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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §140;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde der C in L, vertreten durch Rechtsanwalt Z, gegen den auf Grund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 13. Dezember 1993, Zl. IVa-AlV-7022-9-B/1302 110939/Linz, betreffend Familienzuschlag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 8. Juni 1993 sprach das Arbeitsamt Linz aus, daß die (seit 22. Juli 1991 im Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung stehende) Beschwerdeführerin (ab 6. September 1991) keinen Anspruch auf Familienzuschlag für ihren (am 8. Juli 1982 geboren) Enkel David habe. Begründet wurde die Entscheidung damit, daß hinsichtlich des Anspruches eines Arbeitslosen auf Familienzuschlag für einen Enkel zu prüfen sei, ob der Arbeitslose gemäß § 141 ABGB zum Unterhalt für den Enkel verpflichtet sei. Da der Sohn der Beschwerdeführerin (der Vater des mj. David) laufend im Vollverdienst bei der Firma R stehe, sei er als solcher nicht unfähig, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen und stehe daher der Beschwerdeführerin kein Familienzuschlag zu.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte die Beschwerdeführerin ein, ihr Sohn habe zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung am 22. Juli 1991 im gemeinsamen Haushalt mit seinem Sohn, dem Enkel der Beschwerdeführerin, gelebt, sei aber am 6. September 1991 wieder zu seiner Frau, der Stiefmutter des mj. David, gezogen. Der Minderjährige sei im Haushalt der Beschwerdeführerin geblieben, weil sie mit ihrem Sohn übereingekommen sei, daß es sowohl für die Entwicklung des Enkels als auch für die Ehe des Sohnes der Beschwerdeführerin besser wäre, wenn sie wieder, wie schon bis zum 5. Lebensjahr des Enkels, seine Erziehung und Betreuung übernehme. Damit liege aber ein wesentlicher Beitrag der Beschwerdeführerin zum Unterhalt ihres Enkels vor. Auf abstrakte rechtliche Verpflichtungen und Ansprüche stelle das Gesetz nicht ab. Daß für ein Kind bzw. Enkelkind mehrere Personen Unterhaltsbeiträge leisten könnten, sei, wie § 20 Abs. 3 AlVG erweise, dem Gesetzgeber durchaus bewußt gewesen. Für diesen Fall habe er eine Rangordnung der Bezugsberechtigung festgelegt. Keinesfalls habe er aber jenen Arbeitslosen von der Bezugsberechtigung ausschließen wollen, zu dessen Haushalt eine zuschlagsberechtigte Person gehöre. Die erstinstanzliche Entscheidung widerspreche daher dem Sinn des § 20 Abs. 2 und 3 AlVG.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Bescheidbegründung wird nach zusammenfassender Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe im Berufungsverfahren mitgeteilt, daß sie seit 1. Jänner 1993 die Familienbeihilfe für ihren Enkel beziehe; zuvor habe ihr Sohn die Familienbeihilfe bezogen, sie aber auf ihr Konto überwiesen. In der Folge habe die Beschwerdeführerin Lohnbescheinigungen ihres Sohnes vorgelegt, wonach dieser im Zeitraum von Juli 1991 bis Dezember 1992 bei der Firma Rosenbauer durchschnittlich S 19.280,-- netto im Monat verdient habe. In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt - nach Zitierung des § 20 AlVG - wie folgt: Im Hinblick darauf, daß der Sohn der Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum von Juli 1991 bis Dezember 1992 über ein durchschnittliches Einkommen von S 19.280,-- netto im Monat verfügt habe, sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, daß ein tatsächlicher wesentlicher Unterhaltsbeitrag seitens der Beschwerdeführerin nicht vorliege. Ihr Sohn sei bei seinen Einkünften durchaus in der Lage und rechtlich auch verpflichtet, den Unterhalt seines Kindes zu gewährleisten. Daß auf die Geltendmachung von Unterhaltszahlungen verzichtet werde, dürfe nicht zu Lasten der Arbeitslosenversicherung gehen. Jedenfalls schließe dieser Verzicht einen wesentlichen Beitrag der Beschwerdeführerin im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG aus. Deshalb bestehe kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Familienzuschlag für ihren Enkel David.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde. Gemäß § 20 Abs. 2 AlVG seien Familienzuschläge auch für Enkel zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen wesentlich beitrage und für den Angehörigen ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe. Beides sei im Beschwerdefall gegeben:
Der Enkel der Beschwerdeführerin wohne bei ihr und werde von ihr vollständig versorgt; außerdem beziehe sie für ihn die Familienbeihilfe. Der Begründung des angefochtenen Bescheides sei entgegenzuhalten, daß ein tatsächlicher wesentlicher Beitrag zum Unterhalt nicht gleichzusetzen sei mit überwiegender Kostentragung. Ebenso wichtig für den Unterhalt eines Kindes wie ein finanzieller Zuschuß sei wohl die Pflege, Verköstigung, Beherbung und Erziehung des Kindes. Diese Leistung erbringe die Beschwerdeführerin und darin sei ihr wesentlicher Beitrag zum Unterhalt des Kindes zu sehen. In § 20 AlVG finde sich kein Hinweis darauf, daß für den Anspruch auf Familienzuschlag das Bestehen einer rechtlichen Unterhaltsverpflichtung (des Arbeitslosen gegenüber der zuschlagsberechtigten Person) Voraussetzung wäre. Aus § 20 Abs. 3 AlVG ergebe sich, daß dann, wenn der Sohn der Beschwerdeführerin arbeitslos würde, nicht er, sondern die Beschwerdeführerin Anspruch auf Familienzuschlag für den mj. David hätte. Mit demselben Argument, mit dem die belangte Behörde der Beschwerdeführerin den Familienzuschlag verweigere, müßte sie ihn im übrigen auch einer alleinstehenden Mutter verweigern, die für ihr Kind eine Alimentationsleistung erhalte. Genau das aber habe der Gesetzgeber mit der Formulierung des § 20 Abs. 2 Z. 1 AlVG ("kein Arbeitseinkommen....") verhindern wollen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie zwar einräumte, daß in der Betreuung eines Kindes im Rahmen der Haushaltsführung ein wesentlicher Beitrag im Sinne des § 20 Abs. 2 AlVG gesehen werden könne, dies allerdings voraussetze, daß von der zuschlagsberechtigten Person nicht verlangt werden könne, für ihren Unterhalt selbst zu sorgen. So habe etwa der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 85/08/0203, ausgesprochen, daß ein Anspruch auf Familienzuschlag nur dann bestehe, wenn die Zumutbarkeit, den angemessenen Unterhalt durch Unterhaltsleistungen des leiblichen Vaters zu bestreiten, zu verneinen sei. Eine solche Zumutbarkeit sei jedoch unter Zugrundelegung des in der Bescheidbegründung festgestellten durchschnittlichen Einkommens des Vaters des mj. David zu bejahen. Bei einem solchen Einkommen wäre es nämlich der Beschwerdeführerin durchaus zuzumuten gewesen, ihren Sohn zur Unterhaltsleistung für den Enkel heranzuziehen. Der Verzicht darauf dürfe nicht zu Lasten der Arbeitslosenversicherung gehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgebenden Bestimmungen des § 20 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der Novelle
BGBl. Nr. 364/1989 lauten:
"(1) Das Arbeitslosengeld besteht aus dem Grundbetrag und den Familienzuschlägen.
(2) Familienzuschläge sind für Ehegatten (Lebensgefährten), Eltern und Großeltern, Kinder und Enkel, Stiefkinder, Wahlkinder und Pflegekinder (zuschlagsberechtigte Personen) zu gewähren, wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt und
1. für den Angehörigen ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und dieser kein Arbeitseinkommen, ausgenommen die Lehrlingsentschädigung, erzielt, das einen im § 5 Abs. 1 erster Satz des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der geltenden Fassung angeführten Betrag übersteigt, oder
2. für den Angehörigen kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und dieser kein Einkommen erzielt, das einen im § 5 Abs. 1 erster Satz des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der geltenden Fassung angeführten Betrag übersteigt.
Der Familienzuschlag gebührt nicht, wenn den zuschlagsberechtigten Personen zugemutet werden kann, den Aufwand für ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten.
(3) Für eine zuschlagsberechtigte Person ist der Familienzuschlag nur einmal zu gewähren. Tragen mehr als ein Arbeitsloser zum Unterhalt dieser Person tatsächlich wesentlich bei, so gebührt der Familienzuschlag jenem Arbeitslosen, in dessen Haushalt die zuschlagsberechtigte Person wohnt bzw. jenem Arbeitslosen, der die zuschlagsberechtigte Person überwiegend betreut."
Durch die genannte Novelle erfuhr § 20 Abs. 2 AlVG in zweifacher Hinsicht eine Änderung: Erstens wurde dem damaligen ersten Satz nach den Worten "wesentlich beiträgt" der nunmehrige, zwei Fallgestaltungen regelnde zweite Halbsatz hinzugefügt und zweitens wurde im zweiten Satz die Wendung "den Aufwand für einen angemessenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln" durch die nunmehrige, oben wiedergegebene Wendung ersetzt.
Zu dieser Änderung heißt es in den Erläuterungen der Regierungsvorlage, 986 Blg.NR XVII GP, S 12:
"Es ist erforderlich, die Familienverhältnisse des Arbeitslosen durch eine erleichterte Gewährung von Familienzuschlägen stärker zu berücksichtigen. Bei Kindern soll der Familienzuschlag daher immer gewährt werden, wenn für diese Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Lediglich für ein Kind, das in Beschäftigung steht und ein Einkommen erzielt, das 3.500 S übersteigt, besteht kein Anspruch auf Familienzuschlag. Dabei soll aber eine Lehrausbildung wegen ihres besonderen Charakters außer Betracht bleiben.
Auch bei den sonstigen Angehörigen (Gatte, Lebensgefährtin usw.) soll kein Anspruch auf Familienzuschlag bestehen, wenn diese ein Einkommen erzielen, das 3.500 S übersteigt".
Die in der Bescheidbegründung (und noch deutlicher in der Gegenschrift) vertretene Rechtsauffassung der belangten Behörde entspricht nicht mehr der durch die Novelle BGBl. Nr. 364/1989 geschaffenen Rechtslage. Im Gegensatz zu früher kommt es nämlich nach § 20 Abs. 2 erster Satz Z. 1 und zweiter Satz AlVG für den Anspruch eines Arbeitslosen auf Familienzuschlag für eine in § 20 Abs. 2 angeführte zuschlagsberechtigte Person, für die - so wie für den Enkel der Beschwerdeführerin - ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht (gleichgültig, ob der Arbeitslose oder eine andere Person die Familienbeihilfe bezieht) und die kein Arbeitseinkommen erzielt, ausschließlich darauf an, ob erstens der Arbeitslose zum Unterhalt der zuschlagsberechtigten Person tatsächlich wesentlich beiträgt (wobei dann, wenn mehrere Arbeitslose zum Unterhalt der Person tatsächlich wesentlich beitragen, nach § 20 Abs. 3 AlVG vorzugehen ist), und ob zweitens der zuschlagsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, den Aufwand für ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften, insbesondere durch eigene Arbeit, zu bestreiten. Unmaßgeblich ist hingegen nunmehr, ob der zuschlagsberechtigten Person zugemutet werden kann, den Aufwand für ihren Lebensunterhalt bzw. für einen angemessenen Lebensunterhalt "aus eigenen Mitteln", zu denen auch Unterhaltsvorschüsse oder Geldunterhaltsleistungen (vgl. die Erkenntnisse vom 8. Mai 1987, Zl. 86/08/0069, vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0291, vom 27. März 1990, Zl. 88/08/0277, und vom 8. Oktober 1991, Zl. 90/08/0167) sowie - unter bestimmten Voraussetzungen - Ansprüche auf sie (so nach dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 85/08/0203) zählen, zu bestreiten.
Im Beschwerdefall (in dem - unstrittig - nicht nur die Voraussetzungen der Ziffer 1 des ersten Satzes des § 20 Abs. 2 AlVG gegeben sind, sondern - schon nach dem Alter des mj. David im relevanten Zeitraum - auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des zweiten Satzes des § 20 Abs. 2 AlVG gegeben sind) kommt es daher nur darauf an, ob die Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum ab 6. September 1991 zum Unterhalt dieses Kindes, das an sich zum Kreis der in § 20 Abs. 2 angeführten zuschlagsberechtigten Personen zählt, tatsächlich wesentlich beigetragen hat:
Zum Begriff des "Unterhalts" in der Wendung "wenn der Arbeitslose zum Unterhalt dieser Personen tatsächlich wesentlich beiträgt" in § 20 Abs. 2 AlVG (die durch die zweifache Novellierung des § 20 AlVG durch die Novellen BGBl. Nr. 615/1987 und 364/1989 keine Änderung erfahren hat) hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 1986, Zl. 85/08/0211, ausgeführt, es sei kein sachlicher Grund dafür erkennbar, einen Unterhaltsbeitrag des Elternteiles, der das Kind betreut, nicht als "wesentlich" im Sinne der genannten Wendung anzusehen. Auch die Betreuung des Kindes im Rahmen der Haushaltsführung stelle einen wesentlichen Beitrag zu dessen Unterhalt dar. Die Meinung der damaligen belangten Behörde, daß der Familienzuschlag nach § 20 Abs. 2 AlVG nur der Abgeltung eines finanziellen Aufwandes diene, finde im Gesetz keine Stütze.
Diese zur Wertung der Unterhaltsbeiträge von Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht nach § 140 ABGB entwickelten Rechtssätze sind - im Hinblick auf den Wortlaut der genannten Wendung im ersten Halbsatz in § 20 Abs. 2 AlVG, die Fassung des § 20 Abs. 3 AlVG durch die Novelle BGBl. Nr. 615/1987 (vgl. in diesem Sinn aber schon die zur Rechtslage vor dieser Novelle ergangenen Erkenntnisse vom 14. April 1988, Zl. 87/08/0311, 0312, und vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0011) sowie die schon genannte Elimenierung der Wendung "aus eigenen Mitteln" im zweiten Satz des § 20 Abs. 2 AlVG durch die Novelle BGBl. Nr. 364/1989 - insofern verallgemeinerungsfähig, als auch dann, wenn ein Großelternteil seinen Enkel im Haushalt in der Weise betreut, wie dies die Beschwerdeführerin ihrer Behauptung nach im relevanten Zeitraum getan hat, - ungeachtet von Geldunterhaltsleistungen des Sohnes des Betreuenden und des Vaters des betreuten Kindes - ein wesentlicher tatsächlicher Beitrag zum Unterhalt des Kindes im Sinne des ersten Halbsatzes des § 20 Abs. 2 AlVG vorliegt.
Da die belangte Behörde, ausgehend von ihrem Rechtsirrtum, die Behauptung der Beschwerdeführerin über die Betreuung ihres Enkels im relevanten Zeitraum nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994080022.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
16.03.2012