gefährdeter Arten nachzuweisen, denen das Feuchtgebiet als Lebensraum oder Teillebensraum diene. Dabei übe es die Funktion eines Brutgebietes, eines Nahrungsplatzes, eines Laichgebietes, einer Tränke, einer Brutzone für Amphibien und Insektenarten, die dort auch ihre Jugendentwicklung vollzögen, eines Rastplatzes für seltene Arten, wie beispielsweise die Knäkente u. a., aus. Da offensichtlich das Weiterbestehen von Populationen und Beständen geschützter oder gefährdeter Arten in enger Verbindung zum gegenständlichen Feuchtgebiet stehe, leite sich von seinem Erhalt ein beträchtliches wissenschaftliches Interesse ab. Aufgrund der Nähe zum Stadtgebiet von X und dessen leichter Zugänglichkeit liege auch ein kultureller Grund vor, der eine Erklärung zum Naturdenkmal rechtfertigen könnte, weil der Bevölkerung eine Möglichkeit erschlossen werde, auch weiterhin mit seltenen Arten ohne großen Aufwand in Kontakt zu kommen und diese kennenzulernen. Eine Unterschutzstellung sei somit der einzige Weg, das gegenständliche Naturgebilde und damit ein Vorkommen seltener Arten zu erhalten.

Dem gegenüber vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß dem gegenständlichen Biotop weder eine wissenschaftliche noch kulturelle Bedeutung zukomme. Wissenschaftlichkeit liege nämlich dann vor, wenn Methoden schöpferisch zur Gewinnung neuer Erkenntnisse angewendet würden, sodaß der Wissensstand in sachlicher und methodischer Hinsicht bereichert werde. Eine Tätigkeit sei nicht schon dann wissenschaftlich, wenn sie auf der Wissenschaft aufbaue, diese verwerte und sich wissenschaftlicher Methoden bediene, sondern erst, wenn sie ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Forschung, das heißt dem Erringen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und (oder) der Lehre diene. In den vorliegenden Gutachten werde nicht dargelegt, in welcher Hinsicht dieses Biotop der Forschung und Lehre dienen solle. Der Begriff "Kultur" bedeute hingegen die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Äußerungen einer Gemeinschaft bzw. eines Volkes. Wesentlich sei sohin, daß es sich um Äußerungen einer Gemeinschaft bzw. eines Volkes und allenfalls auch einer Einzelperson handeln müsse. Schon aus diesem Begriffsinhalt ergebe sich, daß im gegenständlichen Fall dieses Kriterium nicht herangezogen werden könne. Abgesehen von diesen Erwägungen müsse nach dem Naturschutzgesetz noch eine wesentliche Voraussetzung für eine Unterschutzstellung eines Naturgebildes vorliegen: nämlich eine "besondere Bedeutung". Dies könne nur dahin verstanden werden, daß die Schutzwürdigkeit über das gewöhnliche Landschaftsbild bzw. über das gewöhnliche wissenschaftliche oder kulturelle Allgemeingut hinausgehe. Auch daran mangle es nach Auffassung der belangten Behörde im gegenständlichen Fall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligten Parteien haben keine Gegenschriften erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 11 Abs. 1 des NÖ Umweltschutzgesetzes, LGBl. 8050-1,

lautet:

"In behördlichen Verfahren im Vollziehungsbereich des Landes, die auch die Vermeidung einer erheblichen und andauernden Schädigung der Umwelt zum Gegenstand haben, hat die NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung im Sinne des § 8 AVG; sie kann jedoch auch auf ihre Parteienrechte verzichten. In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinden besteht diese Parteistellung nur dann, wenn die erhebliche und dauernde Schädigung der Umwelt über den Bereich der Gemeinde hinauswirken würde. Soweit der NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung zukommt, steht ihr das Recht der Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG zu."

§ 9 NÖ NSchG 1977 in der Fassung LGBl. 5500-3 lautet auszugsweise:

"(1) Die Behörde kann Naturgebilde, die als gestaltende Elemente des Landschaftsbildes oder aus wissenschaftlichen oder kulturellen Gründen besondere Bedeutung haben, mit Bescheid zum Naturdenkmal erklären. Die Behörde hat das Naturdenkmal zu kennzeichnen.

