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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §69 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der Mag.pharm. G in N, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 2. März 1995, Zl. 262.011/4-II/A/4/94, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Gesundheit und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 28. Mai 1993 erteilte die belangte Behörde dem Dr. Johann D. die Bewilligung zum Betrieb einer ärztlichen Hausapotheke in St. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 29. Mai 1995, Zl. 93/10/0138, als unbegründet ab. Zur weiteren Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf die Entscheidungsgründe des soeben genannten Vorerkenntnisses verwiesen.
Mit einem an den Landeshauptmann von Steiermark gerichteten, am 3. Februar 1994 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des mit dem Bescheid vom 28. Mai 1993 abgeschlossenen Verfahrens der belangten Behörde. Sie legte dar, der Bescheid beruhe wesentlich auf der Auffassung, Dr. D. sei im Sinne des § 29 Abs. 2 ApG Nachfolger des Dr. Anton S. Sie habe zufällig Mitte Jänner 1994 die Witwe und die Tochter des Dr. S., mit denen sie "nicht persönlich bekannt" sei, getroffen, die von sich aus und spontan eine Erklärung vom 20. Jänner 1994 ausgestellt hätten. Die (dem Schriftsatz beigelegte) Erklärung hat folgenden Wortlaut:
"Als weiteres Beweismittel zum Vorbringen der Verfassungsgerichtshof-Beschwerde lege ich eine Erklärung der Frau Cordula S., Gattin des verstorbenen OMR Dr. Anton S. und der Tochter Ingrid S., beide wohnhaft in St., bei.
Die beiden Damen stellen fest, daß Dr. Anton S. bereits ein halbes Jahr vor der endgültigen Niederlegung seiner gesamtärztlichen Praxis nicht mehr voll ordinierte. Weiters wird bestätigt, daß eine Übergabe der Patientenkartei nicht stattgefunden hat. Auch wurden keine Medikamente bzw. Einrichtungsgegenstände aus der bestehenden Hausapotheke von Dr. S. an Dr. D. verkauft. Es wurden auch die Außenstände der ehemaligen Patienten von Dr. S. mit Dr. D. nie verrechnet."
St., 20.1.1994"
Aus dieser Erklärung folge, daß die belangte Behörde zu Unrecht die Nachfolgereigenschaft des Dr. D. nach Dr. S. angenommen habe.
Der belangten Behörde kam ferner im Wege des Verfassungsgerichtshofes ein an diesen gerichtetes Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. Juli 1994 zu. Darin wird - unter Vorlage eines Schreibens des Bürgermeisters der Gemeinde St. vom 11. Juli 1994 - dargelegt, eine im Verwaltungsverfahren abgegebene Eklärung der Gemeinde St., wonach Dr. D. Nachfolger des Dr. S. sei, beruhe auf "Unkenntnis der apothekenrechtlichen Bedeutung des Nachfolgebegriffes". Im erwähnten Schreiben teilt der Bürgermeister der Gemeinde St. unter Bezugnahme auf ein früheres Schreiben mit, Dr. S. habe seit Jänner 1978 seine Ordination nicht mehr geführt. Der zweite in St. praktizierende Arzt sei am 10. Juli 1979 verstorben. Ab diesem Zeitpunkt habe bis zur Aufnahme der ärztlichen Tätigkeit in St. durch Dr. D. dort kein Arzt praktiziert. Unter dem Begriff "Nachfolge" im erwähnten Schreiben sei somit verstanden worden, daß Dr. D. der dem Dr. S. und dem Dr. F. nachfolgende praktische Arzt gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin zurück. Nach Darlegung des Verfahrensgeschehens wird begründend - unter Hinweis auf die Begründung des Bescheides vom 28. Mai 1993 - zunächst die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführerin käme keine Parteistellung im Verfahren über die Bewilligung der ärztlichen Hausapotheke des Dr. D. zu; ihr Wiederaufnahmsantrag sei daher unzulässig. Selbst unter Annahme der Parteistellung der Beschwerdeführerin im Hausapothekenbewilligungsverfahren hätten die zur Begründung des Wiederaufnahmsantrages vorgelegten Unterlagen keinen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeiführen können. Die im Schreiben vom 20. Jänner 1994 abgegebenen Äußerungen der Witwe und der Tochter von Dr. S. seien weder Neuerungen noch für die rechtliche Beurteilung der Nachfolgequalifikation im Sinne des § 29 ApG rechtlich erheblich. Es sei der belangten Behörde bekannt gewesen, daß zwischen der Einstellung der ärztlichen Tätigkeit von Dr. S. und der Aufnahme der Tätigkeit des Dr. D. eine zeitliche Vakanz gelegen sei. Maßgeblich für die Nachfolgeeigenschaft sei in erster Linie die Identität des Patientenkreises. Die Übernahme von Betriebsmitteln, wie etwa der Ordinationseinrichtung, trete in den Hintergrund. § 29 Abs. 2 ApG stelle auf eine rechtliche Beziehung zwischen Vorgänger und Nachfolger nicht ab. Auch im Schreiben des Gemeindeamtes St. könne kein Neuerungstatbestand gesehen werden. Die Wortwahl "Nachfolge" seitens der Gemeinde habe für die Entscheidung keine Rolle gespielt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem ihr gemäß § 69 AVG zustehenden Recht verletzt, daß ein Verwaltungsverfahren dann wieder aufzunehmen sei, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkämen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden können, da die belangte Behörde, obwohl die Beschwerdeführerin neue Beweismittel habe vorlegen können, das dem Bescheid vom 28. Mai 1993 zugrundeliegende Verwaltungsverfahren nicht wieder aufgenommen habe.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin vertritt zunächst (mit näherer Begründung) die Auffassung, ihr sei im Verfahren über den Antrag des Dr. D. auf Bewilligung des Betriebes einer ärztlichen Hausapotheke Parteistellung zugekommen. Mit dieser Auffassung ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht; des näheren wird hiezu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Vorerkenntnisses verwiesen. Dies kann der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg verhelfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach der Anordnung des § 41 VwGG nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Beschwerdeführers verletzt wurde, sondern nur, ob jenes verletzt wurde, dessen Verletzung er behauptet (Beschwerdepunkt; vgl. § 28 Abs. 1 Z. 4 iVm § 41 Abs. 1 VwGG). Durch den Beschwerdepunkt wird der Prozeßgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides gebunden ist. Vom Beschwerdepunkt zu unterscheiden sind die Beschwerdegründe des § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG und die Aufhebungstatbestände des § 42 Abs. 2 VwGG, an die keine Bindung des Verwaltungsgerichtshofes besteht (vgl. z.B. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. 11525/A).
Im Beschwerdefall läge - im Hinblick auf den ausdrücklich geltend gemachten Beschwerdepunkt, wonach sich die Beschwerdeführerin (nicht etwa im Recht auf Sachentscheidung, sondern) im Recht verletzt erachtet, daß das Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die von ihr vorgelegten "neuen" Beweismittel wieder aufgenommen werde - ungeachtet der auf einer verfehlten Auffassung beruhenden Zurückweisung des Antrages eine relevante Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn dem Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin hätte stattgegeben werden müssen. Dies ist jedoch, wie die belangte Behörde in der Hilfsbegründung ihres Bescheides zutreffend aufzeigt, nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin gründete ihren Wiederaufnahmsantrag auf eine von der Witwe und der Tochter des Dr. S. abgegebenen Erklärung, wonach "die beiden Damen feststellen, daß Dr. S. bereits ein halbes Jahr vor der endgültigen Niederlegung seiner gesamtärztlichen Praxis nicht mehr voll ordinierte". Eine Übergabe der Patientenkartei habe nicht stattgefunden. "Medikamente bzw. Einrichtungsgegenstände aus der bestehenden Hausapotheke" seien nicht an Dr. D. verkauft worden. Die Außenstände seien nicht verrechnet worden.
Vorausetzung der Verfügung der Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall schon deshalb nicht vor, weil das vorgelegte neue Beweismittel nicht geeignet war, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeizuführen. Dem Bescheid der belangten Behörde vom 28. Mai 1993 lag tragend u.a. die Auffassung zugrunde, der Antragsteller (Dr. D.) sei "Nachfolger eines praktischen Arztes mit Hausapothekenbewilligung" (nämlich des Dr. S.) im Sinne des § 29 Abs. 2 ApG. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit dem Nachfolgetatbestand im Vorerkenntnis als maßgeblich angesehen, daß Dr. D. im Zeitpunkt der Aufnahme seiner ärztlichen Tätigkeit in St. dort der einzige praktische Arzt war; es entspreche der allgemeinen Erfahrung, daß sich unter diesen Umständen der gesamte in Betracht kommende Patientenkreis dem Dr. D. zugewendet habe. Die für die "Nachfolgereigenschaft" vorausgesetzte zeitliche Nahebeziehung zur Tätigkeit des Vorgängers (Dr. S.) sah der Gerichtshof im Beschwerdefall als gegeben an; der von der Beschwerdeführerin vorgetragene Umstand, daß "nur noch wenige Patienten Dr. S. konsultiert" hätten, wurde nicht als relevant angesehen, weil es nicht auf die Anzahl der vom Vorgänger betreuten Patienten ankommt. Weiters wurde unter Hinweis auf Vorjudikatur (Erkenntnisse vom 30. Juni 1988, Zl. 88/08/0149, und vom 27. März 1991, Zl. 90/10/0117) dargelegt, daß die Übernahme von Betriebsmitteln, etwa der Ordinationseinrichtung, nicht wesentlich ist. Bei jenen Umständen, die in der Erklärung vom 20. Jänner 1994 angesprochen werden, handelt es sich somit durchwegs um solche, die schon im Vorerkenntnis als nicht geeignet angesehen wurden, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Die Erklärung vom 20. Jänner 1994 und das darauf beruhende Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Wiederaufnahmsantrag stellen somit den Neuerungstatbestand im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG nicht her.
Was die vom Bürgermeister der Gemeinde St. unterfertigte Erklärung vom 11. Juli 1994 angeht, auf die sich sowohl der angefochtene Bescheid als auch die Beschwerde ebenfalls beziehen, kann auf sich beruhen, ob insoweit eine Rechtsverletzung etwa schon deshalb nicht vorliegt, weil sich die Beschwerdeführerin gegenüber der belangten Behörde auf dieses Beweismittel, das der belangten Behörde im Wege des Verfassungsgerichtshofes und ohne Bezugnahme auf den Wiederaufnahmsantrag zukam, zur Begründung ihres Wiederaufnahmsantrages gar nicht bezogen hatte. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Vorerkenntnis dargelegt, daß es nicht darauf ankommt, ob ein Gemeindeorgan einen Sachverhalt, der aus der Mitteilung gar nicht hervorgeht, rechtlich als "Nachfolge nach einem praktischen Arzt" qualifiziert hat. Ebensowenig ist daher von Bedeutung, welche Äußerungen nachträglich über den Aussagegehalt der erwähnten Mitteilung abgegeben werden. Auch insoweit fehlt somit die Eignung des Beweismittels, einen im Hauptinhalt des Spruches anderen Bescheid herbeizuführen.
Die geltend gemachte Rechtsverletzung liegt somit nicht vor; die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995100082.X00Im RIS seit
20.11.2000