TE Vfgh Erkenntnis 1993/6/15 B703/92

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Veröffentlicht am 15.06.1993
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86 Veterinärrecht
86/02 Tierärzte

Norm

StGG Art5
TierärzteG §49 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht infolge denkunmöglicher Verhängung einer Geldstrafe über einen Tierarzt durch den Kammerpräsidenten wegen einer den Ordinationsrichtlinien widersprechenden Beschilderung der Ordination; nur Verhalten eines Kammermitglieds gegenüber seiner Kammer und nicht öffentlichkeitsbezogenes Verhalten bei der Berufsausübung (wie inhaltliche Gestaltung eines Praxisschildes) als Tatbestände der bezogenen Vorschrift des TierärzteG

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Landeskammer der Tierärzte Wiens ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Präsident der Landeskammer der Tierärzte Wiens erließ an den Beschwerdeführer, einen freiberuflich tätigen Tierarzt mit Berufssitz in Wien, einen mit 3. April 1992 datierten Bescheid, dessen Spruch - abgesehen von der Entscheidung über die Verfahrenskosten - wie folgt lautet:

"Sie haben jedenfalls seit dem 20. Juli 1991 bis heute auf der beim Eingang zu Ihrer Ordination in 1220 Wien, Zillingergasse 4, angebrachten Tafel, die Zusätze 'Röntgen, EKG' angeführt. Sie haben dadurch den Beschluß der Delegiertenversammlung vom 5. Mai 1990 über die Änderung der Richtlinien über die Beschaffenheit von Ordinationen und privaten Tierspitälern, Punkt III, demzufolge nur Vor- und Zuname, akademische Grade, Berufstitel, Amtstitel, Telefonnummer und Adresse angeführt werden dürfen, übertreten und werden gemäß §49 (1) des Tierärztegesetzes deswegen mit einer Geldstrafe in Höhe von S 1.000,-- bestraft."

In der Begründung wurde angeführt, daß das Ermittlungsverfahren die den Ordinationsrichtlinien widersprechende Beschilderung der Ordination des Beschwerdeführers ergeben habe; das gelindest-mögliche Mittel sei gewesen, von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Beschwerdeführer Abstand zu nehmen und eine Geldstrafe gemäß §49 Abs1 Tierärztegesetz zu verhängen.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in welcher er den Standpunkt einnahm, daß die bezogenen Richtlinien gesetz- und (insbesondere) verfassungswidrig seien sowie keine dem Art18 Abs1 B-VG entsprechende Strafdrohung enthielten; überdies sei die Verhängung einer Strafe durch den Präsidenten der Landeskammer unzulässig, weil keiner der in §49 Abs1 TierärzteG angeführten Tatbestände vorliege und im Bereich des Standesrechtes lediglich die Disziplinarkommission Strafkompetenz habe.

2. Der Vorstand der Landeskammer der Tierärzte Wiens wies das Rechtsmittel des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 14. Mai 1992 ab. Es sei nicht behauptet worden, daß die dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundeliegenden Normen nicht dem geltenden Rechtsbestand angehörten. Nicht in der taxativen Aufzählung des Punktes III der Ordinationsrichtlinien enthaltene Bezeichnungen seien verboten; ihre Anführung stelle jedenfalls auch eine Verletzung des Gebotes der Einhaltung der Berufspflichten nach §21 Abs1 TierärzteG dar. Neben der Regelung des Disziplinarverfahrens in §§53 ff TierärzteG ermächtige §49 Abs1 leg.cit. den Präsidenten der Kammer ausdrücklich zur Verhängung von Geldstrafen gegen Kammermitglieder. Die Strafkompetenz des Präsidenten erstrecke sich ua. auf Kammermitglieder wegen Vernachlässigung der ihnen der Kammer gegenüber obliegenden Pflichten sowie wegen Störung der Ordnung in der Kammer. Es bestehe kein Zweifel, daß der Beschwerdeführer durch die Nichteinhaltung der Beschlüsse seine Pflichten gegenüber der Kammer verletzt habe; wie überdies mehreren Beschwerden von Kollegen (die sich an die Richtlinien gehalten und ihre Tafeln ordnungsgemäß beschriftet hätten) zu entnehmen sei, habe der Beschwerdeführer durch sein Verhalten auch die Ordnung in der Kammer gestört.

