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82/05 Lebensmittelrecht;Norm
LMG 1975 §7 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. Dezember 1993, Zl. MA 63-R 5/93/Str, betreffend Übertretungen des Lebensmittelgesetzes 1975, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Gesundheit und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren für Stempelgebühren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0096, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der belangten Behöre vom 12. Februar 1992 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In diesem Bescheid war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, näher bezeichnete Milchprodukte, die infolge Kontamination mit Hefen wertgemindert gewesen seien, zum Verkauf bereitgehalten zu haben, obwohl die Wertminderung nicht deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden sei. Maßgebend für die Aufhebung dieses Bescheides war, daß dem Bescheid nicht zu entnehmen war, welche spezifische wertbestimmende Eigenschaft durch die vorgefundenen Hefen eine Minderung erfahren habe und von welchem Grenzwert in bezug auf Hefen in Lebensmitteln der gegenständlichen Art die belangte Behörde ausgegangen ist.
Im fortgesetzten Verfahren faßte die belangte Behörde die erstinstanzlichen Schuldsprüche insofern neu, als sie das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten nunmehr wie folgt umschrieb: Er habe zur angegebenen Zeit am angeführten Ort
1. "eine Kunststoffpackung Speisetopfen 20 % F.i.T. zu 1.262,5 g, welcher 180.000 Hefen in 1 g enthielt, wodurch die Frische des Produktes, welche eine spezifische bestimmende Eigenschaft darstellt, nicht mehr gegeben war, und dieser Speisetopfen somit wertgemindert war",
2. "drei Glasflaschen Pielachtaler Schafmilch - Joghurt mit Heidelbeer zu je 180 g, welches 56.000 Hefen in 1 ml enthielt, wodurch die Frische des Produktes, welche eine spezifische wertbestimmende Eigenschaft darstellt, nicht mehr gegeben war, und somit dieses Schafmilchjoghurt wertgemindert war",
3. "sechs Kunststoffbecher Wimo-Mix Waldbeeren zu je 180 g, welche 4.000 Hefen in 1 ml enthielten, wodurch die Frische dieses Produktes, welche eine spezifische wertbestimmende Eigenschaft darstellt, nicht mehr gegeben war, und dieses Joghurt somit wertgemindert war",
jeweils in einer im Verkaufsraum befindlichen Kühlvitrine zum Verkauf bereitgehalten und somit in Verkehr gebracht, ohne daß der Umstand der Wertminderung deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden sei.
Zur Frage der betroffenen spezifischen wertbestimmenden Eigenschaft und des maßgeblichen Grenzwertes für Hefen führte die belangte Behörde, gestützt auf das ergänzende Gutachten der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien (BALUF) vom 3. September 1993, aus: In Milchprodukten, die nicht pasteurisiert und steril verpackt seien, seien stets einige Hefen vorhanden. Diese könnten sich auch bei Kühlschranktemperatur vermehren und schließlich Geruchs- und Geschmacksmängel verursachen. Es sei ein Zeichen von Frische, wenn in Joghurt und Speisetopfen keine oder nur wenige Hefen vorhanden seien. Die Frische dieser Produkte stelle für den Verbraucher eine wertbestimmende Eigenschaft dar (im Gegensatz zu vielen anderen Lebensmitteln, bei denen ein bestimmter Reifezustand wertbestimmend sei, wie z.B. Käse, Salami, Wein). Daher seien solche Produkte, die einen überhöhten Gehalt an Hefen aufwiesen, als wertgemindert zu beurteilen. Laut Gutachten der BALUF gebe es Österreich keinen gesetzlich vorgeschriebenen oder kodifizierten Grenzwert für Joghurt und Speisetopfen. Es werde daher - in Anlehnung an den im Gutachten genannten Schweizer Grenzwert für Sauermilchprodukte - von einem Grenzwert von 1.000 Hefen/g ausgegangen; dieser werde von frischen Sauermilchprodukten und frischem Topfen typischerweise nicht überschritten. Die in den gegenständlichen Fällen festgestellte hohe Anzahl von Hefen zeige, daß diese Produkte nicht mehr frisch und daher wertgemindert gewesen seien.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 lit. b LMG 1975 ist unter anderem verboten, Lebensmittel in Verkehr zu bringen, die wertgemindert sind, ohne daß der Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist. Nach der Begriffsbestimmung des § 8 lit. g LMG 1975 sind Lebensmittel wertgemindert, wenn sie nach der Herstellung, ohne daß eine weitere Behandlung erfolgt ist, eine erhebliche Minderung an wertbestimmenden Bestandteilen oder ihrer spezifischen, wertbestimmenden Wirkung oder Eigenschaft erfahren haben, soweit nicht Verdorbenheit vorliegt. Das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die wertgemindert sind, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht ist, bildet gemäß § 74 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 eine Verwaltungsübertretung.
