TE Vfgh Beschluss 1993/6/18 B569/92, B669/92

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Veröffentlicht am 18.06.1993
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0001 Landesverfassung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
Tir LandesverfassungsG über Untersuchungsausschüsse. LGBl 15/1992 §5 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Aufforderung des Vorsitzenden eines Untersuchungsausschusses des Tiroler Landtages zum Verlassen des Sitzungssaales; Zurechnung dieser in Ausübung der Sitzungspolizei getroffenen Maßnahme zur Staatsfunktion Gesetzgebung

Spruch

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Die beiden Beschwerdeführer wenden sich in ihren ausdrücklich auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden gegen Amtshandlungen des Vorsitzenden eines Untersuchungsausschusses des Tiroler Landtages.

1.1.1. Der Beschwerdeführer zu B569/92 führte aus, er habe am 26. März 1992 den Barocksaal des Landhauses in Innsbruck betreten, in welchem gerade der sogenannte "Hotel-Royal-Untersuchungsausschuß" tagte, um Zeugen einzuvernehmen. Der Vorsitzende dieses Ausschusses habe ihm eröffnet, daß er den Saal zu verlassen habe, "weil die Sitzung des Untersuchungsausschusses nur für Medienvertreter zugänglich", für andere Personen aber nicht öffentlich sei. Der Beschwerdeführer habe sich beim Vorsitzenden erkundigt, ob er diese Erklärung als Bescheid werten könne; der Vorsitzende habe dies mit Ja beantwortet. Daraufhin habe der Beschwerdeführer den Barocksaal verlassen.

1.1.2. Der Beschwerdeführer zu B669/92 brachte vor, er sei am 13. April 1992 in den Sitzungssaal des Landhauses in Innsbruck gegangen, um sich eine Sitzung des bereits erwähnten Untersuchungsausschusses anzuhören. Noch vor Beginn der Sitzung sei ihm vom Vorsitzenden des Ausschusses mitgeteilt worden, daß die Sitzungen nicht öffentlich seien und nur Medienvertreter teilnehmen dürften. Der Vorsitzende habe sich auf §5 des Landesverfassungsgesetzes vom 21. Jänner 1992, LGBl. 15/1992, über Untersuchungsausschüsse berufen. Der Beschwerdeführer habe hierauf den Vorsitzenden gefragt, ob die Erklärung, er müsse den Raum verlassen, als Bescheid zu werten sei; dies habe der Vorsitzende bejaht. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer aus dem Sitzungssaal entfernt.

1.2. Die Beschwerdeführer qualifizieren die Aufforderungen des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses als Bescheide, hilfsweise als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; sie behaupten, durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §5 Abs1 des Landesverfassungsgesetzes, LGBl. 15/1992, über Untersuchungsausschüsse in ihren Rechten verletzt zu sein, und begehren die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Akte.

1.3. §5 Abs1 des zitierten Landesverfassungsgesetzes lautet:

"Die Sitzungen von Untersuchungsausschüssen sind insoweit öffentlich, als bei Beweiserhebungen nach §2 Abs1 Medienvertretern der Zutritt zur Sitzung offensteht. Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind dabei jedoch nicht zulässig."

2. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Nach den Beschwerdeausführungen forderte der Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses des Tiroler Landtages die Beschwerdeführer auf, einen Sitzungssaal zu verlassen. Bei diesen Aufforderungen handelt es sich nicht um Bescheide, die mit Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof nach Art144 Abs1 B-VG bekämpfbar wären, denn der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses wurde nicht als Verwaltungsorgan tätig; er traf seine Anordnung vielmehr in Ausübung und im Rahmen der ihm - als Vorsitzführendem - obliegenden Sitzungspolizei, demnach als Organ der gesetzgebenden Gewalt (vgl. zum vergleichbaren Fall des Präsidenten des Nationalrates VfSlg. 11882/1988; Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 (1985) S 200): Die Handhabung der Sitzungspolizei während der Sitzung eines Untersuchungsausschusses - ebenso unmittelbar davor zur Vorbereitung dieser Sitzung - ressortiert ebenso wie ihre Ausübung während der Beratungen des Plenums selbst zur Staatsfunktion Gesetzgebung (vgl. Rill, Zum Verwaltungsbegriff, in: Ermacora ua. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht (1979) S 35 (S 40, 42); Adamovich - Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1987) S 25). Sie kann daher nicht als Bescheid einer Verwaltungsbehörde iSd Art144 Abs1 B-VG aufgefaßt und verstanden werden (vgl. zu Maßnahmen des Präsidenten des Nationalrates in Ausübung seiner Präsidialgewalt VfGH 7.10.1958 B204,205/58; VfSlg. 11882/1988; zu Akten des Untersuchungsausschusses selbst zB Widder, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Rechtsstaat (1983) S 19 und Mayer, Verfassungsrechtliche Probleme der Tätigkeit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, in: Mayer/Platzgummer/Brandstetter, Untersuchungsausschüsse und Rechtsstaat (1989) S 1 (S 2)), und zwar ungeachtet ihrer Bezeichnung als Bescheid durch den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses.

2.2. Da der Vorsitzende somit nicht als Verwaltungsorgan tätig wurde, handelt es sich bei den angegriffenen Akten auch nicht, wie die Beschwerdeführer hilfsweise vorbringen, um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; dies ganz abgesehen davon, daß weder Art144 Abs1 B-VG idF der Novelle BGBl. 685/1988 noch eine andere Rechtsvorschrift dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis einräumt, über Beschwerden gegen derartige Verwaltungsakte zu erkennen. Art1 Z38 der B-VG-Nov. 1988, BGBl. 685, durch den Art144 Abs1 B-VG geändert wurde, trat gemäß ArtX Abs1 Z1 mit 1. Jänner 1991 in Kraft. Seit diesem Zeitpunkt fehlt es dem Verfassungsgerichtshof - von damals bereits anhängig gewesenen Rechtssachen abgesehen - an der Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (sa. Art129 a Abs1 Z2 B-VG; VfGH 10.6.1991 B281/91 und B446/91, 30.9.1991 B356/91 und B580,581/91; vgl. auch VfGH 28.2.1991 B78/91 und 30.9.1991 B636/91).

2.3. Die Beschwerden waren daher wegen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Bescheidbegriff, Landtag, Untersuchungsausschuß, VfGH / Zuständigkeit, Öffentlichkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B569.1992

Dokumentnummer

JFT_10069382_92B00569_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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