3. Der Berufungsbescheid ist Gegenstand der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. 1. Die Beschwerde erweist sich, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, als zulässig; insbesondere ist der Instanzenzug erschöpft, weil nach §49 Abs2 TierärzteG bloß die Berufung gegen eine vom Präsidenten der Kammer verhängte Geldstrafe an den Vorstand, nicht jedoch eine weitere Berufung zulässig ist.

2. Die Beschwerde ist auch gerechtfertigt.

Gemäß §49 Abs1 TierärzteG kann der Präsident der Kammer, soweit kein Anlaß zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegeben ist, gegen Mitglieder wegen Vernachlässigung der ihnen gegenüber der Kammer obliegenden Pflichten, wegen Nichterscheinens trotz Vorladung oder wegen Störung der Ordnung in der Kammer sowie wegen beleidigender Schreibweise bei schriftlichen Eingaben Geldstrafen bis zur Höhe der Bundeskammerumlage für freiberufliche Mitglieder verhängen. Sowohl der Wortlaut als auch der Zweck dieser Bestimmungen, ferner die Zusammenfassung der vier Tatbestände unter dieselbe Strafdrohung und schließlich die Betrauung des Kammerpräsidenten mit einer (außerhalb des Disziplinarverfahrens zu handhabenden) Strafbefugnis gegenüber Kammermitgliedern erweisen in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, daß die in Rede stehenden Vorschriften nur das ordnungsgemäße Verhalten des Kammermitglieds gegenüber seiner Kammer, maW sein korrektes Benehmen gegenüber seiner Standesvertretung zum Gegenstand haben. Ein öffentlichkeitsbezogenes Verhalten bei der Berufsausübung wie die inhaltliche Gestaltung eines Praxisschildes fällt nicht unter die Tatbestände dieses besonderen Verwaltungsstrafrechtes über Kammerangehörige, und zwar auch dann nicht, wenn eine Verpflichtung im Rahmen dieses nach außen gerichteten Verhaltens durch eine generelle Vorschrift eines Kammerorgans begründet wird; von einem ausschließlich gegenüber der Kammer in Erscheinung tretenden Verhalten des Tierarztes kann hiebei nämlich nicht die Rede sein. Das gleiche gilt auch in Ansehung des in der Bescheidbegründung bezogenen Umstandes, daß sich andere kammerangehörige Tierärzte wegen des Praxisschildes des Beschwerdeführers über ihn bei Kammerorganen beschwert hätten; hier handelt es sich nur um einen Reflex auf sein Vorgehen, nicht aber um sein Verhalten gegenüber der Interessensvertretung.

Zusammenfassend folgt aus diesen Erwägungen, daß die vorgenommene Gesetzeshandhabung als qualifiziert unrichtig, nämlich als denkunmöglich, zu werten ist; es liegt ein Fall vor, der mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist. Da der angefochtene Bescheid infolge der Verhängung einer Geldstrafe in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers eingreift, hat sohin im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 11650/1988) eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums stattgefunden.

Der bekämpfte Bescheid war demnach aufzuheben, sodaß es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen. Dies gilt insbesondere für die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage der Gesetzmäßigkeit der sogenannten Ordinationsrichtlinien der Bundeskammer, weil aus den obigen Darlegungen folgt, daß es im hier gegebenen Zusammenhang auf den Inhalt des tatsächlich verwendeten Praxisschildes nicht ankommt.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Tierärzte Kammer, Tierärzte, Disziplinarrecht Tierärzte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B703.1992

Dokumentnummer

JFT_10069385_92B00703_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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