TE Vwgh Erkenntnis 1995/8/31 95/19/0075

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Veröffentlicht am 31.08.1995
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
24/01 Strafgesetzbuch;
25/01 Strafprozess;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
B-VG Art91;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
StGB §242;
StGB §244;
StGB §246;
StGB §249;
StGB §250;
StGB §251;
StPO 1975 §14 Abs1 Z2;
StPO 1975 §14 Abs1 Z3;
StPO 1975 §14 Abs1 Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der S in T, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. März 1995, Zl. 4.326.846/17-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Ghanas und am 11. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Am darauffolgenden Tag stellte sie den Antrag, ihr Asyl zu gewähren. Anläßlich ihrer niederschriftlichen Befragung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 14. November 1991 gab sie entscheidungswesentlich an, daß ihr ehemaliger Mann, der Hauptmann in der Armee Ghanas gewesen sei, am 3. Juli 1991 mit zwanzig anderen Offizieren nach Hause gekommen sei. Sie habe - obwohl diese als alte Freunde ausgegeben worden seien - später herausgefunden, daß er einen Putsch plane. Als die Beschwerdeführerin ihren Mann gebeten habe, auf die Familie Rücksicht zu nehmen und von seinem Vorhaben abzulassen, habe er ihr ein Flugticket besorgt und erklärt, daß die Kinder sicher sein würden. Die Beschwerdeführerin habe sich daraufhin scheiden lassen und danach ihre Kinder zu ihrer Mutter gebracht. Am 13. August 1991 habe sie ihren Heimatstaat nach Bulgarien verlassen. Von dort sei sie nach Rumänien gereist, wo sie vom Scheitern des Putsches und von der Verhaftung ihres Mannes erfahren habe. Es sei ihr nicht mehr möglich, nach Hause zurückzukehren, da sie von den Behörden ihres Heimatlandes für eine "Putschistin" gehalten würde; sie sei bei den Besprechungen im Hause ihres Mannes anwesend gewesen. Im Falle ihrer Heimkehr habe sie mit der Todesstrafe zu rechnen. Information über ihren ehemaligen Mann habe sie nicht.

Mit Bescheid vom 20. November 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling (im Sinne des Asylgesetzes (1968)) sei.

Mit dem Bescheid vom 8. März 1995 wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin im wesentlichen mit der Begründung verneint, daß es sich bei der Teilnahme an einem Putsch als aktives Mitglied um ein rein kriminelles Delikt handle; eine Reaktion des Staates darauf könne nicht als Verfolgungshandlung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 angesehen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt jedoch diese Rechtsansicht nicht. Bei einem "Putsch" handelt es sich nach dem allgemeinen Verständnis um einen mit staatsstreichähnlicher Technik durchgeführten Umsturz bzw. Umsturzversuch zur Übernahme der Staatsgewalt, der in der Regel von kleineren subalternen Gruppen (etwa von Militärs) durchgeführt wird, die im Gegensatz zu den Initiatoren eines Staatsstreiches noch nicht Teilhaber der Staatsgewalt sind (vgl. etwa Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1977) Band 19, 425). Ebenso wie beim Staatsstreich muß darin ein politisch motiviertes Vorgehen erblickt werden, ist die Aktion der Putschisten doch gerade gegen die Träger der Staatsgewalt gerichtet. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß derartige Umsturzversuche (im Falle ihres Mißlingens) strafrechtlich verfolgt werden. So stellt etwa auch das österreichische Strafrecht hier in Betracht kommende Verhaltensweisen unter Strafe (vgl. etwa die §§ 242, 244, 246 sowie 249 bis 251 StGB); wegen des POLITISCHEN CHARAKTERS dieser Straftaten obliegt jedoch die Hauptverhandlung und Urteilsfällung darüber den Geschwornengerichten (vgl. § 14 Abs. 1 Z. 2, 3 und 5 StPO in Verbindung mit Art. 91 B-VG). Es kann somit - im Gegensatz zur Ansicht der belangten Behörde - aus der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens (selbst unter Zugrundelegung der Rechtsordnung eines demokratischen Staates) alleine nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß die Verfolgung einer Person nicht mit deren politischer Gesinnung im Zusammenhang stünde. (Ob allenfalls ein Asylausschlußgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention in Betracht käme, war im vorliegenden Fall nicht zu erörtern.)

Soweit die belangte Behörde weiters im Hinblick auf die Änderung der (verfassungsrechtlichen) Situation in Ghana die Ansicht vertritt, der Beschwerdeführerin wäre es zumutbar, sich den ordentlichen Gerichten ihres Landes zu stellen, verweist die Beschwerdeführerin darauf, daß zwar eine Änderung der Verfassung in Ghana vorgenommen worden sei, daß jedoch gegen Personen, die in Putschversuche gegen die seinerzeitige Regierung involviert gewesen seien, nach wie vor unter Mißachtung rechtsstaatlicher Grundsätze und in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde; zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch, daß trotz formeller Veränderung in Ghana die selben Personen, insbesondere der Staatsführer, an der Macht geblieben seien. Hätte die belangte Behörde ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, wären diese Umstände zutage getreten.

Damit macht die Beschwerdeführerin zutreffend einen Mangel des Berufungsverfahrens geltend, hat doch die belangte Behörde sich mit diesen nicht von vornherein unschlüssigen Behauptungen in keiner Weise auseinandergesetzt.

Schon aus den vorangeführten Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995190075.X00

Im RIS seit

05.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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