TE Vwgh Erkenntnis 1995/8/8 92/14/0137

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Veröffentlicht am 08.08.1995
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §236 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der B GmbH & Co KG in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 26. Mai 1992, Zl 167/11-10/F-1992, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende KG stellte im August 1986 einen Antrag auf Nachsicht eines Betrages von rd S 1,3 Mio. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß - zur Abwendung des drohenden Konkurses -nur mehr die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen verblieben sei. Der einzige Interessent, die Fa F, habe den Eintritt als Gesellschafter u. a. davon abhängig gemacht, daß der bisherige Hauptgesellschafter, Ing. S, Eigenmittel in Höhe von S 3 Mio nachschießt und ein Schuldnachlaß der Gläubiger von mindestens 50 % erfolge. Die Voraussetzungen seien fast erfüllt. Von der Fa F seien S 5,5 Mio eingebracht worden, Ing. S habe durch Belastung seines Wohnhauses und Ausschöpfung aller finanzieller Möglichkeiten S 3 Mio aufgebracht. Von den Gläubigern seien durchschnittlich 55 % Schuldnachlaß gewährt worden. Beim Finanzamt hafteten "derzeit" rd S 2,3 Mio aus, dieser Saldo erhöhe sich durch die Umsatzsteuer aus den Schuldnachlässen auf S 3,1 Mio. Durch die volle und sofortige Entrichtung würde das gesamte Sanierungskonzept hinfällig.

Im September 1987 verfügte das Finanzamt die Aussetzung der Einhebung gemäß § 231 BAO hinsichtlich eines Betrages von S 1,262.335,84; im Oktober 1987 wurde der Antrag auf Nachsicht bescheidmäßig mit dem nicht näher begründeten Hinweis darauf, daß die Existenzgefährdung in "geradezu fahrlässiger Weise" herbeigeführt worden sei, abgewiesen. Unter Hinweis auf die oben angeführte Aussetzung der Einbringung wurde bemerkt, daß hinsichtlich des restlichen Rückstandes in Höhe von S 832.439,-solange keine Einbringungsschritte unternommen würden, als Monatsraten zu je S 30.000,-- bezahlt werden.

Am 25. März 1988 stellte die Beschwerdeführerin neuerlich ein Ansuchen auf Nachsicht, diesmal in Höhe von S 1 Mio. Dies unter Hinweis auf das bereits im vorerwähnten Nachsichtsansuchen erwähnte Sanierungskonzept und darauf, daß seit Eintritt der Fa F als Beteiligter sämtliche steuerlichen Verpflichtungen stets pünktlich erfüllt worden seien. Der Gesamtrückstand habe sich auf rd S 1,7 Mio vermindert. Trotz guter Auftragslage sei die Beschwerdeführerin nicht in der Lage, auf den aushaftenden Rückstand größere Beträge als die bewilligten S 30.000,-- monatlich zu bezahlen. Zusätzliche Kreditmittel stünden nicht mehr zur Verfügung. Innerbetriebliche Einsparungen müßten gewährleisten, daß künftig positive Betriebsergebnisse die Verluste der Vergangenheit ausgleichen könnten. Die Beschwerdeführerin sei gewillt und bemüht, auch weiterhin ihre steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen, die immerhin 40 Arbeitsplätze zu erhalten und positive Betriebsergebnisse zu erzielen.

