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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
ABGB §6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des J in Wien, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 20. Juni 1995, Zl. MD-VfR - B XX - 3/95, betreffend eine Baubewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aufgrund der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Mit Antrag vom 10. März 1983 ersuchte der Beschwerdeführer um nachträgliche Baubewilligung zur Errichtung eines Lagerschuppens in Holzkonstruktionsbauweise in Wien, D-Straße 33. Das Bauansuchen wurde mit dem in letzter Instanz ergangenen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Juni 1984 abgewiesen. Mit Erkenntnis vom 22. Dezember 1987, Zl. 84/05/0158, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, nachdem zuvor der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. Oktober 1987, V 76/87, ausgesprochen hatte, daß eine für den baubehördlichen Bescheid maßgebliche Bestimmung der angewendeten Verordnung (Plandokument 5368) gesetzwidrig war. Im fortgesetzten Verfahren wurde die Baubewilligung von der Baubehörde für Wien mit Bescheid vom 2. März 1989 neuerlich versagt. Das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen diesen Bescheid führte zur Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens der präjudiziellen Verordnung (Plandokument 5827) beim Verfassungsgerichtshof, in dem dieser die angewendete Verordnung aufhob (siehe das Erkenntnis vom 11. Oktober 1993, V 217/90-7). Der angeführte Bescheid der Bauoberbehörde von Wien wurde daher vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. Jänner 1994, Zl. 94/05/0002, aufgehoben. In der Folge hob die Bauoberbehörde für Wien den erstinstanzlichen Bescheid vom 1. Juli 1983 auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde erster Instanz. Aufgrund eines Devolutionsantrages entschied in der Folge die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid über das Bauansuchen und wies es neuerlich ab. Gemäß § 8 Abs. 1 Bauordnung für Wien bestehe für das nach der Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien vom 26. Juni 1985, PD 5827, durch die Festsetzung von Bebauungsplänen nicht erfaßte Stadtgebiet bis zur Festsetzung dieser Pläne die Bausperre. Mit Zustimmung des Gemeinderates könnten für Bauten, die öffentlichen Zwecken dienten, fallweise Baubewilligungen erteilt werden. Im übrigen könnten Baubewilligungen nur ausnahmsweise mit dem Vorbehalt des jederzeit möglichen Widerrufes oder auf eine bestimmte Zeit nach den Bestimmungen des § 71 leg. cit. erteilt werden. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Bewilligung gemäß § 71 Bauordnung für Wien lägen nicht vor.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem Recht auf Erteilung einer Baubewilligung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich ausschließlich gegen die Auffassung der belangten Behörde, daß mit der Aufhebung des Flächungswidmungs- und Bebauungsplans, Plandokument Nr. 5827, durch den Verfassungsgerichtshof kein Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplan für das verfahrensgegenständliche Grundstück in Geltung stehe. Der aufgehobene Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplan habe den davor geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan nur zurückgedrängt. Dies sei im vorliegenden Fall aus § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien abzuleiten, der eine Änderung eines Flächenwidmungsplanes oder Bebauungsplanes nur zulasse, "wenn wichtige Rücksichten es erfordern". Der Verfassungsgerichtshof habe zu einer ähnlichen Bestimmung (nämlich § 18 Sbg. Raumordnungsgesetz 1977) im Erkenntnis vom 2. Dezember 1991, Slg. Nr. 12.926, ausdrücklich ausgesprochen, daß das Gesetz dem Flächenwidmungsplan durch eine solche Bestimmung eine erhöhte Bestandskraft zuerkenne. § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien erzeuge damit für die dort genannten Verordnungen einen Stufenbau nach der derogatorischen Kraft. Das bedeute, daß eine Verordnungsänderung, die diese gesetzliche Voraussetzung nicht einhalte, lediglich eine beschränkte derogatorische Wirkung habe, sodaß die Vorgängerverordnung in ihrer Wirkung durch die rechtswidrige Nachfolgeverordnung bloß zurückgedrängt werde. Der Beschwerdeführer führt zur Stützung seiner Auffassung den Aufsatz von Mayer, Über die derogatorische Kraft von Flächenwidmungsplänen, ecolex 1994, 354 ff, ins Treffen. Auch die dazu bestehende gegenteilige Literatur (Hauer, Zur "Theorie vom weißen Fleck", ecolex 1995, 58 ff, und Aichlreiter, Stufenbau- und Derogationsfragen bei Flächenwidmungsplänen, ecolex 1995, 65 ff) stimme darin überein, daß - sofern vom Gesetzgeber ein Stufenbau von Verordnungen nach der derogatorischen Kraft angeordnet werde - eine niederrangigere Verordnung einer höherrangigeren Verordnung nicht endgültig derogiere, sondern diese bloß zurückdrängen könne. § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien normiere nun einen solchen Stufenbau von Verordnungen nach der derogatorischen Kraft, woraus sich für den Beschwerdefall ergebe, daß für das Grundstück des Beschwerdeführers der davor geltende Flächenwidmungsplan Plandokument Nr. 5368 wieder zur Anwendung kommen müsse. Danach sei für dieses Grundstück die Widmung Bauland-Wohngebiet, Bauklasse IV und geschlossene Bauweise vorgesehen.
