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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgteLeitsatz
Zurückweisung einer Beschwerde mangels Vorliegen eines Aktes behördlicher Befehls- und ZwangsgewaltSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zuhanden der Finanzprokuratur die mit 25.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Begründung:
I. 1. In der auf Art144 B-VG (in der vor der B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685, geltenden Fassung) gestützten Beschwerde bringt der Einschreiter im wesentlichen vor, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien gegen ihn einen Haftbefehl erlassen habe, der jedoch am 13. April 1990 aufgehoben worden sei. Als er sich am 27. April 1990 um etwa 18.00 Uhr in seiner Wohnung (in Wien 4) befunden habe, sei er von vier uniformierten Beamten der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen worden. Er habe den Beamten erklärt, daß der Haftbefehl nicht mehr aufrecht sei, worauf sich diese fernmündlich erkundigt hätten; die Verhaftung sei nach 15 Minuten aufgehoben worden, nachdem sich die Beamten von der Richtigkeit seines Vorbringens überzeugt hätten.
Der Beschwerdeführer begehrt die Feststellung, daß er durch die Festnahme sowie die etwa eine Viertelstunde dauernde Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
2. Die Finanzprokuratur als Vertreterin der belangten Bundespolizeidirektion Wien legte den bezughabenden Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der primär die Zurückweisung der Beschwerde beantragt wird, weil die gegen den Beschwerdeführer durchgeführte Amtshandlung nicht als Festnahme zu beurteilen sei. Am 27. April 1990 gegen 18,35 Uhr sei die Besatzung eines Streifenkraftwagens, nämlich Insp. S K und Insp. A L, von der Funkstelle des Bezirkspolizeikommissariats Wieden zur Wohnadresse des Beschwerdeführers wegen des bestehenden Haftbefehls beordert worden. Der (mit einem Morgenmantel bekleidete) Beschwerdeführer habe den Beamten geöffnet, worauf ihm mitgeteilt worden sei, daß gegen ihn ein Haftbefehl bestehe. Nachdem der Beschwerdeführer die Beamten aufgefordert habe, in die Wohnung zu kommen, habe er dort seinen Rechtsanwalt angerufen und - unaufgefordert - Insp. K den Telefonhörer (zwecks Gesprächs mit dem Anwalt) übergeben. Da sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Anwalt angegeben hätten, daß die Angelegenheit hinfällig sei, sei auf Veranlassung von Insp. L vom Journaldienst versehenden Kriminalbeamten des Bezirkspolizeikommissariates eine Terminalanfrage gestellt worden, aufgrund der sich herausgestellt habe, daß der Haftbefehl tatsächlich bereits am 13. April 1990 widerrufen worden sei. Nach einer Mitteilung an den Beschwerdeführer, daß gegen ihn ein aufrechtes Ersuchen des Strafbezirksgerichtes Wien um Ausforschung bestehe, hätten die beiden Beamten unverzüglich die Wohnung verlassen; die Amtshandlung habe 10 bis 15 Minuten gedauert.
3. Der Beschwerdeführer replizierte und brachte insbesondere vor, daß die in die Wohnung gekommenen Beamten (zwei weitere Beamte seien außerhalb der Wohnung verblieben) ihm sofort erklärt hätten, er sei aufgrund eines Haftbefehls des Landesgerichtes für Strafsachen Wien festgenommen. Er habe lediglich vorbringen können, daß der Haftbefehl seit langem aufgehoben sei, sei aber bis zur Feststellung der Richtigkeit dieser Angabe in seiner Freiheit eingeengt gewesen; daß er mit einem Morgenrock bekleidet gewesen sei, habe in bezug auf die Einschränkung seiner Freizügigkeit nichts zu bedeuten. Es könne jedenfalls mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß ihm bewußt gewesen sei, in seiner Freizügigkeit eingeengt zu sein; es wäre ihm zweifellos nicht gestattet worden, vor Feststellung der Richtigkeit seiner Angaben die Wohnung zu verlassen.
