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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §1 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der H in L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in H, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Auschusses in Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid des Arbeitsmarktservice Steiermark, Landesgeschäftsstelle, vom 3.März 1995, Zl. LA 7022 B-Dr.So/S, VSNr. 1408190965, betreffend Widerruf und Rückforderung von Karenzurlaubsgeld und Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde Berufungen der Beschwerdeführerin gegen zwei Bescheide des Arbeitsamtes Liezen vom 4. November 1994 abgewiesen und die erstinstanzlichen Bescheide bestätigt, mit welchen gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, das von der Beschwerdeführerin bezogene Karenzurlaubsgeld widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und die Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m.
§ 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes im Ausmaß von S 88.696,-- sowie zur Rückzahlung unberechtigt empfangener Sondernotstandshilfe gemäß § 36 Abs. 3 i.V.m. §§ 38 und 25 Abs. 1 AlVG von insgesamt S 16.918,-- verpflichtet wurde.
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides sei die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 11. Oktober 1990 bis 15. August 1992 im Bezug des Karenzurlaubsgeldes in näher bezeichneter Höhe und vom 19. Oktober 1992 bis 19. April 1993 im Bezug der Sondernotstandshilfe gestanden. Gleichzeitig sei sie in einem als geringfügig entlohnt deklarierten Beschäftigungsverhältnis zu einem näher bezeichneten Unternehmen gestanden. Am 29. Juni 1993 sei in diesem Unternehmen eine Prüfung durch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse erfolgt, im Zuge derer festgestellt worden sei, daß die Beschwerdeführerin als Aushilfskraft gegen einen Stundenlohn von S 58,-- beschäftigt gewesen sei. Da diese Entlohnung jedoch unter der kollektivvertraglich vorgesehenen Mindestentlohnung gelegen gewesen sei, sei die "Differenznachzahlung" vom gewährten auf das gebührende Entgelt vorgenommen worden. Betroffen sei der Zeitraum vom 1. Mai 1991 bis 31. Mai 1993, in welchem ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis vorgelegen habe. Den Berufungsausführungen der Beschwerdeführerin, ihr Verdienst habe die Geringfügigkeitsgrenze nie überschritten und sie könne die von der Gebietskrankenkasse festgestellten Entgeltdifferenzen wegen Abschnitt IV des Handelsarbeiterkollektivvertrages nicht mehr erfolgreich einfordern, hielt die belangte Behörde entgegen, daß letzteres zwar richtig sei, die entscheidende Frage aber die Rechtsfrage sei, ob die nachträgliche Feststellung eines vollversicherten (also die Arbeitslosigkeit ausschließenden) Dienstverhältnisses einen Rückforderungsgrund i.S.d. § 25 AlVG darstelle. Ungeachtet dessen, ob die Beschwerdeführerin einen der beiden anderen Rückforderungstatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG verwirklicht habe, lasse sich der Sachverhalt unter einen weiteren Rückforderungstatbestand subsumieren, zumal in all jenen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Dienstverhältnisses festgestellt werde, ebenfalls die Verpflichtung zur Rückzahlung bestehe. Da daher die geforderte Voraussetzung für die Rückforderung erfüllt gewesen sei, hätten die beiden Bescheide des Arbeitsamtes bestätigt werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 26 Abs. 3 lit. a AlVG haben Mütter, die in einem Dienstverhältnis stehen, keinen Anspruch auf Karenzurlaubsgeld.
Gemäß § 26 Abs. 4 lit. a AlVG haben jedoch Mütter, die aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielen, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt, Anspruch auf Karenzurlaubsgeld bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen.
Gemäß § 39 Abs. 1 AlVG haben Mütter oder Väter Anspruch auf Sondernotstandshilfe bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn (Z. 1) der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erschöpft ist und - neben weiteren Voraussetzungen - mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind (§ 39 Abs. 1 Z. 3 AlVG). Gemäß § 39 Abs. 3 sind im übrigen die Bestimmungen über die Notstandshilfe anzuwenden. Eine der Voraussetzungen der Notstandshilfe ist i.S.d. § 33 Abs. 1 AlVG Arbeitslosigkeit. Arbeitslos ist gemäß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht, es sei denn, daß er (§ 12 Abs. 6 lit. a AlVG) aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die in § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt.
Gemäß § 24 Abs. 1 AlVG i.V.m. den zuvor genannten Gesetzesvorschriften sowie den §§ 29 Abs. 1 und 38 AlVG ist der Bezug einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch wegfällt bzw. (§ 24 Abs. 2 AlVG) die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.
Die belangte Behörde hat - wie aus der Begründung ihres Bescheides hervorgeht - zunächst verkannt, daß einer Rückforderung der mehrfach genannten Leistungen i.S.d. § 25 Abs. 1 AlVG stets ein Widerruf oder eine Einstellung dieser Leistungen i.S.d. § 24 Abs. 1 AlVG voranzugehen hat. Es ist daher in dieser Allgemeinheit unrichtig, wenn die belangte Behörde meint, daß die Frage, ob die Beschwerdeführerin die - übereinstimmenden - Anspruchsvoraussetzungen des § 26 Abs. 3 lit. a i.V.m. Abs. 4 lit. a AlVG bzw. jene des § 12 Abs. 3 i. V.m. Abs. 6 lit. a AlVG (Beschäftigung gegen ein die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigendes Entgelt) erfülle, unerheblich sei. Eine Rückforderung käme von vornherein dann nicht in Betracht, wenn die Argumentation der Beschwerdeführerin, es komme auf den Anspruchslohn oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze deshalb nicht an, weil sie wegen kurzer Verjährungsfristen des anzuwendenden Kollektivvertrages nicht mehr in der Lage sei, diese Differenz nachzufordern, zuträfe.