Während Art. 140 Abs. 6 B-VG für die Aufhebung von Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof vorsieht, daß mit dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung die gesetzlichen Bestimmungen, die durch das vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren, wieder in Wirksamkeit treten, falls der Verfassungsgerichtshof nichts anderes ausspricht, enthält Art. 139 B-VG eine derartige Regelung nicht. Im Erkenntnis vom 10. Juni 1983, Slg. Nr. 9690, setzte sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage der Wirkung der Aufhebung einer Verordnung auseinander und kam zu dem Ergebnis, daß im Falle der Aufhebung einer Verordnung frühere Verordnungsbestimmungen nicht wieder in Kraft treten. Dies ergebe sich vor allem daraus, daß Art. 139 B-VG im Gegensatz zu Art. 140 Abs. 6 B-VG diesbezüglich keine gleichartige Bestimmung enthalte. Diese Auffassung des Verfassungsgerichtshofes findet sich auch in den Erkenntnissen vom 28. November 1985, Slg. Nr. 10.703, und vom 1. Dezember 1990, Slg. Nr. 12.560. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im hg. Erkenntnis vom 8. März 1994, Zl. 93/05/0276, wieder mit dieser Frage auseinandergesetzt und vertrat unter Berufung auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 9690 und die Literatur (Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes7, Rz. 1133, und Aichelreiter, Verordnungsrecht II, 1376) die Auffassung, daß die Aufhebung einer Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof keine Rechtswirkungen auf frühere, durch den Normsetzer außer Kraft gesetzte Verordnungen entfalten kann, es sei denn, der Verordnung kommt gegenüber der früheren, an sich weiter bestehenden Verordnung, eine bloß ergänzende Bedeutung zu.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes kann dem für die Ansicht des Beschwerdeführers maßgeblichen Argument, der Wiener Landesgesetzgeber habe eine Zurückdrängung früherer Flächenwidmungs- und Bebauungspläne im § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien angeordnet, nicht gefolgt werden. Eine gesetzliche Bestimmung wie § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien (die der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2. März 1995, G 289/94-7 u.a., mit Ablauf des 31. August 1996 aufgehoben hat), die eine Verordnungsänderung nur unter bestimmten Voraussetzungen zuläßt, kann nicht dahin ausgelegt werden, daß sie die Anordnung der bloßen Zurückdrängung früherer Verordnungsbestimmungen im Falle der Änderung anstelle einer Derogation früher bestehender Verordnungsbestimmungen enthalte. Die belangte Behörde hat somit nicht die Rechtslage verkannt, wenn sie davon ausgegangen ist, daß für das verfahrensgegenständliche Grundstück im Zeitpunkt ihrer Entscheidung keine durch einen Flächenwidmungsplan festgelegte Widmung gilt, weshalb § 8 Abs. 1 Bauordnung für Wien zu Recht angewendet wurde.
Der Beschwerdeführer führt weiters ins Treffen, daß verfassungsrechtliche und rechtsschutzfreundliche Überlegungen für die Annahme eines Stufenbaues von Verordnungen nach der derogatorischen Kraft sprächen. Die Gemeinde Wien habe offensichtlich kein Interesse an einer Beseitigung der Folgen der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. Oktober 1993, V 217/90, festgestellten gleichheitswidrigen Planungsentscheidung, da bisher kein diesem Erkenntnis Rechnung tragender Flächenwidmungs- und Bebauungsplan erlassen wurde. Dieses Vorgehen der Gemeinde Wien komme einer Enteignung mit den Mitteln der Raumordnung gleich. Dem Beschwerdeführer werde die Nutzung seiner Liegenschaft beschränkt, um der Gemeinde Wien den Bau einer Wohnhausanlage mit vorgelagerter Grünfläche zu ermöglichen. Die Gemeinde Wien erspare sich dabei auch die Zahlung einer Entschädigung an den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vorzugehen.
Auch wenn man diesen verfassungsrechtlichen Überlegungen des Beschwerdeführers Bedeutung beimißt, darf nicht übersehen werden, daß eine verfassungskonforme Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof im Wortlaut der auszulegenden einfachgesetzlichen Bestimmung ihre Grenze findet. Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Bauordnung für Wien bietet nun - wie bereits dargelegt - nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Grundlage für eine Interpretation im Sinne der Beschwerdeausführungen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, daß die Beantwortung der Frage eines allfälligen unzulässigen Eigentumseingriffes, die sich aufgrund der Untätigkeit des Verordnungsgebers nach der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof ergibt, und auch eine allenfalls daraus abzuleitende Willkür der Baubehörden ausschließlich in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fällt.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren, also ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung, in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Schlagworte
Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Angelegenheiten die zur Zuständigkeit des VfGH gehören (B-VG Art133 Z1) Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter RechteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995050233.X00Im RIS seit
11.07.2001