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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AufG 1992 §6 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwältin in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Mai 1995, Zl. 300.197/6-III/11/95, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 29. Mai 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Antrages auf Verlängerung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zurückgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handle es sich bei der Frist des § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes - AufG BGBl. Nr. 466/1992, in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995, um eine materiell-rechtliche Frist, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG nicht in Betracht komme. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist sei daher zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesem Grund aufzuheben.
Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die belangte Behörde hätte die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 9. Juni 1995 geltende Rechtslage anzuwenden gehabt. Im Hinblick auf die Novellierung der Bestimmung des § 6 Abs. 3 AufG könnten Anträge auf Verlängerung einer Bewilligung nunmehr vor Ablauf ihrer Geltungsdauer gestellt werden. Die Beschwerdeführerin habe am 10. November 1994 einen Antrag auf Verlängerung der ihr bis 3. Dezember 1994 erteilten Aufenthaltsbewilligung gestellt. Aus diesem Grund hätte die belangte Behörde unter Anwendung der Rechtslage nach Inkrafttreten der AufG-Novelle 1995 dem Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin Folge geben müssen, um der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage Rechnung zu tragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführerin ist grundsätzlich zuzustimmen, daß Berufungsbehörden bei Bescheiden, die über ein Rechtsgestaltungsbegehren entscheiden, also auch bei der Entscheidung über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung geltende Rechtslage anzuwenden haben (VwSlg. 1971A/8113 u.a.). Damit ist aber nur zum Ausdruck gebracht, daß die Berufungsbehörde die im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides in Geltung stehenden, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnden, Normen (hier: § 71 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991) anzuwenden hat. Bei Prüfung des in § 71 Abs. 1 AVG 1991 enthaltenen Tatbestandsmerkmales "Versäumung einer Frist" war aber sehr wohl zu berücksichtigen, daß der belangten Behörde, die nach dem Beschwerdevorbringen vor Inkrafttreten der AufG-Novelle 1995 in letzter Instanz über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung entschieden hat, die Bewilligung der beantragten Rechtsgestaltung aufgrund der Fristversäumung durch die Beschwerdeführerin nach der im Zeitpunkt der Erlassung dieser Entscheidung geltenden Rechtslage verwehrt war. Für die Beurteilung der Frage, ob die Versäumung einer Frist überhaupt vorliegt und welcher Charakter der versäumten Frist zukommt, ist hier daher auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides, mit dem über den Antrag auf Verlängerung der Bewilligung entschieden wurde, abzustellen. Würde man demgegenüber der - unrichtigen - Auffassung der beschwerdeführenden Partei folgen, wonach die Frist überhaupt nicht versäumt wurde, wäre ihr Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Grunde zu Recht abgewiesen worden.
Die Beschwerdeführerin verkennt nicht, daß die Frist des § 6 Abs. 3 AufG i.d.F. vor Inkrafttreten der AufG-Novelle 1995 nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine materiell-rechtliche Frist ist, gegen die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 AVG nicht in Betracht kommt. Sie tritt dieser Auffassung allerdings unter Berufung auf Weber, Rechtsfragen der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach § 6 AufG in ÖJZ 1994, 378 f, entgegen. Demnach sei bei der Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Fristen darauf abzustellen, ob durch die Frist ein Verfahren ausgelöst werde oder sonstige prozessuale Rechtswirkungen an die Frist geknüpft seien. Im Zweifel gelte die Vermutung für eine prozessuale Frist. Sei hingegen eine Handlung auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet, so stelle eine dafür vorgesehene Frist eine materiell-rechtliche Frist dar. Die in der zitierten Bestimmung vorgesehene Frist würde im wesentlichen auf eine Verfahrenshandlung hinzielen, die die Erzeugung eines Bescheides zum Inhalt habe und damit eine verfahrensrechtliche Frist darstelle. Durch die Versäumung dieser Frist gehe die Berechtigung zum Aufenthalt im Inland nicht unter, dies geschehe vielmehr erst mit Ablauf der Bewilligung selbst. Mit Ablauf der Frist des § 6 Abs. 3 AufG erlösche lediglich das Recht, einen Verlängerungsantrag zu stellen.
Dem ist entgegenzuhalten, daß der Verlängerungsantrag gerade der Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruches des Fremden, nämlich des Anspruches auf VERLÄNGERUNG SEINES AUFENTHALTSRECHTES dient (vgl. das hg. Erk. vom 17. November 1994, Zl. 94/18/0748). Der Verlängerungsantrag ist darüberhinaus auch unmittelbar auf die Herbeiführung materieller Rechtswirkungen gerichtet, zumal sich für den Fall der rechtzeitigen Antragstellung die Geltungsdauer der bestehenden Bewilligung - bei nicht rechtzeitiger Entscheidung über den Antrag vor ihrem Ablauf - bis zum Entscheidungszeitpunkt, längstens aber um 6 Wochen verlängert. Schon aus dieser - bloß durch die rechtzeitige Antragstellung bewirkten - Gestaltung der materiellen Rechtslage erscheint die Annahme einer (bloß) prozessualen Frist nicht gerechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher aufgrund der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht veranlaßt, von seiner ständigen Rechtsprechung zu § 6 Abs. 3 AufG i.d.F. vor der AufG-Novelle 1995 abzugehen.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995190459.X00Im RIS seit
11.07.2001