TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/5 92/08/0041

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.1995
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §25 Abs2;
AVG §68 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;

Betreff

Der VwGH hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. H, als Masseverwalter im Konkurs der Druckerei G in M, gegen den aufgrund des Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 4. Dezember 1991, Zl. IVa-AlV-7022-O-B/2933 140266/Braunau, betreffend Verpflichtung zum Ersatz von Arbeitslosengeld gemäß § 25 Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 16. Jänner 1987 beantragte Ulrike St. beim Arbeitsamt Braunau/Inn die Gewährung von Arbeitslosengeld mit Wirkung vom 14. Jänner 1987. Sie gab dabei unter anderem an, in der Zeit vom 11. November 1983 bis 13. Jänner 1987 bei der Druckerei G als kaufmännische Angestellte beschäftigt gewesen zu sein. Es bestehe auch ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung; Kündigungsentschädigung sei allerdings nicht bezahlt worden, weil der Dienstgeber insolvent sei. (Wie sich später herausstellte, wurde über das Vermögen des Dienstgebers am 12. Jänner 1987 der Konkurs eröffnet und der Beschwerdeführer zum Masseverwalter bestellt). Nach der gleichzeitig vorgelegten Arbeitsbescheinigung vom 16. Jänner 1987 endete die Beschäftigung ("arbeitsrechtliches Ende des Dienstverhältnisses") am 13. Jänner 1987. Die Bezüge seien bis 13. Jänner 1987 ausbezahlt worden. Das letzte volle Entgelt im Monat Dezember 1986 habe S 10.733,33 betragen. Auch darin wurde angegeben, daß Kündigungsentschädigung nicht gezahlt worden sei, weil der Dienstgeber insolvent sei; das Dienstverhältnis sei durch Kündigung durch den Dienstgeber beendet worden. Die Arbeitsbescheinigung trägt die Unterschrift "GJ" und ist mit dem Firmenstempel der Druckerei G versehen.

Ulrike St. erhielt daraufhin vom 14. Jänner bis 4. April 1987 Arbeitslosengeld.

Nach einer Beschäftigung als Serviererin vom 9. April bis 24. Mai 1987 beantragte Ulrike St. beim Arbeitsamt Braunau/Inn am 2. Juni 1987 neuerlich die Gewährung von Arbeitslosengeld; dieses wurde ihr vom 22. Juni bis 9. Juli 1987 gewährt.

Nach einer Beschäftigung als Zahlkellnerin vom 11. Juli bis 7. September 1987 stellte Ulrike St. wieder einen Antrag auf Arbeitslosengeld, welches ihr vom 9. September bis 1. Oktober 1987 gewährt wurde.

Aufgrund eines Datenaustausches mit dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger wurde dem Arbeitsamt Braunau/Inn im August 1988 bekannt, daß für Ulrike St. eine Versicherungszeit vom 1. Jänner 1987 bis 13. März 1987 bestehe. Mit Schreiben vom 19. Oktober 1988 teilte das Landesarbeitsamt Oberösterreich dem Arbeitsamt mit, daß durch die Ermittlungen des IESG-Arbeitsamtes eindeutig feststehe, daß das Dienstverhältnis von Ulrike St. durch Kündigung seitens des Masseverwalters geendet habe und ein vorzeitiger Austritt nicht erklärt worden sei. Eine Kündigungsentschädigung könne dadurch der genannten Dienstnehmerin nicht gebühren und sei ihr auch vom IESG-Arbeitsamt nicht zuerkannt worden. Vielmehr bestünde ein Anspruch auf laufendes Gehalt bis zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist, wodurch das Vorliegen von Arbeitslosigkeit in der Kündigungsfrist auszuschließen sei. Da die Dienstnehmerin während der Kündigungszeit für die Firma nicht gearbeitet habe, komme eine Rückforderung des ihr gewährten Arbeitslosengeldes nicht in Frage. Es sei jedoch eine Rückforderung gegenüber der Firma, vertreten durch den Masseverwalter, gemäß § 25 Abs. 2 AlVG bescheidmäßig vorzunehmen, da dieser falsche Angaben gemacht habe und diesbezüglich grobe Fahrlässigkeit vorliege. In der Anlage wurde ein Schreiben des Masseverwalters an Ulrike St. vom 23. Jänner 1987 übermittelt, das folgenden Inhalt aufweist:

"Sehr geehrte Frau ...

In meiner Eigenschaft als Masseverwalter im Konkurs der Firma G, habe ich Ihr Dienstverhältnis am 13.1.1987 gemäß § 25 Abs. 1 Konkursordnung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von 3 Monaten aufgekündigt. Das Dienstverhältnis endet sohin mit 13.4.1987, da der Masseverwalter zwar an die Kündigungsfristen, nicht aber an die Kündigungstermine gebunden ist.