(4) Zu den im Abs. 1 angeführten Naturgebilden gehören insbesondere Klammen, Schluchten, Bäume, Hecken, Baum- oder Gehölzgruppen, Alleen, Parkanlagen, Quellen, Wasserfälle, Teiche, Seen, Felsbildungen, erdgeschichtliche Aufschlüsse und Erscheinungsformen, fossile Tier- und Pflanzenvorkommen, sowie Fundorte seltener Gesteine und Minerale.

(5) ...

(6) ..."

Das Veränderungs-, Entfernungs- und Zerstörungsverbot des § 9 Abs. 3 und 5 NÖ NSchG 1977 dient der Erhaltung des zum Naturdenkmal erklärten Naturgebildes und damit dem im § 1 Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Ziel, die Natur in allen ihren Erscheinungsformen, insbesondere in ihrem Wirkungsgefüge und in ihrer Vielfalt, zu erhalten und zu pflegen, wozu auch das Bestreben gehört, die der Gesundheit des Menschen und seiner Erholung dienende Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern. Nach § 1 Abs. 2 leg. cit. erstreckt sich die Erhaltung und Pflege der Natur auf alle ihre Erscheinungsformen, gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden oder durch den Menschen gestaltet wurden (Kulturlandschaft).

Im Verfahren gemäß § 9 NÖ NSchG, in dem es darum geht, Naturgebilde, deren besondere Bedeutung es gebietet, sie im Dienste der Erhaltung und Pflege der Natur vor Eingriffen zu schützen, kommt der Umweltanwaltschaft des Landes Niederösterreich somit Parteistellung und Amtsbeschwerdeberechtigung zu (vgl. auch das Erkenntnis vom 30. März 1992, Zl. 91/10/0022, in dem die Beschwerdeberechtigung in einem naturschutzrechtlichen Verfahren bejaht wurde, das die Erweiterung des Naturdenkmalschutzes auf den unmittelbaren Umgebungsbereich eines Naturdenkmales betraf; ferner Liehr - Stöberl, Kommentar zum NÖ NSchG, Seite 159f).

Die Beschwerde wendet sich im wesentlichen gegen die Auffassung der belangten Behörde, wonach das gegenständliche Biotop unter dem Blickwinkel einer besonderen wissenschaftlichen Bedeutung nicht schutzwürdig sei. Dabei sei das von der Behörde erster Instanz eingeholte Gutachten der Naturschutzsachverständigen nämlich nur insoweit berücksichtigt worden, als die ökosoziale Bedeutung des Biotops von der Sachverständigen unterstrichen und daraus eine besondere wissenschaftliche Bedeutung und Schutzwürdigkeit abgeleitet worden sei. Die belangte Behörde habe dabei allerdings nicht berücksichtigt, daß die Erstgutachterin die besondere wissenschaftliche Bedeutung dieses Vorkommens in erster Linie daraus abgeleitet habe, daß die zahlreichen, im gegenständlichen Biotop festgestellten seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenpopulationen sich inmitten des verbauten Stadtgebietes erhalten hätten und daher die besondere wissenschaftliche Bedeutung dieses Biotops durch seine Lage im Stadtgebiet in seiner Bewertung gegenüber anderen vergleichbaren Biotopen herausrage. Aufgrund dieses Umstandes könne nämlich wissenschatlich erforscht werden, wie derartige gefährdete Tier- und Pflanzenarten in bedrohten Lebensräumen überleben könnten. Dieser Beurteilung habe sich auch der im Berufungsverfahren beigezogene Amtssachverständige für Naturschutz angeschlossen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg: Die eingeholten Sachverständigengutachten enthalten nämlich durchaus Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wissenschaftlichen Interesses am gegenständlichen Naturgebilde. Dies hätte eine konkrete Auseinandersetzung der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides erfordert. Die bloß abstrakten Ausführungen zum Begriff "Wissenschaft" reichen dazu allerdings nicht aus. Die ersatzlose Behebung des Bescheides der BH mangels Fehlens besonderer Bedeutung des gegenständlichen Naturgebildes aus wissenschaftlichen Gründen erweist sich somit als verfehlt.

Die belangte Behörde belastete daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete DiversesMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Rechtsverletzung des Beschwerdeführers Beschwerdelegitimation bejaht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992100027.X00

Im RIS seit

08.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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