Dieser - auch in der Beschwerde vorgetragenen - Argumentation der Beschwerdeführerin ist allerdings entgegenzuhalten, daß der Begriff des Entgelts im § 12 Abs. 6 lit. a AlVG (und aus den nachstehenden Gründen auch jener des § 26 Abs. 4 lit. a AlVG) nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes i.S.d. Entgeltbegriffes des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zu verstehen ist. Dies legt nicht nur die ausdrückliche Bezugnahme auf § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG sowohl im § 12 Abs. 6 lit. a als auch im § 26 Abs. 4 lit. a AlVG nahe, sondern entspricht auch dem bestehenden engen Konnex zwischen der Arbeitslosenversicherungspflicht und der Krankenversicherungspflicht nach dem ASVG (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 1986, Slg. Nr. 12.298/A sowie aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zlen. 89/08/0250, 0278). Der in diesem Zusammenhang daher ebenfalls maßgebende § 49 Abs. 1 ASVG stellt auf den sogenannten Anspruchslohn ab, also auf jenen Lohn, auf den der einzelne Dienstnehmer Anspruch hat. Dies ist in jenen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, zumindest das nach diesen Vereinbarungen den Dienstnehmern zustehende Entgelt. Daß ein Lohnteil, der dem einzelnen Dienstnehmer zusteht, tatsächlich nicht ausbezahlt wird, ist dabei nicht von Bedeutung (vgl. neuerlich die bereits erwähnten Erkenntnisse vom 13. November 1986, Slg. Nr. 12.298/A und vom 27. März 1990, Zlen. 89/08/0250, 0278).
Auf den Umstand, daß dieser zunächst bestehende Anspruch in der Folge mangels Geltendmachung verjährte, kommt es hingegen aus folgenden Gründen nicht an: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Zuerkennung von Leistungen nach dem AlVG um einen zeitraumbezogenen Abspruch (vgl. die Erkenntnisse vom 8. Oktober 1991, Zl. 91/08/0036 und vom 25. Oktober 1994, Zl. 93/08/0033). Die Anspruchsvoraussetzungen auf eine solche Leistung sind daher - soweit sie vom Zusammentreffen mit Erwerbseinkommen abhängen - ebenfalls zeitraumbezogen zu beurteilen. Dies führt zu der Auffassung, daß es für den jeweiligen Zeitraum des Bezuges von Karenzurlaubsgeld bzw. Sondernotstandshilfe (nur) darauf ankommt, auf welche Einkünfte die Beschwerdeführerin in diesen Zeiträumen Anspruch hatte und unentscheidend ist, ob diese (nicht strittigen) Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt verjährten.
Da die Beschwerdeführerin die Feststellungen der belangten Behörde, daß sie bei Berücksichtigung des Anspruchslohns im maßgebenden Zeitraum die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG überschritten hätte, im übrigen nicht in Zweifel zieht, erfolgte der Widerruf des Karenzurlaubsgeldes bzw. der Sondernotstandshilfe (ungeachtet der fehlenden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dieser Frage) im Ergebnis zu Recht.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die belangte Behörde auch den Rückforderungsanspruch gegen die Beschwerdeführerin zu Recht bejaht hat; dies ist aus nachstehenden Gründen nicht der Fall:
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG (i.V.m. den obgenannten Bestimmungen) ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes (hier: Karenzurlaubsgeldes bzw. der Sondernotstandshilfe) bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des § 12 Abs. 8 AlVG das Weiterbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt wurde, sowie in allen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird.
Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall den Rückforderungsanspruch auf den zuletzt genannten Tatbestand gestützt, weil rückwirkend das Bestehen eines Dienstverhältnisses festgestellt worden sei. Dies trifft - wie die Beschwerdeführerin mit Recht geltend macht - schon deshalb nicht zu, weil der Umstand, daß die Beschwerdeführerin in einem Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 4 Abs. 2 ASVG stand, zu keinem Zeitpunkt strittig war und auch nicht im nachhinein festgestellt wurde. Im Nachhinein wurde lediglich festgestellt, daß dieses Beschäftigungsverhältnis nicht i.S.d. § 5 Abs. 6 Z. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 ASVG von der Vollversicherung ausgenommen ist, sondern - wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze durch das gebührende Entgelt - der Vollversicherung unterlag. Im übrigen ist sowohl für den Eintritt der Teilversicherung als auch der Vollversicherung das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 4 Abs. 2 ASVG Voraussetzung. Die (bloße) nachträgliche Feststellung der Vollversicherungspflicht kann daher mit der nachträglichen Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht gleichgesetzt werden.
Da die belangte Behörde aufgrund ihrer unzutreffenden Rechtsauffassung das Vorliegen der übrigen Rückforderungsgründe des § 25 Abs. 1 AlVG nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 Entgelt Begriff Anspruchslohn Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995080106.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
01.10.2008