Der Ihnen noch zustehende Urlaub ist während der Kündigungsfrist zu konsumieren. Ihre berechtigten Ansprüche aus dem Dienstverhältnis wollen Sie innerhalb der vom Konkursgericht festgesetzten Anmeldungsfrist beim Konkursgericht in zweifacher Ausfertigung anmelden. Zur Wahrung der Ansprüche nach dem IESG ist bei sonstigem Ausschluß ein Antrag binnen 4 Monaten ab Eröffnung des Konkursverfahrens an das zuständige Arbeitsamt zu richten."

Nach einem Aktenvermerk vom 9. Juni 1987 habe der Beschwerdeführer erklärt, daß das Dienstverhältnis von Ulrike St. am 13. April 1987 geendet habe. Diese habe keinen vorzeitigen Austritt erklärt.

Nach einem weiteren Aktenvermerk vom 4. November 1988 habe der Beschwerdeführer auch angegeben, daß für die "fragliche Zeit" auf eine Arbeitsleistung von Ulrike St. verzichtet worden sei. Es sei in der Kündigungszeit nur der Lohn weitergezahlt worden.

Mit Bescheid vom 30. November 1988 verpflichtete das Arbeitsamt Braunau/Inn den Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 2 AlVG 1977 zum Rückersatz des von Ulrike St. zuviel bezogenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von S 13.987,--. Nach der Begründung sei der Überbezug der genannten Dienstnehmerin auf die Arbeitsbescheinigung der Firma G (als deren Masseverwalter der Beschwerdeführer fungierte) vom 16. Jänner 1987 zurückzuführen. Danach sei Ulrike St. nur bis 13. Jänner 1987 bei der Firma beschäftigt gewesen. Ulrike St. habe daraufhin ab 14. Jänner 1987 Arbeitslosengeld bezogen. Nach einer Mitteilung der Gebietskrankenkasse und den Angaben des Beschwerdeführers habe das Dienstverhältnis jedoch erst am 13. April 1987 geendet. Dadurch sei der im Spruch angeführte Überbezug entstanden.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, wobei er im wesentlichen vorbrachte, daß das Arbeitsverhältnis von Ulrike St. entsprechend der von ihm ausgestellten Arbeitsbestätigung vom 16. Jänner 1987 am 13. Jänner 1987 geendet habe. Das Dienstverhältnis sei nach Konkurseröffnung vom Beschwerdeführer am 13. Jänner 1987 aufgelöst worden, wobei Ulrike St. diese Auflösung zustimmend zur Kenntnis genommen habe. Anläßlich einer Lohnsteuerprüfung durch die Gebietskrankenkasse habe der Betriebsprüfer die Auffassung vertreten, daß das Dienstverhältnis von Ulrike St. mit 12. März 1987 geendet habe, weil vom Masseverwalter zwar ohne Kündigungstermin gekündigt werden könne, jedoch eine zweimonatige Kündigungsfrist einzuhalten sei. Über Ersuchen des Arbeitsamtes habe der Beschwerdeführer eine weitere (zweite) Arbeitsbestätigung mit Datum vom 19. Juni 1987 ausgestellt, wonach das Dienstverhältnis von Ulrike St. am 12. März 1987 beendet worden sei. Diese Richtigstellung sei auf einen Irrtum des Beschwerdeführers zurückzuführen. Tatsächlich habe das Arbeitsverhältnis von Ulrike St. am 13. Jänner 1987 geendet. Eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei jederzeit möglich. Eine Ersatzpflicht nach § 25 Abs. 2 AlVG 1977 setze allerdings voraus, daß der Bezug des Arbeitslosengeldes aufgrund einer vorsätzlich oder grob fahrlässig ausgestellten Bestätigung erfolgt sei. Vorsatz sei im vorliegenden Fall auszuschließen, grobe Fahrlässigkeit liege ebenfalls nicht vor, da bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Ulrike St. verschiedene Ansichten vertreten worden seien: Während Masseverwalter und Dienstnehmerin das Ende des Dienstverhältnisses mit 13. Jänner 1987 angenommen hätten und annähmen, sei die Gebietskrankenkasse von einem Ende zum 12. März 1987 ausgegangen und vertrete das Arbeitsamt die Auffassung, daß das Dienstverhältnis bis 13. April 1987 gedauert habe. Im übrigen hätte die Dienstnehmerin erkennen müssen, daß ihr das Arbeitslosengeld nicht gebühre, weil ein Doppelbezug bestanden habe. Der Rückersatz hätte daher der Dienstnehmerin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG vorgeschrieben werden müssen und nicht dem Beschwerdeführer, der die Leistung allenfalls infolge eines Irrtums verursacht habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Beschwerdeführer zum Rückersatz des von Ulrike St. zu Unrecht bezogenen Arbeitslosengeldes in der Höhe von S 13.987,-- verpflichtet. Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer, der die gemeinschuldnerische Firma vertreten habe, sowohl bezüglich der Dauer des Dienstverhältnisses als auch bezüglich der Höhe des Entgelts von Ulrike St. eine unrichtige Arbeitsbescheinigung ausgestellt. Bei der Tätigkeit als Masseverwalter würden die nötige Geschäftskundigkeit und ausreichende fachliche Kenntnisse vorausgesetzt, sodaß davon ausgegangen werden könne, daß es dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen sei, den genauen Zeitpunkt für das Ende des Dienstverhältnisses der genannten Dienstnehmerin festzusetzen. Dies habe er auch in dem an Ulrike St. gerichteten Kündigungsschreiben vom 23. Jänner 1987 getan. Eine Rückforderung könne bei der Dienstnehmerin nicht erfolgen, da für diese nicht erkennbar gewesen sei, daß sie noch Gehalt bis 13. April 1987 erhalten werde. Ihr gegenüber sei der Widerruf und die rückwirkende Berichtigung der Leistung im übrigen mit Bescheid des Arbeitsamtes vom 19. November 1991 erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 25 Abs. 1 AlVG lautet auszugsweise:

"Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

..."

§ 25 Abs. 2 AlVG bestimmt:

"Wenn eine dritte Person eine ihr nach diesem Budesgesetz obliegende Anzeige vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit unterlassen oder falsche Angaben gemacht und hiedurch einen unberechtigten Bezug verursacht hat, kann sie zum Ersatz verpflichtet werden."

Aus dem Regelungszusammenhang der zitierten Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes muß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geschlossen werden, daß eine positive Gebrauchnahme von Ermessen nach § 25 Abs. 2 AlVG 1977 - abgesehen von den übrigen Voraussetzungen - nur dann als im Sinne des Gesetzes gelegen in Betracht kommt, wenn entweder ein Rückforderungstatbestand nach § 25 Abs. 1 leg. cit. nicht vorliegt oder ein solcher zwar verwirklicht ist, aber eine Rückforderung vom Empfänger der Leistung nach diesen Bestimmungen aus tatsächlichen Gründen scheitert (vgl. das Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 91/08/0194, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Ersatz des Ulrike St. gewährten Arbeitslosengeldes hängt daher zunächst von der Frage ab, ob der Widerruf des Arbeitslosengeldes gegenüber Ulrike St. zu Recht erfolgt ist. Aufgrund des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers hätte sich daher die belangte Behörde zunächst - ohne Bindung an den Bescheid des "IESG-Arbeitsamtes" - mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, wie und wann das Beschäftigungsverhältnis der Ulrike St. beendet worden ist. Dabei wären insbesondere unter Mitwirkung der Parteien die näheren Umstände der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 13. Jänner 1987 bzw. der Widerspruch zwischen der Arbeitsbescheinigung vom 16. Jänner 1987 und dem an Ulrike St. gerichteten Schreiben vom 23. Jänner 1987 zu klären gewesen. Der an Ulrike St. gerichtete Widerrufsbescheid vom 19. November 1991 hat mangels einer diesbezüglichen Rechtsgrundlage keine den Beschwerdeführer treffende erweiterte Rechtskraft, weshalb dieser Bescheid nicht einer Berücksichtigung von Einwendungen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Ersatzverfahren nach § 25 Abs. 2 AlVG 1977 entgegensteht. Ferner wäre zu klären gewesen, ob Ulrike St. den Bezug des Arbeitslosengeldes nicht etwa durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat, da sie dem Arbeitsamt vom Schreiben des Masseverwalters vom 23. Jänner 1987, aus dem sich ein Ende des Beschäftigungsverhältnisses mit 13. April 1987 ergibt, keine Mitteilung gemacht hat. Erst bei Verneinung dieser Frage - daß eine Rückforderung des Arbeitslosengeldes von Ulrike St. im Zeitpunkt der Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Rückersatz nicht möglich war ("aus tatsächlichen Gründen scheitert"), ist nach der Aktenlage nicht ersichtlich - hätte sich die belangte Behörde mit einer etwaigen Ersatzpflicht des Beschwerdeführers nach § 25 Abs. 2 AlVG 1977 auseinanderzusetzen gehabt.

Aufgrund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Ermessen Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1992080041.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten