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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 27. April 1995, Zl. 18.341/07-IA8/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 30. Jänner 1995 hatte die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 22. Jänner 1994 als verspätet zurückgewiesen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Berufungsschriftsatz an das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung adressiert gewesen. Bei der Behörde erster Instanz sei der (an diese weitergeleitete) Schriftsatz nach Ablauf der Berufungsfrist eingelangt.
Die Beschwerdeführerin begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit folgender Begründung: Ihr Rechtsanwalt habe am 14. Dezember 1994 die von ihm diktierte Berufungsschrift gegen
14.30 Uhr zur Kontrolle und Unterfertigung vorgelegt erhalten. Anläßlich der Kontrolle sei ihm aufgefallen, daß die Berufung an die falsche Behörde adressiert gewesen sei. Er habe die Kanzleileiterin angewiesen, eine "entsprechende Korrektur der Adressierung an die Bezirkshauptmannschaft vorzunehmen." Er habe die Unterschrift vorweg auf die noch unkorrigierte Fassung der Berufungsschrift gesetzt und sich darauf verlassen, daß die Verbesserung vor Abfertigung des Schriftsatzes vorgenommen werde. Er habe sich auf die Erfüllung dieser Weisung durch die Kanzleileiterin verlassen, weil diese sich auf Grund ihrer seit Jahren ausgeübten Tätigkeit als besonders aufmerksame und zuverlässige Kanzleikraft erwiesen habe, die mit den verantwortungsvollsten Tätigkeiten im Rahmen der Kanzleiorganisation betraut sei und diese bisher fehlerlos wahrgenommen habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend wurde nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage die Auffassung vertreten, es liege ein - die Wiedereinsetzung hinderndes - fahrlässiges Verhalten vor, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz mit unrichtigem Adressaten unterfertige und sich mit der Weisung, die Adresse richtigzustellen, begnüge, ohne die Durchführung der Korrektur zu überwachen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend; es wird die Auffassung vertreten, es liege auf seiten des Rechtsanwaltes der Beschwerdeführerin ein minderer Grad des Versehens an der Fristversäumnis vor, weil dieser sich grundsätzlich darauf habe verlassen können, daß seine Weisung befolgt werde; eine Kontrolle sei nicht möglich gewesen, weil der Rechtsanwalt einen auswärtigen Termin habe wahrnehmen müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumung, das einen "minderen Grad des Versehens" übersteigt, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das Verschulden des Vertreters der Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen eines Kanzleibediensteten ist für einen Rechtsanwalt (und damit für die von ihm vertretene Partei) nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Liegen Organisationsmängel vor, wodurch nicht gewährleistet ist, daß mit Präklusion sanktionierte Prozeßhandlungen fristgerecht erfolgen, oder hat der Vertreter das Bestehen einer Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt, kann nicht mehr von einem bloßen minderen Grad des Versehens gesprochen werden (vgl. z.B. den Beschluß vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116).
Der Überwachungspflicht wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn der Rechtsanwalt einen in einem wesentlichen Punkt (hier: der Bezeichnung der Stelle, an die der Schriftsatz gerichtet ist) richtig zu stellenden Schriftsatz unterfertigt und sich mit der Weisung begnügt, eine Korrektur durchzuführen, ohne diese zu überwachen (vgl. zB die Erkenntnisse
vom 11. März 1982, Zl. 82/06/0018, vom 23. Mai 1985, Zl. 85/06/0003, und vom 5. Juni 1987, Zl. 87/18/0064). Angesichts des Fehlens jeglicher Überwachung durch den Rechtsanwalt kann von einem minderen Grad des Versehens auch dann keine Rede sein, wenn er mit der Korrektur eine besonders verläßliche Kanzleikraft betraut hat (vgl. zB den Beschluß vom 12. März 1991, Zl. 91/07/0015 = Slg. 13402/A). Daß der Rechtsanwalt am letzten Tag der Berufungsfrist eine mündliche Verhandlung zu verrichten hatte, stellt keinen Umstand dar, der bei der Lösung der Frage, ob das Verschulden an der Fristversäumnis einen minderen Grad des Versehens übersteigt, zu berücksichtigen wäre.
Der von der Beschwerdeführerin behauptete Sachverhalt stellte somit keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar.
Da somit bereits die Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995100113.X00Im RIS seit
20.11.2000