TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/15 B845/92, B846/92, B854/92, B855/92

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Veröffentlicht am 15.06.1993
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6500 Jagd, Wild

Norm

B-VG Art90
StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
Nö JagdG 1974 §27 Abs8
Nö JagdG 1974 §101 Abs2
Nö JagdG 1974 §120a Abs4

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die vorgesehene Nichtöffentlichkeit der Verhandlung vor der Landeskommission für Jagd- und Wildschäden als Tribunal nach dem Nö JagdG 1974 im Hinblick auf den österreichischen Vorbehalt zu Art6 EMRK; Verletzung im Eigentumsrecht durch Verpflichtung von - zum Zeitpunkt der Entstehung eines Wildschadens nicht der Jagdgesellschaft als Mitglied angehörenden - Jagdgesellschaftern zur Leistung von Schadenersatz

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden deren Rechtsvertreter Rechtsanwalt Dr. H K bzw. Rechtsanwalt Dr. G T die mit je 30.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Verfassungsgerichtshof verweist zunächst - um weiterreichende Wiederholungen zu vermeiden - auf die Darstellung des Verwaltungsgeschehens sowie der einschlägigen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs in den Entscheidungsgründen seines Erk. B237,238/78 vom 8. Juni 1984 (VfSlg. 10014/1984), welches aufgrund einer Beschwerde des (auch) in den vorliegenden Beschwerdesachen B845/92 und B846/92 einschreitenden Beschwerdeführers P H gefällt wurde; das (nach Abweisung der damaligen Beschwerde und deren Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof) anschließende verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluß Zlen. 84/03/0276,277 vom 11. September 1985 eingestellt.

Nachdem die (gemäß der damals bestandenen Gesetzeslage als oberste Instanz in Jagd- und Wildschadensangelegenheiten berufene) NÖ Landesregierung beide Bescheide der Oberkommission für Jagd- und Wildschäden für den Bereich der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten behoben und die Wildschadensangelegenheiten sowohl des Jahres 1971 als auch des Jahres 1972 zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen hatte, ging die Oberkommission in Ansehung der Bescheide ihrer Vorinstanz, der Jagd- und Wildschadenskommission Traismauer, in der gleichen Weise vor. Gegen deren neuerlichen, den Wildschaden beider Jahre betreffenden Bescheid vom 19. Mai 1987 erhoben einerseits der Beschwerdeführer P H und andererseits die in den vorliegenden Beschwerdesachen B854/92 und B855/92 beschwerdeführende Jagdgesellschaft Stollhofen Berufungen an die Oberkommission. Diese entschied über die Rechtsmittel mit Bescheid vom 29. Mai 1989, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Die Oberkommission für Jagd- u. Wildschäden für den Bereich des Verwaltungsbezirkes St. Pölten verpflichtet den Jagdausübungsberechtigten des Genossenschaftsjagdgebietes Stollhofen, das sind die Mitglieder der Jagdgesellschaft Stollhofen, Jagdleiter A K, J M, W B, J H, A B und J M zur ungeteilten Hand gem. §§119, 120, 121 u. 122 NÖ Jagdgesetz 1974, LGBl. 6500-7, dem Geschädigten P H, Traisenlände 9, 3133 Traismauer, für den auf den Grundstücken 480/1 und 480/2, KG Stollhofen

a) im Jahre 1971 entstandenen Wildschaden einen Ersatz in der Höhe von S 21.245,--,

b) im Jahre 1972 entstandenen Wildschaden einen Ersatz in der Höhe von S 31.920,-- zu leisten.

Gem. §117 leg.cit. haben die jagdausübungsberechtigte Jagdgesellschaft Stollhofen und der Geschädigte P H je zur Hälfte die aus Anlaß des Verfahrens erwachsenen Amtskosten im Betrage von

a) Wildschaden 1971, Verfahren der ersten Instanz S 360,-- Verfahren der zweiten Instanz S 582,--

b) Wildschaden 1972, Verfahren der ersten Instanz S 360,-- Verfahren der zweiten Instanz S 582,--

insgesamt S 1.884,-- zu tragen.

Die durch obigen Ausspruch festgestellten Schadensersatzleistung an den Geschädigten und der Erlag der Amtskosten hat binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Bescheides zu erfolgen.

Die in den Eingaben des Geschädigten P H vom 4.4.1989 und 11.4.1989 gestellten Anträge und jener in der mündlichen Verhandlung vor der Oberkommission eingebrachte, abzielend auf Aussetzen des Verfahrens, Zustellung des in der mündlichen Verhandlung erstellten Gutachtens an die Parteien und Einräumung einer Frist von 4 Wochen zur Stellungnahme werden ab- bzw. zurückgewiesen.

Die Forderung des Geschädigten P H auf Bezahlung von Zinsen in der Höhe von 8 % seit 1971 bzw. 1972 wird auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Die Forderung der Jagdgesellschaft Stollhofen auf Berücksichtigung der Behinderungen bei der Jagdausübung durch den Geschädigten P H bei der Bemessung der Höhe der Wildschadensersätze wird abgewiesen."