II. Vorweg ist festzuhalten, daß die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs, über eine Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu entscheiden, im vorliegenden Fall an sich gegeben wäre (s. ArtIX Abs2 - iVm ArtX Abs1 Z1 - der B-VG-Novelle 1988, demzufolge am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren nach der bisherigen Rechtslage - d.i. jene bis Ablauf des 31. Dezember 1990 - zu Ende zu führen sind). Weiters ist festzuhalten, daß die Beurteilung der stattgefundenen Amtshandlung unter dem Aspekt der Festnahme vor dem Hintergrund der im vorliegenden Fall noch maßgebenden Vorschriften des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, vorzunehmen ist (s. dazu Art8 Abs4 des BVG BGBl. 684/1988).
III. Die Beschwerde erweist sich jedoch als nicht zulässig.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat durch die Vernehmung der beiden gegen den Beschwerdeführer unmittelbar einschreitenden Sicherheitswachebeamten, nämlich des (nunmehrigen Kriminalbeamten) Insp. S K sowie des Insp. A L, als Zeugen im Rechtshilfeweg Beweis erhoben (wogegen eine Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei unterblieb, weil ihm die Ladung weder an der in der Beschwerde angeführten Anschrift noch an der dort dem Postzusteller bekanntgegebenen Adresse zugestellt werden konnte).
Aufgrund der unbedenklichen, schlüssigen und in allen wesentlichen Belangen übereinstimmenden Zeugenaussagen steht unter Bedachtnahme auf das Vorbringen beider Prozeßparteien sowie den vorgelegten Verwaltungsakt folgendes fest: Nachdem sich die Beamten in der Absicht, den (vermeintlich aufrechten) Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer zu vollziehen, am 27. April 1990 zu dessen Wohnung begeben hatten, öffnete ihnen der (mit einem Morgenmantel bekleidete) Beschwerdeführer. Die Beamten gaben ihm als Grund ihres Einschreitens das Vorliegen des Haftbefehls an, worauf sie der Beschwerdeführer in die Wohnung ließ. Dort forderten sie den Beschwerdeführer auf, sich auszuweisen. Er kam diesem Verlangen nach und legitimierte sich mit seinem Reisepaß. Zugleich wies er darauf hin, daß der Haftbefehl nicht mehr aufrecht sei, und führte - ohne daß er daran gehindert worden wäre - ein Ferngespräch mit der Kanzlei seines Rechtsvertreters. Im Hinblick auf die Behauptung des Beschwerdeführers über die Gegenstandslosigkeit des Haftbefehls veranlaßte Insp. L über sein Handfunksprechgerät eine diesbezügliche Überprüfung durch das Bezirkspolizeikommissariat; er erhielt binnen kurzer Zeit die Mitteilung, daß der Haftbefehl widerrufen worden sei. Keiner der beiden einschreitenden Sicherheitswachebeamten gab während des Verlaufs der etwa zehn bis fünfzehn Minuten dauernden Amtshandlung dem Beschwerdeführer gegenüber ausdrücklich die Erklärung ab, daß er festgenommen sei.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (s. zB VfSlg. 7298/1974 oder - aus jüngerer Zeit - VfSlg. 12017/1989) das Vorliegen einer Verhaftung dann angenommen, wenn der Wille der Behörde primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet ist; demgemäß ist eine Beschränkung der physischen Bewegungsfreiheit dann nicht als Verhaftung zu werten, wenn sie nur ein Begleitumstand einer auf andere Zwecke gerichteten Amtshandlung ist. Das Vorgehen der gegen den Beschwerdeführer einschreitenden Sicherheitswachebeamten stellt nun eine derartige, auf andere Zwecke gerichtete Amtshandlung dar. Denn die intervenierenden Beamten überprüften zunächst die Identität des Beschwerdeführers mit der von ihnen gesuchten Person, machten also ihr weiteres Vorgehen bezüglich des Haftbefehls vom Ergebnis dieser Maßnahme abhängig. Grundsätzlich das gleiche trifft für das darauffolgende Verhalten der Beamten zu, nämlich aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers sogleich eine Überprüfung in der Richtung durchzuführen, ob der Haftbefehl etwa widerrufen worden war.
Zusammenfassend folgt aus den dargelegten Erwägungen, daß - entgegen den Annahmen der Beschwerde - keine Festnahme des Beschwerdeführers und sohin kein Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen ihn stattgefunden hat, weshalb die Beschwerde mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes zurückzuweisen ist.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.
IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B582.1990Dokumentnummer
JFT_10069385_90B00582_00