Im November 1989 wies das Finanzamt diesen Antrag ungeachtet einer darin erwähnten früheren Inaussichtstellung der Abgabennachsicht ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Mai 1992 wies die belangte Behörde eine gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung ab. Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß im gegenständlichen Fall ein allgemeiner quotenmäßiger Forderungsverzicht anderer Gläubiger vorliege, weshalb die Berufungsbehörde eine Unbilligkeit der Einhebung der aushaftenden Abgaben, deren Nachsicht begehrt worden sei, nicht "von vornherein verneinen" könne. Die Behörde dürfe aber auch bei Anerkennung der Unbilligkeit die Nachsicht ablehnen, wenn sie sich im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht von unsachlichen Erwägungen leiten lasse. Die Erwägungen, aus welchen die Nachsicht im Rahmen der Ermessensentscheidung verweigert wurde, stellte die belangte Behörde wie folgt dar: Die Beschwerdeführerin habe die beantragte Nachsicht in ihr Sanierungskonzept bereits eingebaut. Durch die Aussetzung der Einbringung eines Teilbetrages sei die Abgabenbehörde mit einem zinsenfreien Moratorium dem Unternehmen entgegengekommen. Die Entrichtung von rd S 540.000,-- mit Umsatzsteuerguthaben habe zwar die Nachsichtswerberin mit weiteren Kapitalkosten belastet, dennoch hätten die Bankverbindlichkeiten laufend reduziert werden können. Zudem sei im vergangenen Geschäftsjahr ein beträchtlicher Gewinn erwirtschaftet worden. Die Berufungswerberin selbst sehe keine Gefahr einer Insolvenz. Die Einhebung bzw Einbehaltung des Nachsichtsbetrages habe keine unmittelbaren existenzgefährdenden Folgen, es könne lediglich zu Verzögerungen beim Abbau anderer Verbindlichkeiten und zu einer Beeinträchtigung der Liquiditätslage kommen. Derartige Folgen könnten aber bereits durch die Bewilligung von Ratenzahlungen gemildert werden. Die Nachsicht stelle zwar für das Unternehmen den betriebswirtschaftlich besten Beitrag der Abgabenbehörde für die Sanierung dar, doch sei dieser mit einem überdurchschnittlichen Abgabenausfall für den Staatshaushalt verbunden. Der Nachsichtsbetrag bestehe nämlich zum überwiegenden Teil (rd S 780.000,--) aus auf Grund des allgemeinen Forderungsverzichtes rückverrechneter Vorsteuer. Diese Vorsteuer sei bereits vom Unternehmen bei laufend anfallender Umsatzsteuer in Abzug gebracht worden. Deren Nachsicht würde nun zu einem doppelten Abgabenausfall führen. Die Beschwerdeführerin bestreite nicht, daß das Unternehmen überschuldet sei und ein auf Grund der Nachsicht entstehendes Guthaben zur Tilgung anderer Schulden herangezogen würde. Zwar würde die Nachsicht sicherlich die Liquiditätslage der Beschwerdeführerin verbessern, doch könne diese auf Grund der Schulden bei anderen Gläubigern (zB Banken S 16,664.000,--) keine nachhaltig wesentliche Auswirkung haben. Schon aus diesen Gründen werde die Nachsicht des bereits entrichteten Abgabenbetrages unzweckmäßig sein. Daran ändere im wesentlichen auch der Umstand nichts, daß die "Tilgung der S 540.000,-" fremdfinanziert worden sei. Da zuletzt die "anderen" Schulden ohnehin um S 2,321.000,-- verringert worden seien, sei es nicht unbillig, auch einen Teil davon zur Reduzierung der Abgabenschuldigkeiten aufzuwenden, zumal die Beschwerdeführerin durch die bisherigen Schuldentilgungen nicht unmittelbar in ihrer Existenz bedroht worden sei. Angesichts der Ertragslage des Unternehmens (voraussichtlicher Jahresgewinn 1991/92 - ohne AfA - von rd S 4,8 Mio) und des Umstandes, daß "der Gewinnzufluß zum Ausgleich angefallener Verluste gedient" habe, sei es nicht zweckmäßig, derzeit auf die Einhebung der noch aushaftenden Abgabenschuldigkeiten zu verzichten, zumal von der positiven Entwicklung des Unternehmens auch andere Gläubiger profitierten. Die Entrichtung der noch aushaftenden Abgabenschuldigkeiten im Zuge eines Abstattungsplanes dürfte der Beschwerdeführerin zumutbar sein, da sie für die Tilgung anderer Schulden weit höhere Aufwendungen in Kauf nehme. Bisherige Ratenzahlungen seien zwar fremdfinanziert worden, allfällige negative wirtschaftliche Auswirkungen möglicher, zukünftiger Teilzahlungen seien jedoch trotz Vorhaltes nicht konkret dargetan worden. Wenn die Beschwerdeführerin darauf hinweise, daß die Sanierungsmaßnahmen positiv verlaufen und nach Übernahme der Gesellschaftsanteile durch die Fa F keinerlei Steuerrückstände entstanden seien, so sei den oben angeführten, dem öffentlichen Anliegen an der Einbringung der Abgaben Rechnung tragenden Zweckmäßigkeitsargumenten doch mehr Gewicht beizumessen und eine Nachsicht abzulehnen. Die Berufungsbehörde verkenne nicht, daß sich durch diese Entscheidung zwar die nachhaltige Verbesserung der Liquiditätslage des Unternehmens etwas verzögern werde, doch sei auch der Umstand zu berücksichtigen, daß durch eine Nachsicht auf Grund des Umsatzsteuersystems ein unverhältnismäßiger Abgabenausfall entstehen würde, der mit dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Umsatzsteuer nicht vereinbar wäre und andere Maßnahmen (zB Bewilligung von Zahlungserleichterungen) nach Ansicht der Behörde schon ausreichten, um eine unmittelbare Existenzgefährdung des Betriebes abzuwenden.

Durch den angefochtenen Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem gemäß S 236 BAO gewährleisteten Recht auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten verletzt und beantragt deren Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, dann ist für die Ermessensentscheidung kein Raum mehr, bejaht sie diese Frage, hat die belangte Behörde im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden.