Auch dieser Bescheid wurde von beiden beschwerdeführenden Parteien mit Berufungen angefochten. Über diese Rechtsmittel entschied die (nach der nunmehrigen Gesetzeslage als oberste Instanz in Jagd- und Wildschadensangelegenheiten eingerichtete) Landeskommission für Jagd- und Wildschäden beim Amt der NÖ Landesregierung mit zwei Bescheiden vom 22. April 1992, und zwar gesondert über den Wildschaden des Jahres 1971 und jenen des Jahres 1972; sie wies die Berufungen beider Berufungswerber ab und verpflichtete sie anteilig zum Ersatz der erwachsenen Verfahrenskosten.

Gegen den Bescheid über den Wildschaden des Jahres 1971 richten sich die Beschwerden zu B845/92 und B855/92, gegen den über den Wildschaden des Jahres 1972 die Beschwerden zu B846/92 und B854/92. Die beschwerdeführenden Parteien machen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, der Beschwerdeführer P H auch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, geltend und begehren die Aufhebung des jeweils angefochtenen Bescheides.

Die belangte Landeskommmission legte die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat - nach Verbindung der Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Entscheidung - erwogen:

1. Der Beschwerdeführer P H bezweifelt die verfassungsgemäße Einrichtung der Landeskommission für Jagd- und Wildschäden als Tribunal unter dem Aspekt des Art6 Abs1 EMRK mit dem Argument, daß gemäß §120a Abs4 des NÖ Jagdgesetzes 1974, LGBl. 6500-9, die Verhandlung vor der Landeskommission in nichtöffentlicher Sitzung stattzufinden habe, und leitet daraus eine Rechtsverletzung infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes ab.

Dieser Beschwerdevorwurf ist jedoch im Hinblick auf die ständige, auch hier beizubehaltende Judikatur des Verfassungsgerichtshofs verfehlt, daß der Vorbehalt Österreichs zu Art6 EMRK (bezüglich der in Art90 B-VG festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit) auch für Verfahren vor Tribunalen gilt, sodaß gesetzliche Regelungen nicht ausgeschlossen sind, die für Verfahren vor Tribunalen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit vorsehen (VfSlg. 11855/1988 mit Bezugnahme auf VfSlg. 7208/1973 und 11569/1987).

2. Nach dem ersten Satz im §27 Abs8 NÖ JagdG haften die Mitglieder der Jagdgesellschaft rücksichtlich aller, während der Zeit ihrer Mitgliedschaft aus der Jagdpachtung gegenüber der Jagdgenossenschaft hervorgegangenen Verbindlichkeiten, insbesondere auch für den Jagd- und Wildschaden, zur ungeteilten Hand. Der die Haftung für Jagd- und Wildschäden betreffende §101 dieses Gesetzes sieht in seinem Abs2 vor, daß zum Schadenersatz derjenige verpflichtet ist, der zur Zeit der Entstehung des Schadens jagdausübungsberechtigt war, sowie daß Mitglieder einer Jagdgesellschaft zur ungeteilten Hand haften.

Dem Berufungseinwand, die Oberkommission habe zu Unrecht (auch) zum Zeitpunkt der Schadensentstehung der Jagdgesellschaft nicht angehörende Mitglieder zur Ersatzpflicht herangezogen, hielt die Landeskommission in der Begründung ihrer Bescheide entgegen, aus §27 Abs8 NÖ JagdG gehe klar hervor, daß nur die jeweiligen Mitglieder einer bestehenden Jagdgesellschaft haftbar seien; es seien daher zu Recht alle derzeit vorhandenen Mitglieder der Jagdgesellschaft Stollhofen (zum Schadenersatz) verpflichtet worden.

Wenn beide beschwerdeführenden Parteien diese Rechtsauffassung der belangten Behörde rügen, so ist ihnen im Ergebnis zuzustimmen. Es kommt im Hinblick auf den Wortlaut und Zweck des zitierten, von der Landeskommission völlig außer acht gelassenen §101 Abs2 NÖ JagdG, welcher im Zusammenhalt mit §27 Abs8 zu verstehen ist, einer Gesetzlosigkeit gleich und stellt sohin eine denkunmögliche Gesetzeshandhabung dar, Personen, die zum Zeitpunkt der Entstehung des Schadens der Jagdgesellschaft nicht als Mitglieder angehörten, zum Schadenersatz heranzuziehen; das Gesetz enthält keinen wie immer gearteten Hinweis darauf, daß ein später aufgenommener Jagdgesellschafter für Verbindlichkeiten der Jagdgesellschaft haftet, die vor seiner Aufnahme entstanden sind.

Es liegt sohin ein Fehler bei der Erlassung der in das Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Parteien eingreifenden Bescheide vor, welcher im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 11650/1988) eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums begründet, sodaß die angefochtenen Bescheide aufzuheben sind. Demnach erscheint es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Betrag entfallen jeweils 5.000 S auf die Umsatzsteuer.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Jagdrecht, Wildschaden, Schadenersatz, Jagd- und Wildschadenskommission, Öffentlichkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B845.1992

Dokumentnummer

JFT_10069385_92B00845_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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