Die Beschwerde bezweifelt, daß im gegebenen Zusammenhang die Frische von Lebensmitteln überhaupt eine spezifische wertbestimmende Eigenschaft im Sinne des Gesetzes darstelle. Jedenfalls aber habe schon aufgrund der Kennzeichnungspflicht nach der LMKV jedermann die Möglichkeit, die Frische von Lebensmitteln zu beurteilen.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Im fortgesetzten Verfahren stellte die belangte Behörde klar, daß sie nicht etwa die Reinheit bzw. das Freisein der gegenständlichen Produkte von Hefen, sondern deren Frische als die hier in Betracht kommende spezifische wertbestimmende Eigenschaft ansieht. Die Frische eines Lebensmittels nimmt mit dessen zunehmendem Alter kontinuierlich ab. Dem korrespondiert nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens bei Milchprodukten der gegenständlichen Art eine ebenso stetige Zunahme von Hefen. Dementsprechend hat die belangte Behörde den jeweils festgestellten hohen Gehalt an Hefen als Indiz für die mangelnde Frische der betreffenden Produkte angesehen.
Das Gesetz verbietet nicht schlechthin das Inverkehrbringen wertgeminderter Lebensmittel. Tatbestandsmäßig ist deren Inverkehrbringen im gegebenen Zusammenhang nur dann, wenn die Wertminderung nicht deutlich und allgemein kenntlich gemacht ist. Zweck dieser Regelung ist die Information der Konsumenten über eine allfällige Wertminderung von Lebensmitteln. Diese Information war aber, wie die Beschwerde zutreffend ausführt, bei den gegenständlichen Produkten schon aufgrund des Ablaufdatums (der empfohlenen Aufbrauchsfrist im Sinne des § 3 Z. 10 LMKV 1973) gegeben. Aus den Anzeigegutachten ergibt sich kein Hinweis, daß dieses Kennzeichnungselement etwa nicht dem Gebot des § 2 Abs. 1 LMKV 1973 (danach ist die Kennzeichnung auf dem Behältnis oder der Packung deutlich sicht- und lesbar anzubringen) entsprochen hätte. Aus dem angegebenen Ablaufsdatum, das den Anzeigen zufolge jeweils bereits um einige Tage überschritten war, war für jedermann klar ersichtlich, daß es sich hier nicht mehr um frische Waren handeln konnte. Damit war der von der belangten Behörde als Wertminderung angesehene Umstand, die mangelnde Frische der Waren, im Sinne des § 7 Abs. 1 lit. b LMG 1975 deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht. Es bedurfte keines zusätzlichen ausdrücklichen Hinweises auf diesen Umstand; ein solcher hätte für die Konsumenten keine zusätzliche Information bedeutet. Die von der belangten Behörde vertretene gegenteilige Ansicht läuft auf einen überzogenen Verbraucherschutz hinaus. Die belangte Behörde hat somit aufgrund ihrer unzutreffenden Rechtsansicht die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Sachverhalte zu Unrecht als tatbestandsmäßig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 lit. b, 8 lit. g und 74 Abs. 2 Z. 1 LMG 1975 erachtet.
Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft auf nicht erforderliche Kopien des angefochtenen Bescheides entfallende Stempelgebühren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994100026.X00Im RIS seit
20.11.2000