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L40010 Anstandsverletzung Lärmerregung;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des O in F, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 8. September 1994, Zl. UVS 30.7-74 u. 75/93-23, betreffend Bestrafung wegen Lärmerregung, Ordnungsstörung und Anstandsverletzung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Spruchpunktes 1 (Lärmerregung) samt diesbezüglicher Kostenvorschreibung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 8. September 1994 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe 1) "am 5. 10. 1991 um 11.10 Uhr in Graz 6, Nebenfahrbahn vor dem Landesgericht für Strafsachen, Conrad-von-Hötzendorfstraße 41, durch lautes Schreien der Worte: "Schweine" ungebührlicherweise störenden Lärm erregt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 1 zweiter Tatbestand des Landesgesetzes vom 25. 6. 1975, LGBl. Nr. 158, begangen" und er habe 2) "am 5. 10. 1991 um 11.10 Uhr in Graz 6, Nebenfahrbahn vor dem Landesgericht für Strafsachen, Conrad-von-Hötzendorfstraße 41, durch Setzen von Faustschlägen gegen den Kopf eines Sicherheitswachebeamten a) den öffentlichen Anstand verletzt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 1 erster Tatbestand des Landesgesetzes vom 25. 6. 1975, LGBl. Nr. 158, begangen" und
"b) die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört und dadurch die Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG in dem zur Tatzeit geltenden Recht begangen".
Hiezu wurde - nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens - im wesentlichen ausgeführt, am 5. Oktober 1991 um 11,10 Uhr sei in Graz, Conrad-von-Hötzendorfstraße, auf Höhe des Hauses Nr. 41, von Polizeibeamten der Bundespolizeidirektion Graz eine unangemeldete und daher verbotene Demonstration aufgelöst worden. Im Zuge der Auflösung einer von Demonstranten gebildeten, in sich gehakten Menschenkette sei Revierinspektor L. mit zwei Demonstranten beinahe zu Sturz gekommen. Als er sich im Fallen befunden und mit den Knien am Boden aufgefangen habe, habe sich der Beschwerdeführer auf ihn gestürzt und ihm zwei Faustschläge versetzt, welche auf seinen Kopf gerichtet waren und von denen zumindest einer auch seinen Kopf getroffen hätte. In der daraufhin erfolgten Festnahme des Beschwerdeführers habe dieser, als er von vier bis sechs Sicherheitswachebeamten am Boden in unmittelbarer Nähe der zuvor gesetzten Tat in einem Grasstück niedergehalten worden sei, neben Hilferufen auch das Wort "Schweine" mehrfach lautstark gerufen, welche Äußerung an die Sicherheitswachebeamten gerichtet gewesen sei. Auf Grund der Zeugenaussage des Revierinspektors P. ergebe sich, daß der Beschwerdeführer das Wort "Schweine" ebenso laut geschrien habe wie die Hilferufe. Schreien sei nur dann nicht ungebührlich im Sinne des § 1 zweiter Tatbestand LGBl. Nr. 158/1975, wenn der durch das Schreien hervorgerufene Lärm die Folge eines ungerechtfertigten Vorgehens der Beamten gewesen sei. Es müsse daher das Schreien, welches der Beschwerdeführer zum Aufmerksammachen auf seine Situation benötigt habe und in Form von Hilferufen von sich gegeben habe, als gerechtfertigte Lärmerregung angesehen werden. Es sei aber das Schreien von Schimpfworten einem Schreien von Hilferufen nicht gleichzusetzen, weil mit dem Schreien von Schimpfworten an sich Ungebührlichkeit zum Ausdruck komme. Dadurch aber, daß das Schreien als Reaktion auf eine vom Beschwerdeführer gesehen rücksichtslose Polizeihandlung geschehen sei, sei der Unrechtsgehalt der Tat nicht so hoch, als wenn beispielsweise ohne die bestehenden Umstände dieses Falles in lautstarker Weise ein Sicherheitswachebeamter beschimpft würde. Es sei daher die von der Erstbehörde verhängte Geldstrafe herabzusetzen gewesen. Der Beschwerdeführer deute sein damaliges Handeln (Faustschläge) heute als Überschreitung; und zwar versuche er einen Notstand dadurch glaubhaft zu machen, daß er zum Zeitpunkt der Erteilung von Schlägen den Sicherheitswachebeamten gegenüber der Meinung gewesen sei, sein Sohn werde durch die Polizei verletzt, doch räume er selbst ein, daß auch eine andere gelindere Maßnahme zum Abwenden einer Gefahr für eine dritte Person ausgereicht hätte. Der Beschwerdeführer räume selbst ein, daß sein Verhalten eine Überschreitung sei, welche vom unabhängigen Verwaltungssenat als Verletzung der guten Sitten betrachtet werde. Daß das Versetzen eines Faustschlages gegen einen Sicherheitswachebeamten als Ärgernis einzustufen sei, ergebe sich daraus, daß die Eignung des Verhaltens, Ärgernis zu erregen, vom Willen des Täters unabhängig sei. Auch hier bedürfe es keiner weiteren Begründung, daß ein Faustschlag, gerichtet an einen Sicherheitswachebeamten, objektiv gesehen bei unbefangenen Menschen die lebhafte Empfindung des Unerlaubten und des Schändlichen hervorzurufen geeignet sei. Dadurch aber, daß dem Beschwerdeführer einzuräumen sei, daß er seinem bedrängten Sohn zu Hilfe habe eilen wollen und er dadurch sein Notstandsrecht über Gebühr beansprucht habe, sei eine Herabsetzung der von der Erstbehörde verhängten Geldstrafen erfolgt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, es könnten Hilferufe, die die Folge einer Mißhandlung seien und "während denselben man sich möglicherweise auch zu Kraftworten hinreißen läßt", nicht als strafbare Lärmerregung angesehen werden. Hinsichtlich des Vorwurfes der Anstandsverletzung und Ordnungsstörung fehle dem angefochtenen Bescheid eine "nähere Konkretisierung" dahin, ob Aufsehen oder Ärgernis erregt worden sei und es werde "hierüber hypothetisch abgesprochen, ohne daß derart eine ordnungsgemäße sachbezogene rechtliche Beurteilung der Sache überhaupt möglich wäre, bzw. in einem solchen Vorgehen erblickt werden könnte". Schließlich hätten seitens der belangten Behörde die Anträge des Beschwerdeführers auf Einvernahme namentlich angeführter Zeugen nicht abgewiesen werden dürfen und es fehle dem angefochtenen Bescheid auch eine Begründung hiefür. "Jedenfalls wäre bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Berufungsverfahrens eine andere Entscheidungsgrundlage für die belangte Behörde entstanden."
Gemäß Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG - in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 143/1992 - begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muß das entsprechende Verhalten objektiv geeignet sein, Ärgernis zu erregen. Dabei hat die Wertung unter der Vorstellung zu geschehen, wie unbefangene Menschen auf ein solches Verhalten reagieren würden. Weiters muß durch das Verhalten, welches geeignet ist, Ärgernis zu erregen, auch die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden sein. Hiezu ist es nicht erforderlich, daß das Verhalten zu Aufsehen, Zusammenlauf von Menschen u.a. führt, es muß vielmehr nur unmittelbar oder unmittelbar zur Folge haben, daß ein Zustand geschaffen wird, der geordneten Verhältnissen an einem öffentlichen Ort widerspricht (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1994, Zl. 93/10/0092).
Gemäß § 1 des Stmk. Landesgesetzes vom 25. Juni 1975, betreffend die Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung, LGBl. Nr. 158/1975, begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten darstellt
(vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 1983, Slg. Nr. 11.077/A).
Ausgehend davon kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie durch das von der Beschwerde nicht bestrittene Verhalten des Beschwerdeführers, in der Öffentlichkeit Faustschläge gegen den Kopf eines einschreitenden Sicherheitswachebeamten geführt zu haben, sowohl das Tatbild der Ordnungsstörung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG als auch jenes der Anstandsverletzung nach § 1 des zitierten Landesgesetzes als erfüllt ansah. Denn es kann weder ein Zweifel daran bestehen, daß durch dieses, Ärgernis zu erregen, objektiv geeignete Verhalten ein Zustand geschaffen wurde, der geordneten Verhältnissen an einem öffentlichen Ort widersprach, noch daran, daß dieses Verhalten einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden Pflichten darstellt.
Soweit der Beschwerdeführer aber die Nichteinvernahme der von ihm namhaft gemachten Zeugen rügt, ist ihm entgegenzuhalten, daß er es unterlassen hat, auch die Wesentlichkeit dieses allfälligen Verfahrensmangel im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG konkret darzutun.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet.
Hingegen ist die Beschwerde in Ansehung des dem Beschwerdeführer als Verwaltungsübertretung zur Last gelegten Verhaltens, er habe durch das laute Schreien der Worte "Schweine" im Sinne des § 1 des zitierten Landesgesetzes ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, im Ergebnis begründet.
Die belangte Behörde hat nämlich in der Begründung des angefochtenen Bescheides zwar dargelegt, aus welchen Gründen sie zur Auffassung gelangte, der Beschwerdeführer habe ungebührlicherweise Lärm erregt, wobei diese Auffassung als im Ergebnis zutreffend anzusehen ist, weil Schreien mit einem Polizeibeamten - soweit es nicht der Herbeiholung von Hilfe dient, was aber bei den vom Beschwerdeführer zwischen den Hilferufen unbestrittenermaßen gebrauchten "Kraftworten" nicht zutrifft - gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden kann (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1992, Zl. 91/10/0138). Allerdings mangelt es dem angefochtenen Bescheid an entsprechenden Feststellungen, wonach das Schreien des Beschwerdeführers unter den gegebenen Umständen (Auflösung einer Demonstration) nach einem objektiven Maßstab tatsächlich geeignet gewesen wäre, das Wohlbefinden anderer anwesender, nicht beteiligter Personen zu beeinträchtigen. Dazu hätte es insbesondere Ausführungen über die Lärmsituation im Tatortbereich zur Tatzeit bedurft. Insoweit ist jedoch der maßgebende Sachverhalt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales des "störenden" Lärms, also in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.
Der angefochtene Bescheid war daher insofern gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994100166.X00Im RIS seit
30.03.2001Zuletzt aktualisiert am
29.04.2009