Wie sich nun aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, hat die belangte Behörde die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten im vorliegenden Fall unbillig ist - im Hinblick auf das angeführte Sanierungskonzept der Beschwerdeführerin auch unter Berücksichtigung der nach dem Inhalt der Verwaltungsakten in Aussicht gestellten Nachsicht -, bejaht, womit die Voraussetzung für eine von ihr zu treffende Ermessensentscheidung gegeben ist. Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Gerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches - nicht der Fall gewesen ist (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 21. Februar 1990, 89/13/0044). Ermessensentscheidungen sind daher von der belangten Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen soweit aufzuzeigen, daß den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist. Letztlich hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auch zu überprüfen, ob das Verwaltungsverfahren, das mit der Ermessensentscheidung geendet hat, den gesetzlichen Verfahrensbestimmungen entsprach oder nicht.

Im Beschwerdefall ist der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen, daß die belangte Behörde das Zweckmäßigkeitsmoment allein vom Standpunkt des Gedankens der umfassenden und vollständigen Einbringung fälliger Abgaben beurteilt hat. Die beantragte Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten wird letztlich nämlich mit der Begründung abgelehnt, daß sich die wirtschaftliche Situation der Beschwerdeführerin bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides soweit gebessert habe, daß eine Nachsicht nicht mehr zweckmäßig wäre, ohne aber in irgendeiner Weise die Gründe, insbesondere den in anderem Zusammenhang als erwiesen angenommenen allgemeinen Verzicht der Gläubiger (mit Ausnahme des Abgabengläubigers) auf erhebliche Teile ihrer Forderungen für diese Besserung der wirtschaftlichen Situation zu berücksichtigen. Sowohl bei ihren Ausführungen, die Beschwerdeführerin nehme für die Tilgung anderer Schulden (als der Abgabenschulden) weit höhere Aufwendungen in Kauf, als auch mit ihrem Hinweis darauf, daß von der positiven Entwicklung des Unternehmens "auch andere Gläubiger" profitierten, vernachlässigt die belangte Behörde den von "anderen Gläubigern" bereits erfolgten Forderungsverzicht. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß für den Fall einer Nachsicht hinsichtlich der nach dem angefochtenen Bescheid im Nachsichtsbetrag zum überwiegenden Teil enthaltenen, aus dem Grunde der erwähnten Forderungsverzichte rückverrechneter Vorsteuerbeträge kein "überdurchschnittlicher" oder "doppelter" Abgabenausfall für den Staatshaushalt gesehen werden kann. Einer geltend gemachten Vorsteuer steht nämlich grundsätzlich die abzuführende Umsatzsteuer gegenüber. Erfährt nun diese Umsatzsteuer eine Minderung (durch einen Forderungsverzicht), so bleibt dieser Umstand durch die Rückverrechnung der geltend gemachten Vorsteuer (gemäß 16 UStG) für den Staatshaushalt zunächst neutral. Ein allenfalls (durch Nachsicht) folgender Verzicht auf die (rückgeholte) Vorsteuer bewirkt daher nur einen "einfachen" Abgabenausfall. Der Gerichtshof teilt die Ansicht von Stoll, BAO, Kommentar, 2446, daß die Vorschriften über über eine Nachsicht sinnlos wären, wenn die Gesamtsteuerrechtsordnung keinen anderen Zweck verfolgte als den, alle Abgaben ausnahmslos einzubringen.

Zweckmäßigkeitserwägungen müssen daher unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß eine Nachsicht durchaus mit den öffentlichen Interessen der Abgabeneinhebung vereinbar sein kann, angestellt werden. Die Ermöglichung der wirtschaftlichen Erholung und Gesundung eines Betriebes und die damit verbundene Erhaltung einer Steuerquelle liegt durchaus auch im Interesse des Abgabengläubigers, weshalb der Umstand, daß die Beschwerdeführerin die beantragte Nachsicht in ihr Sanierungskonzept - im übrigen nach einer in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides Ausdruck findenden Inaussichtsstellung - eingebaut hat, nicht gegen die Nachsicht spricht, auch wenn die Sanierung vorerst ohne Beitrag des Abgabengläubigers erfolgversprechend verlaufen ist. Unter den gegebenen Umständen kann auch der Ansicht nicht gefolgt werden, daß eine antragsgemäße Nachsicht trotz hoher Bankverbindlichkeiten keine nachhaltige wesentliche Auswirkung auf die vollständigere oder (auch im Interessen des Abgabengläubigers liegende) raschere Sanierung der Beschwerdeführerin haben könne.

Da die belangte Behörde insofern bei der von ihr nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu treffenden Ermessensentscheidung die Rechtslage verkannt hat, hat sie sich mit für die Nachsicht sprechenden Billigkeitsgründen, insbesondere mit der - wie erwähnt - in Aussicht gestellten Nachsicht nicht auseinandergesetzt. Es ist daher der Ansicht der Beschwerdeführerin im Ergebnis zuzustimmen, daß der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist, weshalb er gemäß § 42 Abs 1 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.

W i e n , am 8. August 1996

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992140137.X00

Im RIS seit

06.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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