TE Vwgh Erkenntnis 1995/9/20 95/20/0155

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Veröffentlicht am 20.09.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995, Zl. 4.343.117/15-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iraks, der am 13. Juli 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte am 14. Juli 1993 einen Asylantrag, den er am selben Tag bei seiner Einvernahme beim Bundesasylamt damit begründete, er sei moslemischen Glaubens und gehöre der kurdischen Volksgruppe an. Im Jahre 1981 sei er Mitglied der S Partei geworden und habe innerhalb eines Kaders eine führende Position inne gehabt. Seine Aufgabe sei es gewesen, Propaganda zu betreiben und hundert Parteimitglieder zu beaufsichtigen, zu schulen und deren Auftreten in der Öffentlichkeit zu organisieren. Im Jahre 1985 habe diese Partei den Namen "T Party" erhalten und sei in die "PUK" unter dem Anführer Jalal Talabani eingegliedert worden, der sie seither als Splittergruppe unter Verfolgung der gleichen Ziele angehöre. Von 1985 bis 1989 sei der Beschwerdeführer keinerlei politischen Aktivitäten nachgegangen. Im Jahre 1989 habe er seine politischen Tätigkeiten innerhalb der Parteiorganisation wieder aufgenommen und habe hiebei Befehle der obersten Parteiführung an die Mitglieder weiterzugeben bzw. Anweisungen anzuordnen gehabt. Während des am 7. März 1991 begonnenen Aufstandes der Kurden im Nordirak sei er verstärkt mit der Organisation der Mitglieder befaßt gewesen, da seine Splittergruppe sehr stark am Aufstand beteiligt gewesen sei. Die Aufgabe der Mitglieder dieser Gruppe sei es gewesen, die Zivilbevölkerung unbewaffnet zum Aufstand zu bewegen, wodurch ein Chaos hätte vermieden werden sollen. Der Rang des Beschwerdeführers innerhalb der Partei sei mit dem eines "Gebietsleiters" gleichzustellen gewesen, was eine mittelmäßige Position in der Partei dargestellt habe. Bis Jänner 1993 habe er ungehindert seiner Parteitätigkeit nachgehen können, ohne von den irakischen Behörden belangt zu werden. Im Jänner 1993 habe er sich im Auftrag der Partei nach Bagdad begeben, um dort die Kurden zu organisieren. Er habe sich dort eine Wohnung gemietet und sich bis 20. Juni 1993 in Bagdad aufgehalten. Im Rahmen seiner politischen Tätigkeiten habe er sich in dieser Zeit mit anderen führenden Angehörigen der kurdischen Minderheit getroffen und hiebei besprochen, wie die Regierungszeit von Saddam Hussein beendet werden könnte. Er habe von der Partei monatlich 400,-- irakische Dinar erhalten und habe in seiner Wohnung Informationsmaterial und Aufzeichnungen der Partei gelagert. Als der Beschwerdeführer und seine Frau am 20. Juni 1993 gerade nicht zu Hause gewesen seien, hätten - einer Mitteilung eines Bekannten zufolge - Beamte der Geheimpolizei des Militärs ihre Wohung durchsucht und das Informationsmaterial der Partei mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe an diesem Tag einen Freund, bei dem er seit Jänner 1993 als Lackierer gearbeitet habe, besuchen wollen. Auf dem Weg dorthin habe ihn ein Bekannter gewarnt und ihm mitgeteilt, daß dieser Freund verhaftet worden sei. Der Grund für diese Verhaftung sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt geworden. Da er daraus geschlossen habe, daß es der Geheimdienst auf ihn abgesehen habe, sei der Beschwerdeführer bei einem Bekannten untergetaucht und habe sofort die Parteiführung informiert. Diese habe ihm abgeraten, wieder in den Nordirak zurückzukehren, weil er sicherlich öffentlich gesucht werde und sein Bild bei allen Straßenkontrollen aufliege. Mit Hilfe von ihm seitens der Parteizentrale zur Verfügung gestellten 5.000,-- US-$ habe der Beschwerdeführer den Irak verlassen, weil er auf Grund der Annahme, daß die irakischen Behörden von seiner Parteitätigkeit Kenntnis erlangt hätten, befürchtet habe, verhaftet zu werden. Diese Annahme begründete der Beschwerdeführer damit, daß der Postbote, der die parteiinterne Post immer von Bagdad in den Nordirak gebracht habe, verhaftet worden sei und den Beschwerdeführer seiner Ansicht nach verraten habe. Im Fall seiner Rückkehr in den Nordirak habe er auf Grund seiner politischen Tätigkeit mit seiner sofortigen Verhaftung zu rechnen. Dazu befragt, warum er die zehnstündige Reise nach Jordanien auf sich genommen habe, während die Reise in den Nordirak nur vier Stunden gedauert hätte, gab der Beschwerdeführer an, daß der Nordirak von Truppen umzingelt sei und man auf dem Weg dorthin sehr viele Kontrollen der irakischen Sicherheitsbehörden passieren müsse. Auf dem Weg nach Jordanien gebe es keine solchen Kontrollen und die Grenze dorthin sei offen.

Den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juli 1993, mit dem sein Asylantrag abgewiesen wurde, bekämpfte der Beschwerdeführer mit Berufung, in der er unter Bekräftigung seiner bisherigen Angaben ausführte, er habe am 20. Juni 1993, nachdem er von der Durchsuchung seiner Wohnung erfahren habe, noch kurz in die Wohnung fahren wollen, um für ihn unentbehrliche Dinge für seine Flucht zu holen. Vor dem Haus hätten aber Militärautos und eine zivile Streife gewartet, weshalb er sofort untergetaucht sei. Im Irak würden politisch tätige Kurden verfolgt und es seien dem Beschwerdeführer einige Parteifreunde bekannt, die nach ihrer Verhaftung verschwunden seien. Die Grenze zu Jordanien sei zwar bewacht, doch würden die Grenzkontrollen auf Grund der positiven Beziehungen der beiden Länder zueinander nicht so streng durchgeführt. Auch habe der dem Beschwerdeführer behilfliche Schlepper die Grenzsoldaten beider Seiten gut gekannt, sodaß er ohne Sicherheitskontrolle habe passieren können.

Mit ihrem Bescheid vom 9. Februar 1995 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, er befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat den Angaben des Beschwerdeführers über die Durchsuchung seiner Wohnung, die Mitnahme von Parteimaterial und die Verhaftung seines Arbeitgebers deshalb als zur Glaubhaftmachung von Verfolgung ungeeignet erachtet, weil er nicht in der Lage gewesen sei anzugeben, wer der Bekannte, der ihn darüber informiert habe, gewesen sei und wie dieser zu diesen Informationen gelangt sei. Weder dem Vernehmungsprotokoll noch dem sonstigen Inhalt der Verwaltungsakten ist aber zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht näher befragt worden und es ihm nicht gelungen wäre, auf allfällige diesbezügliche Fragen glaubhafte Antworten zu geben. Diese Argumentation der belangten Behörde ist daher nicht schlüssig.

Die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich vom Wahrheitsgehalt der angeführten Mitteilungen und auch davon, ob eine Fahndung eingeleitet worden sei, nicht überzeugt, steht mit dem Akteninhalt nicht im Einklang, weil der Beschwerdeführer bereits bei seiner Ersteinvernahme angegeben hat, er habe diese Vorgänge der Parteizentrale gemeldet und diese habe ihm wegen der gegen ihn laufenden Fahndung zum Verlassen des Landes geraten.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer insbesondere entgegengehalten, er habe nicht nachvollziehbar dargelegt, woher der Staat überhaupt von seiner politischen Tätigkeit Kenntnis erlangt haben sollte. Vielmehr habe der Beschwerdeführer selbst angegeben, diese Tätigkeit mit Unterbrechungen bis 1993 ausgeübt zu haben, ohne ein einziges Mal von den irakischen Behörden belangt worden zu sein. Dabei läßt es die belangte Behörde gänzlich unberücksichtigt, daß der Beschwerdeführer bereits bei seiner Ersteinvernahme vorgebracht hat, er sei der Auffassung, der Postbote, der immer die parteiinterne Post von Bagdad in den Nordirak gebracht habe und eine Woche vor der Hausdurchsuchung verhaftet worden sei, habe ihn verraten. Da sich die belangte Behörde mit diesen in sich nicht widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt hat, hält ihre Auffassung, der Beschwerdeführer habe das Wissen des Staates von seiner Tätigkeit nicht nachvollziehbar darzulegen vermocht, der dem Verwaltungsgerichtshof aufgegebenen Schlüssigkeitsprüfung nicht Stand.

Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich bereits in einem anderen Staat Verfolgungssicherheit erlangt hat, brauchte nicht eingegangen zu werden, weil die belangte Behörde diese Frage ausdrücklich aus ihren Überlegungen ausgeklammert hat.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die belangte Behörde nähere Ermittlungen zu den von ihr für die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers als maßgeblich erachteten Gründen unterlassen hat. Die sohin dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmängel erweisen sich angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, mit denen er Umstände für begründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen geltend gemacht hat, als wesentlich, weil die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte sohin - da der Verwaltungsgerichtshof wesentliche Mängel des Verwaltungsverfahrens auch ohne Antrag der Beschwerde wahrzunehmen hat (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, S. 591 angeführte Judikatur) - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995200155.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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